Bücherbusse in Deutschland

Bücherbusse in Deutschland
Zur Geschichte der Fahrbibliotheken in Deutschland



Die Fahrbibliotheken gehören zu den jüngsten Kindern in der Bibliothekslandschaft. Wenn man den Überlieferungen glaubt, so feiern sie in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag.

Erstmals wurden 1905 im Staat Maryland in Washington County von einem pferdebespannten Überlandwagen Bücher ausgeliehen. Nach dem ersten Weltkrieg wird aus den USA und England von den ersten motorisierten Büchereien berichtet. Bis zum zweiten Weltkrieg entwickelt sich das Fahrbüchereiwesen in den USA und England zwar langsam, aber stetig. In Amerika setzt erst während und nach dem zweiten Weltkrieg eine schnelle Entwicklung ein. 1944 gibt es dort 300, zwölf Jahre später bereits 919 und 1962 cirka 1200 Buchmobile.

In Norwegen und Schweden werden neben Fahrbüchereien in den Provinzen und Städten wegen der geografischen Verhältnisse Büchereischiffe eingesetzt. Schweden hat außerdem vier Eisenbahnbüchereien im Norden des Landes im Einsatz.

Auch in vielen anderen Ländern laufen Fahrbüchereien, so in Italien, Österreich, Schweiz und Belgien. In Frankreich entwickelt sich ein dichtes Netz an Fahrbüchereien, die zum Teil auch den dortigen staatlichen Bibliotheksfachstellen angegliedert sind. Manche Fahrzeuge sind speziell für den Ausleihdienst an Schulen oder als Mediotheken eingerichtet.

Dieser Siegeszug hat auch in Deutschland nicht Halt gemacht. Am 23. September 1929 übergab der Rat der Stadt Dresden den damaligen Städtischen Büchereien eine aus einem Gebrauchtwagen umgebaute motorisierte und als Ausleihraum gestaltete Bibliothek mit dem Auftrag, die Literaturversorgung der dünn besiedelten, meist am Stadtrand gelegenen Wohngebiete zu übernehmen, die bis dahin überwiegend noch durch veraltete, schlecht untergebrachte und mangelhaft ausgestattete ehemalige Gemeindebibliotheken betrieben wurde. Die 16 Haltestellen, mit denen das Unternehmen begann, erbrachten im ersten Halbjahr nach Eröffnung schon ca. 9000 Ausleihen.

Mit dem 23. September 1929, gewissermaßen dem Geburtstag der Fahrbibliotheken in Deutschland, beginnt ihre Geschichte, denn andere vorhandene Vorhaben stellten noch nicht die heute allgemein angewandte Organisationsform mobiler Bibliothekseinrichtungen dar. So war die 1927 im Saarland eröffnete motorisierte Bibliothek z. B. eher ein fahrbares Magazin, denn die Ausleihberatung erfolgte in einem festen Gebäude: einer Schule, einem Rathaus und dergleichen.

Die Stadt München baute zwar im gleichen Jahr einen Straßenbahnwagen als fahrende Bibliothek aus, war aber hinsichtlich der Haltestellen-Verteilung vom vorhandenen Gleisnetz und nicht von Bedarfslücken abhängig.

Erst die Dresdner Fahrbibliothek stellte mit ihrer maximalen Beweglichkeit und dem schnellen Reagieren auf Veränderungen im Bedarfsbild einer Großstadt den Prototyp einer modernen rollenden Bibliothek dar. Hier wurde nicht nur eine neue organisatorische Methode – die bedarfsgerechte Verdichtung eines großstädtischen Bibliotheksnetzes durch den variablen Einsatz mobiler Bibliotheken – gefunden, erprobt und mit großer Konsequenz und Beharrlichkeit verfolgt.

Im Laufe der Zeit und aus dem Für und Wider der Diskussion entwickelte sich auch ein vielfältiger Komplex an theoretischen Erkenntnissen und praktischen Arbeitsergebnissen, der andere Einrichtungen – auch über die Grenzen unseres Landes hinaus – für eigene Überlegungen eine Fülle von Anregungen bot.

Ab Mitte 1960 begann in der Bundesrepublik eine geradezu stürmische Entwicklungsphase, die jährlich zweistellige Fahrzeugzuwachsraten zu verzeichnen hatte, mit dem Ziel von 800 Bücherbussen, um nach den Vorstellungen des „Bibliotheksplan `73“ eine flächendeckende Versorgung auf Kreisebene zu gewährleisten. Dieses Ziel wurde leider nicht erreicht.

Zur heutigen Situation der Fahrbibliotheken in der Bundesrepublik, insbesondere im Freistaat Sachsen

Nach wie vor stellen Fahrbibliotheken eine effektive Form der Grundversorgung mit Literatur und Medien in Randgebieten von Städten dar. Was für das Bibliotheksnetz der Großstädte zutrifft, gilt erst recht für die mobile Versorgung der Einwohner im ländlichen Raum.

Genaue Zahlen über die Fahrbibliotheken in Deutschland liegen seit der Schließung des Deutschen Bibliotheksinstituts (DBI), der einzigen zentralen Einrichtung für bibliothekarische Belange in der BRD, nicht vor. Die letzte Gesamterhebung stammt von 1996 und verzeichnet 155 mobile Bibliothekseinrichtungen. Nur noch 59 dieser Fahrbibliotheken meldeten ihre statistischen Daten im letzten Jahr an die Deutsche Bibliotheksstatistik (DBS), damit ist jedoch nicht bewiesen, dass die tatsächliche Anzahl von Fahrbibliotheken dieser Angabe entspricht.

Fakt ist jedoch, dass trotz großer Beliebtheit der „Rollenden Bibliotheken“ besonders in den letzten zwei Jahren viele der Fahrzeuge wegen hoher Unterhaltungskosten stillgelegt werden mussten.

In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg ist das Netz der Fahrbibliotheken am dichtesten. Danach folgen die Länder Bayern und Brandenburg.

Stellvertretend für Deutschland möchten wir die Situation in unserem im Osten gelegenen Bundesland, dem Freistaat Sachsen, beleuchten:

Wie bereits erwähnt, blickt Sachsen auf eine lange bibliothekarische Tradition zurück. Die 1607 gegründete Christian-Weise-Bibliothek in Zittau zählt zu den ältesten bedeutendsten wissenschaftlichen öffentlichen Bibliotheken, Karl Benjamin Preusker gründete 1828 in Großenhain die erste deutsche Volksbücherei und zu Beginn des 20.Jahrhunderts nahm die Volksbüchereibewegung unter Walter Hofmann ihren Ausgang in Sachsen und schuf ausgebaute großstädtische Büchereinetze wie in Dresden und Leipzig.

Die Dresdner Fahrbibliothek versorgt seit 1929 fast ununterbrochen die Einwohner ihres Einzugsgebietes mit Literatur und war damit auch einziges traditionelles Beispiel in den damaligen DDR-Bezirken Chemnitz, Leipzig und Dresden (heutiges Territorium des Freistaates Sachsen).

Erst 1991, zwei Jahre nach der politischen Wende, konnten durch Projektgelder des Bundesministeriums des Innern sechs neue Fahrbibliotheken angeschafft werden.

Die Einrichtung von Fahrbibliotheken galt als Maßnahme zur Ausgleichung der Bedingungen für die ländliche und städtische Bibliotheksarbeit an westdeutsche Standards und bildete einen Ersatz für die 1990/1991 geschlossenen Gemeindebibliotheken in kleinen Orten. Der Gesamtwert betrug allein für die Fahrzeuge in Sachsen 2,7 Millionen DM plus 1,5 Millionen DM zur zusätzlichen Anschubfinanzierung durch Land und Bund für den Kauf von Medien und Einrichtungsgegenständen und kam aus dem „Fonds zur Minderung der Teilung Deutschlands“.

Zwei gebrauchte Fahrzeuge bekamen die Bibliotheken in Chemnitz und Bautzen als Geschenk ihrer neuen westdeutschen Partnerstädte überreicht.

Als Erstes war praktische Hilfe für die Tätigkeit in einer Fahrbibliothek notwendig. In Fortbildungsseminaren, die durch die damalige Abteilung Spezialbibliotheken beim DBI organisiert wurden, erhielten die Kollegen Anleitung zu Fahrplan- und Ausleihorganisation, zu Personalplanung oder konnten Musterverträge der westdeutschen Kollegen nachnutzen. Wir als Staatliche Fachstelle berieten die Bibliothekare zum Einsatz von spezieller Bibliothekssoftware oder gaben Anregungen für gezielte Werbung und Öffentlichkeitsarbeit.

Die „neuen“ Bibliotheken wurden von der Bevölkerung sehr gut angenommen, wie die Ausleihzahlen bis heute beweisen. Gegenwärtig fahren insgesamt acht Fahrbibliotheken durch Sachsen, vier davon bedienen in einem meist 7- bzw. 14-tägigen Rhythmus die Einwohner in den Stadt- oder angrenzenden Randgebieten der Städte Bautzen (26 Haltepunkte), Chemnitz (11 Haltepunkte), Dresden (33 Haltepunkte) und Leipzig (43 Haltepunkte). Sie unterstehen den jeweiligen Stadtbibliotheken oder arbeiten als Verein, wie im Fall der Chemnitzer Fahrbibliothek.

Über Land rollen ebenfalls vier Bibliotheken und halten an den extra ausgewiesenen Haltepunkten meist aller vier Wochen, so macht beispielsweise der Bücherbus im Vogtlandkreis in 48 Gemeinden Station. Bislang betrieben die Kreise die Fahrbibliotheken, teilweise durch Fördergelder unterstützt. Aufgrund finanzieller Probleme, hervorgerufen durch die immer weiter schrumpfende Bevölkerung besonders durch Abwanderung junger Menschen in Sachsen, bitten die Kreise die Kommunen, sich an der Unterhaltung der Gesamtkosten zu beteiligen. Der erst 1992 eingeweihten Fahrbibliothek Meißen wurde diese Lösung zum Verhängnis, da die Gemeinden dieser Bitte nicht entsprachen und somit nur noch die Auflösung der Bibliothek blieb.

In kleinen Ortschaften ist die Fahrbibliothek meist einziger Anlaufpunkt, somit Zentrum für Information und Kommunikation. Im Angebot einer Fahrbibliothek sind längst nicht nur Bücher, zunehmend werden Videos, Hörbücher, CD-ROM und DVD verliehen. Zum Service und dank moderner Technik, die auch die Vorbestellung im Online-Katalog erlaubt, wird das Gewünschte beim nächsten Stopp mitgebracht.

Die sächsischen Fahrbibliotheken treffen sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch, um über Verbesserungen von Arbeitsabläufen und weitere Servicemöglichkeiten zu sprechen. Organisiert werden diese Treffen durch die Fachstelle.

Nach Auflösung des DBI gab es keine koordinierenden Stellen für übergreifende Angelegenheiten und den Informationsaustausch zu verschiedensten fachrelevanten Themen mehr, auch nicht für den Bereich Fahrbibliotheken. Um diesem Defizit entgegen zu wirken, wurden auf Vorschlag der Fachstellenkonferenz Facharbeitsgruppen gegründet, die die Bibliotheken über eine virtuelle Plattform (www.fachstellen.de) mit aktuellen bibliothekarischen Informationen versorgen. In der Rubrik „Fahrbibliothek“ finden die Kollegen Wissenswertes rund um das Thema und eine umfangreiche Linksammlung.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Fahrbibliothek in deutschen Landen ein wirkungsvolles und selbstverständliches Werkzeug bibliothekarischer Arbeit ist und keine vorübergehende Modeerscheinung, sondern ein wesentlicher und nicht mehr weg zu denkender Bestandteil des deutschen Bibliothekswesens.

Birgit Reim
Diplom-Bibliothekarin
Staatliche Fachstelle für Bibliotheken Dresden
Mitglied der Facharbeitsgruppe Fahrbibliotheken