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Der Historikerstreit

Völkerrechtliche Urteile setzen voraus, dass die Materie bekannt ist, über die verhandelt wird. Hier basiert die Arbeit der Juristen auf den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft. Es ist daher nicht erstaunlich, dass ein juristischer Streit mit einem Historikerstreit korreliert, den es hier in kurzen Zügen nachzuzeichnen gilt. Natürlich kann im Rahmen dieser Arbeit nicht jedes Buch, das zum Thema erschienen ist, diskutiert oder auch nur schon erwähnt werden (was sich überdies auch schon aus den einschränkenden Sprachkenntnissen des Autors ergibt). Dennoch soll hier eine Übersicht über die wichtigsten Pfeiler innerhalb der historischen Diskussion geliefert werden, insofern sie auch für die Debatte in der Schweiz von Bedeutung sein können.

Der Völkermord an den Armeniern rief schon bald publizistische Reaktionen hervor. Einer der ersten, der gezielt Daten zu den Massakern an den Armeniern sammelte, war der deutsche Pastor Johannes Lepsius. Berührt von den Pogromen unter Sultan Abdülhamit, gründete er die „Deutsche Orient-Mission“, die er bis 1917 selber leitete und über die er den armenischen Opfern Hilfe zukommen ließ. Daneben unternahm er mehrere Reisen ins Osmanische Reich, so auch im Jahre 1915, als die großen Deportationen im Gang waren. Allerdings wurde er auf dieser Reise daran gehindert, ins türkische Hinterland zu gelangen. Daher beschränken sich die Information aus dieser Zeit auf dasjenige, was Lepsius in Konstantinopel zugänglich war. Hier müssen in erster Linie ausländische Zeugen genannt werden, wie zum Beispiel der amerikanische Botschafter Henry Morgenthau, der später seine eigenen Eindrücke ebenfalls publizierte und damit die Berichte von Lepsius unterstützte. Daneben konnte Lepsius eine Audienz beim Kriegsminister Enver bewirken. Dieses Gespräch, das er am 24. August 1915 führte, erschien vier Jahre später in der Zeitschrift „Der Orient“ und ist als Indiz dafür zu werten, dass die Vernichtung der Armenier von hoher Stelle geplant worden war. Mit armenischen Opfern kam Lepsius auf dieser Reise naturgemäß nicht in Kontakt. Die Resultate seiner Reise publizierte Lepsius bald darauf in seinem Buch namens: “Bericht über die Lage des armenischen Volkes“, das in seiner zweiten Auflage den etwas dramatischeren Titel „Der Todgesang des armenischen Volkes“ bekam. Der Bericht war kurz nach seinem Erscheinen in Deutschland verboten worden, erlebte aber noch vor dem Zweiten Weltkrieg zwei weitere Auflagen und erschien zudem in französischer Übersetzung. 1919 gab Lepsius noch eine weitere, umfassendere Sammlung von Augenzeugenberichten und von diplomatischen Akten heraus mit dem Titel: „Deutschland und Armenien 1914-1918  Sammlung diplomatischer Aktenstücke“. Wie Lepsius im Vorwort erwähnt, wurde dieses Buch zwar im Auftrag des Auswärtigen Amtes geschrieben, doch die Auswahl der Akten und die Bearbeitung derselben für die Publikation sei von ihm höchst persönlich und somit unabhängig vollzogen worden. Obwohl Lepsius betont, dass es ihm vor allem um die Frage der deutschen Mitschuld an den Massakern gehe, liegt gerade hier die Crux des ganzen Berichtes. Denn schon früh wurde Lepsius insbesondere von sowjetarmenischen Autoren vorgeworfen, dass er sich parteilich verhalten habe und die deutsche Mitschuld habe verschleiern wollen. „In der Tat“, schreibt dazu Dominik Schaller, „hat Lepsius einzelne Passagen aus Dokumenten, welche eine deutsche Verstrickung in die türkischen Armeniermassaker nahe legen könnten, nicht in die Aktensammlung aufgenommen.“ Auch wenn mittlerweile die Unpässlichkeiten bei der Aktenauswahl reichlich bekannt sind, so haben ernstzunehmende Autoren die Berichte über die armenische Seite kaum je ins Kreuzfeuer genommen.

Nebst Lepsius Berichten waren die Anfang der zwanziger Jahre vom armenischen Journalisten Aram Andonian herausgegebenen „Andonian-Telegramme“ lange Zeit der einzige direkte Beleg für die Vernichtungsabsichten der jungtürkischen Führungen und wohl nicht zuletzt aus diesem Grund ein beliebtes Ziel der türkischen Apologeten. Aram Andonian war einer der 600 Intellektuellen, die am 24. und 25. April 1915 in Konstantinopel verhaftet und ins Landesinnere deportiert worden waren. Auf seiner abenteuerlichen Flucht befreundete er sich mit dem korrupten Direktor der Deportationsstelle Naim Sefa, der für größere Bestechungsgelder, Armenier aus dem Land schaffte und unter anderem auch Andonian rettete. Naim hatte angeblich die Order gehabt, nach dem Fall des Regimes die Unterlagen zu vernichten, welche die Deportationen betrafen. Er zog es stattdessen vor, die abgeschriebenen oder entwendeten Dokumente gewinnbringend zu verschachern. Als sich die beiden im Oktober 1918 wieder trafen, entschloss sich Andonian nach einer eingehenden Prüfung, die ihm angebotenen Unterlagen zu publizieren und kaufte sie dem Türken ab.

Diese Quellensammlung erschien schon bald darauf in drei Sprachen: englisch, französisch und armenisch. Vor allem die englische Übersetzung steht im Ruf, sehr ungenau zu sein. Doch bereits im armenischen Original soll es beträchtliche Ungenauigkeiten bei der Datierung der Dokumente geben. Der Grund hierfür liegt bei der komplizierten Umrechnung vom so genannten RumiKalender in den im Westen üblichen Gregorianischen Kalender. So kommt es, dass in der Dokumentensammlung beispielsweise ein Telegramm vom 17. Dezember 1915 Bezug auf ein Schreiben vom 12. Dezember 1916 Bezug nimmt. Teilweise fehlt die Datierung auch gänzlich. Aus diesem Grund wurde die Authentizität der Dokumente insbesondere von der „Türkischen Historischen Gesellschaft" in Ankara immer wieder angezweifelt. Aus diesem Umfeld stammen auch die beiden türkischen Wissenschaftler Sinasi Orel und Süreyya Yuca, die 1983 den Versuch unternahmen, Andonian wissenschaftlich fundiert der Fälschung zu überführen. Der Österreicher Erich Feigl, welcher die Argumente in gekürzter Form und deutscher Sprache in seinem Buch aufnahm, wurde durch das Resultat der beiden Männer zum Schluss ermuntert: „Die einfachste, absolut unwiderlegbare Methode, die Papiere des Aram Andonian als Fälschungen auszuweisen, ist seine irrtümliche Verwendung der Kalenderangaben." Allerdings sollen sich gemäß einer Untersuchung des armenischen Wissenschaftlers Dadrian die beiden türkischen Datumsforscher selber in der Umrechnung geirrt haben. Die Datumsunstimmigkeiten der Dokumente von Andonian bestritt auch Dadrian nicht, führte sie jedoch nicht auf eine schlechte Fälschung zurück, sondern auf offensichtliche journalistische Schlampigkeiten. Diese These belegte er mit Hilfe anderer Dokumente.

Nebst diesen beiden Dokumentensammlungen, die vor allem die Diplomatie beleuchten, existieren eine Menge an publizierten Augenzeugenberichten. Vielfach stammen sie von Menschen, die nicht direkt in die Ereignisse involviert waren und denen daher keinerlei Motivation zur Parteilichkeit zu Gunsten der Armenier vorgeworfen oder unterstellt werden kann. Hier sind zum einen die Berichte von deutschen Militärberatern zu nennen, die den Völkermord ihres Bündnispartners hautnah miterlebt haben; zum anderen die verschiedenen Missionare und „Entwicklungshelfer“, die versuchten, das Leid im osmanischen Hinterland wenigstens einigermaßen zu lindern. Diese Berichte waren alle schon kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges den Forschern zugänglich. Sie unterstützen im Wesentlichen das Bild, welches die beiden oben erwähnten Dokumentensammlungen zeichnen.

Gleichzeitig ist jedoch auch der Grundstein für eine so genannte „türkische Sicht der Dinge“ gelegt worden, wie die türkische Apologetik sich selbst nennt. So erschien bereits 1917 in Istanbul ein Weißbuch der Regierung mit dem Titel „Aspirations et Agissements révolutionnaires des Comités Arméniens avant et après la proclamation de la constitution Ottomane“. Wie der Titel des Werkes schon nahe legt, geht es in dieser Chronik um die Verschwörungen, welche die Armenier als Agenten des Russischen Reiches gegen die Osmanen gehegt haben sollen. Dieses Buch kann als erster gezielter Wurf einer Sichtweise gelten, welche Kieser als „die Mär vom armenischen Dolchstoss“ bezeichnet. Denn durch die Stilisierung der armenischen Widerstandsbewegungen und ihren teilweisen Sezessionsbestrebungen lassen sich die Deportationen als bedauerliche Maßnahmen darstellen, die aus militärstrategischen Gründen notwendig wurden. In der Folge muss jedoch bei dieser Form der Geschichtsschreibung auch unterschlagen werden, dass die Aufstände Reaktionen auf die bevorstehende Vertreibung waren und nicht umgekehrt. Seither erscheint das Argument des Verrats am eigenen Land über die Jahre nahezu unverändert in vielen Publikationen von türkischen Autoren. So zum Beispiel im 1000-seitigen Wälzer von Esat Uras, der seit seinem Erscheinen Mitte der 60er Jahren mehrere Auflagen erlebte, oder in der Kampfansage an den „Mythos der Unschuld“ vom türkischen Diplomaten Kamuran Gürün Mitte der 80er Jahre.  Doch auch noch heute steht auf der Website der türkischen Botschaft in Berlin: „Infolge des Krieges und der armenischen Aufstände brach 1915 in vielen Provinzen Ostanatoliens die Ordnung zusammen“.

An der gleichen Stelle wird auch das so genannte Blaubuch erwähnt, das 1916 von Viscount Bryce und Arnold Toynbee geschrieben worden war und vor kurzer Zeit frisch aufgelegt wurde. In der Darstellung der Botschaftswebsite, die auf Notizen zu einer Vorlesung von US-Professor Justin McCarthy im Januar 2001 beruht, wird dieses Buch als „das zentrale Dokument, das von den armenischen Lobbyisten heute gegen die Türkei verwendet wird“ bezeichnet. Das Buch stamme jedoch aus dem „Wellington House“, welches während des Ersten Weltkrieges offiziell als "Kriegs-Propaganda-Büro" (War Propaganda Bureau) bekannt gewesen sei. Vor kurzem ist eine neue Auflage des "Blauen Buches" mit einem Vorwort von Ara Sarafian herausgegeben worden. Aufgrund dieser Publikation kommt der Text der Botschaftswebsite zum etwas narzistisch anmutenden Schluss: „In der Tat arbeitet die britische Kriegspropaganda aus dem Ersten Weltkrieg immer noch gegen die Türkei und ihre Menschen“.

Wenngleich nicht als historische Quelle gedacht, wird auch der Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ vom österreichischen Autoren Franz Werfel aufs Heftigste attackiert. Werfel war bei Reisen, die er in den zwanziger Jahren nach Palästina unternommen hatte, auf zahlreiche verarmte armenische Waisen gestoßen. Der Schock des Gesehenen habe, so legt es zumindest die Einleitung des Romans nahe, in ihm den Wunsch keimen lassen, „das Verbrechen dieses Genozids in Form eines großen Romans ins dauernde Bewusstsein der Europäer zu bringen“. Dass er dabei mit seiner Erzählung über die gelungene Rettung von mehreren Tausend Widerständlern ein ausgesprochen untypisches Ereignis wählte, darf wohl auf das dramaturgische Gespür des Autors zurückgeführt werden. Der Roman erschien im November 1933. Wohl nicht nur, weil Werfel früher Jude gewesen war, wurde die Erzählung über den heroischen Widerstand schon zwei Monate nach seinem Erscheinen in Nazideutschland verboten und sogar öffentlich verbrannt. Der Erfolg blieb dennoch nicht aus. So soll Werfels Buch zusammen mit Tolstois „Krieg und Frieden“ zu den meistgelesenen Werken in den osteuropäischen Ghettos gezählt haben. Aber auch in der Schweiz und in Österreich wurde der Roman häufig gelesen. Die englischsprachige Ausgabe regte sogar im gleichen Jahr das MGM-Studio in Hollywood dazu an, den Stoff zu verfilmen. Dieses Vorhaben wurde jedoch nach einer diplomatischen Intervention der Türkei abgeblasen. 1939 machte der italienische Komponist Ludovico Rocca aus dem Stoff eine Oper. Kurzum: auch wenn Werfel zweifellos als Literat und nicht als Historiker zu gelten hat, ist doch zu betonen, dass es wohl seither keinem anderen Autor besser gelungen ist, den Genozid und seine geschichtlichen Zusammenhänge in den Köpfen der Menschen zu verankern. Das erklärt auch die Vehemenz mit welcher seine Authentizität bestritten wird – als habe ein Roman den Anspruch bis ins letzte Detail zu stimmen. Dennoch steht Werfels Erzählung in klarer Übereinstimmung zu den oben genannten Quellen, auf die er sich bei seiner Arbeit auch bezog. Ungeachtet dessen behauptet Feigl, der große Fürsprecher der türkischen Position im deutschsprachigen Europa: „Franz Werfels Roman beruht auf dem Wissenstand des Dichters, den er sich im Umgang mit armenischen Kontaktpersonen angeeignet hatte – gewiss nach bestem Wissen und Gewissen; als er merkte, dass er Fälschungen aufgesessen war, wagte er aus Furcht vor armenischen Racheakten nicht, die Wahrheit einzubekennen.“ Als Beleg dafür zitiert er aus dem Testament des zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Abraham Sou Sever (nach seiner Migration in die USA nahm der den Namen Albert J. Amateau an), der angibt, ein guter Freund Werfels gewesen zu sein: „Mein lieber, verstorbener Freund Franz Werfel, der das Buch ’Die vierzig Tage des Musa Dagh’ geschrieben hat, war niemals in jenem Gebiet gewesen, um über das nachzuforschen, worüber er geschrieben hatte. Er schrieb es so, wie es ihm seine armenischen Freunde in Wien erzählten. Vor seinem Tod sagte mir Werfel, dass er sich schäme und dass er es bereue, dieses Buch geschrieben zu haben, und wegen den vielen Unwahrheiten und Fälschungen, die ihm die Armenier angedreht hatten. Aber er wagte es nicht, öffentlich diese Tatsachen zu bekennen, aus Furcht, von den Daschnag-Terroristen umgebracht zu werden.“ Bedingt durch die Art dieser Quelle ist es schwierig, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, zumal dieses „Testament“ nicht publiziert worden ist. Gewiss ist jedoch, dass sein Verfasser kaum ein besonders enger Freund Werfels gewesen sein dürfte, sonst hätte er wissen müssen, dass der Autor mehrmals in den Nahen Osten gereist war.

Mit dem zweiten Weltkrieg ging die Bedeutung der Armenischen Frage unter. Lange Zeit wurden keine wichtigen Forschungsergebnisse mehr präsentiert. Der Genozid drohte in einen historischen Tiefschlaf zu versinken, zumal der Schrecken des Naziregimes die Untaten früherer Regime als zweitrangig erscheinen ließ und überdies die armenischen Opfer und ihre Nachkommen ihr eigenes zum großen Vergessen beitrugen, indem sie kaum etwas verlauten ließen. Tessa Hofmann schreibt dazu: „Gelähmt von den materiellen und seelischen Auswirkungen des Völkermordes, fiel es den Armeniern lange Zeit schwer, sich organisiert gegen diesen Propagandafeldzug zu wehren. [...] Die Überlebenden fühlten sich als verlassene Waisen, die in einer auf Gewalt und Unmoral begründeten Welt niemanden als sich selbst zu trauen wagten. Erst 50 Jahre nach dem Völkermord fanden die Nachfahren der vertriebenen Überlebenden die psychische Kraft, mit Massenkundgebungen, Petitionen und Protesten auf ihre Forderung nach internationaler Verurteilung der Türkei aufmerksam zu machen.“

Tatsächlich hat sich der eigentliche „Historikerstreit“ auch erst in dieser Zeit entwickelt. Vor allem US-amerikanische Historiker armenischer Herkunft begannen sich nun verstärkt um eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte und insbesondere der Vernichtung der osmanischen Armeniern zu bemühen. Angeführt wurde diese Bewegung von den beiden Historikern Richard G. Hovannisian und Vahakn N. Dadrian, die beide Lehrstühle an namhaften amerikanischen Universitäten innehaben. Von ihnen erschien seit den 70er Jahren eine ganze Reihe von Publikationen zum Thema. Seither versuchen türkische Historiker die Glaubwürdigkeit armenischstämmiger Autoren mit dem Hinweis auf ihre Befangenheit zu akkreditieren, übersehen aber dabei, dass sie als Türken derselben Problematik unterliegen. Das gilt selbstverständlich auch für die amerikanischen, von türkischen Regierungsgeldern finanzierten Turkologen wie Stanford Shaw, Justin McCarthy und Bernard Lewis.

Der Historikerstreit entzündete sich an verschiedenen Punkten. Wie oben bereits dargestellt, scheint es ein Kernanliegen der türkischen Historikerliga zu sein, die Glaubwürdigkeit armenischer Berichte zu diskreditieren. Viele Verfechter apologetischer Geschichts-schreibung schrecken auch nicht davor zurück, die Quellen, die ihren Auffassungen wider-sprechen, als reine Ausgeburten der Phantasie von Türkenhasser darzustellen. Gewiss: Quellenkritik gehört seit jeher zum Kerngeschäft jedes ernstzunehmenden Historikers. Doch selbst wenn gegen die eine oder andere Quelle zu Recht auf Fragwürdigkeiten hingewiesen würde, (was hier auch gar nicht vehement ausgeschlossen werden will), so weist doch die Radikalität in der Diskussion (so wird gerne auch dann von kleinen Fehlern darauf geschlossen, dass die ganze Quelle gefälscht sei, auch wenn dies die Schlusslogik eigentlich nicht zuließe) darauf hin, dass weniger eine wissenschaftliche Diskussion als eine totale Verweigerung angestrebt wird.

Dabei sind die Unterschiede in den Standpunkten geringer, als es auf den ersten Blick den Anschein macht. Die Deportationen resp. Umsiedlungen („relocations“ in der Sprache McCarthys) werden als solche durchaus zugegeben. Allerdings seien diese  „Umsiedlungen“ durch den Mangel an Loyalität strategisch erforderlich geworden und von den Armeniern selbst provoziert worden (ein Argument, das sich übrigens noch heute in etwas angepasster Form auch bei Holocaustleugnern findet). Um die Provokationsthese aufrechterhalten zu können, wird die Geschichte nicht selten ganz umgedreht. So ist beispielsweise eine Schautafel eines Museum in Van mit dem Titel versehen: „The excavation reports of Zeve village slaughtery.“ Der Text darunter berichtet von Massakern, welche Armenier an den Türken angerichtet haben sollen. Als Beleg für diese Behauptung sind ein paar Schädel mit Einschusslöchern ausgestellt. Daneben liegen einige Patronenhülsen russischer Bauart. Sie sollen, der Museumsdokumentation zufolge, in der Nähe der Leichen gefunden worden sein. Der Text kommt zum Schluss, dass offenbar Armenier, welche ja mit den Russen gemeinsame Sache gemacht und deswegen auch über russische Munition verfügt hätten, für die Toten verantwortlich seien. Bereits eine derartige „Beweisführung“ ist natürlich aus naheliegenden Gründen äußerst fraglich, umso mehr daraus auf ein allgemeines Fehlen der Loyalität zu schließen, welches Deportationen rechtfertigen soll. Doch genau das tut dieser Text.

Andere Autoren wollen sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Sie vermeiden die Provokationsthese und bevorzugen es, eher von gegenseitigen Massakern zu sprechen. Einer von ihnen ist zum Beispiel der sonst eher armenierfreundliche Christopher Walker. Im Hinblick auf den Kaukasusfeldzug spricht er von: „Atrocity and counter-atrocity by Turks and Armenians.“ Offensichtlich bemühte er sich um eine „gerechte Darstellung“ der Ereignisse, indem er die Gräueltaten der einen Seite der anderen gegenüberstellte. Bei einem solchen Vergleich, der sicherlich legitim ist, darf jedoch der unterschiedliche Charakter der Bluttaten nicht übersehen werden: während von der CUP eine systematische Vernichtungsaktion geplant und durchgeführt wurde, handelte es sich bei den Armeniern um spontane Vergeltungsaktionen, bei denen überdies, wie Elvira Kiendl bemerkt, „lediglich im Jahr 1917, nach dem Vormarsch der russischen Truppen im Norden des Osmanischen Reichs, einige türkische Dörfer von Armeniern zerstört und deren Bewohner getötet“ worden seien. Das heißt, es handelt sich hierbei sowohl in der Größenordnung wie auch in ihrer juristischen Beurteilung um klar unterscheidbare Handlungskategorien.

Ein weiterer Punkt der von vielen Leugnern angeführt wird, ist die Bemerkung, dass zu keiner Zeit eine „Ausrottung“ geplant gewesen sei. Dafür spreche, dass Armenier in gewissen Städten (vor allem in solchen, in denen sich eine besonders hohe Zahl von ausländischen Zeugen befand) weitgehend verschont blieben. So zum Beispiel in Istanbul. Die bedauernswerten Opfer seien, genauso wie in größerer Zahl auch die Türken, vor allem durch kriegsbedingte Ursachen umgekommen. Gürun geht sogar soweit zu behaupten, dass die Armenier auch gestorben wären, wenn es keine Deportationen gegeben hätte: „Various deaths occured for various reasons during the relocations. Some of the deaths were due to epidemics, some were due to climatic factors, some were due to the hardships suffered during the journey, some were due to attacks, because officials did not protect them or because some officials engaged in illegal acts [...] Many others died while fighting against the Turks in the Russian army which they joined as volunteers. Who are the ones who can be pointed as ‘murdered’ in these deaths? Certainly not the ones who were killed while fighting, not those who died of epidemics of typhus, typhoid fever, cholera and variola, which were then widespread in Turkey, or of famine. It cannot be claimed that they would not have died if they had stayed in their homes, because the epidemics spread to the areas of their residence and took hundreds of lives…” In dieser kurzen Textstelle des früheren türkischen Diplomaten finden sich nicht ohne Sarkasmus fast alle Argumente, welche gegen eine Anwendung des Begriffes Völkermords auf die Ereignisse von 1915 sprechen sollen. Der wichtigste Punkt dürfte hier wohl sein, dass die Armenier angeblich bei ihrem „Wohnsitzwechsel“ vom türkischen Militär geschützt worden seien, was nahezu allen Augenzeugenberichten widerspricht. Diese Bemerkung zielt offensichtlich darauf ab, die zentrale Planung des Verbrechens zu verschleiern. Damit einher geht selbstverständlich eine Verschleierung der tatsächlichen Todesfälle. Solche extremen Leugnungspositionen sind jedoch im deutschsprachigen Raum insgesamt in der Minderheit und scheinen angesichts der Forschungsexplosion der letzten Jahre allgemein rückläufig.

Erfreulich ist insbesondere die Einarbeitung der neuen Erkenntnisse auch bei Turkologen, denn immerhin waren die „Bürgerkriegsthese“ oder aber „das völlige Schweigen zur Sache [...] bis heute auch im Westen die unterschwellige conditio sine qua non für einen Orientalistik- oder Turkologielehrstuhl gewesen. Die als Islamwissenschaften, Osmanistik und Turkologie institutionalisierte internationale universitäre Türkeigeschichtsforschung hat jahrzehntelang nicht allein zum bedrängenden Thema der Pogrome und des Genozids, sondern auch zu den damit zusammenhängenden Langzeitschäden im östlichen Kleinasien, und somit zur kurdischen Frage, geschwiegen. Das Unbehagen darüber wurde erst kürzlich auch bei Turkologen laut.“ Als Beispiel dafür darf das letztes Jahr erschienene Reclambuch dienen, in dem steht: „Das ‚Gesetz über Bevölkerungsumsiedlung’ erlaubte die kollektive Deportation der Nichtmuslime aus den frontnahen Gebieten im Osten. Das Verschickungsziel was anfangs unklar, später wurden die Flüchtlingskarawanen in die Städte des nördlichen Syriens gelenkt. Sehr schnell wurde deutlich, dass nicht nur Armenier des Ostens vertrieben werden sollten, sondern die (mit wenigen Ausnahmen) gesamte armenische Zivilbevölkerung Anatoliens.“

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Nebst einer Opposition von türkischer und türkischfreundlicher Seite, hat sich parallel noch ein zweiter Historikerstreit entwickelt, der wohl auf lange Zeit für die Frage der Aner-kennung als Genozid genauso schwerwiegend sein dürfte. Sinnbild dafür ist der so genannte „deutsche Historikerstreit.“ Aus dem unbefriedigenden Gefühl heraus, dass die deutsche Geschichte hauptsächlich von den Siegern geschrieben und zu einem „negativen Mythos“ gemacht worden sei, schlug der deutsche Historiker Ernst Nolte in zwei Artikeln, die 1980 und 1986 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erschienen, eine Revision der Geschichtsbilder vor. Sein zentrales Anliegen war es, die Geschichte des Holocausts in einen historischen Rahmen zu setzen. Dabei sah er die Vernichtung der Juden, zwar durchaus als ein Verbrechen großen Ausmaßes, gleichwohl aber wollte er es als eine Antwort auf andere historische Ereignisse – vor allem Massenmorde während und nach der Russischen Revolution – verstanden haben. Diese „Historisierung“ kulminierte in der provokativen Frage Noltes: „Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ‚asiatische’ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ‚asiatischen’ Tat betrachteten? War nicht der ‚Archipel GULag’ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‚Klassenmord’ der Bolschiwiki das logische und faktische Prius des ‚Rassenmordes der Nationalsozialisten’? [...] Rührte Auschwitz vielleicht in seinen Ursprüngen aus einer Vergangenheit her, die nicht vergehen wollte?“ Dabei stieß weniger der offensichtlich rassistische Terminus „asiatische Tat“ sauer auf, als vielmehr die Historisierung, die, wie Jürgen Habermas in einer Antwort auf den Artikel schrieb, dazu führe, dass die Judenvernichtung in diesem Kontext des Schreckens nur noch als das bedauerliche Ergebnis einer immerhin verständlichen Reaktion auf das gesehen werde, was Hitler als Vernichtungsdrohung empfinde müsse und somit die verbrecherische Behandlung der Juden im Dritten Reich relativiert und verharmlost würde.

In der Folge entwickelte sich vor allem in den beiden namhaften deutschen Zeitungen „die Zeit” und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung” eine heftige Polemik die unter dem Namen „Deutscher Historikerstreit“ auch in ausländischen Medien große Beachtung fand. Die Positionen der über zwei Dutzend Wissenschaftler, die sich alleine im deutschsprachigen Raum zum Thema äußerten, konnten kontroverser nicht sein. Der zentrale Gegenstand des Streites bildete die Frage nach der Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Juden-vernichtung. Die Debatte kann und muss hier natürlich nicht in allen Einzelheiten aufgerollt werden. Für dieses Thema ist jedoch ein Beitrag von einem weniger prominenten Wissenschaftler von Interesse: in der Absicht die Dinge zu klären, griff Eberhard Jäckel mit einem Artikel ein, der den Untertitel trug: „Das Einmalige der nationalsozialistischen Verbrechen lässt sich nicht leugnen“. Dort behauptete er, „dass der nationalsozialistische Mord an den Juden deswegen einzigartig war, weil noch nie zuvor ein Staat mit der Autorität seines verantwortlichen Führers beschlossen hatte, eine bestimmte Menschengruppe einschließlich der Alten, der Frauen, der Kinder und der Säuglinge möglichst restlos zu töten und diesen Beschluss mit allem nur möglichen staatlichen Machtmitteln in die Tat umsetzte.“ Um diese Einzigartigkeit zu belegen, endetet Jäckel: „Auch die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges waren, nach allem, was wir wissen, eher von Morden begleitete Deportationen als geplanter Völkermord.“ Es ist schwer zu beurteilen, ob Jäckel zu dieser Einschätzung der Massaker an den Armeniern gekommen ist, weil er die Fakten nicht besser kannte, oder weil er an der Einzigartigkeit des Holocausts festhalten wollte. Klar ist aber, dass hier ein ursprünglicher Zusammenhang besteht zwischen der These von der Singularität resp. der Unvergleichbarkeit des Holocausts einerseits und der Leugnung des Genozids an den Armeniern anderseits. Denn solange Einzigartigkeit nicht als Einzigartigkeit eines jeden historischen Ereignisses betrachtet wird, (was jedoch einer Banalisierung des Singularitätsbegriffes gleichkommt, da jedes historische Ereignis in seiner Zeit geschieht und sich in derselben Weise nicht wiederholt), kann sie kein zweites Ereignis als Völkermord dulden. Der prominenteste und wohl auch radikalste Fürsprecher dieser Sicht-weise ist der amerikanische Historiker Steven Katz, der keinen weiteren Völkermord den Schrecken der Shoah schmälern sehen will. Um dies zu erreichen, fasst er den Begriff Genozid in einer eigenwilligen Definition derart eng, dass schon fast fraglich wird, ob selbst die Judenvernichtung noch unter sein Genozidverständnis fallen darf. Ent-sprechend nimmt sich Katz gar nicht die Mühe, die „armenische Tragödie“ genauer zu untersuchen, sondern geht, wie um sicherzustellen, dass die Massentötungen im Osmanischen Reich auch wirklich nicht unter Genozidverdacht kommen, nur auf eine Diskussion der Zahlen der Todesopfer ein. Aufgrund von beschönigenden Zahlen kommt er auf eine Sterblichkeitsrate von 32 bis 53,2 Prozent. Diese Zahl, so Katz, liege weit unter der Todesrate bei der Zerstörung des europäischen Judentums, welche er mit 65 Prozent angibt. Es ist allerdings höchst fragwürdig, ob solche Zahlenspielereien, zumal die Grunddaten keinesfalls genau erhoben werden können, wissenschaftliche Erkenntnis generieren können. Zudem müssten die Zahlen in ihren historischen Kontext gebetet werden. Darüber hinaus muss genau reflektiert werden, welche Zahlen miteinander verglichen werden dürfen. Das tut Katz jedoch nicht.

Daniel Goldhagen verteidigt die Einzigartigkeit des Holocausts, indem er auf einen qualitativen und nicht bloß einen quantitativen Unterschied hinweist und dabei die Armeniergräuel relativiert.  In seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“, in dem er den Deutschen einen latenten, bis ins Mittelalter zurückreichenden Antisemitismus vorwirft, begründet er seine Annahme der Einzigartigkeit damit, dass die Nazis auch Juden verfolgten, die sich selbst nicht als Juden verstanden: „Auch der allerletzte Jude, jedes jüdische Kind sollte sterben und genau das macht das deutsche Vernichtungsprogramm so unvergleichlich.“ Die Türken hingegen ließen „viele armenische Kinder am Leben wenn sie jung genug waren, ihre Herkunft zu vergessen, und man sie ohne Risiko als Türken und Muslime aufziehen konnte. Die Türken verschonten gelegentlich auch armenische Frauen, die bereit waren, sich zum Islam zu bekennen.“ Goldhagen verwendet im Bezug auf die Armenier zwar den Begriff „Völkermord“, der Holocaust ist für ihn aber dennoch ein „Ereignis sui generis.“ Das Hauptziel seiner Argumentation kann dahingehend beschrieben werden, andere Massenmorde neben dem Holocaust als unbedeutend darzustellen. David Stannard hat einem Aufsatz zum Thema sogar den Titel „Uniqueness as Denial“ gegeben.

Die Singularitätsthese im Zusammenhang mit der Leugnung anderer Völkermorde hat von verschiedenen Seiten heftige Reaktionen hervorgerufen. Nur so lässt sich das Buch eines Finkelsteines verstehen, welcher jenen amerikanischen Historikern das Mitwirken an einer regelrechten „Holocaust-Industrie“ vorwirft. Ein Vorwurf, der durch die jahrzehntelange passive Leugnung Israels seit 1948 und durch die neuerdings auch aktive Leugnung, welche, so Kieser, „vor allem mit Interessenpolitik, mit der Absorbiertheit durch die eigene Leidensgeschichte und mit Bündnispolitik im Nahen Osten zu tun“ hat, nicht gerade entkräftigt wird. Dies ist deswegen von erschreckender Bedeutung, weil europäische Juden genauso Opfer eines großen und grausamen Vernichtungsplanes geworden waren wie Armenier fast drei Jahrzehnte zuvor. Eine Solidarisierung der Opfer wäre das, was man auf den ersten Blick erwarten würde.

Dass die Annahme einer Singularität allerdings nicht unbedingt in Relativierung ausarten muss, zeigt beispielsweise Yehuda Bauer. Er sieht durchaus die Möglichkeit, den Begriff Genozid für unterschiedliche Massenmorde zu verwenden, die Judenvernichtung sei jedoch als „ideologically motivated planned total murder of a whole people“ eine extreme Form von Völkermord, welche es daher verdiene, eine eigene Bezeichnung zu erhalten: Holocaust.

Ins gleiche Horn stößt der Wahlfranzose Alfred Grosser. Obwohl er die Annahme einer „Unvergleichbarkeit“ aus semantischen Gründen ablehnt, kommt auch für ihn der Shoah eine „radikale Andersheit“ zu. Indes scheut er sich nicht in Bezug auf die Armenier von einem Genozid zu sprechen; wirft aber dabei den armenischen Autoren vor, dass sie leicht der Verharmlosung des Holocausts unterliegen: „Enthält der Titel oder der Untertitel eines Werkes über das Massaker an den Armeniern das Wort „Völkermord“, dann will der Verfasser oder der Herausgeber gleich zu Anfang seine Einschätzung des Verbrechens kundtun und deutlich machen, dass Auschwitz keine radikale Besonderheit beanspruchen kann.“

Was Grosser hier überspitzt formuliert hat, trifft indes den problematischen Punkt jeglichen Vergleichens. Denn wie sich oben gezeigt hat, liegt im Vergleich stets die Gefahr seiner Instrumentalisierung. So kann der Vergleich zwischen Shoah und Völkermord an den Armeniern sowohl dazu dienen, Ersteren zu bagatellisieren wie auch Letzteren schlicht zu leugnen. Beides kann nicht im Sinne einer ernst gemeinten wissenschaftlichen Betrachtung liegen. Daher bemühen sich auch zunehmend Studien, die sich einem Vergleich von Genoziden verschrieben haben, auf diese Gefahr hinzuweisen. So schreiben beispielsweise Dominik Schaller und Hans-Lukas Kieser in ihrem Werk „Der Völkermord an den Armeniern und die Shoah“, das klar einem vergleichenden Ansatz verschrieben ist, bereits in der Einleitung, dass der Vergleich keinesfalls mit dem Gleichsetzen verwechselt werden dürfe, denn im Gegensatz zum Gleichsetzen gehe es beim Vergleich darum, „Ähnlichkeiten und Unterschiede zweier oder mehrerer historischer Phänomene aufzuzeigen.“ Trotz der erwähnten Schwierigkeiten geht in den letzten Jahren der Trend in der Geschichts-wissenschaft durchaus in Richtung vergleichende Genozidforschung. Die meisten Standardwerke der vergleichenden Genozidforschung sind, mit Ausnahme von Leo Kuper, der als Vorreiter gelten kann, kaum älter als zehn Jahre. Dies legt zumindest eine Studie zum Thema von Gavriel D. Rosenfeld nahe und wird auch von einer erdrückenden Menge an Publikationen mit vergleichendem Ansatz untermauert.

Da vergleichende Genozidforschung jedoch noch immer mit dem Vorwurf konfrontiert ist, den Holocaust relativieren zu wollen, hat dieser verhältnismäßig neue Forschungszweig insbesondere in Deutschland noch einen schweren Stand. Das mag auch daran liegen, dass die vergleichende Genozidforschung in Deutschland als wissenschaftliche Disziplin überhaupt erst 1994, mit der Gründung des Bochumer Instituts durch Mihran Dabag geschaffen wurde.

Will man einen Gesamtüberblick über die Entwicklung und die Tendenzen in den beiden Historikerdebatten wagen, kommt man zu zweierlei Ergebnissen: Wie im vorausgegangen Kapitel ersichtlich, hat sich einerseits der „turko-armenische“ Historikerstreit in den letzten Jahren dank verstärkter Forschungsarbeit zuungunsten einer türkischen Geschichts-schreibung entwickelt, insbesondere die leugnende Geschichtsschreibung, die in den Orientwissenschaften vorherrschte, scheint zu bröckeln. Auch hier lässt sich der Wandel, (zumindest im deutschsprachigen Raum) ebenfalls etwa während den letzten zehn Jahren verorten. Wolfgang Gusts Werk, das wohl als eines der ersten fundierten deutschsprachigen Untersuchungen gelten darf, die explizit den Genozid und eine Richtigstellung der türkischen Darstellung zum Inhalt hat, stammt aus dem Jahre 1993. Andererseits hat sich in der gleichen Zeit eine vergleichende Genozidforschung entwickelt. Eine Zeitspanne, die in etwa den gesamten politischen Kampf in der Schweiz umfasst. Dieser doppelte Geschichtsbildwandel schlägt sich auch in den Medien nieder und muss als Bedingung dafür erachtet werden, dass sich Zeitungen immer klarer auszudrücken begannen. Besonders prägend dürfte in diesem Zusammenhang ein mehrseitiger Bericht in der NZZ gewesen sein, wo das gesamte Forschungsdesideratum zusammengefasst präsentiert wurde.

 

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