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The National

The National

 

01.12.05 - Magnet / Berlin

Interview:  Alice

Foto: Alice

 

Die fünf Mitglieder der New Yorker Band The National sind nach einer Woche des Unterwegsseins zwar alle ziemlich müde, aber anscheinend können sich vier von ihnen relativ locker zurücklehnen, wenn es um die Interviews geht. Schnell wird klar, dass der Kopf und die Stimme der Band, Matt Berninger, für die Auskunft vor Ort zuständig ist. Und so sitze ich mit dem schmalen, blonden Sänger auf dem gemütlich zerfetzten Magnet-Backstage-Sofa und stelle ihm meine Fragen.

Soundmag: Eure Europa-Tour ist ziemlich lang, drei Wochen insgesamt ...

Matt Berninger: Ja, das stimmt… fünf Wochen am Stück war bis jetzt die längste Zeit, die wir je unterwegs waren. Aber auch drei Wochen sind lange genug um den Verstand zu verlieren. Und wir sind gerade dabei, an diesem Punkt anzukommen. Ich denke morgen ist es soweit.

Soundmag: Na dann habe ich heute wohl noch Glück gehabt. Obwohl ... es wäre auch interessant ...

Matt Berninger: Ja, wer weiß, aber heute wird es bestimmt noch ein gutes Interview. (lacht)

Soundmag: Euer neuestes, mittlerweile drittes Studio-Album heißt „Alligator“. Von allen dreien scheint es für mich das powervollste und, ja, fast das rockigste Album zu sein. Klar gibt es auch wieder ruhigere Songs darauf, wie z.B. „Karen“ oder „Citty Middle“, aber so als ganzes ist es schon ziemlich stark und straight. Wie siehst du das?

Matt Berninger: Ich denke schon, dass es viel aggressiver ist. Es liegt wahrscheinlich am vielen Touren, an dem Adrenalin des Live-Spielens. Wir sind live oft viel lauter und viel rockiger, als es auf den Platten klingen mag. Und bevor „Alligator“ entstand, sind wir sehr oft live aufgetreten. Vielleicht hat es sich auf die Entstehung der Songs übertragen. Auf jeden Fall war es nicht etwas, was wir uns vorgenommen haben: „So, jetzt machen wir mal ein rockiges Album“. Im Prinzip haben alle unsere Platten auch lautere und stärkere Nummern. War also keine Absicht. Es hat auch nichts mit dem neuen Label (Beggars Banquet) zu tun. Wir haben auch bei diesem Album mit denselben Leuten wie vorher zusammen gearbeitet, also Peter Katis, Nick Lloyd oder Paul Mahajan. Was allerdings auch eine Rolle bei der Entstehung der Songs spielte war, dass sie in der Wahlkampf-Phase Kerry vs. Bush entstanden, was einiges an Spannung und Verzweiflung mit sich brachte.

Soundmag: Welches eurer Alben findest du persönlich am besten?

Matt Berninger: Ich würde sagen das Neueste, also „Alligator“. Ich schreibe ja die Texte für die Songs und bin einfach der Meinung, dass es mir bei dieser Platte am besten gelungen ist. Und ich glaube, wir haben wirklich so gut wie noch nie gespielt ... Aber wahrscheinlich sagt man automatisch immer, dass das neueste Album auch das beste ist.

Soundmag: Ich mag sehr gerne euer zweites, „Sad Songs For Dirty Lovers“ (2003). Aber vielleicht liegt es daran, dass ich den „Cardinal Song“ so gut finde. Er ist schön und brutal zugleich.

Matt Berninger: Der „Cardinal Song“ ist ganz schön pathetisch, weil er die Scham und die Peinlichkeit der vorhandenen Gefühle thematisiert. Es ist vielleicht der dunkelste Song, den wir je gemacht haben. Er bringt all diese versteckten Gedanken nach außen, die wir wahrscheinlich alle manchmal im Verborgenen mit uns tragen. Aber zum Glück sind ja nicht alle unsere Songs so schwer. (lacht)

Soundmag: Wenn wir schon beim Pathos sind, deine Texte handeln sehr oft vom Vermissen und Verlieren oder vom Suchen. Würdest du sagen, dass es für dich als Künstler, als Songschreiber, fruchtbarer ist, sich in einem Zustand zu befinden, wenn man gerade jemanden oder etwas vermisst und sucht, als dass man total glücklich und zufrieden ist?

Matt Berninger: Leider ist es schon so, dass man kreativer ist, wenn man von etwas oder von jemandem besessen ist. Man bewohnt dann einen sehr dunklen Ort, aus dem man natürlich wieder schnell heraus möchte und die Gedanken, die dabei entstehen, in meinem Fall dann eben die Texte, sind eine Art der Auseinandersetzung und eine Art Heilungsprozess. Man wird dadurch natürlich inspiriert, weil man die ganze Wut oder Trauer in etwas Schöneres umwandeln will. Aber es war nie unser Ziel, nur traurige Songs zu machen. Es wäre auf die Dauer langweilig und nervig. Und ich denke, wir haben auf allen Alben ein gutes Gleichgewicht erreicht.

Soundmag: Wie sieht denn eure Zusammenarbeit aus?

Matt Berninger: Ich schreibe immer die Texte, inzwischen arbeiten die anderen vier an verschiedenen Musik-Ideen. Jeder von uns sitzt wohl in seinem Schlafzimmer oder auf dem Sofa, kritzelt irgendwas zusammen und wenn wir uns dann treffen, wird es zusammengeworfen und irgendwann, in einem gemeinsamen Prozess, kristallisiert sich ein Song heraus.

Soundmag: Woher kommt der Name The National?

Matt Berninger: Wir haben vor fünf Jahren nach einem Namen gesucht, der möglichst wenig zu bedeuten hat und kaum Assoziationen hervorruft. Das Wort „National“ kann so vieles und so wenig bedeuten. Es ist universell und kann sich im Prinzip auf alles beziehen. Allerdings kann in Ländern wie z.B. Frankreich oder Deutschland etwas anders assoziiert werden und das ist uns auch schon passiert. Wir sind jedenfalls ganz klar links orientiert und haben keinen Anspruch, politisch zu sein. Es gibt natürlich in unseren Songs nationale Bezüge auf Amerika, da wir ja in diesem Land leben. „National“ sollte auch nicht ironisch gemeint gewesen sein, es sollte einfach gar keine Bedeutung haben. Der Schuss ging aber auch ein wenig nach hinten los. (lacht)

Soundmag: Ich habe mal eine Aussage gelesen, ihr wäret die „meist unterschätzte Band in den USA“ ...

Matt Berninger: (lacht) Ja, ja, ich habe es schon oft gehört. Für eine Band mit wenig Beachtung bekommen wir in diesem Zusammenhang erstaunlich viel Beachtung. Und ich musste schon erstaunlich viele Interviews zum Thema, wie unbekannt wir denn seien, geben. Ich betone: viele Interviews. Und das ist schon irgendwie ziemlich unlogisch. Als wir anfingen zu spielen, haben auch gerade große Hype-Bands wie The Strokes, Interpol und Yeah Yeah Yeahs angefangen. Aber irgendwie sind wir immer in deren Schatten geblieben. Im Vergleich zu ihnen muss ich schon sagen, ja klar, wir werden unterschätzt. Hey, wir sind fucking great und jeder sollte uns kennen! (lacht) Aber okay, wir sind keine Superstar-Band und haben der Popularität nie hinterher gejagt. Wenn wir es wirklich wollten, würden wir wohl viel einfachere Songs schreiben. Aber ja, ich bin schon der Meinung, dass wir unterschätzt werden. (lacht)

Soundmag: Was sagst du zu den Vergleichen mit Künstlern wie Nick Cave, Leonard Cohen oder Stuart Staples von den Tindersticks?

Matt Berninger: Na ja, es liegt natürlich vor allem an meiner Stimme. Da kommt man um solche Vergleiche nicht herum. Stuart Staples und die Tindersticks allerdings haben wir, bis man anfing uns mit ihnen zu vergleichen, nicht gekannt. Jetzt finden wir sie auch großartig. Aber wenn wir schon bei Vergleichen sind, ich denke, es sind nicht nur diese Referenzen. Man könnte noch Nirvana, Pixies, Bruce Springsteen oder Simon & Garfunkel nennen. Wir haben echt ein breites Spektrum an Referenzen.

Soundmag: Sind die Künstler, die du eben aufgezählt hast auch die, die du gerne privat hörst?

Matt Berninger: Ich liebe Nick Cave und auch Cohen oder Tom Waits oder Dylan. Aber um auf die Referenzen zurückzukommen, das stört uns nicht, weil wir uns sowieso ständig neu orientieren und unser eigenes Ding machen, das sich nicht so eindeutig definieren lässt.

Soundmag: Eure Songs sind oft sehr komplexe, kleine Geschichten, fast wie kleine Filmszenen. Habt ihr je daran gedacht, Filmmusik zu machen?

Matt Berninger: In der Tat, Filme inspirieren mich genauso wie Bücher oder eben auch andere Sachen. Und es gibt da einen Roman, der mich ungefähr ein Jahr lang nicht losgelassen hat. Er heißt „Wake Up, Sir!“ von Jonathan Ames. Ames lebt in Brooklyn und ich habe ihn angeschrieben und ihm vorgeschlagen, den Soundtrack dazu zu schreiben. Er schrieb zurück, dass Ben Stiller die Verfilmungsrechte gekauft hat, oder dass er am Drehbuch schreibt, ich weiß jetzt nicht genau, was passieren wird. Soll ich jetzt Ben Stiller anrufen? Es wäre jedenfalls mal ein anderes Projekt, ich hätte große Lust darauf. Ich hoffe, Jonathan Ames und Ben Stiller lesen das hier. (lacht)

Soundmag: Das wird wahrscheinlich nicht der Fall sein…
Man liest auch sehr oft, dass ihr alle eure guten, sicheren Jobs aufgegeben habt, um zusammen Musik zu machen. Habt ihr es je bereut?


Matt Berninger: Ich denke es ist das Beste, was wir je gemacht haben. Wir kennen uns alle aus Ohio und sind unabhängig voneinander aus jeweils unterschiedlichen Gründen, wegen Jobs usw., nach New York gezogen. Und zwar ungefähr fünf Jahre, bevor wir uns 1999 als Band zusammengefunden haben. Scott Devendorf und ich, wir waren schon auf dem College sehr gut befreundet. Wir fingen irgendwann an, zusammen rumzuhängen und Musik zu machen. Dann kam auch sein Bruder Bryan, der Schlagzeiger ist, dazu. Er kannte wiederum die Brüder Aaron und Bryce Dessner, sie haben schon früher in Cincinatti zusammen gespielt. Und so ganz langsam entstand die Band. Es war sehr schön, sich irgendwann von den Jobs zu verabschieden. Auch wenn es dann hart war, die Miete zu bezahlen. Aber hin und wieder müssen wir alle auch irgendwelche Jobs annehmen, um klar zu kommen. Wir sind keine reichen Rockstars.

Soundmag: Wie sieht es mit Plänen für die Zukunft aus?

Matt Berninger: Als Erstes gilt es, diese Tour durchzustehen, also noch zwei Wochen. Dann, nach Hause zu fahren und mehrere Wochen nicht miteinander zu reden. Und dann hoffen wir, im Frühjahr ein neues Album fertig zu haben. Wir alle können es wirklich kaum erwarten, endlich wieder zu Hause zu sein und neue Songs zu schreiben.

Soundmag: Vielen Dank.

 

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