Die Familie van Pels - Offizielle Homepage des Anne Frank Hauses

Die Familie van Pels - Offizielle Homepage des Anne Frank Hauses


Das Zimmer von Hermann und Auguste van Pels im Hinterhaus

Das Zimmer von Hermann und Auguste van Pels im Hinterhaus

Ein egoistischer Vater, eine eitle Mutter und ein schüchterner Junge?

Dineke Stam - Anne Frank Magazine - 1998

Die Familie van Pels ist die andere Familie, die im Hinterhaus Unterschlupf fand. Im veröffentlichten Tagebuch Anne Franks und im darauf basierenden Theaterstück trägt die Familie den Namen van Daan. Das Theaterstück hat aus der Familie ein Zerrbild gemacht. Wer waren Hermann, Auguste und Peter van Pels, woher kamen sie und warum mussten sie sich im Hinterhaus verstecken?

Hermann van Pels

Anders, als das Theaterstück Das Tagebuch der Anne Frank suggeriert, kennen sich die Familien Frank und van Pels bereits seit dem Jahr 1937. 1938 gründet Otto Frank die Firma Pectacon, um nicht vom saisongebundenen Handel mit dem Einmachmittel Opekta abhängig zu sein. Hermann van Pels bringt sein Fachwissen in die Firma Pectacon ein: „Grossist für Gewürze, Fabrikant von Pökelsalz und Würzmischungen“, wie das Amsterdamer Telefonbuch von 1940 vermeldet. Aus einem ihrer ersten Tagebucheinträge geht hervor, dass auch Anne die Familie bereits länger kannte. Zum dreizehnten Geburtstag bekommt Anne von Peter eine Tafel Schokolade geschenkt. Einige Tage später hält Anne in ihrem Tagebuch fest, dass Herr van Pels ihnen ein Eis spendiert hat, als sie ihm mit ihren Freundinnen begegnete. Die Familie van Pels ist an den Vorbereitungen zum Untertauchen beteiligt. So schreibt Anne am 8. Juli 1942: „Mutter ist zu van Daan gegangen und fragt, ob wir schon morgen in unser Versteck umziehen können. Van Daans gehen mit. Van Daan ist ein Bekannter und Teilhaber in Vaters Firma“, fügt sie erklärend hinzu. In einer Geschichte mit dem Titel „Wursttag“ (vom 10. Dezember 1942) beschreibt Anne Herrn van Pels etwas ausführlicher: „Herr van Daan kommt aus dem Wurst-, Fleisch- und Gewürzhandel. In der Firma wurde er wegen seiner Gewürzkenntnisse angestellt, doch nun zeigt er sich von der wurstigen Seite, was uns keineswegs unangenehm ist. Er wollte Bratwurst, Geldersche Wurst und Mettwurst machen ...“

Eine große Familie

Ihren ersten Eindruck bei der Ankunft der neuen Mitbewohner beschreibt Anne am Freitag, dem 14. August 1942: „Van Daans sind am 13. Juli angekommen. Wir dachten, sie kämen erst am 14., aber weil die Deutschen immer mehr Aufrufe verschickten, fanden sie es sicherer, lieber einen Tag zu früh als einen Tag zu spät umzuziehen. Morgens um halb zehn (wir saßen noch beim Frühstück) kam Peter van Daan, ein ziemlich langweiliger und schüchterner Lulatsch, noch nicht sechzehn, von dessen Gesellschaft nicht viel zu erwarten ist. Frau und Herr van Daan kamen eine halbe Stunde später. Frau van Daan hatte hatte zu unserem großen Vergnügen einen Nachttopf in ihrer Hutschachtel. ‚Ohne Nachttopf fühle ich mich nirgends daheim’, erklärte sie, und der Topf bekam auch gleich seinen festen Platz unter der Bettcouch. Herr van Daan brachte keinen Topf mit, sondern hatte einen zusammenklappbaren Teetisch unter dem Arm. Wir aßen am ersten Tag unseres Zusammenseins gemütlich miteinander, und nach drei Tagen hatten wir alle sieben das Gefühl, dass wir eine große Familie geworden waren.“

Diese positive Beschreibung der Familie van Pels in Annes Tagebuch geriet bald in den Hintergrund. Im Laufe der Zeit nahmen die Spannungen zwischen den Untergetauchten so zu, dass von einer großen Familie nicht mehr die Rede sein konnte. Konträre Ansichten über Erziehung und zahlreiche andere kleine Dinge bewirkten eine Trennung zwischen „oben“ und „unten“, verbunden mit heftigen Auseinandersetzungen und Zeiten, in denen die Erwachsenen nicht miteinander redeten. Annes Gefühle für Peter nehmen jedoch im Januar 1944 eine ganz neue Wendung: Sie verliebt sich in ihn.

Zerrbild

Das Bild, das die meisten Menschen von der Familie van Pels haben, ist recht einseitig. Das liegt unter anderem an dem bekannten Broadwaystück Das Tagebuch der Anne Frank. Frau van Pels stolziert im Pelzmantel, auf den sie um nichts in der Welt verzichten möchte, über die Bühne. Sie flirtet und gibt sich zänkisch. Herr van Pels denkt nur an sein leibliches Wohl und an seine Zigaretten. Es gibt sogar eine Szene, in der Hermann van Pels dabei ertappt wird, wie er Brot stiehlt, ein Vorfall, der in Annes Tagebuch überhaupt nicht vorkommt! Peter gewinnt nur als Annes Gegenspieler Kontur. Was haften bleibt, ist das Zerrbild eines egoistischen Vaters, einer eitlen Mutter und eines schüchternen Jungen.

Heftige Auseinandersetzungen

Eine erneute Lektüre von Anne Franks Tagebüchern, sowohl in der ursprünglichen Fassung als auch in den von Anne überarbeiteten Tagebuchbriefen (1), führt zu einem differenzierteren Bild der zweiten Familie im Hinterhausversteck. Die Familie van Pels ruft Emotionen hervor, positive, aber auch negative aufgrund der zahlreichen, heftigen Auseinandersetzungen. Frau van Pels fungiert als Köchin des Hauses. Sie redet gern über Politik und gerät darüber unweigerlich mit ihrem Ehemann in Streit. „Kokett lächeln, tun, als wüsste man von allem etwas, jedem einen guten Rat geben und jeden bemuttern, das muss doch einen guten Eindruck machen. Aber schaut man genauer hin, geht der Lack ab. Fleißig, eins, fröhlich, zwei, kokett, drei, und manchmal ein hübsches Lärvchen. Das ist Petronella van Daan.“ Mit diesen Worten beschließt Anne am 9. August 1943 einen ihrer vielen Kommentare über Auguste van Pels.

Hermann van Pels erledigt allerlei handwerkliche Arbeiten im Haus, oftmals zusammen mit Peter. Er hat viel Sinn für Humor, erzählt gern Witze, kann ausgesprochen wütend werden, bewahrt jedoch seinen Optimismus, was das Ende des Kriegs angeht. „Er gibt immer seine Meinung zum Besten, und wenn er das getan hat, gibt es nichts mehr daran zu rütteln. Wenn jemand das wagt, dann hat er es in sich. Ach, er kann einen anfauchen wie eine Katze! Ich möchte das lieber nicht erleben. (...) Er hat die einzig richtige Meinung, er weiß über alles das meiste. Na gut, er hat einen gescheiten Kopf, aber die Selbstgefälligkeit dieses Herrn hat ein hohes Maß erreicht. (Anne Frank, 9. August 1943)

Armer Junge

Armer Junge

Peter ist faul und wehleidig, meint Anne anfangs. „Über Peter lachen wir uns krank, den einen Tag hat er Hexenschuss im Rücken, den anderen Tag eine blaue Zunge und Kribbeln [im Hals] und so weiter.“ Und: „Peter hat nun wieder etwas am Fuß, dieser Trottel, und ich merke gut, dass er verliebt ist.“ (21. September bzw. 3. Oktober 1942). Annes Nikolausgedicht vom 5. Dezember 1943 beschreibt einen völlig anderen, aktiven Peter. Er hackt Holz, holt Gemüse und Kartoffeln von unten, macht den Dachboden sauber, sorgt für die Katzen und wäscht sogar seinen Overall selbst.

Anne schreibt nicht viel über Peter in der Zeit vor dem Krieg oder über seine Zukunftspläne. Im Februar 1944 ist davon die Rede, dass Peter „später nach Niederländisch-Indien gehen und dort auf einer Plantage leben wolle“. „Er hat kein festes Ziel vor Augen, findet sich selbst zu dumm und zu unbedeutend, um etwas zu leisten. Armer Junge!“, konstatiert Anne im Juli 1944, als die Verliebtheit schon wieder vorbei ist.

Pech gehabt

Alles, was Anne über die Familie van Pels schreibt, ist selbstverständlich sehr persönlich gefärbt und durch die äußeren Bedingungen, insbesondere die Abgeschlossenheit des geheimen Unterschlupfs, stark beeinflusst. Dass Anne sich dessen bewusst war, zeigen die Aufzeichnungen aus dem Januar 1944: „Ich frage mich, ob man mit allen Menschen, mit denen man so lange zusammenwohnt, auf die Dauer Streit bekommt. Oder haben wir vielleicht nur großes Pech gehabt? Ist die Mehrheit der Menschen so egoistisch und knauserig? Van Daans Methode ist: wir zuerst, wir das meiste. Ich finde es ganz gut, dass ich hier ein bisschen Menschenkenntnis bekommen habe, aber nun reicht’s.“

Wie viel Anne auch über das Zusammenleben mit der Familie van Pels schreibt, über deren Leben vor der Zeit im Versteck erfahren wir aus dem Tagebuch so gut wie nichts. Eine Erkundungstour in staubigen Archiven, Gespräche mit Verwandten und anderen Zeugen konnten das Bild um einige Facetten bereichern.

Niederländer in Osnabrück

Niederländer in Osnabrück

Peter van Pels (Mitte) in Osnabrück um 1935

Sein Fachwissen im Fleischereihandwerk erwarb Hermann im Betrieb seines niederländischen Vaters, Aron van Pels. Aron ließ sich nach seiner Heirat mit Lina Vorsänger in Gehrde in der Nähe von Osnabrück nieder. Er arbeitete dort im Betrieb seines deutschen Schwiegervaters, der einen Großhandel für Metzgereibedarf führte. Aron und Lina bekamen sechs Kinder: Max, Henny, Ida, Hermann, Klara und Meta. Hermann wurde am 31. März 1898 geboren. Die Kinder besuchten die jüdische Grundschule und danach die Realschule. Hermann wurde Vertreter für den Betrieb seines Vaters in Osnabrück. Er heiratete am 5. Dezember 1925 die Deutsche Auguste (Gusti) Röttgen. Sie wurde Niederländerin, denn nach dem Gesetz nahmen Frauen bei der Heirat automatisch die Nationalität des Ehemanns an. Gusti war am 29. September 1900 in Buer bei Osnabrück geboren, und auch ihr Vater war Kaufmann. Hermann und Gusti wohnten in Osnabrück, wo Peter am 8. November 1926 zur Welt kam.

Flucht in die Niederlande

In ganz Deutschland riefen die Nationalsozialisten 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. Für die Familie van Pels wirkte sich der Boykott katastrophal aus, weil ein fanatischer Nazi, von Beruf Fotograf, in seinem Schaufenster Aufnahmen von Nichtjuden ausstellte, die bei Juden kauften. Vater Aron van Pels war gezwungen, seinen Handel für Metzgereibedarf, in dem auch seine Kinder Hermann und Ida tätig waren, für einen Bruchteil des tatsächlichen Werts zu verkaufen. Hermanns Schwester Henny, die als Schneiderin tätig war, verlegte ihr Schneideratelier 1935 nach Amsterdam.

Am 26. Juni 1937 verzeichnet das Register der Synagogengemeinde Osnabrück die Abmeldung der Mitglieder Hermann, Auguste und Peter van Pels mit dem Zusatz, dass sie nach Amsterdam übersiedeln. Unter demselben Datum findet sich auch im Melderegister der Stadt Osnabrück der Eintrag: „verzogen nach Holland“.

Am 9. November 1938 organisierten die Nationalsozialisten ein Pogrom, die sogenannte „Kristallnacht“. Sie steckten die Osnabrücker Synagoge in Brand. Wie viele andere Juden wurde Aron van Pels in dieser Nacht aus seinem Haus geholt und verhaftet. Weil er die niederländische Staatsangehörigkeit besaß, ließ man ihn wieder frei. Achtzig bis neunzig andere Männer wurden in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Aron, inzwischen 69 Jahre alt, verließ Osnabrück und zog zu seiner Tochter Henny nach Amsterdam. Dort starb er im Dezember 1941.

Deutsche in Amsterdam

Deutsche in Amsterdam

Auguste und Hermann van Pels

Das sogenannte Flussviertel (Rivierenbuurt) in Amsterdam war ein Neubauviertel im Süden der Stadt, wo viele jüdische Flüchtlinge aus Deutschland eine neue Bleibe fanden. 1939 zog die Familie van Pels in die Zuider-Amstellaan (heute Rooseveltlaan), in unmittelbare Nähe des Hauses der Familie Frank am Merwedeplein. An Samstagnachmittagen luden Otto und Edith Frank oft zu zwanglosen Treffen bei Kaffee und Kuchen ein. Hermann und Gusti van Pels waren gerngesehene Gäste, wie sich Miep Gies erinnert, die fast immer an diesen Zusammenkünften teilnahm.

“Die Familien van Pels und Frank waren eng befreundet, die Männer und auch die Frauen“, erzählt Max van Creveld, der 1940 und 1941 als Untermieter bei der Familie van Pels wohnte. „Ich hatte bei ihnen ein Zimmer gemietet und wir aßen jeden Abend gemeinsam. Frau van Pels kochte selbst. Wir hatten kein besonders enges Verhältnis, ich wusste zum Beispiel nicht, dass sie untertauchen wollten. Aber so etwas behielt man damals auch für sich. Es waren schlimme Zeiten. Herr van Pels war sehr liebenswürdig und Frau van Pels auch. Peter war ein feiner Kerl. In welche Schule er ging, weiß ich eigentlich nicht mehr, aber ich erinnere mich noch daran, dass er an einem Lehrgang im Möbelpolstern teilgenommen hat.“

Auch Bertel Hess, eine Cousine von Hermann van Pels, erinnert sich daran, dass Peter sehr geschickt war. „Peter habe ich oft gesehen. Er besuchte seine Tante Henny und seinen Opa, die ebenfalls aus Osnabrück geflohen waren und jetzt in Amsterdam lebten. Er war ein sehr netter Junge, und schüchtern, sehr schüchtern. Er kam oft zu Henny, wenn sie etwas zu reparieren hatte, Tischlerarbeiten oder so, so etwas machte er für sie. Er war sehr still.“

Das Ende

Zwei Schwestern und einem Bruder von Hermann gelang es, noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach Amerika und Chile zu fliehen. Auch Hermann van Pels beantragte ein Visum für die USA. Das amerikanische Konsulat in Rotterdam setzte die Familie am 10. Februar 1939 auf eine Warteliste für Emigranten aus Deutschland.

Hermanns Schwestern Henny und Klara wurden aus den Niederlanden deportiert. Henny starb in Auschwitz. Klara wurde in Sobibor ermordet.

Hermann, Auguste und Peter van Pels wurden zusammen mit den anderen Untergetauchten aus der Prinsengracht in das niederländische Durchgangslager Westerbork und von dort nach Auschwitz deportiert. Wenige Wochen nach der Ankunft wurde Hermann van Pels dort in der Gaskammer ermordet. Otto Frank berichtete später: „Nie werde ich vergessen, wie der siebzehnjährige Peter van Pels und ich in Auschwitz einen Trupp selektierter Männer sahen. Einer von ihnen war Peters Vater. Die Männer marschierten ab. Zwei Stunden später kam ein Wagen zurück, beladen mit ihren Kleidungsstücken.“

Gusti wurde zusammen mit Margot und Anne Frank von Auschwitz nach Bergen-Belsen gebracht und von dort aus erneut auf einen Transport unter entsetzlichen Bedingungen geschickt. Sie starb kurz vor Kriegsende irgendwo zwischen Raguhn (einem Außenlager von Buchenwald) und dem Konzentrationslager Theresienstadt.

Otto Frank berichtet 1974, dass Peter van Pels hin und wieder an ein paar Dinge gelangen konnte, weil er in Auschwitz in der Poststelle arbeitete. Als die Rote Armee näher rückte, räumten die Nazis das Lager und verschleppten die Gefangenen, die noch gehfähig waren, in Richtung Westen. In der Nacht vom 17. zum 18. Januar 1945 musste auch Peter zu einem tagelangen Marsch aufbrechen, wahrscheinlich in das etwa 100 Kilometer entfernte Wodzisław. Von dort aus wurde er vermutlich mit einem Güterzug in das österreichische Lager Mauthausen gebracht, wo er am 5. Mai 1945 starb.

(1) Anne Frank Tagebuch. Fassung von Otto H. Frank und Mirjam Pressler. Ergänzte Ausgabe. Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-15277-1