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Art Brut

Art Brut

 

15.09.05 - Roter Salon / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Pressefoto

 

 

 

Art Brut have just left the building. For Dinner. Zum verabredeten Zeitpunkt treibt sich die Band in irgendeinem Restaurant rum. Drinnen warten könne man leider auch nicht, sagt der Mann vom Roten Salon. Also raus in den Regen - zusammen mit Eyleen, die auch für ein Interview hier ist. Nach einer guten Stunde tauchen die Herren viel zu spät und endlich auf. Aus Zeitgründen also ein Gemeinschaftsinterview in der Lümmelecke des Tourbusses. Umstellt von Videos, DVDs und einem Lufterfrischer (Rock'n’Roll!!!) antwortet Eddie Argos, Sänger und Kopf der Band auf unsere Fragen mit Wortwasserfällen, die im Formel 1-Tempo aus seinem Mund kommen. Ob man Argos abnimmt, was er sagt, bleibt jedem selbst überlassen. Manche seiner Geschichten klingen (zu) phantastisch, er spielt mit den Medien und hat seine ganz eigene Vorstellung von Musik und Popkultur. Die kann jeder auf „Bang Bang Rock'n’Roll “, dem Debüt von Art Brut nachhören.

Soundmag: Ihr habt alle diese verrückten Namen. Sind das Eure Richtigen?

Eddie Argos: Bei mir ja.

Soundmag: Was ist mit Chris Chinchilla?

Eddie Argos: Chris ist nicht mehr dabei. Er schrieb früher Fanzines, daher kam der Name. Wir hörten irgendwo, dass Chris Gitarre spielen könne. Er arbeitete in einem Geschäft, wo sie Mod-Klamotten verkaufen. Also gingen wir da hin und ließen eine Notiz für ihn da. Auf dem Zettel stand: „Wir kennen Deinen Namen nicht, wissen aber, dass Du Deutscher bist und Schlagzeug spielen kann. Mach bei unserer Band mit! Hier ist unsere Telefonnummer!“ Unser neuer Gitarrist ist jetzt aber Jasper Future.

Soundmag: Und Ian Catskilkin (Gitarre)? Ist das sein richtiger Name?

Eddie Argos: Ja, warum nicht?! (lacht)

Soundmag: Ich habe gelesen, dass Freddie (Feedback, Bass) ihre Gitarre auf Ebay ersteigert hat. Hat sie vorher schon gespielt?

Eddie Argos: Oh ja, sie spielte schon länger Gitarre. Aber sie hat das Bassspielen extra gelernt, um bei Art Brut dabei zu sein. Chris hat ihr dabei geholfen.

Soundmag: Steht sie eigentlich darauf, als einzige Frau mich Euch unterwegs zu sein?

Eddie Argos: Oh ja. Sie ist mit unserem Tour-Manager zusammen und darum die ganze Zeit glücklich. Es ist schön, ein Mädchen dabei zu haben. Ich bevorzuge ihre Gegenwart, das ist irgendwie cooler.

Soundmag: Warum war Freddie denn eigentlich in London (Freddie kommt wie Drummer Mikey B aus Deutschland)?

Eddie Argos: Ich glaube zum Studieren, sie spricht Englisch und Spanisch und damit hatte es wohl zu tun. Mike hingegen kam aus dem einzigen Grund nach London, dass er berühmt werden wollte. Er kommt aus Kempten und als er nach London ging, verstaute er seine Drumsticks in einem Koffer. Jeder machte sich darüber lustig, aber er sagt nur: „Du wirst schon sehen, ich werde ein Popstar werden!“ So war es eigentlich bei uns allen. Wir wollten in einer Band sein und kamen darum nach London. Bei mir war das so, bei Chris, bei Jasper und den anderen.

Soundmag: Was hast Du vor Art Brut gemacht?

Eddie Argos: Ich war in einer Band namens The Art Goblins. Schon auf der Schule habe ich mir immer vorgenommen, so richtig berühmt zu werden. Ich habe das dann mit einigen Bands versucht. Nebenbei studierte ich Soziologie und musste in den Kursen ständig Zusammenfassungen schreiben. Anstatt sie selbst zu schreiben, nahm ich „My Way“ von Frank Sinatra und baute die Zusammenfassungen um einzelne Textzeilen herum. Dann schreibst Du noch ein wenig aus dem Internet ab und fertig ist das Teil. Naja, irgendwie bin ich recht schnell daran gescheitert. Danach war ich Barkeeper und Postbote und hab viele soziale Dinge gemacht.

Soundmag: Ihr kommt alle aus unterschiedlichen Bands. Wie spiegelt sich das in Eurer Musik wieder?

Eddie Argos: Wir alle haben einen komplett unterschiedlichen Musikgeschmack. Aber es funktioniert. Wir streiten uns, wenn wir Songs schreiben, aber am Ende kommt immer was Ordentliches dabei raus. Ian war früher in einer Heavy-Metal-Band. Er mag Sid Vicious, Led Zeppelin und solche Sachen. Freddie (Bass) hört viel Mudhoney. Mike (Drums) mag die Eels und Weezer.

Soundmag: Was sind Deine Lieblingsgruppen?

Eddie Argos: Jonathan Richman. Da kommt nichts anderes dran. (zeigt uns eine Jonathan Richman-DVD) Er ist mein Held, der Größte. Ich bin sehr in ihn verliebt. Die DVD hier hab ich vor drei Monaten gekauft und dann erst gemerkt, dass wir gar keinen DVD-Player. Ich hab über 40 Alben von ihm, Bootlegs und alles Mögliche. Manchmal verbringe ich Monate damit, ihn zu hören. Er ist so unglaublich.

Soundmag: Viele vergleichen Euch ja mit The Fall und anderen 80er Jahre-Bands.

Eddie Argos: Ja, Wire sind auch oft dabei. Das ist aber nicht unsere Absicht.

Soundmag: Was hat es mit dem Bandnamen auf sich?

Eddie Argos: Ich mag Kunst. Art Brut ist meine Lieblingskunstrichtung. Es sind Kunstwerke, die meist durch Geisteskranke, Gefangene oder andere Außenseiter entstanden – ohne dass sie dabei im Kopf hatten, Kunst zu schaffen. Ich wusste, was der Name bedeutet als ich ihn vorschlug, aber die anderen hatten keine Ahnung. Mir gefällt der Name so gut, dass ich mir dachte, wir sollten Franchise-Lizenzen vergeben. Dann gäbe es Art Brut 7, Art Brut 6 und so weiter. Hunderte Art Bruts da draußen.

Soundmag: Konntet ihr den Namen einfach benutzen oder liegen auf ihm Copyright-Recht?

Eddie Argos: Oh, ich hoffe nicht. (lacht) Wir haben nicht gefragt und es einfach gemacht. Inzwischen gibt es so viele von uns, dass man eh nichts mehr dagegen tun kann. Es ist jetzt unser Name.

Versteht ihr mich eigentlich? Ich spreche sehr schnell. Gestern machten wir ein Interview für ARTE und ich habe sofort gemerkt, dass die Frau nichts von dem verstanden hat, was ich gesagt habe. Wenn ich rede, klingt das immer wie „Blablablabla... Top Of The Pops. Blablablabla... Top Of The Pops.“ Das wird sie als einziges verstanden haben. Die haben uns verrückte Dinge machen lassen. Wir gingen wie fast immer in ein Museum. Wir haben ja auch diesen Song „Modern Art“ und so denkt anscheinend jeder, dass man Art Brut doch am besten im Museum interviewen könnte. Meine nächste Band werde ich darum Brewery (Brauerei) nennen. Dann werden die Journalisten mit uns immer in Brauereien gehen. Destillery wäre auch nicht schlecht – und dann nur Songs übers Spaß haben schreiben. Art Brewery! (lacht)

Soundmag: Eure erste Single habe ihr an öffentlichen Plätzen wie Bibliotheken mit einer Email-Adresse drauf liegenlassen. Was gab es da für Reaktionen?

Eddie Argos: Das war nicht mal eine Single. Wir haben „Formed A Band“ als Demo aufgenommen und ich dachte, es wäre nett, sie einfach so in die Wildnis zu entlassen. Wir haben also 25 oder 50 Exemplare nummeriert und den Finder gebeten, uns eine Email zu schreiben. Aber da ist nicht viel passiert, ich glaube, es gab eine Antwort. Wer weiß, vielleicht schwirren sie immer noch in einem Bus oder so durch die Gegend.

Soundmag: Ich habe gelesen, dass Deine Texte vor allem von Dir selbst handeln.

Eddie Argos: Nur von mir!

Soundmag: Was ist Musik denn dann für Dich? Eine Art Vergangenheitsbewältigung?

Eddie Argos: Ja, genau das. Als ich mit dem Schreiben anfing und „Formed A Band“ zu Papier brachte, dachte ich genau das, worum es in diesem Song geht. Ich werde in einer Band spielen, berühmt werden und irgendwann wird es langweilig. Ein anderes mal war ich in Milan und schrieb „Rusted Guns of Milan“. So läuft das bei mir.

Soundmag: Was hat es mit diesen Waffen denn auf sich?

Eddie Argos: Es gab da eine Gruppe, die sich „Gatti Gang“ nannte. Es waren keine Terroristen oder so was. Sie überfielen eine Band und erbeuteten 18 000 Lire. Das sind ungefähr vier Pfund. Ihre Waffen funktionierten nicht, darum der Titel. Ich würde Dir gern erzählen, was es mit dem Song auf sich hat, aber irgendwie geht mir das noch zu nahe und es wäre peinlich.

Soundmag: Als ich mir das Album anhörte, hatte ich das Gefühl, dass das die Geschichte einer Band ist. Dein Bruder entdeckt Rock’n’Roll, ihr gründet eine Band, „Top Of The Pops“ und so weiter. Ist das Eure Geschichte?

Eddie Argos: Ja. Bei „Formed A Band“ war es etwas anders. Da ging es nur um mich. Mit „Rusted Gang Of Milan“ fing es glaube ich an, dass ich nur noch über Dinge schreiben wollte, die mich selbst angingen. Es gibt ja viele Bands, die Texte haben, die nichts mit ihnen zu tun haben. Ich könnte so etwas nicht singen. So ein Song wie „Emily Kane“ ist mir da tausendmal lieber.

Soundmag: Hast Du diese Emily Kane jemals wieder gesehen?

Eddie Argos: Ja, sie kam zu einem Konzert, hat aber jetzt einen Freund. Leider... Die ganze Band hat immer zu mir gesagt, dass ich sie nicht wirklich lieben würde, es wäre nur so ein Jugendtraum. Aber ich habe immer gesagt: „Nein, nein. Ich liebe sie definitiv.“ Darauf entgegneten sie, dass ich sie doch aber nie getroffen hätte. Ich konnte dann nur noch sagen: „Yeah you´re right.“ Sie ist noch immer erstaunlich, aber inzwischen ist es eine andere, ein wenig romantische Art von Liebe.

Soundmag: Als ich zum ersten Mal “My Little Brother” hörte, habe ich über mich selbst nachgedacht. Mein kleiner Bruder hat nie den Rock `n´ Roll entdeckt. Tatsächlich bin ich der einzige in meiner Familie, der Rock- oder Indiemusik hört. Welche Rolle spielt so etwas wie Rock’n’Roll und Musik allgemein für junge Leute heute noch?

Eddie Argos: Eine gewaltige - glaube ich. Musik ist enorm wichtig – sie kann Dinge, Menschen beeinflussen. Es ist wie bei mir und Jonathan Richman. Dieser Mann hat definitiv mein Leben verändert. Das schaffen Bands auch heute noch mit ganz unterschiedlichen Leuten. Neulich spielten wir mit einem Daniel aus Israel. Seine Band spielte im palästinensischen Gazastreifen. Popmusik hat hier also ganz klar etwas bewirkt und das finde ich sehr wichtig.

Soundmag: Du hast jetzt sehr oft Jonathan Richman erwähnt. Gibt es auch aktuelle Band, die Du magst?

Eddie Argos: Eine Band aus Irland, die Shallies. Die sind ein wenig wie die B52s. Die Rakes sind exzellent. Die Kaiser Chiefs gefallen mir immer besser. Sie sind so groß und berühmt. Es gibt viele Leute, die sie nicht mögen, aber ich bin jetzt plötzlich ein großer Fan von ihnen. Sie haben in fast jedem Song dieses „Uooooooooooh“ die Tonleiter rauf, das ist erstaunlich. Und ich mag die Band, die heute vor uns spielt, i-Dou. Das sind Freunde von mir. Einer der beiden spielte früher bei Carter USM. Sie haben einen i-Pod, den sie auf Zufall stellen. Der diktiert ihnen dann die Setliste, sie spielen was kommt. Das ist irgendwie cool.
Ich sah Ricky von den Kaiser Chiefs vor einigen Wochen bei einem Festival. Er lief auf Krücken, sprang aber wie verrückt auf der Bühne herum – auf einem Bein. Danach warf er die Krücken weg, lachte und sagte, es ginge ihm gut. Ich mag solche Leute, die „popstary things“ tun. Bei einem Festival in Amerika lachten ihn die Jungs von The Bravery aus, als sie ihn mit den Krücken sahen. Sie sagten Sachen wie: „In Deiner Band sind Krüppel“. Ohne aufzuschauen, warf er die Krücken weg, machte zwei Purzelbäume, sprang in die Luft und tanzte hinfort ohne sie eines Blicks zu würdigen. Das ist SO cool. Ich mag solche Dinge.

Soundmag: In Interviews sagen die Kaiser Chiefs, das sie zwei gute Alben machen wollen und das war’s dann für sie.

Eddie Argos: Ja, so ist es bei uns auch. Wir sind uns da sehr ähnlich – Brüder im Geiste.

Soundmag: Wie stehen denn Eure Chance wie sie mal bei „Top Of The Pops“ aufzutreten?

Eddie Argos: Wir haben eine neue Single, das sollte klappen. Ich habe extra einen Song dafür geschrieben. Allerdings singe ich in dem nur ständig „Art Brut, Top Of The Pops, Art Brut, Top Of The Pops...“ Immer und immer wieder. Wir haben das für eine Compilation mit über vierzig befreundeten Bands aufgenommen, jeder schrie dann seinen eigenen Namen – nacheinander natürlich. Das war sehr cool. Wenn wir es live spielen, dann laden wir immer die Vorbands ein, bei diesem Song mitzusingen.

Ich liebe „Top Of The Pops“ ja abgöttisch. In Deutschland ist es sehr komisch, denn anders als in England habt ihr nur Popbands in der Show. Bei uns siehst Du die Babyshambles, Black Eyed Peas, Maximo Park... alle in derselben Sendung. In den letzten Jahren ist es schlechter geworden, aber ich will immer noch unbedingt dort singen.

Soundmag: Dann drücke ich Dir die Daumen, dass das klappt. Vielen Dank für das Interview.

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