Oktober 2005
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Der ganz große Hammer

Wie der Berliner Elektro-Punk "T.Raumschmiere" Deutschland retten könnte
Tobias Kniebe





Der Abend beginnt damit, dass die Vorstellungskraft gleich mal versagt. Es ist eine warme, ins Schwüle tendierende Münchner Sommernacht, und in der Künstlergarderobe der "Registratur" sitzt Marco Haas, 29, aus Berlin. Er trägt Kurzarmhemd und Kurzbeinhose, aus welchen dünne Gliedmaßen ragen, dazu Nasenring, einen kleinen schwarzen Hipsterhut, ein Schweißband mit Totenkopf-Logo und Badeschlappen, die äußerst bequem aussehen. Er hat das Lachen eines extrem gut gelaunten unterernährten Ziegenbocks, und entpuppt sich schnell als kluger und vernünftiger junger Mann. "Seit ich einen Sohn habe", sagt er zum Beispiel, "denke ich irgendwie zukunftsorientierter, auch wenn sich das jetzt hippiemäßig anhört." Alles klar, in Ordnung – nur wie zum Teufel lässt sich dieser freundliche Bursche mit dem Musiker T.Raumschmiere in Verbindung bringen, um den es hier gehen muss? Das wird noch Nerven kosten.

T.Raumschmiere, das sei dazugesagt, hat die elektronische Musik in den letzten Jahren gründlich aufgemischt – und in seinem Fall heißt das weniger mixen als vielmehr durchprügeln. Er hat die weichen und irgendwie immateriellen Sinuskurven der digitalen Computersounds so lange zerhackt, zerquält und hochgedreht, bis sie wieder eckig, rockig und damit auch greifbar wurden, sich wie grobes Sandpapier an den Trommelfellen rieben und die Boxen der Clubs im Wortsinn zum Platzen brachten. Will man den Effekt dieser dröhnenden Verzerrung weiter beschreiben, fallen einem schnell die lautmalerischen Worte "Gnarz" und "Bratz" ein.

Sie nennen ihn also "King of Gnarz", sie nennen ihn "Bühnen-Berserker" und "besten elektronischen Live-Act", und zwar inzwischen von New York über Rio bis Tokio. Als die New York Times einmal Zeuge seiner Boxenzerstörungs-Performance wurde, war schnell das Etikett "Angry Young Kraut" gefunden. Es haftet seither an ihm wie Hundescheiße an Badeschlappen.

"Immer noch besser als King of Fahrstuhlmusik", sagt Haas, und wo er Recht hat, hat er Recht. Nur wütend wirkt er eben überhaupt nicht, ja er gibt sogar ohne Umschweife zu, privat ein ausgeglichener Mensch zu sein. "Das Tolle ist ja, dass man seine Wut ganz in die Musik legen kann, und diese Wut wird immer größer, sie hat sich, seit ich Vater bin, nochmals gesteigert."

Jetzt: "Blitzkrieg Pop"

Wobei man nicht sagen kann, dass der Mann bloß schocken und zerstören will. Haas hat, geschult an frühen Punkrock-Tagen in Heidelberg, ein Gespür für die gnadenlos treibende Basslinie, für den lassoschwingenden Hook, der kein Entkommen kennt, und auch der gepflegte Mitgröl-Refrain ist ihm nicht fremd. Ganz klar sei Pop seine Musik, sagt er deshalb.

"Blitzkrieg Pop" heißt auch das kürzlich erschienene Album (Nova Mute/Emi), der Titel ein fröhliches, nicht sehr bedeutungsschweres Ramones- Zitat. Die Platte soll eine Herausforderung in alle Richtungen darstellen, Ziel war unter anderem "eine Ambient-Platte mit Punkrockstücken darüber gelegt". Was das nun über den Zustand der aktuellen Eletronik sagt, ob es als Rückgriff auf schweißtreibende Handarbeit nicht auch ein Ende der Ideen signalisiert, eine Kapitulationserklärung der Maschinen – das fragt man besser nicht. Es signalisiert nämlich nur, dass T.Raumschmiere die Elektronikszene seit jeher ziemlich egal war.

"Alles, was ich mache, ist mehr so privater Scheiß", sagt er. Den privaten Scheiß mit Hochdruck in die Welt hinausschleudern – ein alter, ewig gültiger Traum. Das Label dazu heißt dann auch "Shitkatapult". Wobei es so privat dann doch nicht ist: T.Raumschmiere singt englisch, wenn überhaupt, aber er nennt seine Tracks gern "Rumpelkammer", "Variokoppler", "Der Grottenolm" oder "Erlösung durch Strom". Da mischt sich urdeutsches Raunen, nordischer Mythos und Weltmarktführerschaft im Maschinenbau in die Musik – das Goetheinstitut bucht ihn gern für Auslandsauftritte, kein Wunder. Wenn das leicht bedenklich klingt, haarscharf am Wörterbuch des Unmenschen vorbeigetextet, irgendwo zwischen "Arbeit macht frei" und "Sozial ist, was Arbeit schafft", dann ist das provokant und also gut, aber mit rechtem Gedankengut hat es nichts zu tun. Es geht eher um Fundstücke aktuellen Deutschtums, die irrsinnig, gleichzeitig aber von chromglänzender Schönheit sind. Das Prunkstück dieser Entdeckungen ist der Songtitel "Querstromzerspaner", den er mal aus dem Fernsehen aufgeschnappt hat. So heißt eine Riesenzentrifuge, in die man zum Beispiel ganze Schrottkühlschränke hineinwirft, die dann als feine Metall- und Plastikspäne wieder herauskommen.

Der Abend endet damit, dass Marco Haas auf der Bühne der "Registratur" steht, zusammen mit einem Bassisten und einem Schlagzeuger. Die Badeschlappen hat er gegen Sneakers eingetauscht. Er malträtiert eine Gitarre. Er verprügelt ein Keyboard. Er brüllt ins Mikrofon. Diese Liverock-Show türmt neuen Wahnsinn auf seine ohnehin wahnsinnigen Tracks obendrauf, die jetzt erst ihr ganzes Mitgrölpotenzial entfalten.

Das Publikum, zunächst erstaunt, dann überwältigt, dann restlos aufgeputscht, begreift schlagartig eine neue Wahrheit: Dass dieses Land möglicherweise gar keine Reformen braucht, sondern vor allem mehr Energie; dass die Jugend ihre Zukunft zwar nicht mehr aus dem Würgegriff der Methusalem-Gesellschaft befreien kann, sich aber trotzdem niemals den Saft abdrehen lässt; und dass ein kollektiver Sprung in den Querstromzerspaner manchmal die einzige Hoffnung ist.

Es tut beim Aufprall ein bisschen weh, und alle Gewissheiten werden in feine Späne zerlegt – aber hinterher ist der Kopf frei, so frei wie er überhaupt nur sein kann.


shitkatapult

-- Shitkatapult Playlist
-- Urknall, 15 Jahre später