Buchrezension 11/2002
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"Die adventistische Reformationsbewegung 1914-2001. Die Internationale Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsgesellschaft in Deutschland"

Hermann Ruttmann, "Die adventistische Reformationsbewegung 1914-2001. Die Internationale Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsgesellschaft in Deutschland", Reihe Religionswissenschaft, Bd. 5, Teiresias Verlag, Köln, 2002, Paperback, 348 Seiten, 57 Abbildungen, 24,50 EUR, ISBN 3-934305-39-3. Bezug: Hermann Ruttmann, Krautostheim 70, 91484 Sugenheim, Telefon (09165) 99 56 06, Telefax (09165) 99 56 07, E-Mail: HermannRuttmann@ehegrund.de.
Die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten entstand in den 1860er Jahren in den USA und ist seit 1875 auch in Deutschland vertreten. Kennzeichen der evangelischen Freikirche sind die Feier des biblischen Sabbats statt des Sonntags, die Taufe Erwachsener, die Fußwaschung vor dem Abendmahl, eine gesunde Lebensweise und der Zehnte als finanzieller Beitrag für die Gemeinschaft. Weltweit gibt es heute rund 13 Millionen Adventisten, davon 35 800 in Deutschland.

Die Anfänge der sogenannten "Reformationsbewegung" gehen auf den Ersten Weltkrieg zurück. Da es vor 1914 im Deutschen Reich keine Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung gab, kamen die Adventisten ihrer Wehrpflicht nach. Manche konnten als Sanitäter, Schreiber oder Pferdepfleger ohne Waffe dienen, andere absolvierten die Waffenausbildung. Die meisten bemühten sich um einen dienstfreien Sabbat (Samstag). Gelang das nicht, nahmen etliche Arrest- und Gefängnisstrafen auf sich, da sie den Befehl, Arbeiten an ihrem biblischen Ruhetag zu verrichten, verweigerten. Hermann Ruttmann geht in seinem Buch jedoch darauf nicht näher ein. Er spricht lediglich von einer "indifferenten Haltung" (Seite 43) und einer "Pluralität" zum Militär (Seite 49). Nachteilig ist, dass der Autor das Thema "Adventisten und Militärdienst in den USA und in Europa vor 1914" nicht vertieft hat. Denn dann wäre deutlich geworden, wo die Leitung der Freikirche im Ersten Weltkrieg in Deutschland in dieser Frage Kontinuität zeigte und wo sie von ihrer bisherigen Haltung abwich.

Als der Krieg ausbrach, forderte die deutsche Leitung der Adventisten die "heerespflichtigen Brüder" in einem Rundschreiben auf, als "tapfere, treue Soldaten von den Kriegswaffen Gebrauch" zu machen "und auch am Sabbat den Kriegsdienst" zu versehen. Von den damals 15 000 Gemeindegliedern folgte eine Minderheit dieser Position nicht. Wer den Kriegsdienst ablehnte und sich dabei der Einberufung entzog oder desertierte, wurde ausgeschlossen; ebenso, wer derartige Verweigerer unterstützte und gegen die Leitung agitierte. Andere verließen die Gemeinschaft selbst. Allerdings wurde nicht jeder Kriegsdienstverweigerer Mitglied der späteren "Reformationsbewegung" oder automatisch ausgeschlossen. Es gab Adventisten, die den Militärbehörden erklärten, dass sie keine Waffe in die Hand nehmen und am Sabbat Dienst leisten würden. Sie kamen in Festungshaft und blieben Mitglieder der Freikirche.

Die Ausgeschlossenen und Ausgetretenen forderten von der adventistischen Leitung nicht nur Rückendeckung für ihr eigenes Verhalten, sondern erklärten auch all jene von der biblischen Wahrheit "abgefallen", die Militärdienst leisteten oder dazu aufforderten. Der Graben zwischen beiden Seiten wurde immer tiefer, zumal die Dissidenten sich zu organisieren begannen. Unter ihnen gab es Leute, die für das unterschiedlichste Gedankengut warben: Das Ende aller Tage wurde vorhergesagt, das Kommen Christi mit einer Schlacht von Harmagedon in Palästina verknüpft, die Feier des jüdischen Laubhüttenfestes proklamiert oder in Kassel auf die Ausgießung des Heiligen Geistes als "Spätregen" gewartet.

Als sich 1919 die Internationale Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, Reformationsbewegung (IMG), in Frankfurt am Main notariell eintragen ließ, waren bereits theologische Vorentscheidungen gefallen. Als Mitglied kam nur in Frage, wer den Kriegsdienst ablehnte, den Sabbat feierte, vegetarisch lebte und sich nicht impfen ließ. Wer dagegen jede religiöse Organisation als falsch ansah, das Laubhüttenfest hielt oder an der prophetischen Gabe von Ellen G. White, der Mitbegründerin der Adventisten, zweifelte, wurde ausgeschlossen. So musste sich die IMG nicht nur gegen ihre Muttergemeinde abgrenzen, sondern auch gegen apokalyptische Sonderlehren, die manche ihrer Mitglieder eine Zeit lang vertraten.

Gespräche der Dissidenten mit Vertretern der internationalen Leitung (Generalkonferenz) der Siebenten-Tags-Adventisten 1920 in Friedensau bei Magdeburg führten zu keiner Einigung. Die Folgejahre waren bei der IMG von zahlreichen Spaltungen gekennzeichnet, was das Wachstum erheblich behinderte. Nicht wenige Gründungsmitglieder und führende Personen der ersten Jahre verließen die Gemeinschaft. Mit adventistischen Dissidenten aus anderen Ländern kam es zu einer europaweiten Vernetzung, zu der 1919 etwa 1 200 Personen gehört haben sollen, so dass eine eigene Generalkonferenz entstand, die erstmals 1925 in Gotha ihre Vollversammlung abhielt. Die 18 Delegierten verabschiedeten die 37 Artikel umfassenden "Glaubensgrundsätze", die zur dogmatischen sowie organisatorischen Klärung und so zur Konsolidierung der Gemeinschaft in den 1920er Jahren beitrugen. Neben Schriften zur Abgrenzung von der Muttergemeinde entstanden Publikationen für Nicht-Adventisten. Prediger und Kolporteure wurden ausgebildet und Missionare in die USA und nach Lateinamerika gesandt, die sich auf adventistische Gemeinden und kaum auf Menschen außerhalb des Adventismus konzentrierten.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten führte dazu, dass die Generalkonferenz-Vollversammlungen der IMG 1934 in Budapest und 1938 in Basel zusammenkamen. Die Mitgliederzahl wird 1934 mit "über 7 000" angegeben, wovon sich etwa 2 000 in Deutschland befunden haben sollen. Die Aktivitäten im Reichsgebiet unterlagen immer mehr Einschränkungen durch die neuen Machthaber. 1935 verkaufte die Gemeinschaft ihren Hauptsitz samt Druckerei in Isernhagen bei Hannover und kam so dem Verbot und der Beschlagnahme ihres Vermögens vom 29. April 1936 zuvor. Als Verbotsgründe wurden genannt, dass die Mitglieder sich weigerten, den "Deutschen Gruß" anzuwenden, dass sie international eingestellt seien und kein Vaterland akzeptieren könnten. Die leitenden Männer der Generalkonferenz und der Deutschen Union brachten sich unmittelbar nach dem Verbot im Ausland in Sicherheit. Viele "einfache" Reformadventisten und -prediger, die zurückbleiben mussten, waren sehr enttäuscht, dass damit "Hirten" ihre "Herde" verließen; doch das erwähnt Ruttmann nicht. Von den Zurückgebliebenen wurden etliche mit Gerichtsverfahren belangt und gingen für ihre Überzeugung ins Gefängnis oder Konzentrationslager. Mindestens 19 namentlich bekannte Mitglieder, darunter fünf Polen, vier Österreicher und ein Rumäne jüdischer Abstammung, wurden dort ermordet.
Nur indirekt spricht der Autor in einer Fußnote (190) die Tatsache an, dass nicht jeder Reformadventist dem Druck standhielt und entgegen seiner Überzeugung Wehrdienst leistete oder später als Soldat in den Krieg zog. Es heißt zwar im Artikel 5 der "Glaubensgrundsätze" der IMG: "Die Übertretung [der Zehn Gebote] infolge Zwang oder Verfolgung, auch wenn diese durch die Obrigkeit kommt, wird von Gott nicht gebilligt." Doch keine Glaubensgemeinschaft kann das Märtyrertum verordnen, schon gar nicht, wenn die eigene Leitung rechtzeitig das Land verließ. Inwieweit jeder Leid oder sogar Tod für seine Glaubensüberzeugung auf sich nehmen will und kann, musste er selbst entscheiden. Nach 1945 wurde die "Soldaten-Vergangenheit" innerhalb der IMG ignoriert und nicht aufgearbeitet.

Auch in anderen Staaten ohne die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung mussten die Reformadventisten Kompromisse machen. Im 20. Artikel der rumänischen "Glaubensgrundsätze" wurde der Satz "nach der Lehre Christi können wir als seine Nachfolger an keinem politischen Plan, Krieg, Aufruhr oder Blutvergießen teilnehmen" weggelassen. Im Februar 1927 ließ die Leitung der "Reformationsbewegung" in Rumänien in ihrem Gemeindeblatt "Wachruf" den Beschluss veröffentlichen, dass alle wehrpflichtigen Mitglieder, die "auf ungesetzliche Weise vom Militärdienst desertieren ... sofort aus unseren Reihen ausgeschlossen werden." Am 5. März 1947 veröffentlichte das rumänische Amtsblatt "Monitorul Oficial" die Glaubensgrundsätze der dortigen Reformadventisten. Darin heißt es unter Artikel 5 e: "Die Adventisten der Reformation sind gläubig und bemühen sich, die Gebote Gottes zu befolgen. Als Nachfolger des sanftmütigen Jesus ... können [sie] an ... kriegerischen Unternehmungen als Kämpfer nicht teilnehmen. Sie sind bereit, militärischen Dienst jedwelcher Art und jede andere Beschäftigung an jedem Tag der Woche zu leisten, ausgenommen am Samstag. Was die Respektierung der Tage für den Gottesdienst und der Ruhe betrifft, wie auch die Zuteilung zu den verschiedenen Aufgaben und zu militärischen, nichtkämpferischen Formationen, sind die Adventisten der Reformation bereit, sich ... den allgemeinen Richtlinien zu unterwerfen." Die Gemeinschaftsleitung wollte offenbar durch solches Entgegenkommen Schwierigkeiten mit den Behörden und ein Verbot vermeiden. Ruttmann weist in seinem Buch nur auf das Amtsblatt von 1947 hin und vermerkt außerdem, dass in Staaten ohne die Möglichkeit einer Kriegsdienstverweigerung junge Männer aus "Reformations-Familien" erst ihren Wehrdienst ableisten und sich anschließend taufen lassen würden, um einem eventuellen Konflikt zu entgehen (Seite 178f., 224).

Die Neuorganisation der IMG nach dem Zweiten Weltkrieg ging in Deutschland schleppend voran. Das neu herausgegebene Schrifttum rechnete in scharfer Weise mit der Haltung der Siebenten-Tags-Adventisten während des Nationalsozialismus ab. Allmählich gab es aber auch Publikationen mit einer allgemeinen evangelistischen Ausrichtung. In den Jahren bis 1951 dokumentierte sich die innere Zerrissenheit der Gemeinschaft, die letztlich zu einer bis heute andauernden, weltweiten Spaltung führte. Fragen nach persönlicher Machtentfaltung mögen bei den Auseinandersetzungen genauso eine Rolle gespielt haben wie der Versuch, "die Deutschen" in der Leitung der Gemeinschaft zu entmachten. Der Rumäne Dimitrij Nicolici, Sekretär der Generalkonferenz seit 1948, wurde der Führer einer Gruppe, die bei der Generalkonferenz-Vollversammlung 1951 in Woudschoten/Niederlande die Tagung verließ und mit der knappen Hälfte der damals rund 10 000 Mitglieder weltweit die "Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, Reformationsbewegung" (STAR) bildete. Des öfteren kam es zu Gesprächen über eine Wiedervereinigung, die aber immer wieder scheiterten.

Die Generalkonferenz der STAR hat als internationale Leitung heute ihren Sitz in Roanoke, Virginia/USA, und zählt weltweit etwa 25 000 Mitglieder, davon rund 200 in Deutschland. Ihr Hauptverbreitungsgebiet liegt in Osteuropa, Lateinamerika - hier besonders Brasilien - und auf den Philippinen. Die für die hiesigen sechs Gemeinden zuständige Deutsche Union residiert im Schloss Lindach in Schwäbisch Gmünd. Die IMG zählt ebenfalls weltweit rund 25 000 Mitglieder, wovon über die Hälfte in Lateinamerika lebt. Weitere Schwerpunkte befinden sich in Ost- und Südafrika, auf den Philippinen und in Indien. In Deutschland ist die Tendenz mit gegenwärtig etwa 400 Mitgliedern in 18 Gemeinden rückläufig. Der Sitz ihrer Generalkonferenz befindet sich im badischen Mosbach. Beide Gemeinschaften betrachten sich als die einzige wahre und legitime "Reformationsbewegung" unter den Adventisten.

Hermann Ruttmann, seit 1997 Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, hat mit seiner als Dissertation eingereichten Arbeit eine Glaubensgemeinschaft beschrieben, die weitgehend unbekannt ist. Als Religionswissenschaftler bemühte er sich um größtmögliche Objektivität und das bewusste Vermeiden von Wertungen. Es ging ihm also nicht darum zu belegen, ob die Gründung der Reformationsbewegung "zu Recht" geschehen sei oder nicht. Die Generalkonferenz der IMG und deren Deutsche Union erklärten sich bereit, die Studie mit Recherchen, Archivmaterial und Auskünften zu unterstützen. Doch ohne das Historische Archiv der Siebenten-Tags-Adventisten in Europa mit Sitz in Friedensau bei Magdeburg wäre die Arbeit wahrscheinlich sehr lückenhaft gewesen, da der Archivbestand der IMG doch sehr dürftig ist. Ruttmann sieht innerhalb der "Reformationsbewegung" eine Offenheit im Umgang mit konträren Meinungen, was ihn veranlasst, die Gemeinschaft zu den evangelischen Freikirchen zu rechnen (Seite 15). Er bezeichnet sie darüber hinaus als "rigorose evangelische Friedenskirche" (Seite 272).

Im Buch wird nach einem Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Siebenten-Tags-Adventisten die Geschichte der "Reformationsbewegung" beschrieben, wobei Ruttmann an manchen Stellen zu unkritisch und einseitig die Darstellungsweise der IMG übernimmt, so dass doch eine gewisse Parteinahme erkennbar ist. Er bleibt allerdings nicht in der Vergangenheit stehen, sondern beleuchtet auch die Gegenwart. Ihm gelang es, Näheres über Mitgliederzahlen und Struktur der "Reformadventisten" zu erfahren, Dinge, die von ihnen sonst kaum veröffentlicht werden. Auch bekam er Einblick in die 18 deutschen Gemeinden der IMG, die zwischen zehn und 37 Mitglieder umfassen. Außerdem gibt das Buch Aufschluss über Mitgliedschaft und Taufpraxis, Grundsätze des Glaubens, das dualistische Weltbild, die distanzierte Haltung zu anderen Kirchen und die Haltung im öffentlichen Leben, wobei an politischen Wahlen nicht teilgenommen wird. Aufschlussreich ist auch der Abschnitt "Das Verhalten des Einzelnen". Hier geht es um Dinge wie Vegetarismus, Ehe, Sexualität, Kindererziehung, Kleidungsvorschriften, Haartracht, Fernsehen und Musik.

Die Arbeit von Ruttmann ist durchaus zum Verständnis der adventistischen "Schismatiker" hilfreich, die jedoch aus heutiger Sicht eine anachronistische Existenz führen, da die weltweite Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten ihr Versagen im Ersten Weltkrieg längst eingestanden hat und zur Versöhnung bereit ist. Der Begriff "Reformationsbewegung", der 1921 erstmals Verwendung fand, ist eine Selbstbezeichnung der Gruppe. Er hat nichts mit den Reformatoren Luther, Zwingli oder Calwin zu tun, sondern will zum Ausdruck bringen, dass die Religionsgemeinschaft 1914 von Gott ins Leben gerufen worden sei, als der theologische "Abfall" der Siebenten-Tags-Adventisten angeblich seinen Höhepunkt erreicht hätte. Damit war auch der Anspruch verbunden, die Nachfolge der Freikirche anzutreten und den weltweiten Missionsauftrag Christi zu vollenden. Doch das war und ist eine Selbstüberschätzung, denn die zahlenmäßig sehr geringe, zerspaltene und sich gegenseitig bekämpfende "Reformationsbewegung" hat nur wenig missionarische Kraft, ist in den meisten Ländern nicht vertreten und dort, wo sie existiert, in der Bevölkerung nahezu unbekannt.
Holger Teubert

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