***************************************************************** * * * File: 06-1-95.TXT Dateilänge: 44 KB * * * * Autor: Jesús Padilla-Gálvez, Linz - Austria * * * * Titel: Die Verwendung des Wortes "Ich" bei L. Wittgenstein * * Eine sprachanalytische Skizze zur Selbstbezüglich- * * keit des Selbstbewußtseins *1* * * * * Erschienen in: WITTGENSTEIN STUDIES, Diskette 1/1995 * * * ***************************************************************** * * * (c) 1995 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für seine privaten * * wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind von dieser * * Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** * * * Padilla-Gálvez, Jesús (1995) Die Verwendung des Wortes "Ich" * * bei L. Wittgenstein. Eine sprachanalytische Skizze zur * * Selbstbezüglichkeit des Selbstbewußtseins; in: * * Wittgenstein Studies 1/95, File: 06-1-95; hrsg. von * * K.-O. Apel, F. Börncke, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, * * R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, * * Th. Rentsch, A. Roser, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, * * U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl * * (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727 * * * ***************************************************************** EINLEITUNG Man verwendet das Wort "Ich", wenn man bewußt und mit Intention VON SICH SELBST spricht. Man verwendet also das erste Personalpronomen, um VON SICH SELBST zu sprechen *2*. Ich gebrauche hier die Wörter "man" und die Redewendung "von sich selbst", um mich auf das Individuum zu beziehen, das von einer Person gewußt oder gedacht wird, wenn sie sich auf sich selbst bezieht. In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit grundlegenden Fragen einer Theorie der Selbstbezüglichkeit. Unsere RATIONALEN GRUNDSTRUKTUREN erlauben, uns auf uns selbst zu beziehen und uns selbst Attribute zuzusprechen. Der Selbstbezug und, letztlich, das Denken über uns selbst ist eine epistemische Fähigkeit unserer Rationalität. Ich beziehe mich auf mich selbst mittels eines Satzes wie: (1) "Ich bin ein Mensch." Hier soll auf die Frage eingegangen werden "Was macht meinen unmittelbaren Selbstbezug des Attributs 'Mensch' zu einem SELBST- BEZUG?" Um diese Frage zu beantworten kann lediglich auf die Explizierung des Begriffs des Selbstbezugs zurückgegriffen werden. Dabei sei zu beachten, daß ein "Wissen über mich selbst", das Gegenstand der Selbstzuschreibung ist, bereits Selbstbewußtsein impliziert. Wenn jemand eine wie (1) strukturierte Aussage von sich selbst macht (sogar unter unmenschlichen Umständen), so drückt dies implizit auch die Äußerung fremder Personen über sein Wissen, seine Gefühle, usw. aus, da seine Äußerung die Aussagen der Anderen über ihn bestätigen oder verwerfen. Wir haben also ein naives Verständnis vom Gebrauch von "Ich" in unserer Sprache, das wie folgt zusammengefaßt werden kann: In jeder Situation, in der vom Sprecher (gekennzeichnet durch "a") einer Sprache (L) das Personalpronomen in erster Person (…) gebraucht wird, steht es anstelle des Sprechers oder bezeichnet diesen (y). Normalerweise sind wir der Meinung, daß dies eigentlich alles ist, was wir wissen müssen, um die Bedeutung des "ichs" zu kennzeichnen. Seinen Gebrauch können wir wie folgt darstellen: (D) Der Ausdruck … (der Sprache L) gebraucht durch a, steht anstelle von y. Dieser Ausdruck wird durch a gebraucht, der normalerweise anstelle von y steht. Eine Bedeutungstheorie für die Sprache L soll eine Theorie sein, die uns alle Bedingungen vorgibt, in der (D) dargestellt wird. Nun sind dieser naiven Auffassung einige Argumente entgegenzubringen. Am 4. August 1916 notiert L. Wittgenstein in seinem Tagebuch folgendes: "Das Ich, das Ich ist das tief Geheimnisvolle!" *3* 2 Mit dieser Eintragung gehört er zu den Denkern, die als erste in einem von Forschern und Wissenschaftlern später weiter spezifizierten Sinn auf die Subjektivität eingehen und die schon früh mittels der analytischen Methode die Sprachstrukturen der Indikatoren untersuchen.*4* Drei Tage später notiert er: "Das Ich ist kein Gegenstand." *5* Vier Tage danach trägt er in seinen Tagebuch das ein, was Hans Sluga als seine apokryphische "Grundhaltung zum Ich-Problem" *6* charakterisiert hat: "Jedem Gegenstand stehe ich objektiv gegenüber. Dem Ich nicht."*7* Die semantische Lektüre, die wir von diesen Passagen realisieren, bedarf der Erläuterung und Vertiefung. Von daher möchte ich in den folgenden Zeilen einige Fragen diskutieren, die durch L. Wittgensteins Untersuchungen angeregt wurden. Unsere Untersuchung geht über Wittgensteins Vorschläge hinaus und beschäftigt sich mit dem Thema, das im Untertitel meines Aufsatzes erwähnt ist. Ich bin der Meinung, daß die Untersuchung über das "ich" von beträchtlichem sowohl kritischem als auch konstruktivem Interesse für die analytische Sprachphilosophie ist. Darüber hinaus werden wir zu einigen Schlußfolgerungen methodologischer und nicht inhaltlicher Art gelangen, obwohl wir den inhaltlichen Fragen beträchtliches Interesse entgegenbringen. Wir stecken den Untersuchungsbereich wie folgt ab: Wittgensteins Gedanken beinhalten ausschlaggebende Einwände sowohl gegen die Cartesianische Subjektheorie als auch gegen Freges Theorie. In den Vordergrund dieser Arbeit tritt nicht die Frage, ob Wittgenstein, Descartes oder Frege Recht habe, sondern vielmehr, ob Wittgensteins Argumente die cartesianische Theorie (bzw. die von Frege) widerlegt. I. SPRACHANALYTISCHE SKIZZE ZUR SELBSTBEZÜLGICHKEIT DES "ICH" Wir möchten uns daher als erstes der Frage widmen, worauf ein Sprecher referiert, wenn er auf die erste Person singular Bezug nimmt (also wenn er das Personalpronomen "Ich" verwendet). Dabei soll beachtet werden, daß Selbstbezug ein Speziallfall indexikalischer Bezugnahme ist. In diesem ersten Teil ist es wichtig, daß wir so viele Funktionen indexikalischer Strukturen der Bezugnahme wie möglich darstellen können. 1. TERMINOLOGISCHE EINFÜHRUNGEN Bevor wir die Probleme, die sich aus den genannten Beispielen ergeben, behandeln, ist es angebracht einige terminologische Bestimmungen einzuführen. Um von vornherein terminologische Unklarheiten zu vermeiden, werde ich im folgenden die opaken Begriffe "Objekt" durch "Inhalt" bzw. "Gehalt", "Denken" durch "Denkinhalt" und "Glauben" durch "Glaubensinhalt" sowie "Wissen" durch "Wissensinhalt" ersetzen. Wir können nun anstatt von einem grundlegenden dispositionalen Vollzug des "Denkens, daß etwas der Fall ist" in der Welt (im Wittgensteinschen Sinne), einfach von doxastischen (internen) Inhalten des Denkens oder Glaubens sprechen. 3 Die Rede von "propositionalen Einstellungen" läßt zu, feine Unterscheidungen zwischen Inhalten des Glaubens und des bloßen Denkens oder des Wissens zu treffen. Da das, was "gewußt" wird, mit "Wahrheit" in Beziehung steht, ist es angebracht die Inhalte des Wissens eher als eine Teilmenge oder als einen Bereich anzusehen, dem eine Teilmenge doxastischer Inhalte ein-eindeutig zugeordnet ist. Darüber hinaus herrscht weitgehend Übereinstimmung darüber, daß sich die Inhalte des Glaubens mit denjenigen des Intendierens decken. *8* 2. DER GEBRAUCH DES WORTES "ICH" IN DIREKTER REDE Um den Gebrauch von "Ich" zu analysieren, möchten wir einige sprachliche Strukturen, Merkmale der Logik und empirischen Voraussetzungen vorweg analysieren. Gehen wir zunächst den sprachlichen Strukturen nach. L. Wittgenstein behauptet fast drei Jahrzehnte später: "Wenn die Philosophen ein Wort gebrauchen - "Wissen", "Sein", "Gegenstand", "Ich", "Satz", "Name" - und das Wesen des Dings zu erfassen trachten, muß man sich immer fragen: Wird denn dieses Wort in der Sprache, in der es seine Heimat hat, je tatsächlich so gebraucht? - Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück.*9* Es empfiehlt sich, zunächst die Verwendung des "ich" in direkter (ORATIO RECTA) und indirekter Rede (ORATIO OBLIQUA) zu analysieren. Bekanntlich hat G. Frege die direkte Rede (oratio recta) durch folgende Beispiele wiedergegeben: *10* (2) Ich bin "Ich", (3) Ich bin Jesús, (4) Ich bin der Mann der eine blaue Krawatte trägt, (5) Ich bin zehn Zentimeter gewachsen, (6) Ich habe eine Beule auf meiner Stirn, (7) Ich habe Schmerzen, G. Frege hatte beim Aufbau seiner Semantik auf die Mechanismen der singulären Bezugnahme aufmerksam gemacht und einige Schwierigkeiten mit singulären Termini und speziell mit Demonstrativa bzw. Indexwörtern erörtert.*11* Wenn ich (2)-(7) ausdrücke, kann ein anderer nicht den gleichen GEDANKEN denken *12*, wenn er folgendes zum Ausdruck bringt: (2') Du bist "Du", (3') Du bist Jesús, (4') Du bist der Mann der eine blaue Krawatte trägt, (5') Du bist zehn Zentimeter gewachsen, (6') Du hast eine Beule auf deiner Stirn, (7') Du hast Schmerzen, Denkt z. B. ein Hörer (4), so denkt er nicht das gleiche was, ich in (4) ausgedrückt habe, denn er denkt ja an eine andere Person. Deshalb kann sein Gedanke falsch sein, wenn meiner wahr ist. Denkt der Hörer dagegen (4'), so denkt er ebenfalls etwas anderes als das (nicht den 4 gleichen Gedanken wie) in (4) ausgedrückte, denn der Hörer individuiert nicht auf dieselbe Weise den Gegenstand seines Gedankens, wie ich selbst es tue. Sein Gedanke könnte - wenn er mich verwechselt hätte - wiederum falsch sein, obwohl meiner wahr ist. Wir kommen zu dem Schluß, daß das Personalpronomen singular durch kein anderes ersetzt werden kann. Das bedeutet jedoch, daß die singulären Termini *13* nicht dem LEIBNIZSCHEN GESETZ DER IDENTITÄT DES UNUNTERSCHEIDBAREN unterliegen*14*, das besagt: Wenn x mit y identisch ist, dann ist, was immer von x wahr ist, auch von y wahr und was immer von y wahr ist, ist auch von x wahr. Dieses Prinzip, das ich woanders das PRINZIP DER ELLIPTIZITÄT genannt habe, wird nicht strikt eingehalten, denn es gibt Kontexte, in denen entweder eine in Anführungszeichen gesetzte Zeichenreihe (in (2)), der Name "Jesús" (in (3)), die definite Deskription (in (4)), oder das Prädikat (in (5) und (6)) usw. nicht identisch mit dem Wort "Ich" gebraucht wird. Im Falle von (2) stehen wir vor einer universellen Instantiierung. Sie erfordert die Erkenntnis des Einzeldinges und kann das Einzelding selbst einschließen. Dabei sei zu beachten, daß der Sprecher von vornherein einen Repräsentanten einführt, ohne vorweg über solche Gegenstände Information zu liefern, Es kann also bezweifelt werden, daß das Objekt überhaupt gegeben ist. Im Falle von (3) scheint es, als ob das Personalpronomen durch einen Namen ersetzt werden könne und beide sich auf dasselbe Individuum referieren. Nehmen wir aber für einen Augenblick an, daß wir an Don Quijotes Sterbebett stehen und das wir Ihn sagen hören: *21* (8) "Ich, meine Herren, fühle, daß ich bald sterbe". *15* Wir können fragen, auf wen oder was sich hier das "Ich" bezieht: Etwa auf Don Quijote, wie dies Sancho Panza, die Nichte und Sansón annehmen? oder auf Alonso Quijano el Bueno, wie der Sprecher selbst behauptet, und wovon er nach einigen Argumentationen alle Anderen zu überzeugen versucht? Das "ich" ist hier nicht durch einen Namen ersetzbar, der einen Gegenstand oder ein Individuum eindeutig identifizieren kann, wie Don Quijote bestätigt, wenn er sagt ...ich bin nicht mehr Don Quijote de la Mancha, sondern Alonso Quijano".*16* Die meisten Rätsel der Bezugnahme haben mit dem bereits erwähnten LEIBNIZSCHEN GESETZ DER UNUNTERSCHEIDBARKEIT DES IDENTISCHEN zu tun. In unserem Fall kann das über Don Quijote gesagte nicht von Alonso Quijano behauptet werden und umgekehrt. Wie das zitierte Beispiel zeigt, kann der Sprecher als Alonso Quijano fühlen und aussprechen, daß er bald stirb, er tut dies jedoch nicht als der dem Wahnsinn verfallenen Don Quijote. Das "ich" verhält sich in dem Text scheinbar neutral, ist es aber nicht. In (4) wird das "ich" durch eine definite Beschreibung gekennzeichnet. Diese Art der Kennzeichnung wird verwendet, um auf das zu referieren, worüber der Sprecher reden will oder um jemanden zu identifizieren. Nun ist diese Form mit Schwierigkeiten behaftet. Nehmen wir an, ich bin farbenblind und das, was ich "blau" nenne, wird von jedem anderen als "grün" wahrgenommen. Stellen wir uns folgende Situation vor: ich 5 sage am Telefon vor einer Verabredung "Ich bin der Mann, der eine blaue Krawatte trägt", und stelle mir vor, daß die Beschreibung einen eindeutigen Anhaltspunkt bietet, um mich zu identifizieren.*17* Die Substitution der Personalpronomen durch Kennzeichen ist also nicht ohne weiteres durchführbar. Was hier zur Debatte steht ist eigentlich, daß die definite Beschreibung nicht den Sinn eines Satzes, der ein Indexwort enthält bzw. eine Beschreibung nicht eindeutig ein Personalpronomen ersetzen kann. Der Fregesche Gedanke ist nicht problemlos. In (5)-(6)-(7) haben wir es mit einem prädikativen Gebrauch des Personalpronomens zu tun. Die in den Sätzen (5)-(6) verwendeten Prädikate, setzen von dem Gegenstand, dem sie zugeschrieben werden, kein Bewußtsein voraus. So kann ich etwa wachsen und nicht merken, daß meine Stimme sich geändert hat oder nicht wahrnehmen, daß ich eine Beule auf der Stirn habe. Jemand kann mich aber durch den Gebrauch von (5') oder (6') auf meine Änderung aufmerksam machen, so daß ich erst dann (5) oder (6) sinnvoll verwende. Dieser Trick beinhaltet mehr als wir hier behandeln können. In (7) weiß der Sprecher dagegen ganz genau, daß er Kopfschmerzen hat. L. Wittgenstein macht in den PHILOSOPHISCHEN UNTERSUCHUNGEN auf diese Differenz aufmerksam, wenn er folgendes schreibt: *18* "Ich sage zwar 'Ich habe jetzt die und die Vorstellung', aber die Worte 'Ich habe' sind nur ein Zeichen für den Andern; die Vorstellungswelt ist ganz in der Beschreibung der Vorstellung dargestellt." Bedeutsam für unseren Kontext sind nun auch folgenden Passagen, die sich unmittelbar anschließen:*19* "Wenn ich sage 'ich habe Schmerzen', weise ich nicht auf eine Person, die die Schmerzen hat, da ich in gewissem Sinne gar nicht weiß, wer sie hat. [...] Nun, welches ist es, das mich bestimmt, zu sagen, 'ich' habe Schmerzen? Gar keins." 3. DER GEBRAUCH DES WORTES "ICH" IN INDIREKTER REDE Die oben genannten Beispiele werten ja keineswegs nur das neuerdings als "puzzle" bezeichnete Problem des Erkenntniswerts von Gleichheitsaussagen mit Hilfe des LEIBNIZSCHEN GESETZ DER UNUNTERSCHEIDBARKEIT DES IDENTISCHEN. Es wird vielmehr auf ihrer Grundlage eine ganze Theorie der obliquen Kontexte skizziert, zu denen insbesondere epistemische Kontexte gehören. Die indirekte Rede (ORATIO OBLIQUA) hat einen Satzteil mit kognitiven Verben und modalen Kontexten bzw. kann Satzteile in Anführungszeichen beinhalten*20*, wie folgende Beispiele zeigen: (9) Ich denke, daß jemand ein Philosoph ist. (10) Ich glaube, daß ich Millionär bin. (11) Es ist notwendig, daß Ich den Vortrag lese. (12) Ich sagte gestern: Ich komme morgen. 6 Korreferentielle singuläre Terme wie "Ich", die im Hauptsatz und im Nebensatz gebraucht werden, können sich in kognitiven Kontexten nicht unter Erhaltung des Wahrheitswertes in allen Kontexten gegenseitig ersetzen. Sie haben sozusagen zwei verschiedene Verwendungen, die wir eingehend untersuchen möchten. Propositionale Einstellungen, wie sie in (9) präsentiert werden, können durchsichtige und undursichtige Lesarten zulassen. Eine durchsichtige Lesart entsteht, wenn wir den Existenzoperator außerhalb des Wirkungsbereiches der propositionalen Einstellung bestimmen, d. h. (9') (Ex)(ich denke, daß x ein Philosoph ist); Im Deutschen kann der Sinn von (9') durch den Zusatz "von" verdeutlicht werden, in dem wir diesen Satz so paraphrasieren: (9'') Ich denke VON jemanden, daß er ein Philosoph ist. Der Satz (9) hat dagegen einen undurchsichtigen Sinn, wenn der Existenzoperator innerhalb des Wirkungsbereichs der propositionalen Einstellung liegt, wie z. B. (9*) Ich denke, daß (Ex)(x ist ein Philosoph). Im Falle (10) wird das Personalpronomen im daß-Satz für die Wiedergabe einer subjektiven propositionalen Einstellung verwendet. H.-N. Castañeda hat gezeigt, daß in Fällen wie (10') "Castañeda glaubt, daß er (selbst) Philosoph ist", das Pronomen "er" sich im Hauptsatz auf den Namen "Castañeda" bezieht, aber nicht durch den Namen ersetzt werden kann.*21* Bei der Ersetzung würden wir einen gewissen Sinnverlust des Satzes hinnehmen. Er ist der Meinung, daß die Selbstbezüglichkeit wegen des Bezugs auf die propositionale Einstellung Castañedas allein durch den QUASI-INDIKATOR "er" ausgedrückt werden kann. Nur durch eine Quasi-Indikation kann Castañeda eine bestimmte Überzeugung zugeschrieben werden, die er sich auch selbst zuschreibt, MUTATIS MUTANDO. Die Rolle des Quasi- Indikators "ich" im Nebensatz in (10) ähnelt der des Indexikals "ich" im Hauptsatz sehr: Das "Ich" wird im Hauptsatz als sprachliches Mittel der Selbstzuschreibung verwendet und im Nebensatz ist das "ich" das entsprechende Mittel, um eine derartige Selbstzuschreibung wiederzugeben. Die Aussage (10) ist nur dann wahr, wenn ich mir das Millionärsein auch selbst zuschreiben kann oder, mit anderen Worten, bereit bin, sie durch die Äußerung "Ich bin Millionär" zu bestätigen. In (11) haben wir einen Fall der Verwendung von Modaloperatoren, auf die wir in dieser Arbeit nicht eingehen können *22*. (12) ist ein Beispiel von Anführungszeichen, das hier leider auch unthematisiert bleiben muß. Zusammenfassend kann man aufgrund der sprachlichen Data zwei grundlegende Fragen stellen: erstens, worauf bezieht sich ein Sprecher, wenn er sich auf die erste Person singular bezieht? Zweitens, welche Beziehung besteht zwischen der Überzeugung und dem Überzeugten? Die erste Frage wird Thema des folgenden, die zweite des zweiten Teils der Abhandlung sein. 7 3. KONTROVERSE SCHWERPUNKTE Die Debatte um die Bedeutung der ersten Person singular möchte ich mit folgendem Themenkreis schließen. Ich möchte ihn das Inkonsistenzproblem nennen. Es hat zwei Teilbereiche. Zu ihm gehört die Problematik der Einführung der Indikatoren. Man kann dabei von einer zweifachen Einführung sprechen. Erstens werden die Indikatoren semantisch eingeführt, indem mit Hilfe des Leibnizschen Gesetz die beiden singulären Termini der Aussage der Gleichheit als gleichbedeutend erklärt werden. Zweitens ist die inhaltliche Identifikation der Individuen erörtert worden. Um zu verstehen, was das inhaltlich bedeutet, muß man natürlich schon über eine semantische Erklärung des Gebrauchs der Indikatoren verfügen und es fragt sich, ob dem die sprachanalytisch gegebene Erklärung lediglich der Gleichheit zweier singulärer Termini gerecht wird. Dies ist ein echtes Problem, auf das ich im folgenden durch eine epistemologische Skizze eingehen werde. Wir haben beobachten können, daß das Personalpronomen in erster Person dem Leibnizschen Gesetz nicht gehorcht. Somit wird dem Prinzip der Elliptizität nicht entsprochen. Die Permutation zweier singulärer Termini kann nicht aus der Identifizierbarkeitsthese abgeleitet werden. Somit kann der Bereich des Personalpronomens und anderer singulärer Termini nicht eineindeutig auf einen gleichmächtigen Bereich von Gegenständen abgebildet werden. Dieses Resultat ist für die reine Sprachanalyse eine nicht zu unterschätzende Provokation und bringt ontologische Konsequenzen mit sich, auf die ich hier nicht eingehen kann. II. EPISTEMOLOGISCHE SKIZZE ZUR SELBSTBEZÜGLICHKEIT DES SELBSTBEWUSSTEINS Um auf die gestellte Frage zu antworten, wollen wir überlegen welche mentale Strukturen involviert sind, wenn ein Sprecher auf die erste Person singular Bezug nimmt (also wenn er das Personalpronomen "Ich" verwendet). Dabei soll beachtet werden, daß die Denkepisoden durch ihre Inhalte individuiert werden. Somit haben wir von einer sprachlichen Darstellung erfahren, wie wir im Denken mit dieser Art von Inhalten umgehen. 1. PROPOSITIONSTHEORIE versus ATTRIBUTIONSTHEORIE Die Propositionstheorie bestimmt die Propositionen als mentale (psychologische) Einheiten, denn sie sind die Inhalte aller dispositionaler Geisteszustände. Sie sind aber gleichzeitig Wahrheitsträger im ursprünglichen Sinn der Wahrheit. Wahrheitsträger sind objektiv und zeitlos. Objektivität und Zeitlosigkeit bilden den starren Kern des metaphysischen Standpunktes der Propositionstheorie. Sprachlich eignen sich die Behauptungssätze für diese Struktur. Diese oben dargelegte Theorie ist im wesentlichen die von Gottlob Frege vorgelegte.*23* Ihre Stärke liegt in der Konvergenz zwischen 8 Sprache, verstanden als Mittel des Denkens und Welt. Bedeutung und Gedankeninhalte sind eng miteinander verbunden und fallen zusammen. Die Sprache wird als Mittel der Kommunikation und des Denkens angesehen und ihr wird ein hoher Grad an Zuordnung zugewiesen. Dies läßt sich wie folgt darstellen: Wenn ein Sprecher etwas denkt (bzw. glaubt), es zutrifft und es in Bezug steht zu einer Welt, dann muß es wahr sein. Wenn zwischen der Welt, die wir denken und der Welt in der wir handeln eine Isomorphie besteht, dann stellt sich die berechtigte Frage, ob nicht Glauben und Verlangen zusammenfallen. Sollten die Inhalte des Intendierens und des Willens nicht denkbare Inhalte sein, bereit, in die gedachte Welt einzugehen? G. Frege nahm an, daß das, was geglaubt wird, auch verlangt, befohlen, erfragt und gefordert wird etc. Allerdings können unter diesen Voraussetzung bestimmte Prozesse nicht dargestellt werden, da wir es mit einem statischen Bild der Beziehung zwischen Sprache und Welt zu tun haben und die indexikalische Rolle der ausführenden Referenz nicht (vollständig) erkannt wird. Bestimmt werden soll die Referenz auf Gegenstände, als Gegenstände der Erfahrung (bzw. in der Erfahrung), als zu diesem oder jenem Typus gehörig gesetzt, auf die eine oder andere Weise ausgeführt, oder als Erfahrungsobjekte, wie sie mittels der Bezugnahme durch Personalpronomen gesetzt werden. Im Gegensatz zu dem Ebengenannten kann die ATTRIBUTIONSTHEORIE durch folgende Thesen zusammengefaßt werden: Das Pronomen der ersten Person Singular fungiert wie eine freie Variable, die einen Denkenden als Subjekt des mentalen Zustands, den er sich selbst zuschreibt, darstellt. Dabei haben alle propositionale Einstellungen einen einheitlichen Inhalt: ein Attribut. Der eigentliche Gehalt wird durch Universalien ausgedrückt. 2. OBJEKTGEBRAUCH versus SUBJEKTGEBRAUCH Wir haben beobachten können, welche sprachliche Schwierigkeiten entstehen, wenn wir uns selbst einige Charakteristiken zuschreiben möchten. Der indexikalische Ausdruck "ich" wirft äußerst komplexe Fragen auf. Eine dieser Fragen betrifft z.B. die Einheit bzw. Vielfalt der Referenzobjekte, die vom selben Sprecher geäußert werden. Den Ursprung eines solchen Mißverständnisses sieht L. Wittgenstein in der Identifikation des "Ich" mit meinem Körper bzw. meinem Namen, mit der "...eigenartigen Grammatik des Wortes 'ich' und auch mit den Mißverständnissen, die sich aus dieser Grammatik leicht ergeben können."*24* Diese Idee beruht auf Georg Christoph Lichtenbergs Aussage: "ICH und MICH. ICH fühle MICH - sind zwei Gegenstände. Unsere falsche Philosophie ist der ganzen Sprache einverleibt; wir können sozusagen nicht raisonnieren, ohne falsch zu raisonnieren".*25* Aus dieser Sicht ist in der Verwendung von "Ich" bzw. in der Zuschreibung von Erfahrungen in der ersten Person nicht eingeschlossen, daß man eine Person wiedererkennt oder identifiziert. Diese These wird von Sophokles Beispiel in 'ÖDIPUS REX' unterstützt, in dem zusammengefaßt folgendes behauptet wird: (13) Ödipus glaubte vor der Pestilenz, daß der vorherige König von Theben tot sei. (14) Ödipus Vater wurde vorheriger König von Theben. 9 Folglich: (15) Ödipus glaubte vor der Pestilenz, daß Ödipus Vater tot war, Obwohl, jeder, der die Tragödie gelesen hat, weiß: (16) Es ist nicht der Fall, daß Ödipus vor der Pestilenz glaubt, daß Ödipus Vater tot sei. Das iterierte Beispiel in ÖDIPUS REX zeigt die fehlende Garantie für die Wiedererkennung bzw. Identifizierung des Subjekts. Wir stehen vor einem Rätsel. Es gibt mehrere Lösungen. Die eine ergibt sich aus der Annahme, daß sich das Rätsel daraus ergibt, daß zwischen (14) und (15) aufgrund der UNDURCHSICHTIGKEIT PROPOSITIONALER KONTEXTE ein WIDERSPRUCH entsteht. L. Wittgenstein unterscheidet zwei Verwendungen des Wortes "Ich", um diese Schwierigkeit beschreiben zu können, nämlich den "OBJEKTGEBRAUCH" und den "SUBJEKTGEBRAUCH". Die Untersuchungen zwischen dem Objekt- und Subjektgebrauch werden so zusammengefaßt: "Die Fälle in der ersten Kategorie machen es erforderlich, daß eine bestimmte Person erkennt, und in diesen Fällen besteht die Möglichkeit eines IRRTUMS - oder ich sollte besser sagen: Die Möglichkeit des Irrtums ist vorgesehen. ... Andererseits geht es nicht um das Problem, eine Person zu erkennen, wenn ich sage, daß ich Zahnschmerzen habe. Die Frage: 'Bist du sicher, daß DU es bist, der Schmerzen hat?' wäre unsinnig."*26* Bevor wir die epistemologische Komponente untersuchen, will ich nochmals kurz auf die sprachliche Struktur eingehen. Zu beachten ist, daß Wittgenstein zu dem Objektgebrauch die Fälle (5) und (6) zählt. Die Fälle, die dem Subjektgebrauch entsprechen, sind (7) und (9).*28* Im Objektgebrauch wird das Personalpronomen in der ersten Person singular als DEMONSTRATIVPRONOMEN gebraucht. Somit steht das "Ich" für einen Namen, der einen Gegenstand bezeichnet. Ein solcher Gebrauch des Wortes kommt wie gesagt in den Sätzen (5) und (6) vor.*29* In beiden Beispielen bezieht sich "ich" eindeutig auf einen Körper, da in (5) "Ich" auf das Wachstum meines Körpers bezug nimmt, und (6) auf die Beule auf meiner Stirn hinweist. Findet die Identifizierung der Person mittelst äußerer körperlicher Merkmale statt, so ist man dem Irrtum ausgesetzt. Im Gegensatz zu diesen Beispielen sieht L. Wittgenstein, daß das "Ich" in (7) und dessen Beispielsatz "Ich habe Schmerzen" nicht als Demonstrativpronom angesehen wird. Bei dem Subjektgebrauch geht es nicht um ein Problem der Identifizierung, denn - so die Argumentation - wenn ich stöhne und sage "Ich habe Schmerzen", so kann ich mich darin nicht IRREN, wer die Schmerzen hat.*30* Der Bezug beim Subjektgebrauch von "ich" ist unmittelbar, er erfolgt nicht über eine kriteriengestützte Selbstidentifizierung anhand von Merkmalen. Wenn ich einen Schmerz am hinteren Teil des Kopfes fühle, so ist dies (7) dennoch keine identifizierende Aussage über eine bestimmte Person, da sie nicht auf mich als Gegenstand von Eigenschaftszusprechung zielt: Die Aussage (7) ist lediglich eine Aussage der Person. Ich verwende somit den GENITIVUS SUBJEKTIVUS. Die Aussage (7) greift weder mich aus 10 der Menge heraus noch sucht sie mich irgendwie zu charakterisieren. Hier ist keinerlei Erkenntnis oder Identifikation im Spiel und somit keinerlei Irrtum möglich. Im Gegensatz zu dem Subjektgebrauch kann ich mich bei dem Objektgebrauch irren.*31* Machen wir folgendes Gedankenexperiment: Ich schaue auf ein altes Foto von mir und sage: "Ich bin der Mann, der eine blaue Krawatte trägt". Ich kann mir eine Situation vorstellen, in der ich im Irrtum sein kann, indem ich mich auf einem Foto selber nicht erkenne.*32* Aus dieser Argumentation schließt Wittgenstein, daß im Objektgebrauch das "Ich" keinen Gegenstand bezeichnet. 3. GRUNDSTRUKTUREN DES SELBSTBEZUGES L. Wittgenstein hat dem hier als "Epistemologie zur Selbstbezüglichkeit des Selbstbewußtseins" bezeichneten Forschungsbereich eine Fülle von Anregungen hinterlassen, nicht zuletzt durch die Analyse in seinem Buch PHILOSOPHISCHE UNTERSUCHUNGEN. Dort hat er ja keineswegs nur das in dieser Arbeit skizzierte als "puzzle" bezeichnete Problem des Erkenntniswerts von Personalpronomina mit Hilfe derer beiden Gebräuche erörtert. Er hat vielmehr auf seiner Grundlage einen ganzen Problembereich aufgedeckt und argumentiert, daß absolut private Dinge (gegen den Cartesischen Dualismus), die für andere prinzipiell unzugänglich bleiben sollen, grundlegende Schwierigkeiten übersehen: Zwar kann nur ich meine eigenen Schmerzen fühlen, aber dieser Satz ist trotz seiner Selbstevidenz nicht EINDEUTIG. Die Frage, ob ich die Schmerzen immer nur in einem bestimmten Körper fühle, ist nicht einfach zu bejahen oder zu verneinen. Die Gewißheit des eigenen Ichs und daß ich an seiner Existenz nicht zweifeln kann, ist ein Grundprinzip R. Descartes . Dem kann entgegengesetzt werden, daß alle Gewißheiten der Cartesianer der tatsächlichen Erfahrung widerspricht: Wenn ich versuche, mich selbst zu erfassen, so stoße ich doch immer wieder auf ganz bestimmte Erlebnisse. Wichtig ist dabei, daß ich nicht auf ein "Selbst", das diese Erlebnisse hat, sondern nur auf die individuierenden Erlebnisse zu stoßen brauche. Ich sage nun: (17) "Ich habe Kopfschmerzen"; aber das einzige, was mir bewußt ist, ist der Schmerz. Von dieser Seite gesehen ist das cartesianische "Ego" eine rätselhafte Entität. Die Frage ist dabei, ob wir bei "Kopfschmerzen" Kenntnis über eine solche Entität haben? die Antwort lautet: Nein. Der Vorschlag Lichtenbergs, "Ich denke" durch "Es denkt" zu ersetzen, wird bei diesen Fällen von L. Wittgenstein akzeptiert. Somit kann eine Sprache L(L-W) konstruiert werden, in der man - statt (16) auszudrücken - sagt: (18) "Es kopfschmerzt". Ich fühle meine Schmerzen in meinen Leib, d. h. in einem bestimmten Leib. Durch eine Reihe von kontrafaktischen Situationen versucht L. Wittgenstein zu zeigen, daß es logisch möglich ist, daß ich Schmerzen 11 in einem anderen Leibe fühle. Dabei sei aber zu beachten, daß diese meine Schmerzen sind. Wie wir oben gesehen haben, sind die Sätze: (19) "Ich fühle Schmerzen." und (20) "Dieser Leib fühlt Schmerzen" nicht koextensional oder substituierbar SALVA SIGNIFICATIONEM. Das "ich" ist im Subjektgebrauch weder Name eines Leibes noch kann "dieser Leib" (gemeint ist mein eigener Leib) durch das "ich" ersetzt werden. Der subjektive und objektive Gebrauch des Personalpronomens in erster Person darf nicht verwechselt werden, denn im Subjektgebrauch bedeutet "Das Wort 'ich' ... nicht dasselbe wie 'Jesús', selbst wenn ich Jesús bin, noch bedeutet es dasselbe wie der Ausdruck 'die Person, die jetzt spricht'" *33*. SCHLUSS Der Selbstbezug kann durch folgende Merkmale charakterisiert werden: (i) Das Personalpronomen singular bestimmt seinen Referenten eindeutig, und zwar unter allen Umständen; (ii) Das Demonstrativpronomen ist von Irrtümern nicht befreit, während es der Subjektgebrauch von "ich" ist; (iii) Ein Demonstrativpronomen, das in der Vergangenheit gebraucht wurde, kann fehlgehen, denn es lassen sich Situationen vorstellen, in denen es nachträglich eine Reidentifizierung des Objekts impliziert; dagegen ist die Verwendung des "ich" in einem vergangenen Bewußtseinszustand des Sprechers keinem Irrtum ausgesetzt. Nun wäre die Frage zu stellen, ob der Subjektgebrauch durch den Objektgebrauch von "ich" ersetzt werden kann. Diese Frage kann vom sprachlichen Gesichtspunkt aus anders gestellt werden: kann ein Satz wie (7), der psychologische Prädikate enthält, substituiert werden durch einen Ausdruck der Beschreibungen, der kein Reflexivpronomen verwendet (also nicht-psychologische Prädikate beinhaltet)?*34* Es scheint, daß der Selbstbezug meiner Selbst der Selbstidentifikation als Objekt vorausgeht. Um Identifikationen meiner Selbst als innerweltliches Objekt durchzuführen, muß ich schon Selbstbewußtsein voraussetzen, welches nicht auf Identifikationskriterien gestützt sein muß. Die Annahme, daß jede Selbsterkenntnis auf Identifikation beruht, führt uns zu einem REGRESSUS AD INFINITUM. Selbstbewußtsein ist somit nicht Selbstidentifikation*35* und wird nicht von einer Introspektion hervorgebracht. Dieses negative Resultat erlaubt die Folgerung, daß das Selbstbewußtsein einen Selbstbezug einschließt, der das Subjekt selbst ist, in dem das psychologische Prädikat jeweils instantiiert ist. LITERATUR: CASTAÑEDA, Hector-Neri, (1982): SPRACHE UND ERFAHRUNG. Suhrkamp, Frankfurt a. M. CASTAÑEDA, Hector-Neri, (1994): Selbstbewußtsein, demonstrative Bezugnahme und die Selbstzuschreibungstheorie der Überzeugungen. In: FRANK 1994, 335-390. 12 BRENTANO, Franz (1924 ff.): PSYCHOLOGIE VOM EMPIRISCHEN STANDPUNKT. (Hrsg. von Oskar Kraus). Leipzig, 1924 ff. FRANK, Manfred (Hrsg.), (1994): ANALYTISCHE THEORIE DES SELBSTBEWUSSTSEINS. Suhrkamp. Frankfurt a. M. FREGE, Gottlob, (1892): Über Sinn und Bedeutung, in: ZTSCHRF. F. PHILOS: U. PHILOS. KRITIK, NF 100 (1892), 25-50. FREGE, Gottlob, (1918/19): Der Gedanke. Eine logische Untersuchung. in: BEITRÄGE ZUR PHILOSOPHIE DES DEUTSCHEN IDEALISMUS I (1918/19), 58- 77. FREGE, Gottlob, (1897) Logik. in: SCHRIFTEN ZUR LOGIK UND SPRACHPHILOSOPHIE. Aus dem Nachlaß. Felix Meiner. Hamburg, 1978. HALLER, Rudolf, (1989): Bemerkungen zur Egologie Wittgensteins. in: GRAZER PHILOSOPHISCHE STUDIEN, 33/34, 353-373. 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Somit kann jeder "Helmut" individuiert werden, wenn er auf sich selbst nicht durch den Namen oder sonstige Formen, sondern durch das Personalpronomen referiert. *3* Wittgenstein 1980, Tagebücher 1914-1916, (4. 8. 16), 173. *4* Ich bin der Meinung, daß der Zugang zum Thema des Selbstbezuges symptomatisch für die Philosophie unseres Jahrhunderts ist: er ergibt sich aus der Auseinandersetzung mit der Augen- und Gesichtsfeldproblematik. Dieser Tatbestand wird jedoch nicht Thema dieser Arbeit sein. Siehe: Wittgenstein 1980 Tagebücher 1914-1916, (12. 8. 16), 173 und (1921), 5.6331 in Auseinandersetzung mit Mach 1902, 17. Es ist darauf hingewiesen worden, daß die Unrettbarkeit des ICH nicht darin liegt, daß nur Elemente und Komplexe von Elementen vorhanden wären, die einerseits als Empfindungen, Gedanken, Gefühle usw. und andererseits als Körper aufgefaßt werden, sondern vielmehr in dem Umstand liegen, daß der Gebrauch des Personalpronomen, (i) nicht demonstrativ interpretiert werden kann und (ii) sich nicht als ein Ersatz für die Mittelpunktstellung unserer eigenen Perspektive erweisen läßt. Siehe: Haller 1989, 368 f. *5* Wittgenstein 1980, Tagebücher 1914-1916, (7. 8. 16), 173. *6* Sluga 1988, 442. *7* Wittgenstein 1980, Tagbücher 1914-1916, (11. 8. 16), 173. *8* H.-N. Castañeda ist mit dieser Übereinstimmung des Inhaltes des Glaubens und des Intendierens nicht einverstanden. Er unterscheidet hierzu propositionale von praktischen Einstellungen. Diese typischen Fälle sind "Intendieren" und "Wollen", daß jemand anders etwas tut. Siehe: Castañeda 1994, 338. *9* Wittgenstein 1980, P. U., § 116. *10* Die Beispiele (4), (5), (6) und (7) stammen aus Wittgenstein 1982 (1958), 106 f. *11* Siehe: Frege 1978 [1897], 37/[48] und 48. *12* G. Frege nennt einen "Gedanken" ein wahrheitsfähiges Ganze. Das ist, wenn Wörter so zusammentreten, daß das, was sie zum Ausdruck bringen, ein wahrheitsfähiges Ganzes ist. *13* 14 Zu den singulären Termini gehören auch Eigennamen, definite Deskriptionen (Beschreibungen), Indikatoren bzw. Demonstrativa bestimmte Quantifikatoren, usw. *14* Somit können Namen, definite Beschreibungen, Demonstrativa bzw. Indexwörtern nicht in allen Kontexten ersetzt werden SALVA VERITATE. *15* Miguel de Cervantes, DON QUIJOTE DE LA MANCHA II. (Hrsg. John Jay Allen). Cátedra. Madrid, 1991, 574. Wortwörtlich steht: "Yo, señores, siento que me voy muriendo a toda priesa." *16* Cervantes,1991, 574. Wortwörtlich steht: "...ya yo no soy don Quijote de la Mancha, sino Alonso Quijano...". *17* Nun kann ich mir auch dieselbe Situation so vorstellen, daß ich die Verabredung auf den Fischmarkt gewählt habe, wo sonst kein Fischer auf die Idee kommt, eine Krawatte zu tragen und meine Anwesenheit etwas außergewöhnlich erscheint und ich somit unmittelbar identifiziert werden kann. Keith S. Donnellan unterschied zwei Verwendungsweisen von Kennzeichen. Die attributive Verwendung sagt etwas über denjenigen aus, der beschrieben wird, wer immer das sein mag. Eine referentielle Kennzeichnung wird verwendet um die Hörer in die Lage zu versetzen, denjenigen herauszugreifen, über den er redet (in unserem Fall über sich selbst), und er sagt etwas über sich selbst aus (Siehe: Padilla- Gálvez 1989 wo die Diskussion entfaltet wird).. *18* Wittgenstein 1980 (1958), § 402. *19* Wittgenstein 1980 (1958), § 404. *20* Das Beispiel (8), stammt von Wittgenstein 1982 (1958), 106 f. Das Beispiel (9) stammt von Castañeda 1994, 201. *21* Castañeda 1982, 139 ff. *22* Siehe: Padilla-Gálvez, 1989, 223 ff. *23* Frege 1892, 25 ff. und 1918/19, 58 ff. *24* Wittgenstein 1982 (1958), 106. *25* Lichtenberg 1971, 197 [146]. *26* Wittgenstein 1982 (1958), 106 f. *27* Wittgenstein 1982 (1958), 106. *28* Wittgenstein 1982 (1958), 106. *29* D. h. in den Sätzen (5) "Ich bin Zehn Zentimeter gewachsen", und (6) "Ich habe eine Beule auf meiner Stirn". *30* Wittgenstein 1982 (1958), 109 f. *31* Shoemaker 1994, 44 f. nimmt die Unterscheidung zwischen Subjekt- und Objektgebrauch von "ich" auf. *32* Normalerweise stützt sich dieses Argumente auf einen Fall von Erinnerungsschwund. *33* 15 Wittgenstein 1982 (1958), 107. *34* Castañeda 1982, 165 ff. und 1994, 335 ff. *35* Selbstbewußtsein ist somit auch keine Selbsterkenntnis, da es auch nicht von der Wahrnehmung hervorgebracht wird. Wenn das der Fall sein würde, dann würden wir in ein REGRESSUS AD INFINITUM getrieben. Wenn Selbstbewußtsein nach dem Modell der Wahrnehmung verfahren würde, dann müßte aufgedeckt werden, wie die Wahrnehmung von sich selbst sein könnte und nicht die von einem Objekt, wie Franz Brentano behauptet. Siehe: Brentano 1924, Bd. I, Kap. II.