Thema: Poetry Slam

Ein Korridor

Copyright: Michel Abdollahi
Copyright: Michel Abdollahi
Ein Korridor
Michel Abdollahi
MP3, 4:41 Min.
Man sah einen langen Korridor, der in dem fahlen Licht der Leuchtstoffröhren einem U-Bahn-Schacht ähnelte. Alles war aschgrau. Das Licht schimmerte düster, es roch nach faulen Eiern. Jonathan stand mit dem Rücken zur Wand und beobachtete ihn. Irgend etwas hustete, doch außer Jonathan und seinem Gegenüber befand sich keiner in diesem Korridor.
„Das ist Gas. Gas“ sagte Nepomuk. Er musste hier raus, schnell, die Luft wurde knapp, der Gestank von faulen Eiern immer unerträglicher. Doch das Problem war nicht von kleiner Natur.
„Das ist Gas Bürschchen, Gas“ hauchte Nepomuk und hustete erneut. Die dreihundertsechzig Meter bis zur Tür würde er noch hinkriegen, vielleicht mit letzter Kraft, aber er würde es schaffen. Doch das letzte Hindernis schien schier unüberwindbar. Man hörte ihn von hier schon kläffen, bellen und knurren. Die Zeit lief ihm davon, das Gas füllte langsam aber beständig den Gang. Doch was tun? Kläglich und erbarmungslos ersticken oder sich von der Bestie zerfleischen lassen? Am liebsten beides. Aber das ging nicht. Nahm er an.
„Die Dogge vernichtet dich. Ja, sie vernichtete dich – oder das Gas“ sagte Nepomuk während er einen Apertief zu sich nahm. Die auberginefarbene Dogge Podgorni wartete nur darauf sich auf den Hunnen zu werfen, um ihn dann zu zerreißen, am liebsten jetzt, jetzt sofort, aber er war angekettet. Podgorni knurrte unentwegt, zog und riß an der Kette, hatte sich den Hals schon wundgeschabt, Blut tröpfelte auf den Boden.
„Komm, Podgorni, komm, mach ihn kalt“ schrie Nepomuk. Jonathan schaute ängstlich auf die Dogge. Lieber ersticken, als dem Tier zum Opfer zu fallen! Oder besser sich zerfleischen lassen? Nein! Beides! Er grübelte, tüftelte. Das Gas hatte schon seine Sinne betäubt als er loslief; erst ganz schnell, doch das Gas hemmte ihn. Er wurde langsamer und immer langsamer. „Schneller, schneller“ sagte Nepomuk fast schon flüsternd. Podgorni hatte sich inzwischen losgerissen und schnellte auf den Läufer zu, doch auch er schien vom Gas benebelt und so ähnelte das Szenario einer Zeitlupe die jemand Szene für Szene, Bild für Bild abspielte. „Schneller, noch schneller“ sagte Nepomuk mit rauer Stimme und ließ das Bild weiterlaufen. Die Bestie und Jonathan kamen sich immer näher, tief blickten sie sich in die Augen, blutrot färbte sich der Gang. Noch wenige Meter und beide würden mit einer ungeheuren Kraft aufeinander stoßen. Plötzlich öffnete sich eine Klappe im Boden, der Hund fiel hinein und war verschwunden, Jonathan atmete erleichtert auf, doch das Gas lähmte seinen Körper. Jonathan hatte ein böses Gesicht, düstere Augen, man bekam Angst, wenn man hineinblickte. Er war schlimmer als so manch anderer.
„Ja, schlimmer, viel schlimmer“ schrie Nepomuk schon fanatisch. Jonathan setzte sich einen Augenblick hin um neue Kraft zu schöpfen. Plötzlich öffnete sich eine Klappe an der Decke und die Dogge fiel mit voller Wucht auf seinen Körper. Podgorni hatte Blut geleckt, er verbiss sich in Jonathans bösem Gesicht und man hörte nur noch ein Kreischen, einen letzten brennenden Schrei. Ein beißender Gestank breitete sich aus, Jonathan versuchte sich zu befreien, ein unerwarteter Blitz traf Podgorni empfindlich. Letztendlich erreichte er das Ende des Korridors, öffnete die Tür, ging raus. Geschafft. Ja, endlich geschafft. Er hatte sich aus der Galerie der Gegenwart befreit.

Die Person:

Michel Abdollahi ist ein (Performance-)Literat aus Hamburg. Er wurde am 20. April 1981 in Teheran geboren und lebt sein über 20 Jahren in Hamburg. Seit mehr als sieben Jahren ist er in der Hamburger und bundesdeutschen Slamszene aktiv.

Als Teilnehmer und Mitveranstalter des 5. German International Poetry Slam vom 15.11. bis 17.11.2001 in Hamburg, belegte er mit dem Team Hamburg den 2. Platz. Zahlreiche Preise bei lokalen und überregionalen Slams sollten folgen.

Seit Juni 2005 richtet er sein eigenes Bühnenprogramm „Kampf der Künste“ in den Hamburger Zeise Kinos aus. Das Programm umfaßt neben Literatur auch die Bereiche Film und Gesang und ist damit das größte seiner Art. Da die Hamburger Szene mittlerweile bundesweit die meisten Slambesucher verzeichnet, befindet sich „Kampf der Künste“ auf dem besten Wege zum größten Slam Europas zu avancieren.

Der interreligiöse und –kulturelle Austausch sind Hauptanliegen seines Programms. Der Dialog zwischen Orient und Okzident ist für ihn nicht nur aufgrund seiner Herkunft elementar, er sieht die Kunst als ein verbindendes Medium zwischen sich und seinem Publikum. So finden jedes Jahr Specials zu bestimmten politischen und kulturellen Themen statt, durch die er seinen Zuschauern aktuelle Ereignisse und Themen näher bringt, beispielsweise den Ramadan oder persische Lyrik. Mit dem diesjährigen Slamfinale im Deutschen Schauspielhaus veranstaltete man den größten bisher je stattgefundenen Poetryslam im deutschsprachigen Raum.

Abdollahi unterstützt die U20-Bestrebungen der Hamburger Szene und versucht für die Zukunft durch gezielte Förderung den Slam als Mittel der Integration in die Schulen zu tragen. Poltisches Engagement und Aktivität sollen dies als langfristiges Projekt der nächsten Jahre ermöglichen.

Privat lebt und wirkt er seit mehr als 20 Jahren in Hamburg, besucht aber in regelmäßigen Abständen seine Heimat, mit der er tief verbunden ist. Abdollahi hat an der Universität zu Hamburg Rechtswissenschaften studiert und ist neben dem Kunstengagement in seinem gelernten Beruf auch tätig.

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