Heinz Maier-Leibnitz-Preisträger 2000
Laudatio
von Prof. Dr. Jürgen Mlynek, Vizepräsident der
DFG
Dr. Barbara Mittler
32 Jahre alt, Hochschuldozentin am Sinologischen Seminar
der Universität Heidelberg
Frau Mittler hat in Oxford, Taibei in Taiwan und Heidelberg
Sinologie, Japanologie und Musik Musikwissenschaft studiert.
Sie hat mit 22 ihren Magister gemacht, drei Jahre später
ihren Doktor, natürlich mit Summa cum laude, und gerade
mal fünf Jahre später wurde sie in Heidelberg habilitiert,
30jährig und damit 10 Jahre jünger als es dem Durchschnittsalter
der Habilitanden in den Geistes- und Sozialwissenschaften
entspricht. Zu er-wähnen ist auch, dass Frau Mittler
zwischendurch acht Monate als Visiting Scholar an der Harvard
Universität tätig war. In dieser Zeit hat sie zwei
Bücher und gut 35 meist längere Aufsätze auf
Deutsch, Englisch und Chinesisch veröffentlicht.
Frau Mittler ist "eine Mittlerin". Sie vermittelt
zwischen Westen und Osten.
So der Westen wie der Osten
Geben Reines dir zu kosten.
Lass die Grillen, lass die Schale,
Setze dich zum großen Male.
...
Wer sich selbst und andre kennt
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.
Als Goethe dies im Jahre 1826 schrieb, war es wohlgemeint
und schön gesagt, aber falsch - Orient und Okzident waren
durch Welten getrennt. Und auch heute, im Jahre 2000, ist
es nicht richtig, aber immerhin weniger falsch. Dies ist vor
allem das Verdienst hervorragender Mittler, die immer neue
Verbindungen zwischen Ost und West geschaffen haben. Einer
der jüngsten unter ihnen ist Barbara Mittler, die in
ihrer noch jungen wissenschaftlichen Laufbahn Erstaunliches
zum Verständnis Chinas, seiner Kultur und seiner Politik
in den letzten hundert Jahren beigetragen hat. Frau Mittlers
Dissertation gilt der chinesischen Musik seit 1949, und zwar
in Taiwan, Hongkong und der Volksrepublik. Man weiß
ja, daß der Musiker, anders als der Maler, durchaus
natürliche Feinde hat, vor allem wenn es sich um avantgardistische
Musik handelt. Doch würde man, wiederum anders als beim
Schriftsteller, die Politiker nicht zu diesen Feinden rechnen.
Der Fall der drei Chinas zeig daß dieser Eindruck trügt.
Offenbar flößt die Musik Chinas den Machthabern
gleichwelcher ideologischen Richtung so viel Angst ein, dass
sie ständig darauf bedacht sind, Melodien zu reglementieren
und Komponisten zu drangsalieren. Bedeutet dies, daß
die Musik in der kommunistischen Volksrepublik, im eher rechtsorientierten
Taiwan und in der ehemaligen britischen Kolonie Hongkong anders
klingt? Die Antwort ist: nein. Politisch orthodoxe Musik klingt
bei den Kommunisten wie bei ihren alten Gegnern in Taiwan
oder in Hongkong stets ein wenig wie "Rachmaninoff a
la chinoise", während die künstlerische Avantgarde,
die es inzwischen durchaus zu weltweitem Ansehen gebracht
hat, von den Machthabern gleichermaßen unterdrückt
wird. Das Gemeinsame an diesen als gefährlich deklarierten
Kompositionen ist ein besonderer musikalischer Stil: es ist
eine Musik auf der Suche nach der eigenen, chinesischen Tradition,
deren Wurzeln Frau Mittler im einzelnen nachgeht.
Im Verlaufe ihrer Arbeit hat sie Gespräche mit fast
allen namhaften chinesischen Komponisten der Gegenwart geführt;
sie hat eine weltweit einzigartige Forschung'ssammlung zur
modernen chinesischen Musik aufgebaut; und sie hat nicht zuletzt
vor zwei Jahren in Heidelberg eine Konferenz zur chinesischen
Musik organisiert, bei der nicht nur geforscht und diskutiert
wurde, sondern auch mehrere Werke ihre Welturaufführung
erlebt haben.
Eigentlich sollte man meinen, dass Frau Mittler damit ihr
Thema gefunden hat. Weit gefehlt. Ihre Habilitation von 1998
befaßt sich mit einem ganz anderen Gebiet, nämlich
der sich entwickelnden chinesischen Presse zwischen 1872 und
1912, also in der Zeit des sich auflösenden Kaiserreichs.
Zeitungen sind erst im 19. Jahrhundert durch Missionare und
Kaufleute in China eingeffihrt worden. Wie schreibt also ein
chinesischer Journalist eine Nachrichtenmeldung oder einen
Leitartikel? In einer ebenso umfassenden wie akribischen Analyse
konnte Frau Mittler zeigen, daß er sich dabei nicht
einfach von westlichen Mustern inspirieren läßt
sondern in vielfältiger Weise auf traditionelle forinale
Muster der chinesischen Schriftkultur zurückgriff, beispielsweise
den Staatsprüfungsaufsatz oder die Retributionsgeschichte.
Hier sind nun wirklich Orient und Okzident miteinander verschmolzen.
Goethes Gedicht hat noch eine letzte Strophe, die da heißt:
Sinnig zwischen beiden Welten,
Sich zu wiegen, laß ich gelten.
Also zwischen Ost- und Westen
Sich bewegen, sei's zum Besten!
Es war zum Besten, Frau Mittler, und dafür erhalten
Sie den Heinz Maier-Leibnitz Preis 2000. Gratulation auch
zur Geburt Ihres ersten Kindes, das vor wenigen Wochen das
Licht der Welt erblickt hat.
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