Der Leitende Oberstaatsanwalt München I

 

 


München, 19.01.2000

 

 

Presseerklärung

der Staatsanwaltschaft München I

 

 

Langwierige Ermittlungen wegen Eurostar-Unfall auf dem Oktoberfest 1996 abgeschlossen

 

Am 30.09.1996 hatte sich auf dem Münchner Oktoberfest beim Betrieb des Fahrgeschäfts "Eurostar" ein Unfall ereignet, bei dem 30 Personen verletzt worden sind, eine davon schwer. Die Staatsanwaltschaft München I hat die unmittelbar nach dem Unglück eingeleiteten Ermittlungen nunmehr abgeschlossen und gegen einen Ingenieur der Münchner TÜV Bau- und Betriebstechnik GmbH einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung erwirkt. Dem Mann wird vorgeworfen, fahrlässig seine Pflichten als TÜV-Prüfer nicht ordnungsgemäß wahrgenommen zu haben und deshalb der für den Unfall Hauptverantwortliche zu sein.

Das Verfahren gegen einen weiteren TÜV-Mitarbeiter sowie gegen die Verantwortlichen der Schweizer Herstellerfirma des "Eurostar" wurde wegen geringer Schuld gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Bezüglich des Betreibers des Fahrgeschäfts haben die Ermittlungen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Straftat ergeben.

Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hatte sich der Unfall auf Grund einer Verkettung mehrerer Umstände ereignet, die sich - grob vereinfacht - folgendermaßen darstellen:

Die Achterbahn (ein sog. "inverted coaster") wird im Blocksystem betrieben, so dass mehrere Züge gleichzeitig auf der Strecke unterwegs sein können. Die Fahrtstrecke ist in mehrere Abschnitte (Blöcke) unterteilt, die jeweils durch eine ortsfeste Bremseinrichtung gesichert werden. Zum Unfallzeitpunkt waren gleichzeitig zwei Züge unterwegs. Der erste Zug wurde kurz vor Ende der Fahrt in einer Reduzierbremse zum Halten gebracht. Dabei handelte es sich um eine automatisch eingeleitete Sicherheitsbremsung, die ihre Ursache in einem defekten Bremsschlauch, aus dem Luft entwichen war, hatte. Diese Bremsung ist bei einem auftretenden Defekt betriebsgemäß. Der nachfolgende Zug hätte nun nicht mehr in den die beiden Züge trennenden, freien Blockabschnitt einfahren dürfen. Zwar wurde auch er in der entsprechenden Sicherheitsbremse abgebremst. Aufgrund des zu hohen und bis dahin unbemerkt gebliebenen Verschleißes der Bremsplatten- und -beläge wurde er jedoch nicht zum Halten gebracht. Dadurch konnte er in den vor ihm liegenden freien Blockabschnitt, der sich am höchsten Punkt der Achterbahn befindet, einfahren und seine Fahrt fortsetzen. Der Zug fuhr mit ungebremster Geschwindigkeit auf den noch in der Reduzierbremse stehenden ersten Zug auf. Da der "Eurostar" nur über ortsfeste Bremsen verfügt, konnte der Zug auch durch ein Eingreifen des Bedienungspersonals nicht mehr gebremst werden. Die entscheidende Unfallursache war somit nicht der defekte Bremsschlauch, sondern der unbemerkt gebliebene Verschleiß der Sicherheitsbremse.

Der Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung stützt sich darauf, dass der TÜV-Ingenieur der das Fahrgeschäft geprüft und abgenommen hat, die problematische Konstruktion der Sicherheitsbremse hätte erkennen und mit geeigneten Betriebsauflagen hätte sicherstellen müssen, dass ein Verschleiß der Bremsen rechtzeitig bemerkt wird. Konstruktionsbedingt hätten nämlich die Bremsen mehrmals am Tag kontrolliert und gegebenenfalls nachgestellt werden müssen. Während der Hersteller die Problematik noch grundsätzlich erkannt hatte, ordnete der Verantwortliche des TÜVs im Prüfbuch für den "Eurostar" jedoch an, dass die Bremsen lediglich täglich zu Betriebsbeginn durch eine Probefahrt mit leeren Zügen zu prüfen seien, im übrigen aber keine Veränderungen an der Einstellung der Bremsen vorgenommen werden dürfen.

Der Abschluss der Ermittlungen hat sich verzögert, weil erst jetzt das umfangreiche technische Gutachten abgeschlossen und ausgewertet werden konnte.

 

 

Wick