Geluwe

  

AMO, CREDO, CURO

Zum Werk von Johan van Geluwe

 "Wohl möglich, daß eine abwartende Haltung nicht mehr in die heutige Gesellschaft paßt und daß derjenige, der das, was er liebt, laut verkündet, mehr Aussicht hat, die wie er im Lebenskampf Stehenden mit sich fortzureißen, als der, welcher seinen Glauben bekennt; und daß der Glaube infolgedessen allen Wert verloren hat, umso mehr, als (...) unsere gegenwärtige Gesellschaft ihren Glauben in Dinge und Gedanken, die sie nicht liebt oder nicht mehr liebt, öffentlich ausspricht. (...) So hat denn die Liebe ihre Hand zurückgezogen, die sie einst in die des Glaubens gelegt hatte, und ihn dadurch aller Kraft beraubt. Der unerschöpfliche Zufluß ist damit versiegt, und dieser unheilvolle Zustand wird so lange anhalten, als die Liebe ihrer verarmten Schwester keine neuen Schätze zuführt. Die Liebe ist fähig, den Glauben wieder in Ansehn zu bringen, weil wir da nicht lieben können, wo wir nicht glauben. So kann man also mit vollem Vertrauen hierin alles von der Liebe annehmen und kann demjenigen glauben, der liebt: währenddem wir uns auf den Glauben nicht mehr ungeprüft verlassen, und den nicht mehr ohne weiteres lieben können, der uns Glauben bietet."

Was hier, vor rund 90 Jahren, Henry van de Velde in der Vorrede zu seinem berühmten Bekenntnis "AMO" schreibt, scheint mir auch Johan van Geluwes Einstellung zur Welt, zum Leben, zu den Menschen und zu dem, was sie hervorgebracht haben und hervorbringen, gut zu charakterisieren: Denn Johans überaus liebenswürdige Art, seine Umwelt wahrzunehmen und durch seine Arbeit zu kommentieren, ist nicht nur absolut glaubwürdig, sondern gibt uns den Glauben an die Kraft der Liebe, die wir meistens ganz aufs Private reduziert haben und von der wir nur noch wissen, daß sie Berge versetzen kann, zurück. So ist Johans unerschütterliche Liebe zur Kunst auch der Grund dafür, daß seine mitunter scharfe Kritik an gegebenen Umständen und die bissige Ironie, mit der er den Glauben an eine Versöhnung von Kunst und Leben: an eine durch Kunst verbesserte Welt propagiert, niemals verletzend wirken oder ins Ausweglose führen, sondern immer als in zumindest letzter Konsequenz konstruktive Beiträge erscheinen, durch die produktive Ideen frei- und in Umlauf gesetzt oder neue Sichtweisen und Möglichkeiten eröffnet werden. Einige der Mittel und Strategien, derer sich Johan dazu bedient oder die er in seinem Werk entwickelt hat, möchte ich im folgenden näher zu bestimmen versuchen.

Goud en Eeuw

"Goud en Eeuw. V.O.C. - Vlaamse Oost-Indische Compagnie", 1995

"Art is everywhere" (J.v.G.)

 Johans großes Thema, seine Liebe, ist die Kunst und der Glaube daran, die Welt durch Kunst verändern zu können. Johan steht mit dieser Liebe und diesem Glauben in einer großen und langen Tradition, einer Tradition, die gerade auch in Flandern ausgeprägt ist und beispielsweise in Henry van de Velde zu Beginn dieses Jahrhunderts und später, in den sechziger und frühen siebziger Jahren, in Marcel Broodthears zwei sehr unterschiedlich orientierte, doch gleichermaßen bedeutende Protagonisten hatte. Anders als diese beiden Künstler, die als Vorgänger und Vorbilder für Johan sicherlich nicht unwichtig waren, operiert Johan als Architekt und Künstler jedoch sehr bewußt in einer Zeit, in der die Kunst und ihre wichtigste Institution, das Museum, in eine fundamentale Krise geraten sind - und dies nicht zuletzt auch als Ergebnis ihres wechselseitig kompliziert gewordenen Verhältnisses: "Die Kunst ist eine Gefangene des Museums. Das Museum entfremdet die Kunst ihrer eigenen Umwelt," diagnostizierte Johan 1986, sah andererseits aber auch das Museum gefährdet: "In den 50er und 60er Jahren waren es die Kritiker, die die Norm aufstellten; in den 70er Jahren wurden sie von den Galeriebesitzern und Ausstellungsmaklern überflügelt; [Jetzt, Anfang der 90er Jahre; Ergänzung d. d. Verf.] besteht durchaus die Gefahr, daß Manager und Investoren einen Teil unseres Kunstpatrimoniums übernehmen. (...) Die kritische Funktion (der Kunst) verliert sich in andere Zwecke, wird in andere Interessen eingekapselt." Dagegen sollen, so schreibt Johan weiter, "Künstler und Kunstwerk wieder die Hauptakteure werden, und zwar in einem Museum, in dem das Nachdenken und Zeigen, nicht das Vorzeigen, im Vordergrund stehen. Leerem Entertainment, Massifikation, geistigem Leerlauf soll entgegengetreten werden. Die Avantgarde ist vorbei, aber für das breite Publikum muß sie noch anfangen." (1990, in Kunstforum International)

Genau an dieser Stelle setzen Johans vielfältige Aktivitäten an: als Direktor des Museum of Museums (M.O.M.), das er (ab 1975) als ein Antidoton mit Bezug auf die von Machtansprüchen, Bürokratie und Zensur bestimmte Museumsszene unterhält; als mail-artist und Betreiber des A.R.T. (Art Recycling Terminal, auch das Logo für das Architectural Research Terminal), des M.A.O. (Multinational Art Office) und des W.A.M (World Architecture Museum), durch die er unabhängig von offiziellen Institutionen und dem Markt künstlerische Ideen in Umlauf zu halten versucht; durch seine umfangreiche Produktion von Stempeln, Emblemen und Texten, deren Anwendung in verschiedenen Kontexten und Medien darauf abzielen, mentale Muster und Konventionen bewußt zu machen und aufzubrechen; und nicht zuletzt durch seine umfassende Sammlungstätigkeit, die unter anderem speziell auch der 'Volkskunst' ('Hofjes van Eden', ab 1973) gewidmet ist. Kunst ist für Johan überall zu finden, und immer da, wo sie Gefahr läuft, an bürokratischen Prozessen zu ersticken, kommerziellen Interessen zum Opfer zu fallen, in Konventionen zu erstarren oder einfach übersehen und vergessen zu werden, könnte man ihn, zumindest theoretisch, irgendwann erwarten. Doch ist Johan kein Politiker, sondern Künstler und als solcher gewitzt genug, seine Mittel sparsam und gezielt, in gewissermaßen homöopathischen Dosen, einzusetzen.

  ars longa

"Ars longa - vita brevis", 1996

 

"From 16. Jan. 1981 I declare het I.C.C. a Museum" (J.v.G.)

 Was ist die Kritik an einem Museum gegen die Gründung eines Museums? In dieser Variante einer Einsicht von Bert Brecht, das Bankwesen betreffend, kann man Johans Strategie im Umgang mit real existierenden Museen sehen. Ihnen setzte er mit seinem Museum of Museums eine Meta-Institution entgegen, die potentiell alle Museen umfaßt, doch sich ihren Mechanismen entzieht; dies allerdings nicht allein deshalb, weil das M.O.M. als private und völlig unabhängige Einrichtung konzipiert ist, sondern vor allem, weil das M.O.M. als Konzept nicht überboten werden kann. Denn kann es ein Museum der Museen schon aus logischen Gründen nur ein einziges Mal geben, so ist das M.O.M per definitionem darüber hinaus eben auch jedes einzelne Museum und alle Museen zugleich: eine Institution, die das Grundprinzip der Institutionen, die sie umfaßt, definiert und dieses Prinzip - die Kolonisierung - auf diese selbst anwendet. Es spielt dabei keine Rolle, daß Johans M.O.M. eine im Kern fiktive Einrichtung ist; denn es ist die Realität der Fiktion oder, mit anderen Worten gesagt, das mit der Idee des M.O.M. in die Welt gesetzte und in ihm real gewordene reflexive Moment, das dem Museum of Museums seine kaum zu überschätzende Bedeutung verschafft: es ist ein Museum 2. Ordnung.

Johans Museum of Museums ist allerdings nicht nur Konzept und ein Stempel geblieben. Vielmehr ging der Künstler ab 1981 das Risiko ein, das M.O.M. in Ausstellungen und schließlich sogar in einer festen Installation real werden zu lassen. So deckte er im I.C.C.-Projekt (1981), in einer fotografischen Dokumentation, den Apparat und die verborgenen Räume des Internationaal Cultureel Centrum in Antwerpen auf und erklärte es, nachdem er zuvor bei der Stadt Antwerpen einen förmlichen Antrag auf Umnutzung gestellt hatte, zum Museum. Damit nahm das M.O.M. die erst nahezu ein Jahrzehnt später erfolgende Gründung des Museums voor Hedendaagse Kunst Antwerpen vorweg. Fünf Jahre später, 1986, trat das M.O.M. mit dem "Kabinett des Konservators" in der Richard Foncke-Gallery, Gent, zum ersten Mal mit einer eigenen Installation in Erscheinung, die anschließend, in erweiterter Form, in De Vleeshal, Middelburg (1986), und schließlich - weitere fünf Jahre später und nochmals den veränderten Umständen entsprechend angepaßt - im Karl Ernst Osthaus-Museum der Stadt Hagen präsentierte wurde, wo das Kabinett seit dieser Zeit einen festen Bestandteil der Schausammlung bildet. Mit dem "Kabinett des Konservators" entwickelte Johan nicht nur das Herzstück des Museum of Museums, sondern zugleich auch seine ästhetische Strategie, mit der er den Anspruch des M.O.M. als eines Meta-Museums auch innerhalb von Kunstinstitutionen wirkungsvoll zur Anschauung bringen konnte.

 

"L'or pour l'art - l'art poor l'lart - mort pour l'art" (J.v.G.)

Wer sich mit Museen beschäftigt hat, weiß, daß es nahezu unmöglich ist, etwas, das sich in einem Museum befindet, vor der Musealisierung oder, mit einem anderen Wort gesagt, vor der Verdinglichung zu retten; denn im Museum wird alles und jedes zum Schaustück und damit in der Regel zum Schatten seiner selbst: Dies haben gerade auch die Künstler, die mit ihren Werken die Museen zu bekämpfen oder sich ihrer Macht zu entziehen versuchten, schmerzlich erfahren. Mit dem "Kabinett des Konservators" ist es Johan jedoch gelungen, diesen Mechanismus durch die Anwendung eines Mittels aufzubrechen, das das Museum nicht kennt und auf das es kaum reagieren kann: die Ironie. Sie, die Ironie, die bewußt angewandte und für Dritte in der Regel offensichtliche Form der Verstellung setzt Johan als das Mittel ein, durch das die Bedingungen des Museums in ihm selbst reflektiert werden können.

 

 

Das Kabinett des Konservators, 1991

 

Johan arbeitet dabei mit einer typischen Technik der ironischen Argumentation: der simulatio und ihren Formen, der affirmatio und amplificatio, indem er dienende Elemente musealer Settings aus ihrem Kontext durch Nachbau isoliert, sie in unterschiedlicher Weise verstärkt und sie durch ihre Versammlung in einem Raum, also durch eine Form der Rahmung, zu einem Inhalt des Museums macht. Das "Kabinett des Konservators" ist damit nicht nur eine nachgerade klassisch-ironische affirmatio des musealen Settings, sondern entfaltet über die kalkulierte Rolle des Museumsbesuchers ihre volle Wirkung in einer weiteren, für die Ironie typischen rhetorischen Figur, der dissimulatio. Denn insoweit das "Kabinett des Konservators" die den Museen eigenen, in ihnen jedoch mehr oder weniger verborgenen Machtsymbole in einer offensiv angelegten Herrschaftsarchitektur zusammenstellt, zwingt sie den Besucher des Kabinetts zu entsprechendem Verhalten - als Direktor oder Untergebener. Insoweit aber beide Formen des Verhaltens für den Besucher unangemessen sind, ergibt sich zwangsläufig eine Diskrepanz zwischen dem, was man sieht und spürt, und dem, wie man sich verhält oder verhalten müßte - und damit eine Erfahrung, die, zurückübersetzt auf das Verhalten im normalen musealen Setting, seine Wahrnehmung in neuer Weise ermöglicht.

So erweist sich die Installation (wie jede rhetorische Figur) als Mittel zum Zweck: der cura um den Betrachter/Besucher. Auf ihn, auf seine Kreativität, seine Interessen, sein Gedächtnis und sein Bewußtsein zielt und setzt der Künstler, wohl wissend, daß im Grunde nur durch sein Verhalten die Welt verändert werden kann.
 

 

 vita brevis

 

Ars Longa - Vita Brevis (J.v.G.)

Daß es Johan vor allem um die Menschen geht, lassen auch seine jüngeren, vom Museum unabhängigen Installationen erkennen, in denen er zwar mit den im "Kabinett des Konservators" entwickelten Insignien der Macht, zum Beispiel mit der Zentralperspektive, dem roten Läufer und der Sternenkugel, arbeitet, doch deren Wirkung nutzt, um verborgene oder nicht bewußte Inhalte zur Anschauung zu bringen: So wurde die Kapelle auf dem Campo Santo St. Amandsberg durch seine Installation zu einer Art Pantheon verstorbener und lebender Künstlerkollegen, konnte er in der Installation "Goud en Eeuw. V.O.C. - Vlaamse Oost-Indische Compagnie", 1995 in Amsterdam, ein unterdrücktes Kapitel niederländisch-flämischer Kolonialgeschichte ins Bewußtsein rufen und gelang ihm 1996 mit der Ausstellung "Ars longa - vita brevis", 1996 in der Sint-Lukasgalerij Brüssel, eine überzeugende Hommage an jung verstorbene Künstler und Schriftsteller. 1998, setzte Johan in der Installation "Bremen - Redoubt" in der Galerie im Winter, Bremen, seine Mittel dazu ein, eine bedrückende Episode aus dem Stellungskrieg in Westflandern während des Ersten Weltkrieges vorstellbar zu machen. Dabei erwies sich hier wie in zuvor genannten Arbeiten des Künstlers die Ironie seiner Installationen als die geeignete Form, wie durch die Wahrnehmungsklischees hindurch die jeweiligen Themata angemessen vergegenwärtigt werden können.

 campo santo

Campo Santo St. Amandsberg, 1996

(Michael Fehr 1998)

Siehe auch: Kunsteröffnung 1998