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Sioen

Sioen

 

24.01.06 - Tränenpalast / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Pressefoto

 

 

 

So sind sie, die Belgier. Ein Glas Rotwein in der Hand und entspannt im Holzstuhl zurückgelehnt. Frederic Sioen (sprich Sijun) und seine Band sind in ihrer Heimat bereits Stars, für die goldene Schallplatten inzwischen zu einem neuen Album einfach dazugehören. Mit ihrem verspielten Poprockjazz versuchen sich Sioen nun auch um Belgien herum ein Publikum zu erspielen. Dazu ging es am 24.01. in den Tränenpalast, auf dessen Bühne die fünf Jungs fast etwas verloren wirkten. Frontmann Frederic Sioen bewegt sich zur mal laut rumpelnden, mal geschmeidig fließenden Musik am Klavier ähnlich energetisch wie ein Ben Folds. Kurz vor dem Konzert beantwortete er aber ganz gelassen ein paar Fragen.

Soundmag: Frederic, die letzten Jahre waren geprägt von anwachsendem Erfolg. In Belgien gehört deine Band zwar schon länger zu den nationalen Superstars, aber in letzter Zeit geht es auch international aufwärts. Letztes Jahr konnte man euch in Haldern sehen, vor ein paar Monaten seid ihr im Rahmen der Popkomm aufgetreten und heute spielt ihr euer erstes, eigenes Konzert in Berlin. Wie siehst du eure Entwicklung?

Frederic: Für uns ist es vor allem wichtig, möglichst oft live zu spielen. Somit helfen uns auch die vielen Auftritte in anderen Ländern. Ich glaube, je öfter wir spielen, desto mehr Leute werden kommen. Denn die Besucher eines Konzertes erzählen weiter, dass es gut war und so potentiert sich das mit der Zeit. So war es auch in Belgien. Wir haben dort nicht viel Radio-Airplay bekommen. Das hängt wohl auch mit dem kleinen Label, auf dem wir dort erscheinen, zusammen. Das haben Freunde ja extra für mich gegründet. Aus dieser Erfahrung heraus denke ich, dass Live-Auftritte die beste Möglichkeit sind, neue Hörer für sich zu gewinnen. Da ist es dann auch egal wo – selbst in Deutschland. (lacht) Wir kommen wirklich gern hier her.

Soundmag: Die Clubs werden also größer, es kommen mehr Leute.

Frederic: Oh ja. Das hilft einem natürlich auch, wenn es um die Motivation geht. Heute Morgen sind wir zum Beispiel um halb sieben aufgebrochen, um direkt aus Belgien hierher zu kommen. Da ist es natürlich schön, wenn du weißt, dass am Abend auch ein paar Leute da sein werden, die dich sehen wollen.

Soundmag: Das heute ist also euer erstes Deutschland-Konzert für diese Tour?

Frederic: Ja, schon. Aber unsere Touren sind nie so monströs, dass wir drei Monate oder länger unterwegs sind. Meist dreht es sich um eine Woche und dann fahren wir wieder heim. Das ist cool so, weil ich manchmal Heimweh bekomme.

Soundmag: Seid ihr denn immer noch vor allem in Belgien und Deutschland unterwegs oder dehnt sich das langsam auf Europa aus?

Frederic: Langsam geschieht das tatsächlich. Wir waren schon in Holland, in Frankreich ergibt sich auch ab und zu etwas. Demnächst sind wir sogar für zwei Wochen in China! „Ease Your Mind“ wird dort veröffentlicht und darum machen wir eine Promotiontour. Aber das ist eher so ein Extrageschenk – zwei Wochen in China.

Soundmag: Ist die neue Platte denn schon fertig?

Frederic: Ich bin dabei, sie vorzubereiten. Über den Sommer werden wir noch mit „Ease Your Mind“ touren, auch auf ein paar Festivals spielen. In Haldern sind wir auch wieder dabei – diesmal sogar auf der großen Bühne. Anschließend gehen wir dann ins Studio.

Soundmag: Du hast gerade selbst gesagt, dass DU das nächste Album vorbereitest. Als ich mir „Ease Your Mind“ angehörte, fragte ich mich, wie sehr es ein Soloprojekt ist und/oder wie stark die komplette Band Einfluss darauf nimmt.

Frederic: Dieses zweite Album ist für mich definitiv ein Bandalbum. Ich habe als Musiker solo begonnen, spielte viele Konzerte allein. Manchmal war noch ein Geiger dabei, mehr aber nicht. Auf dem ersten Album ist das gut zu hören. Da gibt es wenig mehr als das Piano und die Violine. Aber „Ease Your Mind“ sollte definitiv nach einer Band klingen. Es wurde darum auch zusammen mit der Band erschaffen. Zwar schrieb ich die Songs allein, aber wir alle haben es zusammen arrangiert. So heißt die Band zwar Sioen, was gleichzeitig auch mein Nachname ist. Aber trotzdem stehe ich – wenn überhaupt – nur als Sänger im Mittelpunkt. Ansonsten funktionieren wir als Gruppe.

Soundmag: Das spielt sich also in einem zweistufigen Prozess ab.

Frederic: Ja, das kann man so charakterisieren. Ich schreibe die Songs allein, aber anschließend kommt sofort die Band ins Spiel. Oft habe ich auch eine Melodie für die Violine oder Gitarre im Kopf, die erst durch die anderen perfekt wird. Irgendwie funktioniert das sehr gut, was auch damit zusammenhängt, dass wir sehr viel live spielen. Das sollte auf „Ease Your Mind“ auch hörbar sein, es sollte mehr wie eine Band auf der Bühne klingen. Das sind ja alles sehr talentierte Menschen, mit denen ich zusammenarbeite und die kennen sich mit ihren Instrumenten viel besser aus als ich. Warum sollte ich das also auf Teufel komm raus allein durchziehen...?

Soundmag: Und warum bist nur du auf dem Cover und den Postern zu sehen?

Frederic: Puh, da gibt es keinen besonderen Grund. Mir ist es wichtig, mich neben der Band auch als Singer/Songwriter weiterzuentwickeln. Wenn ich beim nächsten Album also mit 15 Klarinettisten oder Streichern zusammen arbeiten will, möchte ich das tun können. „Ease Your Mind“ dreht sich trotz allem aber immer noch um mich: wie ich mich sehe, meine Beziehungen zu anderen Menschen und meiner Umwelt. Das nur ich auf dem Cover zu sehen bin, hat also wenn überhaupt mit den Texten zu tun. Wir sind nicht mit der Vorgabe daran gegangen, dass nur Sioen auf das Cover kommt. Es war einfach ein schönes Bild, das zum Titel passte. Gemacht hat es übrigens meine Freundin. (grinst)

Soundmag: Gut, dann zurück zur Musik. Du bist ja ein ausgebildeter Musiker.

Frederic: Als erstes habe ich Flöte spielen gelernt. Damals noch von meinem Vater, der ein klassischer Musiklehrer ist.

Soundmag: Es gab also schon von früher Kindheit an einen musikalischen Hintergrund.

Frederic: Ja. In meinem Elternhaus standen viele Platten, allerdings vor allem klassisches Zeug. Das war aber nicht unbedingt die Art von Musik, die mich wirklich interessierte. Mit 15 begann ich dann zusammen mit Freunden in einer Band zu singen. Das soll’s ja öfter geben. Für mich ist das die beste Schule. Viele von diesen Freunden studieren heute Musik in Gent.

Soundmag: Vorhin sprachst du von Flöten und Klarinetten, die vielleicht auf dem nächsten Album zu hören sein werden. „Ease Your Mind“ hingegen ist ja doch eher rockig geworden.

Frederic: Ich glaube, das ist eine ganz natürlich Entwicklung. Dein erstes Album ist in der Regel eine Sammlung von Songs, die du davor geschrieben hast. Da steckt kein großer Plan dahinter. „Ease Your Mind“ sollte einen Poprock-Touch bekommen. Gleichzeitig schrieb ich aber auch die Musik für einen belgischen Independentfilm. Mir hat diese Erfahrung, mit einem Orchester zu arbeiten, sehr gefallen. Vielleicht geht meine Musik demnächst also doch eher in die bombastische Richtung, mit viel Atmosphäre. Andererseits könnte das Gegenteil der Fall sein, also zurück zum eher minimalistischen Singer/Songwriter. Es wird auf jeden Fall anders als „Ease Your Mind“. Das ist die einzige Vorgabe, die ich mir bis jetzt gemacht habe.

Soundmag: Ich habe mir die Biographie auf deiner Homepage durchgelesen. Dabei hatte ich das Gefühl, dass dein Leben schon sehr früh von Musik geprägt war. Kannst du dich noch an den ersten Moment erinnern, an dem du mit Musik zusammengestoßen bist?

Frederic: (pfeift) Puh. Wann ich das erste Mal Musik durch Hören bewusst wahrgenommen habe, kann ich nicht sagen. Aber ich erinnere mich sehr gut an meine Jahre mit der Flöte. Das erste Album, das ich mir selbst gekauft habe, war „Unplugged“ von Nirvana. (spricht mit Akzent „Ünplagt“ und lacht). Eine durchaus gute Wahl, um mit Musik zu beginnen. Wenn ich mich mit anderen Musikern unterhalte, haben die allerdings immer sehr viel Musik aus den Plattenschränken ihrer Eltern konsumiert. Das war mir verwehrt, da es zu Hause nur klassische CDs gab. Ich musste alles allein entdecken. Ich kann mich noch erinnern, wie mir Freunde aus Frankreich erzählten, dass sie sich CDs von ihren Vätern borgen würden. Bei mir bedeutete das, dass ich Mozart und Bach hörte. Geliebt habe ich es trotzdem. Das hört man der Musik von Sioen auch heute noch an.

Soundmag: Gleichzeitig klingen einige Songs auf „Ease Your Mind“ sehr jazzig. Wo kommt dieser Einfluss her?

Frederic: Ich höre viel Jazz. Miles Davis, Chet Baker, Coltraine. Selbst Tom Waits ist irgendwie Jazz. Die anderen Musiker in der Band spielen auch oft Jazz. That’s cool! Toots Thielemanns, einer der letzten belgischen Jazzmusiker, war auf dem Album dabei. Er ist eines meiner Idole und wurde während der Arbeit zu einer Art drittem Großvater von mir. Er rief mich letzte Woche an, wünschte mir noch ein frohes neues Jahr und spielte mir etwas Musik am Telefon vor. Sehr cooler Typ. (grinst bis zu den Ohren) Er ist nicht nur musikalisch ein Idol, sondern vor allem wegen seiner Persönlichkeit. Wenn du mit ihm zusammen bist, merkst du, dass er im Herzen immer noch ein Kind ist. Er ist enorm berühmt, bleibt dabei aber ein ganz normaler, Pfeife rauchender Großvater. So möchte ich auch mal sein.

Soundmag: Es gibt ja sicher viele Bands in Belgien. In Rezensionen wird eure Musik oft mit dEUS verglichen. Kannst Du mir erklären, wo diese Parallelen liegen sollen? Für mich ist es schwer, das zu erkennen. Manchmal vielleicht in der Art, wie du mit der Stimme spielst. Fühlt sich dieser Vergleich für dich gut an?

Frederic: Nun, ich kann diese Verbindung sehen. Sie ist sicher auch offensichtlich, wenn man zwei belgische Bands vor sich hat. Ich habe seit ich 15 war viel dEUS gehört und sie beim größer werden begleitet. Sie sind ja Helden in Belgien. Gleichzeitig haben wir in Belgien aber auch noch Soulwax und eine Hand voll anderer Bands. Es ist eine gute Zeit für neue, junge Bands im Moment. Für mich ist diese gemeinsame Herkunft aber auch schon die einzige Parallele, die ich sehe. Diese Vergleiche höre ich ja auch in Interviews relativ oft. Ich finde sie manchmal komisch, sage aber einfach „Ja, klar“ und dann ist das erledigt - ohne dass ich viel erklären muss. dEUS sind für mich am Ende ein genauso wichtiger Einfluss wie beispielsweise Tom Waits oder Jeff Buckley. Sie sind einfach eine von vielen Bands, die ich in meiner Jugend gehört habe. Am Ende kreierst du dir einen ganz eigenen Mix aus all den Einflüssen, die auf dich gewirkt haben.

Soundmag: Wir würdest du die aktuelle belgische Musikszene denn beschreiben?

Frederic: Es gibt in Belgien drei große Städte: Gent, Antwerpen, Brüssel. Jede dieser Städte hat eine ganz eigene Szene mit einem spezifischen Stil. dEUS beispielsweise sind aus Antwerpen, wir sind aus Gent. Belgische Musik kannst du vielleicht am besten mit „We don’t give a fuck“ beschreiben. Wir lassen uns nicht in ein bestimmtes Format pressen wie in Amerika. In Holland gibt es einige Parallelen zu den USA. Viele Punkrockbands wollen dort wie Sum 41 klingen. In Belgien suchst du so etwas vergebens. Hier musst du etwas Eigenes kreieren und sehr vorsichtig sein, nicht doch andere zu kopieren. Das ist meiner Meinung ein großer Vorteil. Es gibt den dEUS-Stil, den Sioen-Stil... und du kannst die mit nichts anderem vergleichen.

Soundmag: Wie groß ist der Musikmarkt in Belgien? Du hast ja schon goldene Schallplatten bekommen. Wie viele Alben muss man dafür verkaufen?

Frederic: 25 000. Ich bin sehr stolz darauf, dass sowohl das erste Album „See You Naked“ wie auch „Ease Your Mind“ den Goldstatus haben. Das ist wirklich schwer, denn es gibt einige Bands und der Musikindustrie geht es ja auch nicht gut – wenn man das so glauben darf. Die Unterstützung ist aber vorhanden. Es gibt Festivals, bei denen ausschließlich belgische Bands auftreten und die Radioprogramme unterstützen die einheimischen Künstler.

Soundmag: Wie steht es denn mit deutscher Musik in Belgien. Gibt es dort bekannte Bands?

Frederic: Ähm... Rammstein?!

Soundmag: Die sind ja überall berühmt. Andere?

Frederic: Neu! Gefallen mir sehr. Aber die sind schon etwas älter. Sonst fällt mir leider nichts ein.

Soundmag: Gut, dann wünsche ich dir ein erfolgreiches Konzert. Danke für das Interview.

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