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Voltaire

Voltaire

 

04.11.05 - Magnet / Berlin

Interview:  Mathias & Rike

Foto: Pressefoto

 

 

 

Man hat das Bild des "Simpsons"-Intros vor dem inneren Auge, in dem alle deutschsprachigen Bands in demselben Orchester spielen. Schön ist, dass es hierbei eine Band gibt, die wie Lisa Simpson mit ihrem Saxophon, versucht, sich aus dem Trott frei zu spielen. Lisa Simpson kommt aus Bonn und heißt Voltaire.
Auf einem der zahlreichen Konzerte trafen wir Sänger Roland Meyer de Voltaire, Gitarrist Marian Menge und Keyboarder Hedayet Djeeddikar.

Nach langer Plauderei über Musik anderer Bands und Touren kommen wir zur ersten Frage des Abends.

Soundmag: Könnt ihr euch noch an euer erstes Konzert erinnern?

Roland: Ja, ungefähr. Das war in so einem Laden... Ach, stell dir vor, es gibt Köln, da drunter liegt Bonn, da drunter liegt Godesberg und da drunter liegt Rüngsdorf. In Rüngsdorf waren früher die ganzen Residenzen, da wohnen nur steinreiche Leute. Da haben wir in einem Laden gespielt, der war tagsüber für den Schwimmbadbetrieb offen, und abends war das dann so ein Club. Das war ganz witzig, in dem Laden haben wir auch öfter gespielt, oft unplugged, weil man vor bestuhltem Publikum, in einer sterilen Glasatmosphäre spielte. Man hatte regelrecht Angst Gas zu geben, weil jeder laute Ton geschmerzt hat.

Soundmag: Aber ihr wart ja nicht das erste Mal auf einer Bühne. Ihr hattet schon vorher Bands bzw. Projekte, und so weit ich weiß, habt ihr beide (Marian und Roland) Voltaire gegründet...

Roland: Es war so. Das, was Voltaire ganz am Anfang war, konnte man eigentlich nicht Voltaire nennen; Voltaire wurde erst mit allen Mitgliedern Voltaire. Damals spielte ich noch mit einigen Leuten meiner Schülerband zusammen, das waren Heda, der eigentlich der Erste in der jetzigen Besetzung ist. Mit Heda war es eher ein Akkustik-Projekt. Als es dann langsam ernster wurde, kam Marian dazu, und damit entstand dann auch relativ schnell der Sound, der uns jetzt eigentlich ausmacht. Ohne Marian und David am Schlagzeug, war es eben nicht möglich, die Intensität und die Wut, die wir jetzt haben, umzusetzen. Diese Wut war immer in mir, aber es ging wirklich erst mit allen Mitgliedern, dies umzusetzen.

Soundmag: Werden eure Songs immer noch wie früher geschrieben, also Gesang und Klavier oder Gitarre?

Roland: Es gibt ja viele Wege, aber am einfachsten ist es eigentlich, einen Song mit Stimme und einem Instrument umzusetzen, so dass man heraushört, dass all das drin ist, was man braucht, das ist manchmal Klavier, manchmal Gitarre. Die Brüche, die man dann in den Songs hat, entstehen relativ schnell im Kopf beim ausprobieren. Dann habe ich meistens ein Bild und spiele den Song vor, und dann wird rum probiert und dann gesagt, der Groove soll so und so sein. Man nimmt Sachen instinktiv auf, so ist das Outro bei "Premiere" entstanden, da hat der Heda zum Spaß am Klavier rumgespielt und ich sagte "Moment, spiel das jetzt noch mal am Ende des Songs". So werden solche Experimente zu festen Bestandteilen der Songs.

Marian: Es ist ja jetzt noch so, dass wir bei Songs, die wir schon seit 2 Jahren spielen, etwas umarrangieren, da kommt ein Element hinzu oder wird weggelassen.

Soundmag: Wie ist das mit den Texten, werden die auch im Nachhinein geändert?

Roland: Das ist schwierig, wenn ich einen Text erstmal richtig singe, ist es schwer, davon wieder Abstand zu nehmen. Manchmal nehme ich mir vor etwas daran zu ändern, aber man merkt schnell, dass es sich anders anfühlt. Man schreibt ja aus einer Stimmung heraus, und so entstehen Texte, bei denen es nichts konkretes gibt - außer für mich, aber das möchte ich den Leuten nicht einfach unter die Nase halten. Ich möchte die Stimmung beschreiben und nachfühlbar machen, was dem dann zugrunde liegt; an was es jeden Einzelnen erinnert, kann dann letztendlich jeder für sich entscheiden. Inzwischen ist es aber so, dass ich sehr oft darüber nachdenke, weil ich zunehmend Lust bekomme, Texte zu schreiben, die die Menschen auch "verstehen" können (lacht), dass ich da schon konkreter werde - in letzter Zeit habe ich da irgendwie mehr Spaß dran.

Soundmag: Hast du beim Schreiben Textzeilen im Kopf, die du aber so nicht nimmst, weil sie zu eindeutig wären und dich nackt erscheinen ließen und sie darum "verschlüsselst"?

Roland: Also, was ich nicht mag - und das wurde mir auch hin und wieder unterstellt, und das ist auch ein Grund, warum ich die Verschlüsselei lassen möchte - ist das Verschlüsseln des Verschlüsseln´s willen. Wenn ich ein Bild im Kopf habe, dann ist das für mich wie eine Porzellanfigur, wie etwas Schönes, etwas Fragiles, was schnell von der einen zur anderen Seite kippen kann. Außerdem finde ich, dass in dieser Unnahbarkeit eine gewisse Schönheit steckt. Es ist manchmal so, dass ich eine Zeile verwerfe, die ich im Kopf habe, weil ich das Gefühl habe, ich hau damit dieses Kippen von der einen zur anderen Seite, welches ja eine Spannung erzeugt, die durch eine Uneindeutigkeit entsteht. Nun ja, wenn ich dann hingehe und das ganz klar beim Namen nenne, dann ist es bei manchen Texten so, dass ich das Gefühl habe, wenn ich das jetzt mache, dann hau ich das Ding volle Kanne gegen die Wand, weil da keine Spannung mehr ist, das ist klar.

Marian: Ich bin ja Hörer seiner Texte - wir haben ja alle mit dem Schreiben nichts zu tun, und ich find, einerseits passt es ganz gut zur Musik, weil wir auch nie irgendwie Achtel durch rocken; also wo der Song hin will, wird nicht beim ersten hören klar, das lassen wir auch gern offen. Andererseits ist es so, dass es heute noch Sachen in Texten, die wir schon 2 Jahre lang spielen, gibt, über die ich mich freue.

Soundmag: Wenn ihr bei einem Konzert mit mehreren Bands vor eurem Auftritt durch den Club lauft, erkennt ihr dann, wer wegen euch gekommen ist? Erkennt man die vielleicht an einer leicht melancholischen Ausstrahlung oder an einem Radiohead-T-Shirt?

Marian: Wir hatten jetzt sogar schon Konzerte, wo Leute mit Voltaire-T-Shirts kamen.

Heda: Ja, aber Leute mit Radiohead-Shirts sind sicherlich auch dabei.

Roland (kommt auf die vorherige Frage zurück): Ich finde, dass es trotz aller Ästhetik und Spannung wichtig ist, dass alles sehr spürbar und glaubhaft sein muss, um noch mal auf das Verschlüsseln des Verschlüsselns willen zu sprechen zu kommen. Man könnte einen Song wie "Flut" wesentlich einfacher machen; nimm die ganzen Tempowechsel weg, nimm die Atmosphären weg, aber der Songs beschreibt einen Konflikt, das meine ich auch zu spüren, wie man ihn erlebt. Als wir mal mit "Juli" zusammen spielten, die halt ein sehr großes Teenie-Publikum ziehen, ist das Publikum bei "Flut" wirklich ausgerastet.

Heda: Viel macht auch die Location aus. Kennst du das UT Connewitz, das ist so wunderschön, ein altes Kino, und da hat es wirklich super geklappt. Das passte super zusammen.

Marian: Und vorher haben wir auf einer Studentenparty gespielt, und das ging halt nicht, das Bier war alle, das hat irgendwie überhaupt nicht gefunkt. Wir sind halt keine Studentenparty-Band.

Roland: Ja gut, man geht auf eine Party um zu feiern, da passt unsere Musik nunmal nicht.

Marian: Saufen kann man zu unser Musik allerdings ganz gut - aber besser allein.

Heda: Mit "I Am Kloot" zusammen passt es auch ganz gut.

Roland: Wir haben gestern erst mit denen zusammen gespielt. Das war echt ein schöner Abend.

Soundmag: Ihr seid jetzt das zweite Mal mit denen auf Tour.

Marian: Ja, vor zwei Jahren waren wir auch dabei. Das hat gut geklappt. Im Sommer hab ich sie jetzt noch mal in Wien und Köln gesehen und kam in Wien mit dem Techniker ins Gespräch. In den letzen Monaten haben wir nach Möglichkeiten gesucht zu spielen, und da gab es eine Menge Versuche. Mit "I Am Kloot" war es aber so, dass sie 3 Bands vorgeschlagen bekommen haben, und haben sich gefreut, unseren Namen zu lesen, und so sind wir wieder dabei.

Soundmag: Ihr kommt aus Bonn, und in eurem Bandinfo ist zu lesen, dass ihr aus der Provinz kommt. Wozu die Lüge?

Roland: Das wurde ja selbst von einem Provinzler geschrieben. Das war ein Versuch, von vorneherein klarzustellen, dass wir keine Berliner Band sind oder Hamburger Schule, keine Münchener Schule oder Elektroschule...

Marian: ...oder Rödelheim...

Roland: ...sondern, dass wir von Anfang an unser eigenes Ding gemacht haben und dass wir ziemlich lang auf kleiner Flamme geköchelt haben. Bis heute haben wir kein Umfeld, keine Szene. Das macht´s einerseits sehr schwierig, weil du hast keine Infrastruktur, du hast keinen, den du anrufen kannst, zum Beispiel. Aber anderseits ist das für uns sehr spannend, weil wir dadurch ein unbeschriebenes Blatt sind.

Soundmag: Meint ihr, dass eine Band, die kurz davor steht, ein Album bei einem Major-Label zu veröffentlichen, ein Image braucht?

Roland: Also ein Image hast du, sobald du als Mensch überhaupt da bist; du kommst in einen Raum rein und guckst die Menschen an. Da kann jeder erzählen, was er will, wie wenig er auf irgendwas achtet - es spielt alles eine Rolle. Es spielt eine Rolle, wie die Stimme klingt, die Haltung der Person, die Klamotten, das spielt alles eine Rolle. Natürlich fällt es sehr unangenehm auf, wenn man sich viel Mühe damit gibt, wenn einer oder mehrere Faktoren, die ich eben genannt habe, manipuliert werden. Das macht man entweder besonders gut oder lässt es lieber. Bei uns ist das vielleicht wie mit der Musik, einerseits wollen wir sehr klarstellen, dass wir so sind wie wir sind und dass wir auch dazu stehen. Andererseits ist es so, dass wir zumindest Spaß dabei haben, eine Inszenierung zu betreiben, aber beispielsweise bei mir fällt es sehr spontan aus, dass ich z.B. bei Konzerten manchmal ein wenig pantomimisch paranoid bin, und bei manchen lasse ich das auch; wenn ich keine Lust habe, mach ich das nicht. Was die Leute sich als Bild mitnehmen, das machen die selber, das machen nicht wir.
Zum Thema Image gibt es eine Sache, die ich sehr schade finde, dass die Leute mit dem Namen Voltaire hochgeistige Schnösel verbinden. Ich heiße so, aber das ist kein Name, den du gewählt hast, um uns als eine geistige, intellektuelle Elite darzustellen.

Soundmag: Aber ihr hättet euch ja auch "Meyer" nennen können. Ihr wollt schon intellektuell wirken, oder?

Roland: Das ist so ein bisschen der Punkt. Von Voltaire habe ich mal ein Buch gelesen, irgendwann muss man das ja, wenn man so heißt, und das ist ein vollkommen lustiges und unterhaltsames Buch. Der Grund, warum wir nicht Meyer, sondern Voltaire heißen ist das, worüber wir eben gesprochen haben, dass es einfach auch darum geht, die Sache nicht platt an die Wand zu reden, sondern Spannung mit einer gewissen Ästhetik zu vermitteln. Das hat nichts damit zu tun, dass wir irgendwas machen wollen, das dann niemand versteht, sondern weil wir das so schön finden.

Soundmag: Roland, du bist der, der die Texte schreibt, und man empfindet Songs wie "Frühstück" ganz anders, wenn man "Tür zu" gehört hat, so als ob da eine Verbindung oder Chronologie, wenn man das so sagen kann, zwischen den Songs stünde...

Roland: Wenn ich einen Text schreibe, ist es immer so, dass irgendetwas passiert, was mich dazu veranlasst, so einen Text zu schreiben. Es kann manchmal sein, dass ich einfach nur eine Zeile höre, die ich dann im Kopf weiterspinne, oder ein Gespräch mit jemandem habe. Das trifft dann so auf einen Fundus von Erinnerungen, Erlebnissen, die ich hatte oder die andere Menschen mir geschildert haben. Wenn Du es so willst, ist "Frühstück" ein Lied, das sich für mich aus beispielsweise vielen eigenen Erlebnissen und Beschreibungen von anderen Menschen zusammen setzt, die in der Situation waren, jemanden zu lieben, der einem nicht gut tut, aber damit zu leben. Bei "Frühstück" ist alles möglich, man kann auch sagen "Ich leb damit und für mich siegt diese Liebe, die ich zu dieser Person empfinde, und deswegen kommt es für mich nicht in Frage, dass ich einfach rausgehe". Bei "Tür zu" ist es ja eigentlich genau umgekehrt. Ich würde jetzt nicht sagen, dass das Dinge sind, die ich in einer bestimmten Chronologie erlebt habe und das deswegen jetzt so schildere. Ich bin überhaupt nicht der Mensch, auch bei einer Trennung, von einem sauberen Abschluss. Ich erlebe da immer sehr viel Spannung, ein Für und Wieder, man sagt "Nein" und rennt weg, und ein paar Tage später nagt an einem das Gefühl, dass man grade ganz große Scheiße gebaut hat. Das ist vielleicht auch beispielsweise so ein bisschen wie bei "Flut", das ich genau aus so einer Stimmung heraus geschrieben habe. Aber das ist jetzt nicht so, dass ich etwas in einer Chronologie erlebt und dann auch so geschrieben hätte.

Soundmag: Ja, aber es kann auch manchmal so verstanden werden. Man spinnt sich dann ja auch immer was im eigenen Kopf dazu, wenn man Songs hört.

Marian und Roland (wie aus einem Mund): Ja, aber das ist doch schön!

Marian: Das ist ja auch einfach Realität, und das ist ja auch eigentlich der gleiche Mensch, der das geschrieben hat. Man hat ja auch immer von jedem Gefühl beide Extreme, was man auch bei den Songs merkt.

Heda: Und was ich noch erzählen wollte, was mir eben noch durch den Kopf gegangen ist, zum Werden von Voltaire. (zu Roland) Ich weiß nicht, ob Du das auch so erlebst, dass in der Anfangszeit, also bevor es Voltaire eigentlich gegeben hat, wir eher so einen Schönklang gesucht haben. Das einzige, was davon übrig geblieben ist, ist "Stille".

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