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Mehr als 40 Tote und Milliarden-Schäden

(az/dpa) | 19.01.2007, 20:30

Aachen. 43 Tote, Schäden in Milliardenhöhe, übernächtigte Bahnreisende und noch bis zum Samstag Tausende Haushalte ohne Strom: Der Orkan «Kyrill» hat eine Schneise der Verwüstung durch Europa geschlagen. Bei einem der schwersten Stürme der vergangenen 20 Jahre waren allein in Deutschland zehn Todesopfer zu beklagen, die meisten Menschen starben durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste. Es gab hunderte Verletzte. Mit welcher Gewalt «Kyrill» fast flächendeckend über Deutschland wütete, offenbarte sich bei den Aufräumarbeiten nach der stürmischen Nacht. Die Versicherer schätzen den gesamten Schaden auf eine Milliarde Euro. Der Sturm tobte mit Spitzengeschwindigkeiten von über 200 Kilometern pro Stunde.

Den höchsten Wert registrierte der Wetterdienst Meteomedia mit 225 Stundenkilometern auf dem Schweizer Aletschgletscher. In Deutschland blies «Kyrill» (altgriechisch: «Der Herr») am heftigsten über den Wendelstein in Bayern mit 202 Stundenkilometern. Bäume und Strommasten knickten wie Streichhölzer um, Häuserwände stürzten ein, Dächer wurden abgedeckt, der Verkehr brach zusammen, Hunderttausende waren zeitweise ohne Strom. In Brandenburg mussten sich tausende Haushalte am Freitag auf eine zweite Nacht ohne Strom einstellen.

Während die Küstenregionen von den befürchteten schweren Sturmfluten verschont blieben, gab es im Binnenland ein Verkehrschaos, die Bahn stellte erstmals bundesweit ihren Fernverkehr ein, Autobahnen wurden gesperrt, hunderte Flüge gestrichen. Zehntausende gestrandete Reisende mussten die Nacht auf Bahnhöfen, Flughäfen oder in Notunterkünften verbringen.

Nach ersten Schätzungen der Bahn gab es bundesweit Schäden an 450 Streckenabschnitten. Der Schienenverkehr lief am Freitag nur schleppend wieder an, in Nordrhein-Westfalen soll es bis Montag Behinderungen geben. Doch «Kyrill» bescherte der Bahn noch ein anderes Problem: Der Knotenpunkt Berliner Hauptbahnhof musste 14 gesperrt werden. In dem erst vor acht Monaten eröffneten Bahnhof war am Donnerstagabend ein tonnenschwerer Stahlträger aus 40 Metern Höhe auf eine Treppe am Eingang gestürzt, verletzt wurde niemand. Das Büro des Star-Architekten Meinhard von Gerkan wies jede Verantwortung von sich. Wie die Bahn mitteilte, soll der Bahnhof künftig nur bis Windstärke acht geöffnet bleiben.

Besonders hart getroffen wurde das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort kamen am Donnerstag und Freitag fünf Menschen ums Leben, zwei starben in Bayern. Niedersachsen, Sachsen- Anhalt, Brandenburg und Baden-Württemberg hatten je ein Todesopfer zu beklagen.

Dennoch stufte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) die Folgen des Orkans in Deutschland als «relativ glimpflich» ein - auch wenn mehrere Menschen gestorben seien, sagte der Minister in Berlin. Er fühle mit den Angehörigen der Opfer.

Nach Einschätzung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat das Notfallsystem mit Polizei, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk (THW) und Rettungskräften «seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt». Allein das THW half nach Angaben des Innenministeriums in der Nacht zum Freitag mit 5500 Kräften aus 330 Ortsverbänden. Von der Bundespolizei waren den Angaben zufolge in der Nacht mehr als 2400 Beamte im Einsatz, am Freitag mehr als 3700.

Schlimmer noch als Deutschland traf der Sturm die britischen Inseln. Dort starben mindestens 13 Menschen. In den Niederlanden gab es sechs Todesopfer, in Tschechien und Polen kamen je vier Menschen ums Leben, Frankreich meldete drei Sturmtote, Belgien zwei.

Der Luftverkehr lief am Freitagmorgen wieder weitgehend normal. Ein Sprecher des größten deutschen Flughafens in Frankfurt berichtet, Flüge seien wieder uneingeschränkt möglich. Die größte deutsche Airline, Lufthansa, hatte seit Donnerstag europaweit 331 Flüge gestrichen, davon waren 18 900 Passagiere betroffen.

Viele Schüler konnten den Folgen des Sturms indes auch positive Seiten abgewinnen. So fiel in Bayern am Freitag der Unterricht an allen öffentlichen Schulen aus. In anderen Bundesländern gab es vereinzelt «sturmfrei», vielerorts wurde es den Eltern überlassen, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken.

Deutschlands größter Stromnetzbetreiber RWE hatte die Stromausfälle am Freitag weitgehend behoben. Probleme gab es zunächst noch in Ostdeutschland. In Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt waren am Morgen noch 49.000 Haushalte ohne Strom. Tausende Haushalte in Brandenburg stellten sich am Freitag auf eine zweite Nacht ohne Strom ein. Nach dem Durchzug des Orkans gelang es den Energieversorgern bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht, alle zerstörten Leitungen zu reparieren. Insgesamt sollen 21.000 Kunden betroffen sein.

Auch Kulturgüter in Deutschland sind durch den Sturm beschädigt worden. Im Römisch-Germanischen Museum in Köln krachten Holzbohlen auf das weltberühmte Dionysos-Mosaik, das zu den herausragenden Kunstschätzen der römischen Antike auf deutschem Boden gehört. In der Lutherstadt Wittenberg lösten sich Gesteinsbrocken in der zum UNESCO-Welterbe gehörenden Schlosskirche. In der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen bei Berlin deckte der Sturm das Dach des Archivs ab.

In Deutschlands Wäldern hat der Orkan nicht die befürchteten großen Schäden angerichtet. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände sei mit weniger als zehn Millionen Kubikmetern Sturmholz zu rechnen. Das sei nicht annähernd mit den Schäden nach dem Orkan «Lothar» vom Dezember 1999 vergleichbar.

Das Sturm-Risiko in Europa wird nach Einschätzung des Rückversicherers Münchener Rück künftig weiter ansteigen. Mit dem Orkan «Kyrill» habe sich die Prognose bestätigt, dass der außergewöhnlich warme Winter eine besonders hohe Sturmgefahr mit sich bringe, erklärte Peter Höppe, Leiter der Geo-Risiko-Forschung der Münchener Rück, am Freitag. Der Orkan «passt in das Muster des Klimawandels, der die Wetterextreme auch in Europa langfristig verschärft». Insbesondere Winterstürme dürften nach Höppes Einschätzung künftig tendenziell stärker werden.

Meteorologen stellten «Kyrill» auf eine Stufe mit den Orkanen «Lothar» (1999) und «Wiebke» (1990). Allerdings habe «Lothar» mit deutlich höheren Windgeschwindigkeiten auf einem eng begrenzten Gebiet vor allem in Süddeutschland höhere Schäden angerichtet.

«Kyrill» brachte heftige Regenfälle und extrem warme Luft mit sich. Die Pegel vieler Flüsse stiegen bedrohlich an. Die höchsten Niederschlagsmengen gab es laut Meteomedia in Höchenschwand im Schwarzwald mit 113 Litern pro Quadratmeter. In Wien kletterte das Quecksilber auf 20 Grad - laut Meteomedia war das die höchste je gemessene Temperatur in einer Januarnacht in der österreichischen Hauptstadt.



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