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Clem Snide

Clem Snide

 

29.09.05 - Magnet / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Pressefoto

 

 

 

Eaf Barzelay, Sänger des Clem Snide-Quartetts, klingt auf der Bühne, während des Soundchecks wie ein verschnupfter Ryan Adams. Später zum Konzert ist zumindest der Schnupfen verschwunden. Im Interview hingegen ist seine Stimme tief und dunkel. Das mag am Tourplan liegen. Als Barzelay als letzter vom Soundcheck in den Nebenraum des Magnets trottet, sieht er müde und abgeschlafft aus. Er hole sich nur noch schnell ein Bier zum munter werden. Clem Snide, ihr aktuelles Album und die darauf zu hörende, verflixt angenehme Mixtur aus geschätzten zehn Musikstilen sind in Deutschland noch so gut wie unbekannt. Eaf Barzelay zog im letzten Jahr aus der Megastadt New York ins eher ländliche Countrymekka Nashville. Eine Tatsache, die “End Of Love” durchaus widerspiegelt. Zusätzlich erfährt der Hörer beim Konsum des Albums noch Interessantes über einen großen Physiker. Aber dazu später.

Soundmag: From New York to Nashville. Das erscheint einem ja wie ein Kulturschock. Ist Nashville wirklich dieses biedere Countrymusik-Klischee?

Eaf: (lacht) Ja, es gibt diese Seite von Nashville. Aber die meisten Menschen wissen nicht, dass da auch eine andere Seite ist. Viele großartige Musiker leben dort, genauso wie Leute, von denen zwar noch keiner gehört hat, die aber höchst erstaunlich sind. Die Stadt scheint gute Musiker irgendwie anziehen, auch wenn du nicht an dieser riesigen Kommerzcountrywelt beteiligt bist. Nimm zum Beispiel Dave Burman, Bobby Bear Junior, die Leute von Lambchop oder Lucinda Williams. Jeder von denen ist irgendwann nach Nashville gekommen.

Soundmag: Hat es dich auch wegen der Musik dorthin gezogen?

Eaf: Das war das eine. Es hatte aber vor allem praktische Gründe. Ich wollte irgendwie weg aus New York, habe außerdem eine Frau und einen dreijährigen Sohn. Wir alle brauchten etwas mehr Platz und fanden ein nettes Haus in Nashville. Da es weniger kostete als wir durch den Verkauf unseres New Yorker Apartments hatten, blieb am Ende sogar noch etwas Geld für uns übrig.

Soundmag: Zwei aus der Band sind nun in Brooklyn und zwei in Nashville...

Eaf: Es war nie so, dass wir alle über viele Jahre hinweg in der gleichen Stadt lebten. Darum sind wir an diese Art der musikalischen Zusammenarbeit schon gewöhnt. Kann sein, dass es jetzt etwas komplizierter wird, aber du tust halt, was zu tun ist. Wir haben „End Of Love“ jeweils zur Hälfte in Nashville und New York aufgenommen. Es sind Leute aus beiden Städten mit dabei und unterschiedliche Produzenten haben daran mitgearbeitet.

Soundmag: Du hast bei diesem Album zum ersten Mal einige der Songs selbst produziert. Wie war das für dich?

Eaf: Das war gut. Zu diesem Zeitpunkt meines Lebens und an diesem Punkt der Entwicklung von Clem Snide war es wichtig für mich, alles unter Kontrolle zu haben, alles zu überwachen. Alle Entscheidungen wollte ich selbst treffen. Aus verschiedenen Gründen, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte, hatte ich gerade bei diesem Album das Gefühl, Allen genau sagen zu müssen, was zu tun ist. Das ist aber nicht unbedingt der beste Weg ein Album zu machen, denn es hilft manchmal, andere Menschen dabei zu haben.

Soundmag: Du bekommst auch Meinungen von den Anderen, die nicht so nah an den Songs dran sind wie du selbst?

Eaf: Wenn du deine eigenen Songs schreibst, ist es mitunter schwierig, sie aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Ein guter Song entsteht, wenn mehrere Personen um ihn kämpfen, ihn so richtig aufmischen und durcheinander bringen. (schlägt mit den Fäusten ein paar Boxhaken) Wenn es nur mich gibt, ist der Kampf um das Stück oder seine einzelnen Elemente nicht so energisch. Das ist der Nachteil, den man vielleicht hat, wenn man alles selbst erledigt.

Soundmag: Es gibt auf dem Album Songs wie „The Sound Of German Hip Hop“ oder „Tiny European Cars“, die textlich von europäischen Einflüssen leben. Hast du diese Songs geschrieben, als ihr hier mit Ben Folds auf Tournee wart?

Eaf: Oh ja. Die „europäische Atmosphäre“ auf der Platte kommt definitiv aus der Zeit als wir das letzte Mal hier waren.

Soundmag: Wofür stehen denn die „Tiny European Cars“ in diesem Song?

Eaf: Keine Ahnung. (lacht) Für mich steht ein Song zu allererst für sich allein. Jeder kann ihn sich anhören und aus dem Text machen, was er für passend hält. Es ist wie ein Buffet, von dem du so viel essen kannst, wie du möchtest, das du aber auch einfach an der Seite stehen lassen kannst. Keiner zwingt dich zu etwas. Es ist eigentlich nicht meine Aufgabe, dem Hörer zu sagen, was einen Song ausdrücken soll. Aber ich kann dir gern sagen, wofür die kleinen europäischen Autos meiner Meinung nach stehen. Für mich geht es in diesem Song um sexuelle Frustration. So. Mehr sage ich dazu nicht. (grinst)

Soundmag: Sicher bist du auch jetzt schon dabei, neue Songs zu schreiben. Ist es für dich ein Problem, neue Stücke zu schreiben, während ihr auf Tour seid?

Eaf: Ich bekomme eine Menge hin, wenn wir unterwegs sind. Anders als wenn ich mit Frau und Sohn zu Hause bin. Dann hast du nicht viel Zeit für dich selbst, sei es nur, um mal nachzudenken. Wenn du dich um ein dreijähriges Kind kümmern musst, bist du schwer beschäftigt. Auf Tour können meine Gedanken schweifen, solange sie wollen. Keiner limitiert mich. Darum gelingen mir viele Sachen.

Aber das nächste Album ist sowieso schon fast fertig geschrieben. Das ist das Gute an dieser Tour, wir können bereits unter Live-Bedingungen an den neuen Songs arbeiten. So kommt man viel besser an die Songs heran. Das haben wir jetzt eine Weile nicht getan, bei den letzten Alben trafen wir uns immer ein paar Tage vor den Aufnahmesessions und fügten im Studio alles recht schnell zusammen. Für mich ist es ein großer Vorteil, die Songs bereits live erprobt und auch verändert zu haben, bevor man ins Studio geht.

Soundmag: Ich habe gerade auf dem Weg hierher ein Interview mit Mick Jagger gelesen, in dem er gesagt hat, dass diese ganze Geschichte über das Schreiben von Songs im Tourbus großer Quatsch ist, weil man nie genügend Zeit findet. Am Ende habe er immer hundert kleine Schnipsel aber keinen einzigen fertigen Song

Eaf: (denkt lange nach) Für mich ist es am Ende auch nicht wichtig, wo und wann ich den Song geschrieben habe – ob auf Tour oder zu Hause am Schreibtisch. Songwriting besteht für mich zu 90 Prozent aus Nachdenken. Dazu musst du nicht mit Schreibmaschine und einer Tasse Kaffee in einen kleinen Raum gehen. So viele Worte sind das ja nicht. Ein Vers besteht aus ca. sechs Worten und das kann ich mir merken.

Das Schwierige ist vor allem das Zusammensetzen der Musik. Je öfter du einen Song live spielst, desto tiefer gehst du in ihm auf. Man gibt dem Song verschiedene Richtungen und er wird auf diese Art lebendiger. Darum ist es gut, erst dann ins Studio zu gehen, wenn die Songs live lebendiger geworden sind. Bei den letzten Alben fehlte uns dieser Luxus einfach, was auch das einzige Problem ist, das ich mit den letzten beiden Veröffentlichungen habe. Mir fällt es nicht einfach, das zuzugeben, aber am Ende ist es so.

Soundmag: Das neue Album ist also nicht unbedingt besser, sondern einfach mit einer anderen Strategie entstanden.

Eaf: Das stimmt. Es ist zum Einen eher ein Singer/Songwriter-Album, gleichzeitig aber auch ein Band-Album. Auf der einen Seite steht die Bob Dylan-Herangehensweise, auf der Anderen die „Sergeant Pepper`s“-Taktik. Bob Dylan nahm seine Songs immer live auf und wollte nie einen zweiten Take. Es gab nur ihn und den Song. Wenn die Beatles ein Album wie „Sergeant Pepper`s“ aufnahmen, ging es viel mehr um die Atmosphäre, um die Art der musikalischen Orchestrierung. Das, was heute im Indiepop-Bereich populär ist, also Bands wie Arcade Fire, The Shins - orientiert sich eher an den Beatles, also an der Art und Weise, wie sie ihre Musik orchestrieren und arrangieren. Die Worte spielen eine geringere Rolle. Clem Snide tendieren eher zu Bob Dylan oder Leonard Cohen, was das Textliche angeht. Die letzten beiden Alben waren eher in diesem Stil, mit stärkerer Betonung der Worte. Das wollte ich bei dem neuen Album etwas hinter mir lassen und eher zu den Beatles hinüberrücken. Natürlich gibt es immer noch eine Menge Worte auf der Platte, aber sie sind nicht mehr so dominierend.

Soundmag: Hast du die Worte für einen neuen Song denn als Erstes oder kommt das zusammen mit der Musik?

Eaf: Das funktioniert in beide Richtungen. Manchmal habe ich die Melodie und muss die Worte irgendwie in diese Melodie hineinpressen, sie müssen passen. Andererseits denke ich auch oft an eine Textzeile, murmele sie mir immer wieder vor und irgendwann fange ich an, zu singen und die Melodie entsteht.

Bei unserem neuen Album, das noch nicht erschienen ist – und das unterscheidet es von allen Anderen – nahm ich den Rhythmus, den Beat als Anfang, aus dem heraus sich der Song entwickelte. Für „End Of Love“ hingegen hatte ich alle Texte, bevor ich mit den Melodien überhaupt anfing. Manchmal bekommst du Beides zur gleichen Zeit hin, aber das passiert wirklich verdammt selten. „Made For TV Movie“ ist ein Beispiel dafür.

Soundmag: Das klingt, als ob das Songwriting für dich mitunter recht schwierig wäre.

Eaf: Das war es einmal. Früher habe ich sehr gekämpft. Jetzt geht es flüssiger, einfacher und fühlt sich gut an. Es scheint, als ob ich immer eine Art Konzept brauche, wie das Album am Ende sein soll. Wenn ich so eine allgemeine Idee, worum es sich drehen könnte, habe, schreibe ich die Songs, die dazu passen. Für „End Of Love“ hatte ich einen ganzen Sack voll Songs, die nicht unbedingt unter ein Thema zu summieren waren. „Soft Spot“ hingegen, das Album davor, hatte ein ganz klares Konzept. Die ganze Platte war im Prinzip ein großer, langer Song. Die Leute sagten mir darauf, dass sie das Album für zu ruhig und zu weich hielten. Sie wollten mehr Uptempo-Songs, aber für mich war es genau so richtig, wie es am Ende klang. So wie Musik für eine bestimmte Stimmung („Moodmusic“), die man im Hintergrund laufen lässt. Nur wenige Leute haben das verstanden.

Soundmag: Deine Text werden ja oft als sarkastisch und zynisch beschrieben. Stört dich das? Bei den Pet Shop Boys ist es oft so, dass die Leute ihre Musik immer für unglaublich ironisch und tricky halten, obwohl die Beiden das gar nicht beabsichtigen.

Eaf: (winkt ab) Das stört mich überhaupt nicht, denn mitunter sind die Texte ja genau das. Aber es liegt mehr in ihnen, nicht nur der Sarkasmus.

Soundmag: Wie wichtig ist denn dann der Einfluss Deiner drei Kollegen auf die Songs?

Eaf: Ich schreibe zwar die Texte, Melodien und den Song an sich aber darüber hinaus kann eine Menge damit gemacht werden. Dafür brauche ich die Band. Pete (Fitzpatrick) etwa macht Dinge auf der Gitarre, an die ich nicht mal denke, geschweige denn fähig wäre, sie zu tun. Das macht es so spannend, diese Songs mit den Anderen aufzunehmen.

Soundmag: Zum Abschluss noch eine Frage, die mich in den letzten Tagen wirklich beschäftigt hat. Auf „End Of Love“ gibt es eine Textzeile, wonach Isaac Newton bis zu seinem Tod Jungfrau im biologischen Sinne war. Stimmt das oder ist das Deinem Gehirn entsprungen?

Eaf: Ja, er war es tatsächlich. Du siehst, man kann etwas aus unseren Songs lernen!

Soundmag: Danke dafür und für das Interview. Viel Spaß heut Abend.

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www.clemsnide.com

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