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"Für moralischen Terror gibt es keine mildernden Umstände" - Prof. Flaig im Interview PDF Drucken E-Mail
Freitag, 04 Januar 2008
egon-flaigIm Oktober 2007 veröffentliche Professor Egon Flaig von der Universität Greifswald im „Merkur“ einen Aufsatz mit dem Titel „Zur Unvergleichlichkeit, hier wird’s Ereignis. Reflexion über die moralisch erzwungene Verdummung“. Der Artikel zog umgehend Zustimmung aus dem rechtsextremistischen Lager auf sich. Wir berichteten hierüber am 20. Dezember 2007. Die Ostsee-Zeitung titelte am gleichen Tag „Tappte Professor in Nazi-Fettnapf?“. ENDSTATION RECHTS. sprach exklusiv mit Prof. Flaig über die Hintergründe zu seinem Artikel.

Herr Prof. Flaig, Ihr Artikel „Zur Unvergleichlichkeit“ wird auf Internetseiten mit eindeutig rechtsextremistischem Hintergrund teilweise regelrecht gefeiert. War Ihnen dies bekannt?


Prof. Flaig: Nein. Erst Ihre Hinweise haben mich darauf aufmerksam gemacht.

Beunruhigt Sie die Tatsache, dass sie Zustimmung von rechtsextremistischer Seite erhalten?


Prof. Flaig: Nein. Auch Linksextremisten fänden in dem Artikel zustimmungsfähige Elemente, sogar Islamisten täten das, wollten sie bloß. Warum? Weil die meisten vernünftigen Aussagen zustimmungsfähig sind für eine breite Skala politischer Strömungen. Es ist völlig unmöglich, die Zustimmung zu irgendeiner Äußerung zu irgendeinem Thema auf diejenige Schnittmenge von Gruppen oder Personen zu begrenzen, die dem Sprecher oder Schreiber genehm sind. Wollte man das vermeiden, müsste man aufhören öffentlich zu sprechen oder zu schreiben.

Wie würden Sie die Kernthesen Ihres Beitrages kurz zusammenfassen?

Prof. Flaig: Im Kern geht es um drei Dinge: 1. dass es nichts ‚Unvergleichliches’ gibt, weder im erhabenen Bereich noch im banalen und der Begriff der ‚Unvergleichlichkeit’ folglich aus jedem rationalen Diskurs zu entfernen ist; 2. dass jeder Vergleich im logischen und wissenschaftlichen Denken erlaubt ist, und zwar jeder überhaupt, ohne irgendeine Ausnahme; und 3. dass auch der Begriff der ‚Singularität’ sowie der ‚Einzigartigkeit’ keinesfalls irgendwelchen Phänomenen auf der logischen Ebene einen außerordentlichen Status verschaffen, weil es eben überhaupt nichts gibt und geben kann, was nicht singulär wäre. Das alles gilt auch und gerade für die Debatte um die Schoah.

Ihr Artikel ist in der Kulturzeitschrift „Merkur“ erschienen, also nicht gerade in einer Tageszeitung. Was wollten Sie mit der Veröffentlichung erreichen?

Prof. Flaig: Ich möchte erreichen, dass Intellektuelle oder Wissenschaftler, die in fachlichen oder öffentlichen Konferenzen drangsaliert werden mit der Behauptung, dies oder das – nicht immer ist es die Schoah – sei ‚unvergleichlich’, in ein schallendes Gelächter ausbrechen. Ein herzhaftes Lachen beschädigt eine Diktatur oder einen tyrannischen Diskurs weit mehr als hundert beschwörende Pamphlete.

Gehen Sie dann aber nicht einer Differenz zwischen wissenschaftlicher und alltagssprachlicher Verwendung des Wortes „Vergleich“ auf den Leim? Ihre Argumentation richtet sich offensichtlich gegen Äußerungen wie „Man kann Auschwitz nicht mit dem Gulag vergleichen.“ Ist es aber nicht so, dass alltagssprachlich in solchen Aussagen zwar „vergleichen“ gesagt wird, aber doch eigentlich „gleichsetzen“ gemeint ist - und zwar in partieller Form? Wenn man diesen Unterschied in der Sprachverwendung in Rechnung stellt, fallen dann Ihre Angriffe nicht etwas zu hart aus?

Prof. Flaig:
Der entscheidende Punkt! Auf den Leim geht, wer zwei unterschiedliche Sachverhalte in einen Begriff packt, nicht wer die verschiedenen Bedeutungen auf zwei distinkte Begriffe verteilt. Vergleichen ist eben nicht Gleichsetzen. Es mag sein, dass in der Alltagssprache nicht sauber zwischen Gleichsetzen und Vergleichen unterschieden wird. Aber in der Wissenschaft muss man das verlangen können; und ich richte mich an eine Leserschaft, für die das selbstverständlich ist. Wer mich missversteht – Sie gehören nicht dazu, denn Sie haben meinen Aufsatz korrekt resümiert – ist entweder der deutschen Sprache nicht mächtig, oder geistig nicht in der Lage, einer theoretischen Überlegung zu folgen. Der Anstand verlangt, dass so jemand seinen Mund hält.

Sie sprechen mehrfach von „moralischem Terror“. Was genau verstehen Sie darunter, wo begegnet er Ihnen und von wem wird er gegen wen ausgeübt?

Prof. Flaig: Es geht hierbei schon längst nicht mehr um die Schoah, sondern um die Unkultur der ‚politischen Korrektheit’. Was die Verkultung der Schoah zu einem quasi-religiösen Phänomen paradigmatisch vormachte – Sprachregelungen und Sprechverbote durchsetzen, indem man auf die Opfer pocht –, war leicht zu kopieren. Andere haben schnell gelernt, die Opferrolle zu spielen, um ebenfalls Ansprüche zu stellen und Sprechverbote zu verhängen. Werden diese übergangen, kommt das berühmte ‚Beleidigtsein’ und der Aufschrei. Damit ist alles erlaubt. Statt der Argumente kommt das Verfemen zum Einsatz sowie die institutionellen oder sozialen Machtmittel. So wird das soziale Mobbing in großem Stil zu einem alltäglichen Kampfmittel. Da die Wahrheit und die demokratischen Regeln für diese geistige Haltung überhaupt keine Verbindlichkeit haben, droht eine Spirale der Gewalt: erst der Aufschrei, dann der Messerstich, dann das Bombenlegen. Der Karikaturenstreit hat illustriert, wie Millionen Fanatisierte sich zu ‚Beleidigten’ erklären und dann zu Brand und Mord schreiten. Ferner zerstört diese Unkultur den Glauben an das zwingende Argument und an die universale Verbindlichkeit von Wahrheitsansprüchen. An dieser Stelle bin ich existentiell herausgefordert, nicht nur als Vernunftwesen Mensch, sondern vor allem in meiner Funktion als Wissenschaftler, für dessen Besoldung diese Gesellschaft Steuern zahlt. Ich muss mich dem entgegenstellen.

Neben Ihrer These zur Vergleichbarkeit widmen Sie sich auch dem Problem der Singularität. Sie verweisen darauf, dass in einem ganz präzisen Sinne jedes historische Ereignis einzigartig ist und schreiben: „Wer wird bestreiten, daß das Warschauer Ghetto »singulär« war? Aber jede einzelne Krankheit meines Großvaters war es ebenso. Sogar der Rotz in meinem Taschentuch ist singulär...“ Könnte es nicht genau diese Wortwahl sein, die bei Rechtsextremisten unbeabsichtigt zum Jubel führt?

Prof. Flaig: Hier haben Sie falsch gelesen. Ich stelle die Nasenexkremente nirgendwo in einen ‚Zusammenhang’ mit den Opfern des Warschauer Ghettos. Wird dieser Zusammenhang hergestellt, dann ist das eine schöpferische Leistung des Rezipienten; dieser schafft etwas Neues, was der Text mitnichten bietet...

Gut, dann präziser: Sie nennen Ihre „Nasenexkremente“ in einer Aufzählungsreihe gemeinsam mit dem Warschauer Ghetto.

Prof. Flaig: ...Ob diese Wortwahl die Zustimmung der falschen Seite ausgelöst hat? Das kann ich nicht wissen. Es ist auch gleichgültig. Dass die falsche Seite zustimmt, riskiert jeder Wissenschaftler, der öffentlich das Wort ergreift. Jedweder Idiot – ob journalistisch oder nicht-journalistisch - macht eben aus der Äußerung, was ihm beliebt. Aber Sie werden mir gewiss nicht zumuten, in Zukunft jedem Kurzartikel den Untertitel zuzufügen „Wer des Lesens eines diskussiven Textes deutscher Sprache nicht fähig ist, lasse die Finger von diesem Text!“

Neben dem „Rotz“ sprechen Sie im Zusammenhang mit der Schoah auch vom „Schleim in meinem Halse“. Können Sie sich nicht vorstellen, dass dies Überlebende des Holocaust kränkt – zumal wenn sich ein Geschichtsprofessor auf diese Weise öffentlich äußert?

Prof. Flaig:
Vorstellen kann ich mir das schon. Aber kein Überlebender kann mich dazu nötigen, die Wahrheit nicht zu sagen. Der Überlebende hat Anspruch auf meine Achtung: niemals werde ich sein Leiden leugnen, schneller als viele andere werde ich vor ihm aufstehen und ihm meinen Sitz anbieten. Aber er hat kein Recht, mir etwas zu unterstellen, was ich nicht geschrieben habe. Und kein Überlebender hat das Recht, mit dem Hinweis auf ‚Beleidigtsein’ mir meine Gedanken, mündlich oder schriftlich geäußert, zu verbieten.

Für Ihre Ausdrucksweise sehe ich eigentlich nur zwei Begründungsmöglichkeiten: Entweder Sie wollten die Öffentlichkeit bewusst provozieren. Oder es geht Ihnen als deutscher Professor um wissenschaftliche Argumentationskraft. Aber wenn Letzteres der Fall ist, welchen wissenschaftlichen Nährwert hat dann Ihr „Rotz“? Hätte es nicht völlig gereicht zu schreiben: „Wer wird bestreiten, daß das Warschauer Ghetto »singulär« war? Jedes historische Ereignis wird sich nie wieder in dieser Form wiederholen (können) und ist daher in einem präzisen Sinne singulär.“?

Prof. Flaig: Sie suggerieren mir: „Mit dem was Sie sagen, haben Sie Recht; aber Sie dürfen es nicht so sagen, wie sie es sagen.“ Oh doch, darf ich! Denn es geht mir um beide von Ihnen angesprochene Anliegen. Die Kraft des Argumentes steigt, wenn der Beleg eine höhere Evidenz hat. Das ist eine der traurigsten Tatsachen der wissenschaftlichen Welt; jeder logisch Argumentierende bekommt sie schmerzlich zu spüren, wenn die anderen ihm zunicken, aber seinen Gedankengang nicht übernehmen. Das tiefe Überzeugen ist ausgeblieben. Argumentieren in sozialen Kontexten hilft leider nicht, wenn das Logische nicht rhetorische Schützenhilfe erhält. Die Sache muss ‚einleuchten’. Ein Beispiel, das irritierend banal, ja vulgär ist, vermag den Knoten durchzuschlagen: und plötzlich ‚leuchtet’ das Argument ‚ein’. Provozieren? Gewiss. Aber nicht die ‚Öffentlichkeit’, sondern nur eine intellektuell interessierte und orientierte Zielgruppe, eine relativ elitäre ‚Öffentlichkeit’ mithin. Warum diese Leute provozieren? Weil der irritierte Leser zu entscheiden hat: Will er sich ‚angegriffen’ fühlen und mit Ärger und Ablehnung – vielleicht mit Hass und Gewalt antworten? Oder nimmt er die Irritation als Anreiz, Fragen zu stellen und zu reflektieren? Die Leser müssen entschei¬den; und die Geister scheiden sich. Eben das habe ich gewollt.

Verstehe ich Sie richtig, dass Sie aus der öffentlichen Diskussion um Ihren Aufsatz keine Schlussfolgerungen ziehen?

Prof. Flaig: Weshalb sollte ich mich von der Berichterstattung der OSTSEE-ZEITUNG beeindruckt zeigen, die mir einen sprachlichen Fehlgriff vorwirft und selbst zu einer Verleumdungskampagne gegen mich ausholt, von der selbst die BILD-Zeitung noch etwas lernen könnte?
Ich sehe wohl, dass die Medien ihren spezifischen Konkurrenzmechanismen unterworfen sind, dass Journalisten dringend Knüller brauchen – inmitten der langweiligen Verkehrsunfälle ihrer Region einerseits und anderseits der internationalen Politik, für die ihnen schon lange das Verständnis abgeht, weil sie dafür sich gründlich bilden und geduldig lesen müssten, wofür ihnen weder Zeit noch geistige Kraft bleibt. Besser also, Knüller zu finden: Wo ist ein Andersdenkender? Anlegen, zielen, abdrücken! Es ist zum Piepen! Ich sollte empört sein, vermag es jedoch leider nicht, weil mich immer wieder eine beinahe olympische Heiterkeit überfällt. Das ganze Szenario bietet Stoff für fünf aristophanische Komödien. Aber – auch wenn die Vernunft der Komödie höher steigt als die tragische Vernunft: moralischer Terror ist des trotzdem. Und dafür gibt es keine mildernden Umstände.
Meine Schlussfolgerung ist einfach: Verleumdet zu werden ist zwar ein Risiko, das der Andersdenkende einzugehen hat. Aber ‚Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden’; deshalb lohnt es, dieses Risiko einzugehen: um eine Handbreit geistiges Terrain zurück zu gewinnen – für die Freiheit zum Andersdenken.

Ich bin zwar versucht, hierauf noch einmal zu reagieren, aber es ist gute Sitte, seinem Gesprächspartner das letzte Wort zu lassen. Herr Prof. Flaig, herzlichen Dank für das Interview.

Das Interview für ENDSTATION RECHTS. führte Mathias Brodkorb.

Zur Diskussion


Die Flaig-Debatte in ganzer Pracht:

Zur Unvergleichlichkeit - Greifswalder Professor Flaig erhält Beifall von Rechtsextremisten

"Für moralischen Terror gibt es keine mildernden Umstände" - Prof. Flaig im Interview

„Der Revisionismus gehört zum Kernbestand der Aufklärung " - Gespräch mit Prof. Dr. Egon Flaig I

"Der Nationalsozialismus war eine Reaktion auf den Kulturrelativismus" - Gespräch mit Prof. Flaig II

"Multikulturalismus führt in den Bürgerkrieg" - Gespräch mit Prof. Flaig III

„Mit einer Zeitung am rechten Rand will ich nichts zu tun haben." - Gespräch mit Prof. Flaig IV




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