M 22 Musik im NS-Staat

Es ist etwas überraschend, daß über die Musik im NS-Staat erst spät geschrieben wurde. In Nachschlagewerken und Biografien schien diese Zeit fast ausgespart, ja Prieberg stellt in seiner grundlegenden Arbeit dieses Vergessen in die Nähe von Geschichtsfälschungen.

Auch für diesen Bereich der Kultur gelten die aus der Ideologie des Nationalsozialismus abgeleiteten Grundsätze:

“Wenn die Musik im Dritten Reich allmählich ... an das Volk herankommen und ihm Freude bringen soll, die es zur Arbeit und zum Lebenskampfe stählt, so muß vorher mit eisernemBesen ausgekehrt werden, was diesem Volke den Sinn mit Unkunst vernebelt.”
Raabe, Peter: Die Musik im dritten Reich. Regensburg 1935, S.14-15. In: Prieberg, Fred K.: Musik im NS-Staat.                Fischer Verlag. Frankfurt.(1982). 16.-17. Tausend. 1988. S.110)
Damit wendet sich die Reichsmusikkammer gegen alles “Undeutsche”, das im Jüdischen personifiziert wurde. Daß gerade mit den jüdischen Komponisten und Künstlern in Deutschland wichtige Träger des internationalen Musiklebens getroffen wurden, macht die Unsinnigkeit dieser Ideologie deutlich. Getilgt werden sollten die Werke der großen, “ernsten” Komponisten wie Felix Mendelssohn-Bartholdy, Gustav Mahler und die der leichteren Muse wie Robert Stolz, Emmerich Kalman und Leon Jessel. Gerade die erfolgreiche Operette “Schwarzwaldmädel” von Leon Jessel hatte Hitler gerne angehört.  Jessel starb an den Folgen von Verhören der Gestapo 1942 in Berlin. Geächtet wurden die Dirigenten Bruno Walter, Fritz Busch (der zu viel mit den Juden verkehrte), Otto Klemperer und viele andere Kapellmeister wichtiger deutscher Orchester. Wilhelm Furtwängler daneben versuchte immer wieder, unerwünschte Musikstücke aufzuführen, so auch Hindemiths “Mathis der Maler”, und den im Schaffen eingeschränkten Musikern zu helfen. Von den berühmten, “unerwünschten” Interpreten sind zu nennen: die Sopranistinnen Fritzi Massary und Lotte Schöne, die Tenöre Joseph Schmidt und Richard Tauber. Viele Instrumentalisten wurden aus ihren Orchestern entfernt, ebenso verdiente Professoren und Lehrkräfte von Hochschulen und Universitäten. Opern mit Texten von jüdischen Schriftstellern durften nicht mehr gespielt und Lieder jüdischer Dichter nicht mehr gesungen werden.

Ausdruck dieses Kesseltreibens gegen “undeutsche” Künstler war die Ausstellung “Entartete Musik” am 24. Mai 1938 in Düsseldorf im Rahmen der Reichsmusiktage. Die Listen “unerwünschter musikalischer Werke” richten sich neben dem antisemitischen Schwerpunkt gegen alle modernen Künstler, die mit der atonalen Zwölftonmusik nach Arnold Schönberg experimentierten, z.B. Anton Webern.

Die Verbote umfaßten dazu den Jazz und ähnliche “Niggermusik” und trafen Irvin Berlin, Egon Wellesz, den “Internationalisten” Igor Strawinsky, dem eine jüdische Versippung angehängt wurde, und immer wieder Paul Hindemith auch mit seinen musiktheoretischen Schriften, ebenso den sozialkritischen Kurt Weill.

Baldur von Schirach wetterte bei der Ausstellungseröffnung:

“Was in der Ausstellung ‘Entartete Musik‘ zusammengetragen ist, stellt das Abbild eines wahren Hexensabbaths und des frivolsten, geistig-künstlerischen Kulturbolschewismus dar und ein Abbild des Triumphes von Untermenschentum, arroganter jüdischer Frechheit und völliger geistiger Vertrottelung.”                                                     (Aus: Prieberg. 1988. S. 279)
Als “deutsch” galten Joh. Seb. Bach, die Klassiker Haydn, Mozart, Beethoven, dann Franz Schubert, Anton Bruckner und vor allen Richard Wagner, der von Hitler am höchsten eingeschätzte Musiker. Richard Strauß stand zunächst als Präsident der Reichsmusikkammer hoch im Kurs, setzte sich aber für seinen Textdichter, den jüdischen Stefan Zweig, ein und sank in der Gunst Hitlers. Anerkannt waren Werner Egk, Hans Pfitzner, Cesar Bresgen, Hugo Distler, Harald Genzmer u.a.. Wie denn aber die neue deutsche Musik sein sollte, blieb im Nebel der schwulstigen nationalsozialistischen Formulierungen verborgen.
Erweitert wurden die Verbotslisten, als der Krieg begann. Komponisten der Feindesländer durften von diesem Zeitpunkt an genausowenig auf den Programmen der Konzerte stehen, wie allen ausländischen Musikern damit Gastspiele in Deutschland untersagt waren. Während der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes allerdings tauchten die Namen russischer Komponisten auf: Tschaikowsky, Prokoffieff u.a..

Kaum glaubhaft, daß sich noch 1942 eine Stimme gegen diese Verstümmelung der Musikkultur wehren konnte:
“Noch bei keiner Revolution hat sich ein solcher Haufe amusischer Menschen auf die Kunst gestürzt! Menschen, die sich ihr Leben lang nicht um Kunst gekümmert haben, erheben sich zum Kunstrichter, zum Kunstförderer, zum Kunstschützer - mit ihren Mitteln. Sie fahnden nach der nichtarischen Großmutter, wo keine ist, erfinden sie eine - Denunzieren aus Dummheit, aus Schadenfreude, aus Konkurrenzneid oder zum bloßen Vergnügen. ... Es ist nun aber nicht alles Kunstbolschewismus, was man nicht versteht! ... Die nicht wußten, daß Grünewald der große Meister  ... ein ‘Expressionist‘ war, haben mit diesem großen Worte große Künstler gejagt; die nicht wissen, daß der große Johann Sebastian Bach atonal war, hetzten mit diesem Worte ernste schöpferische Musiker ... Alles große Neue hat den Menschen von je unangenehm in den Ohren geklungen, erschien ihm atonal.”
(Prieberg. 1988. S. 291, zitiert Georg Schmückle, Referent für Kultur in Stuttgart)

Aufgaben
1. Welche Aufgabe hatte die Musik im 3. Reich?
2. Nach welchen Gesichtspunkten wurde ein Spiritual, z.B., “When Israel was in Egypt‘s  land”, damals eingestuft?
3. Ein Schlagwort wurde für richtig gehalten: “Nur, was das Volk versteht, ist wahre Kunst.”  Welche Argumente findest du dagegen?

Mögliche Lösungen
1. Musik soll dem Volk Freude bringen und soll es stärken für die Arbeit und den  Lebenskampf.
2. Von Schwarzen gesungene Lieder wurden als "Niggermusik" eingestuft. Dabei wird im  Text das Volk Israel angesprochen, das als jüdisches Volk der größte Gegner Hitlers war.  Schlimmere Musik konnten sich die Nazis kaum ausdenken als dieses Lied.
3. Noch immer waren Künstler die Wegbereiter von Entwicklungen der Kunst, wenn sie sich  nicht nach dem Massengeschmack richteten. Auch Bach hat einst seine Zuhörer geschockt.  Galt einst die Terz als dissonant, so wird sie allgemein heute als wohltönend empfunden.  Das Volk lernt mit. Und: Kunst kann man nicht "verstehen", man empfindet.