Äthiopistik
Die Geburt der Äthiopistik aus der Bibelforschung  
Als Begründer der Äthiopistik wird im Allgemeinen der Frankfurter Hiob Ludolf angesehen. Dabei wird gemeinhin übersehen, dass dieser selbst einer älteren Tradition äthiopischer Studien in Deutschland entstammte. Vor ihm hatte bereits Athanasius Kirchner das Gi’iz erlernt. Kirchner wurde bekannt durch seine – allerdings falsche - Entzifferung der Hieroglyphen. Im Vatikan erntete er den Spott äthiopischer Katholiken, als er versuchte sie mit seinem starken deutschen Akzent in Gi’iz anzusprechen.

Das Interesse an Äthiopien entwickelte sich in Deutschland vor allem im Kontext der Reformation. Dies war nicht zuletzt darin begründet, dass das äthiopisch-orthodoxe Christentum gleich der deutschen Reformation den römischen Papst nicht als kirchliches Oberhaupt anerkannte. Peter Heyling (1607-52) aus Lübeck war der erste protestantische Missionar in Äthiopien. Seit 1634 fungierte er als Berater am kaiserlichen Hof und übersetzte im reformatorischem Eifer in Gi’iz verfasste Manuskripte aus dem biblischen Kanon ins Amharische. Er war ein Schüler von Grotius, dem Begründer der Studien internationalen Rechts, der von der globalen Vereinigung aller christlichen Reiche geträumt hatte.

Zweifelsohne war Hiob Ludolf der berühmteste Äthiopist unter den deutschen Orientalisten. Seine Begegnung als junger Gi’iz- Student mit der kleinen äthiopischen Gemeinde im Vatikan war von entscheidender Bedeutung für Ludolfs weiteres Schaffen und für die äthiopistische Forschung im allgemeinen. Sein erster Informant war der halbäthiopische Priester Antonio d’Andrade.

1652 reiste der exilierte, ursprünglich aus Mekane Sillasé stammende katholische Priester abba Gregorius auf Einladung des Herzogs Ernst I. von Sachsen-Gotha nach Erfurt. Er wohnte dort über mehrere Monate im herzoglichen Schloss Friedenstein, wo er gemeinsam mit Ludolf an der 1681 veröffentlichen Historia Aethiopica arbeitete, einem Werk welches als Frühform ethnografischer Forschung betrachtet werden kann. Auch das Amharisch- und Gi’iz-Wörterbuch Ludolfs resultierte aus dieser Zusammenarbeit mit abba Grygorios. Ludolf war auch ein bedeutender Lehrer. Die bekanntesten unter seinen Schülern waren Johann Heinrich Michaelis aus Halle, der Herausgeber einer Chronik über Peter Heyling (1724) und Johann Michael Wansleben. Letzterem hatte Herzog Ernst I. um 1663 eine Forschungsexpedition finanziert, welche zwar nie Äthiopien erreichen sollte, als Erfolg jedoch eine Sammlung äthiopischer Manuskripte aus Ägypten verbuchen konnte (heute in Paris). Als die Türken in Österreich einmarschierten, betrieb der Herzog gemeinsam mit Ludolf eine Initiative zur Vereinigung aller christlichen Königreiche. Doch die von holländischen Seefahrern unterstützten Bemühungen des Herzogs blieben vergeblich. Immerhin kann gesagt werden, dass nun dem christlichen Äthiopien ein breiteres Interesse entgegenkam. Ausgehend von Olfert Dappers Pionierarbeit der Geografie Afrikas „Umbständliche Beschreibung von Africa“ (1670) entwarf Happel in seiner Novelle „Africanische Tarnoblast“ (1689) ein positives Bild Abessiniens, in dem er dieses seinen „wilden“ Nachbarn gegenüberstellte. Ludolfs Arbeiten waren der entscheidende Grund, warum im 18.Jahrhundert Äthiopien immer noch sehr positiv angesehen wurde, als man begann, Die Afrikaner abschätzig zu werten. Der Ethnograph und Philosoph Immanuel Kant, der ein neuer Weltbild mit hierarchisch gegliederten „Rassen“ entwarf, berief sich in seinen Arbeiten stark auf Ludolf. Während seit Kant das gesamte Afrika als „unterentwickelt“ galt, behielt Äthiopien seinen guten Ruf über diesen Paradigmenwechsel hinweg.