Carla del Ponte wird Schweizer Botschafterin in Argentinien.
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Acht Jahre lang hat Carla del Ponte gelauert wie eine Katze vor einem Mauseloch. "Einmal kommen sie heraus – und dann schlage ich zu", sagte die Schweizerin einst in einem Interview. Aber sie kamen nicht, Ratko Mladic und Radovan Karadzic. Die zwei letzten großen Namen auf del Pontes Liste sind immer noch auf der Flucht. Vor dem UN-Sicherheitsrat äußerte sich del Ponte kürzlich über diesen Misserfolg: "Es bleibt ein schwarzer Fleck in der Arbeit des UN-Tribunals, dass zwei Individuen, die wegen Völkermordes angeklagt und für die schlimmsten Verbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich sind, immer noch auf der Flucht sind." Von Anfang an war es ihre persönliche Mission, die Kriegsverbrecher Radovan Karadzic, Ratko Mladic und den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic vor Gericht in Den Haag zu bringen. In ihrem Arbeitszimmer hat sie deswegen die Fahndungsplakate aufgehängt. Die Statistik stellt ihr dennoch ein gutes Zeugnis aus. Seit der Gründung des Tribunals wurden 161 Kriegsverbrecher angeklagt, 91 davon während del Pontes Mandat. Auf freiem Fuß befinden sich nur noch vier: Goran Hadzic, Radovan Karadzic, Ratko Mladic und Stojan Župljanin. Trotzdem verlässt die Schweizerin desillusioniert ihren Posten. "Ich bin enttäuscht wegen der Versprechen, die nicht eingelöst wurden." Die serbischen Behörden wären durchaus in der Lage gewesen, Mladic und Karadzic zu fassen. Darauf hätten sie aber vielfach verzichtet. In Belgrad habe einfach der politische Wille zur Festnahme gefehlt, so ihr Vorwurf. Kritische Töne aus den eigenen ReihenBei der Jagd nach Kriegsverbrechern musste Carla del Ponte auch Kritik einstecken. Die schwersten Vorwürfe kamen dabei aus Den Haag selbst. Der deutsche Richter Wolfgang Schomburg bemängelte die Arbeit der Staatsanwaltschaft zwar ohne Namen zu nennen. Es war aber klar: Die Kritik galt del Ponte. Die Anklageschriften seien zu vage und man glaube, die Ermittlungen hätten erst nach der Beantragung des Haftbefehls angefangen. Schomburg sollte nicht der einzige Kritiker der Schweizerin sein. Beim Milosevic-Prozess in 2002 wurde del Ponte vielfach vorgeworfen, sie hätte die Anklage mit 66 Punkten überfrachtet. Ein schnelles Prozessende und ein Schuldspruch waren nicht möglich. Vor der Verurteilung starb Milosevic nach fast 57 Monaten in Haft. Immer wieder wurde gemunkelt, sie hätte ihre Behörde nicht im Griff und jeder Staatsanwalt mache, was er wolle. Absprachen zu milderen Strafen wurden auch bei schweren Verbrechen vereinbart. Für die Opfer völlig unverständlich. Den Chefanklägerposten beim Ruanda-Tribunal musste del Ponte 2003 jedenfalls nach einem Mandat abgeben, ungern hat sie dies getan, sagt man. Der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, war der Meinung, dass diese Aufgaben, das Ruanda und Jugoslawien-Tribunal gleichzeitig zu betreuen, sie überfordern würden. Als großen Erfolg des Tribunals bewertet del Ponte, dass der Genozid in Srebrenica als eine unbestreitbare Tatsache gilt. Denn: Die Richter seien sehr restriktiv in der Definition von Völkermord. Die 60-Jährige räumt auch Mängel ein. Das Fehlen einer Zivilpartei sei in den Prozessen ein Manko. Die Kreuzverhöre mit den Opfern, die als Zeugen aussagen, seien eine enorme Belastung für die Leidtragenden, del Ponte hätte diese Form des Verhörs am liebsten abgeschafft. Für ein Fazit sei es aber noch zu früh, sagte del Ponte vor kurzem in einem Interview. "Der Moment kommt vielleicht später, wenn ich weg bin". Ihrem Nachfolger, Serge Brammertz, überlässt del Ponte ein "unfinished business". Viel Zeit hat der Belgier allerdings nicht, die liegengebliebene Arbeit abzuarbeiten. Alle Prozesse sollen bis Ende 2008 abgeschlossen sein, die Berufungsverfahren bis Ende 2010. Was mit Mladic oder Karadzic passiert, wenn sie erst nach der Schließung des Tribunals gefasst werden, bleibt ungewiss. Carla del Ponte hat mit Entschlossenheit Mafia-Bosse und Kriegsverbrecher gejagt. Dafür hat sie einen hohen Preis bezahlt. Nach einem Anschlag wurde sie ständig von Leibwächtern beschützt und in gepanzerten Limousinen zur Arbeit gefahren. In Buenos Aires soll jetzt ein anderes Leben anfangen, die Schweizerin wird Botschafterin in Argentinien. (sueddeutsche.de/bica)
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