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Gravenhurst

Gravenhurst

 

13.02.06 - Knaack / Berlin

Interview:  Alice

Foto: Alice

 

 

 

Nick Talbot, Kopf von Gravenhurst, war auf die Frage nach einem Foto für die Website nicht vorbereitet und will sich doch noch kurz umziehen. Das hat etwas sehr „Süßes“ an sich, denn eigentlich wirkt er nicht wie jemand, dem ein bestimmtes Auftreten auf einem Foto wichtig wäre. Auf dem Stuhl liegen ein paar Klamotten. Talbot zieht sich ein anderes Hemd und ein Jackett über. „Wenn meine Frau jetzt dabei wäre, würde sie mir noch schnell mit ihrer Hand durch die Haare fahren“, sagt er und versucht seine Haare in Ordnung zu bringen. Im Hintergrund hört man den Soundcheck der Vorband „Post Holocaust Pop“.

Soundmag: Kennst du die Band, die euch heute Abend supportet?

Nick Talbot: Nein, ich weiß zwar wie sie heißen und ich glaube, sie kommen aus Berlin. Aber ich habe sie nicht ausgesucht. Wenn es Müll ist – ich bin dafür nicht verantwortlich.

Soundmag: Ist Gravenhurst eine Band, oder ist es eher ein Ein-Mann-Projekt?

Nick Talbot: Es gibt noch Huw Cooksley und Dave Collingwood. Huw spielt Bass und Keyboard und Dave Schlagzeug. Bei den Aufnahmen für „Fires In Distant Buildings“ war Dave dabei. Die Hälfte haben wir in meinem eigenen kleinen Studio zu Hause aufgenommen, die andere Hälfte in einem professionellen Studio. Am Anfang bestand Gravenhurst nur aus einer Person, das war ich. Aber bei den Live-Auftritten war Dave immer am Schlagzeug.

Soundmag: Wie war das bei den Aufnahmen für die früheren Alben?

Nick Talbot: „Internal Travels“ und „Flashlight Seasons“ habe ich alleine aufgenommen. Auf der EP „Black Holes In The Sand“ und eben auf dem letzten Album spielt Dave das Schlagzeug. Ich bin für den Gitarrenpart und für die Songs verantwortlich. Früher habe ich auch mal Schlagzeug und Klavier gespielt aber nicht besonders gut.

Soundmag: Haben Dave und Huw bei der Entstehung der Songs für das neue Album mitgewirkt?

Nick Talbot: Die meisten Songs habe ich schon vor Jahren geschrieben. Der erste Song z.B., „Down River“, entstand 1997. Im Studio bin ich derjenige, der das Sagen hat. Wenn wir live spielen, lass ich die Jungs improvisieren, so dass wir manchmal nicht wissen, wie ein Song enden wird. Vor allem Dave dreht auf der Bühne durch

Soundmag: Beim Hören deines neuen Albums „Fires In Distant Buildings“ musste ich an einen Schwarz-Weiß-Film denken. Mit ein paar bedrohlichen Momenten

Nick Talbot: Ich würde sagen, es ist nicht das chilligste Album, das jemals gemacht wurde. Die früheren Platten sind viel melancholischer, die neue ist viel psychedelischer. Ich war nicht gerade glücklich, als manche der Songs entstanden sind, aber es war auch nicht meine Absicht, solche oder solche Emotionen hervorzurufen. Mir ist aufgefallen, dass wenn man einen „dunklen“ Film macht oder einen „dunklen“ Roman schreibt, es nicht zwangsläufig thematisiert wird. Aber wenn du eine „dunkle“ Platte gemacht hast, wird man mit Adjektiven wie depressiv und morbide konfrontiert. Die Menschen erwarten anscheinend nur die Wegwerf-Musik, sie wollen Unterhaltung, Fun, Pop. Komischerweise gilt das nicht für Filme, die werden als Kunst angesehen, die Musik nicht.

Soundmag: Glaubst du das wirklich?

Nick Talbot: In Großbritannien ist es so. In anderen europäischen Ländern vielleicht nicht. Aber im UK wird von einem erwatet, dass man wie die Arctic Monkeys spielt.

Soundmag: Du hattest vor Gravenhurst bereits einige Projekte. Wie unterschieden sie sich von dem, was du jetzt machst?

Nick Talbot: Was ich mit meiner letzten Band Assembly gespielt habe war viel lauter und rockiger, etwas zwischen My Bloody Valentine, The Smith und Slint. Wir haben nie ein Album aufgenommen, nur ein paar Demos im Studio.

Soundmag: Und bist du momentan neben Gravenhurst auch noch an anderen Projekten beteiligt?

Nick Talbot: Ja, ich bin noch in einer anderen Band. Sie heißt Bronnt Industries Kapital (www.bronnt.com). Es ist ein ziemlich blödes langes Wort, ich weiß. Mein Freund Guy Bartell und ich haben die Band ungefähr zur gleichen Zeit gegründet, als das erste Gravenhurst-Album erschien. Die Musik, die wir zusammen machen, ist beeinflusst von Horrorfilmen von Regisseuren wie John Carpenter. Jedenfalls viel witziger als das, was Gravenhurst so macht.

Soundmag: Wo ist Gravenhurst eigentlich am populärsten?

Nick Talbot: Vor allem in Deutschland und in Frankreich. In England hatten wir einige Besprechungen und einen großen Artikel in der Sunday Telegraph, weil der Typ ein großer Fan von uns ist. Aber wir erscheinen nicht in Magazinen wie MOJO oder so. Ich halte die Musikpresse in England für extrem Mainstream-orientiert, vor allem in den letzten zehn Jahren.

Soundmag: Lass uns noch kurz über das neue Album reden. Der Song „Cities Beneath The Sea“ klingt wie ein altes, traditionelles, englisches Lied. Und du hast mal in einem Interview gesagt, dass dir das Thema des „lost englishness“ sehr wichtig ist. War das der Grund, sich mit diesem Song dem Traditionellen zuzuwenden?

Nick Talbot: Ja, es sollte klingen wie ein Sea-Shanty-Song. Und ich wollte auch etwas schreiben, das klassisch und traditionell klingt. Richard Thompson sagte mal, dass die meisten britischen Bands keine Beziehung mehr zu ihrer musikalischen Vergangenheit haben. Ich finde es spannend, bestimmte Symbole, die typisch englisch sind, in die Musik einzuflechten. Die meisten britischen Bands könnten auch aus den USA kommen, da gibt es keine Unterschiede mehr. Es ist alles derselbe langweilige „fucking Rock’n’Roll“. Es ist natürlich nicht einfach, den englischen und den amerikanischen Rock’n’Roll zu trennen, aber es gibt immer noch bestimmte Merkmale, die ausschließlich englisch sind. Die finde ich interessant. Die dunkle Symbolik in meinen Songs hat auch damit zu tun, dass ich in einem Teil von Bristol lebe, der nicht wirklich lustig ist. Drogendealer, Zuhälter, die ganze Architektur und das Feeling dort, beeinflussen meine Musik, ob ich es will oder nicht.

Soundmag: Stimmt es, dass der Song „The Velvet Cell“ von einem deiner Träume inspiriert wurde?

Nick Talbot: Nein, es geht vor allem darin um den Gedanken, dass wir uns eigentlich nicht wirklich von den Tieren unterscheiden. Und dass die Gewalt in jedem von uns steckt, und dass es nur darauf ankommt, in welcher Situation wir uns befinden. Ich glaube nicht, dass das Böse an sich irgendeine mystische, weit entfernte Macht ist. Wenn wir uns wirklich selbst anschauen würden, dann wären wir ziemlich geschockt, wozu wir fähig sind.

Soundmag: Gewalt ist generell ein wichtiges Thema in deiner Arbeit.

Nick Talbot: Ja, stimmt. Es hat wohl damit zu tun, dass ich seit meinem zwölften Lebensjahr depressiv bin. Und natürlich beeinflusst das meine Arbeit. So einfach ist das. Es ist genetisch bedingt und in beiden Teilen unserer Familie vorhanden. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Eltern und sie sind wunderbar. Irgendwie hat das Ganze auch was Positives. Man fühlt sich zwar etwas hilflos aber da man weiß, dass es einfach so ist, braucht man sich nicht mehr dagegen zu wehren. Ich glaube nicht, dass wir über freien Willen verfügen.

Soundmag: Wer ist „Nicole“?

Nick Talbot: Keine reale Person. Der Name reimte sich so gut auf „control“.

Soundmag: Was machst du nach der Tour?

Nick Talbot: Vielleicht mal wieder mehr schreiben. Über Musik. Ich schreibe hin und wieder für ein Bristoler Musik-Magazin. Aber mein Haupt-Plan ist es, einfach mal wieder gar nichts zu tun.

Soundmag: Ich würde noch gerne wissen, ob die Geschichte von dem Geist eines Pferdes, das für ein Verbrechen gehängt wurde, das es nie begangen hat und in dem Studio spukte, in dem ihr „Fires In Distant Buildings“ aufgenommen habt, nicht doch wahr sein könnte.

Nick Talbot: Fünfzig Prozent dessen was ich erzähle, ist meistens erfunden. Ich finde es schön, solche Geschichten zu erfinden. Und diese stimmt leider auch nicht.

Soundmag: Schade, man könnte noch überlegen, welches Verbrechen es hätte sein können.

Vielen Dank für das Interview.

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Offizielle Website

www.gravenhurstmusic.com

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