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Howling Bells

Howling Bells

 

04.11.06 - Huxley's Neue Welt / Berlin

Interview:  Dirk

Foto: Pressefoto

 

 

 

Vor einem halben Jahr erschien das grandiose, selbstbetitelte Debüt von Howling Bells in Großbritannien. Überschwängliche Kritiken und 25000 verkaufte Alben waren der Lohn. Der Rest von Europa dagegen muss noch auf eine Veröffentlichung des australischen Quartetts bestehend aus Sängerin Juanita Stein, Gitarrist Joel Stein, Bassist Brendan Picchio, und Schlagzeuger Glenn Moule warten. Doch im Gespräch, vor ihrem Konzert als Support der Killers im Huxleys, macht Juanita Stein Hoffnung.

Soundmag: Ihr seid ja nun schon das ganze Jahr ununterbrochen auf Tour, gibt es erste Ermüdungserscheinungen?

Juanita: Ich bin durch eine Phase gegangen, in der ich sehr gelangweilt war, aber jetzt akzeptiere ich es als meinen Job. Das ist das, was ich tue. Andere Leute wachen auf, arbeiten von neun bis fünf, dann gehen sie nach Hause und sie haben ihr Wochenende. Das ist auch das, was ich mache. Ich wache nur ein bisschen später auf und gehe auch ein bisschen später schlafen. Es ist eine interessante Tätigkeit. Aber es zehrt schon an den Kräften, emotional und körperlich. Es ist eine Menge harter Arbeit. Das liegt auch daran, dass wir keine sehr große Band sind, wir haben nicht so viele Leute, die uns helfen. Es kann erschöpfend sein. Aber dafür machst du das, was du liebst.

Soundmag: Ihr tourt ja nun schon das zweite Mal durch Deutschland, im Dezember werdet ihr wieder unterwegs sein, dann mit Placebo, aber ihr habt hier noch kein Album veröffentlicht.

Juanita: Das ist wirklich verrückt. Noch nicht, nein. Aber wir hoffen, dass wir mit dem Publikum eine Verbindung aufbauen können, so dass, wenn schließlich das Album rauskommt und wir anfangen, unsere eigenen Shows zu spielen, wir hier bereits eine Art Basis haben und Leute zu unseren Konzerten kommen.

Soundmag: Ihr plant also definitiv eine eigene Tour in Deutschland?

Juanita: Ja, wir wollen zurückkommen und endlich unsere eigenen Shows spielen.

Soundmag: Wie kam es, dass ihr bei dem Label Bella Union gelandet seid? Gab es verschiedene Plattenfirmen, die auf euch zugegangen sind?

Juanita: Ein Freund von uns hat uns dem Label vorgestellt und ich liebe all diese Bands (The Dears, Midlake, My Latest Novel, The Czars, Fionn Regan), die bei ihnen unter Vertrag stehen. Sie schienen uns sehr ähnlich zu sein. Ja, es gab auch einige andere Plattenfirmen, die an uns interessiert waren. Wir mögen die Vorstellung von musikalischer Freiheit bei einem Indie-Label wirklich sehr. Hinzu kommt, dass Simon Raymonde (Ex-Cocteau Twins) das Label führt. Er ist wirklich ein großer Musikfan. Er schätzt, was wir tun. Es geht nicht darum, Hits am laufenden Band zu produzieren. Es geht mehr um Substanz und das ist wichtig.

Soundmag: Kannst du vielleicht einige musikalische Einflüsse aufzählen?

Juanita: Ich selber mag eine Menge Filmmusik, viele Soundtracks. Mein Vater ist Musiker. Ich und mein Bruder Joel sind mit Blues, Country und Folk aufgewachsen. Diese Musik beinhaltet für mich eine sehr rohe Energie.

Soundmag: In eurer Musik werden oft Einflüsse wie The Velvet Underground, My Bloody Valentine aber auch PJ Harvey herausgehört.

Juanita: Das sind keine Bands, die wir hören. Es gibt eine Menge Musiker, die mit denselben Künstlern verglichen werden. Sie versuchen nicht, wie diese zu klingen. Ich habe mal ein Interview mit PJ Harvey gehört, in dem der Interviewer zu ihr gesagt hat, dass sie für ihn fast wie Patty Smith sei. Sie sagte daraufhin, dass sie noch nie eine Platte von Patty Smith besessen habe. Ich glaube, es ist einfach so, dass du bestimmt bist, unter sechs Milliarden Menschen auf der Welt, zwei oder drei zu finden, die sehr ähnliche Kunst machen. Und nur weil ich vielleicht schwarze Haare habe und Gitarre spiele, heißt das nicht, dass unsere Musik so sehr nach PJ Harvey klingt. Auch wenn es ästhetisch eine Menge Ähnlichkeiten gibt.

Soundmag: Stimmt es, dass auch Künstler wie Beyoncé oder Missy Elliott zu euren Einflüssen zählen?

Juanita: Ja, ich liebe R'n'B. Wir würden sehr gerne eines Tages mit einem R'n'B-Produzenten zusammenarbeiten. Ich denke nicht, dass Musik so speziell sein muss. Ich glaube auch nicht, dass eine Rockband mit Rockproduzenten zusammenarbeiten muss. Ich mag wirklich Bands die Genres miteinander verknüpfen. Ich glaube, dass die Künstler, die du erwähnt hast, phänomenal sind. Sie sind wirklich innovativ. Sie machen interessante Sachen. Das mag ich. Die Produktion ist unglaublich. Aber ich glaube nicht, dass es in den sechziger Jahren anders war, als die Soulalben herauskamen und die Leute skeptisch waren. Das ist etwas lustig, da sie vielleicht 50's Rock gehört haben und dann Marvin Gaye, Aretha Franklin, The Supremes und all diese erstaunliche, interessante Musik auftauchte. Ich glaube nicht, dass das heute so anders ist.

Soundmag: Du hast vorhin gesagt, dass Filme ein großer Einfluss für eure Musik sind, kannst du vielleicht einige nennen?

Juanita: Oh ja. Ich bin ein riesiger Fan des Regisseurs Luc Besson. Ich mag die Musik, die er in seinen Filmen verwendet, sehr gern. Yann Tiersen, ein französischer Komponist. Er macht sehr schöne Filmmusik. Ich mag nicht nur Instrumentalmusik. Ich finde auch Soundtracks toll, auf denen man völlig verschiedene Songs auf einem Album zusammen stellen kann. Sie müssen nicht vom selben Künstler sein. Es gibt zwischen allen Songs ein verbindendes Element. Ich wollte, dass es sich auf unserer Platte genauso anfühlt.

Soundmag: Ich habe gehört, dass ihr europäische Filme bevorzugt, weil sie ernsthafter und realistischer sind. Stimmt das?

Juanita: Ja, ich bin ein wirklich großer Fan von europäischen Filmen. Ich mag französische Filme sehr gern. Europäische Filme haben keine Angst davor, kontrovers, düster oder ehrlich zu sein. Sie müssen nicht alles mit Zuckerguss überziehen, wie das oft in amerikanischen Filmen der Fall ist. Das wird dann wirklich langweilig. Ich mag besonders, dass europäische Filme ehrlich und sonderbar sind.

Soundmag: Hast du "The Science Of Sleep" gesehen?

Juanita: Nein. Um was handelt es sich?

Soundmag: Es ist ein Film von Michel Gondry mit Gael Garcia Bernal und Charlotte Gainsbourg.

Juanita: Oh. Ist er neu?

Soundmag: Ziemlich neu.

Juanita: Ich habe noch nicht von ihm gehört. Vielleicht ist er in England noch nicht rausgekommen.

Soundmag: Er ist wirklich fantastisch. Auf der einen Seite gibt es eine realistische, schöne Liebesgeschichte, auf der anderen Seite geht es sehr viel um Träume und Fantasie. Gael Garcia Bernal und Charlotte Gainsbourg spielen wirklich wunderbar.

Juanita: Ich werde ihn mir auf jeden Fall anschauen. Klingt wirklich gut. Michel Gondry ist großartig.

Soundmag: Ihr habt euch ja früher Waikiki genannt. Wie kam es dazu, dass ihr euren Namen gewechselt habt?

Juanita: Wir haben unseren Namen nicht gewechselt. Wir haben einfach eine andere Band gegründet. Eine Menge Leute starten eine neue Band. Ich war in einer Band mit Joel und Glenn.
Dann kam Brendan dazu und wir haben eine neue Band gegründet.

Soundmag: Wie lange gab es Waikiki?

Juanita: Vielleicht vier Jahre. Howling Bells gibt es jetzt seit etwa zwei Jahren.

Soundmag: Hattet ihr Erfolg?

Juanita: Ja, ein bisschen. Aber nur in Australien. Wir haben nie irgendwo anders in der Welt etwas veröffentlicht.

Soundmag: Ihr seid vor einem Jahr nach London gezogen. Wie kam es zu diesem Schritt?

Juanita: Es war vor etwa zwei Jahren. Zuerst sind wir nach London gegangen, um ein Album aufzunehmen. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir sehr von englischer Musik inspiriert sind. Wir dachten, dass es gut wäre, sich in der Nähe englischer Bands aufzuhalten. Wir wollten zudem eine Platte aufnehmen, die sich sehr stark von allem unterscheidet, was bisher in Australien gemacht worden ist. Wir haben gedacht, dass wir raus aus dem Land müssen, um das zu schaffen.

Soundmag: War es der richtige Schritt?

Juanita: Oh ja. Ich denke, es hat funktioniert. Ich glaube, dass eine Energie auf dem Album eingefangen werden konnte, die wir nicht gehabt hätten, wenn wir zu Hause geblieben wären.

Soundmag: Vermisst ihr Australien?

Juanita: Manchmal. Ich habe dort Familie und Freunde. Deswegen vermisse ich es.

Soundmag: Wie bekannt seid ihr eigentlich in Australien?

Juanita: Wir sind in England größer. Wir fangen gerade an, in Australien bekannt zu werden. Es beginnt gerade, dass die selbe Anzahl an Leuten zu unseren Konzerten kommt.

Soundmag: Wie viel Zuschauer kommen dort zu euren Shows?

Juanita: In den Städten so um die 800. Etwa so viele, wie auch in London kommen. Wir spielen in England aber auch in vielen kleinen Orten. Da ist es sehr unterschiedlich.

Soundmag: Ist euch Erfolg in den Charts wichtig? Oder geht es euch nur darum, so viele Leute wie möglich zu erreichen?

Juanita: Also, ich definiere mich nicht darüber. Das ist für mich nicht der einzige Grund, warum ich das hier mache. Ich bin ungemein kreativ angetrieben. Ich wusste immer, dass ich Musik machen will. Musik war für mich immer am spannendsten und hat mir größere Freude bereitet, als alles andere in meinem Leben. Aber natürlich möchtest du, dass deine Musik wahrgenommen wird. Wer will das nicht? Mal ehrlich, welche Band könnte dir in die Augen schauen und sagen, dass es ihnen egal ist, ob ihre Musik erfolgreich ist. Natürlich wollen sie erfolgreich sein. Selbstverständlich möchte ich, dass Leute unsere Musik hören. Es wäre auch klasse, von dem leben zu können, was wir tun. Im Moment müssen wir uns nämlich einen kleinen, shitty Tourbus teilen und sitzen aufeinander.

Soundmag: Habt ihr noch Jobs nebenher?

Juanita: Im Moment haben wir keine Jobs, aber wir touren ja ununterbrochen. Dafür gibt es gar keine Zeit. Ich habe eine Menge Vertrauen und Liebe in diese Band gesteckt. Das Ganze ist eine sehr große Herausforderung. Aber ich vermute, dass, wenn ich das nicht mache, ich es in fünf oder zehn Jahren für immer bereuen würde. Ich muss es tun.

Soundmag: Ihr habt mit dem Produzenten Ken Nelson (Coldplay, Snow Patrol, The Charlatans) zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?

Juanita: Jemand von unserer Plattenfirma in Australien kannte seinen Manager. Er schlug vor, dass wir ihm unser Demo schicken sollten. Das haben wir dann auch gemacht. Er hat fast umgehend reagiert. Und das auch noch positiv. In der Minute, in der wir gehört haben, dass er unser Demo mag, waren wir unglaublich froh, weil er wirklich ein wunderbarer Produzent ist. Er besitzt eine sehr warme Energie. Alles, was wir tun, ist ein bisschen chaotisch, so dass wir wirklich jemanden gebraucht haben, der uns auch ein wenig Freiraum gibt.

Soundmag: Es gibt einen Song auf dem Album, "The Night Is Young", in dem die Textzeile "Shaking your karma tree" vorkommt. Du schreibst ja die Texte. Hast du eine besondere Verbindung zum Buddhismus?

Juanita: Du bist die einzige Person, die das jemals gefragt hat. (lacht) Nicht speziell. Aber ich bin stark gläubig. Ich glaube sehr stark an Karma. An gutes und an schlechtes Karma. Wir sind in einem sehr, sehr offenen Haushalt aufgewachsen. Unser Vater hat uns manchmal in eine Kirche mitgenommen, dann in einen Tempel, dann... Wir sind mit vielen, vielen verschiedenen Glaubensrichtungen aufgewachsen. Die Essenz daraus ist: Sei gut zu Menschen. Verhalte dich gut und ehrlich. Lebe nach deinem Herzen.

Soundmag: Was mir auffiel, ist, dass deine Texte auf der einen Seite melancholisch, stellenweise düster, aber schlussendlich doch optimistisch sind.

Juanita: Es ist immer Hoffnung darin enthalten, ja. Deswegen bin ich ein bisschen sauer geworden, als die Platte in England rauskam und die Reaktionen der Presse wirklich erstaunlich waren, aber es eine Menge Leute gab, die uns falsch interpretierten und uns als sehr gothic und melancholisch bezeichneten. Aber das sind wir nicht. Wir sind immer extrem positive, hoffnungsvolle Menschen. Lieder wie "The Night Is Young" oder "Setting Sun" sind für mich voller Hoffnung. Das ist meine Botschaft. Melancholisch ja, aber nicht pessimistisch.

Soundmag: Aber es gibt einen Song auf dem Album, der vielleicht wirklich negativ ist: "Low Happening", oder?

Juanita: Oh ja. Das ist der direkteste Track auf dem Album. Da bin ich speziell durch jemanden inspiriert worden, den ich wirklich hasse. Ich habe mich hingesetzt, habe den Song geschrieben. Es hat vielleicht eine Minute gedauert, zack, zack, fertig war er. Das war mein Weg, meine Wut gegenüber dieser Person auszulassen. Das ist wirklich der einzige Song der wirklich sagt: "Fuck you!" Aber die restlichen Stücke sind ruhig. (lacht)

Soundmag: Die englische Musikpresse hat für eure Musik den Begriff "Indie Noir" erfunden. In einem Interview habe ich gelesen, dass ihr davon nicht so begeistert seid.

Juanita: Ich mag das. Das macht mir nichts aus. Ich denke, dass es eine wirklich nette Beschreibung ist. Es ist Indie. Wir machen ja keinen Mainstream. Es ist noir. Es klingt sehr atmosphärisch. Ja! (lacht) Kann sein, dass die Jungs diesen Ausdruck nicht mögen. Ich mag es.

Soundmag: Wie wichtig ist eigentlich Style für euch?

Juanita: Es ist wichtig. Ja, ich werde sehr, sehr inspiriert von Mode, Ästhetik und Kunst. Für mich entstehen der perfekte Film, die perfekte Band oder Kunstwerke dann, wenn Stil und Inhalt virtuos miteinander verheiratet sind. Das Eine ohne das Andere funktioniert nicht. Ich bin sehr interessiert an Style. Ich glaube nicht, dass es das Wichtigste sein muss. Wenn du nämlich Style ohne Substanz hast, klappt das nicht. Wenn du Substanz hast, aber keinen Stil, kann es funktionieren.

Soundmag: Habt ihr ein Konzept, wenn ihr Fotos macht, ihr seid da meist sehr stylish?

Juanita: Wir tragen auf den Fotos genau die selbe Kleidung wie auf der Bühne. Die Art und Weise, wie du dich kleidest, ist, abgesehen von der Musik, der einzige Weg, dich gegenüber einem Publikum auszudrücken. Heute abend spielen wir vor zweitausend Kids in Berlin, die noch nie etwas von Howling Bells gehört haben. Der einzige Weg, das Publikum wissen zu lassen, wer wir sind und von wem wir beeinflusst sind, ist das Aussehen. Wir haben keine Lichtshow, wir haben gar nichts. Du hast vierzig Minuten, um dich auszudrücken, und ich glaube, dass das ein bisschen hilft.

Soundmag: Ich könnte mir vorstellen, dass du mehr Aufmerksamkeit bekommst, als der Rest der Band...

Juanita: Das liegt daran, dass ich ein Mädchen bin. Ein Mädchen und drei Jungs. Ich glaube, dass ein Mädchen immer mehr Aufmerksamkeit bekommen, besonders wenn sie die Leadsängerin ist. Aber es ist nicht so ungerecht verteilt, wie die Leute sich das vorstellen. Die Jungs bekommen immer wieder Komplimente, was für gute Musiker sie sind. Wir sind sehr, sehr stark, wie eine Familie. Wir machen alles zusammen. Wir haben an dem Album zusammen gearbeitet. Es ist nicht so wie bei Debbie Harry von Blondie, dieses: „Ist mir doch egal, wer die anderen Typen sind“ ist nicht unser Ding. Wir sind da sehr, sehr kategorisch, selbst bei Fotoaufnahmen. Jeder Fotograf, mit dem wir jemals zusammen gearbeitet haben, hat mich gebeten, mich in den Vordergrund zu stellen, während die Jungs im Hintergrund bleiben sollten. Jedes einzelne Mal haben wir nein gesagt. Wir nennen es den Coldplay-Shoot.

Soundmag: "Setting Sun" war eine Single, "Low Happening"...

Juanita: ...wird vielleicht im Januar veröffentlicht. "Wishing Stone" und „Blessed Night" waren die anderen Singles.

Soundmag: "Velvet Girl" war keine Single?

Juanita:: Nein. Nur in Australien. Aber wir haben sie quasi zum Radio getragen.

Soundmag: Also, ich finde, ihr solltet es veröffentlichen.

Juanita: Ja? (lacht) Vielleicht in Deutschland.

Soundmag: Damit sind wir dann auch am Ende des Interviews angelangt. Vielen Dank!

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