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My Latest Novel

My Latest Novel

 

23.02.06 - Postbahnhof / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Pressefoto

 

 

 

Der Typ, der im Backstagebereich des Postbahnhofs sitzt, ist müde, raucht und kann seine Augen kaum noch offen halten. Bennington sein Name. Chester Bennington, Sänger der schottischen Band My Latest Novel. Ihr erstes Album heißt „Wolves“ und am heutigen Abend spielen sie zusammen mit anderen auf dem Coop-Musikfestival. Die Aussichten auf zwei Mützen voll Schlaf stehen also auch in dieser Nacht schlecht. Macht aber fast gar nichts, denn Bennington erzählt wie ein Wasserfall in einem schottischen Akzent, der genaueste Aufmerksamkeit vom Gegenüber erfordert.

Soundmag: Hallo Chester, wie geht’s dir? Du siehst aus, als hättest du letzte Nacht ca. 45 Minuten geschlafen?

Chester: Ja, da liegst du gar nicht so falsch. Die Nacht war kurz und anstrengend. Aber das Interview steh ich durch, versprochen.

Soundmag: Gut, ich würde gern mit Greenock beginnen, also eurer Heimatstadt. Die Plattenfirma beschreibt Greenock im Infozettel als kleines, fast schon romantisches Fischerdorf. Wahrheit oder Legende?

Chester: Oh, es ist schon ein bisschen so. Grennock liegt an der Küste und ist sehr schön anzusehen. Aber wenn du als Jugendlicher etwas erleben willst, gibt es dort nicht viel für dich. Wir haben versucht, das als Vorteil zu nutzen. Keiner wusste, was man tun könnte, also fingen wir an, Songs zu schreiben, um uns so abzulenken. Dann gingen wir irgendwann nach Glasgow, wo es mehr Möglichkeiten gab, sich vom Alltag ablenken zu lassen. Aber manchmal ist es immer noch toll, wieder zu Hause zu sein. Dort, wo deine Freunde und deine Familie auf dich warten.

Soundmag: Also ist das eher ein toller Platz, um seine Kindheit zu verleben. Aber wenn du erwachsen wirst, musst du zwangsweise weg.

Chester: Ja. Mit 18 gibt es dort nichts mehr, was dich hält. Und natürlich hat die Stadt all die typischen Probleme wie Drogen und Kriminalität. Aber es ist toll in einer solch kleinen Gemeinschaft aufzuwachsen, denn du lernst viele Leute kennen und bist nahe beieinander. Auch heute noch ist es schön, die Möglichkeit zu haben, dorthin zurückzukehren.

Soundmag: Wie viele Leute leben dort?

Chester: 40 000. Es ist also nicht unbedingt ein kleines Dorf.

Soundmag: War es schwer, die anderen Bandmitglieder dort kennen zu lernen?

Chester: Nein. Mein Bruder war ja sowieso schon mit dabei. Die anderen lernten wir im Proberaum kennen. Wir spielten in verschiedenen Räumen und an einem Abend probierten wir es einfach mal zusammen. Somit waren wir schon zu viert. Bei unserem ersten Gig sah uns Paul und dem gefielen die Songs so sehr, dass er auch mit einstieg. Fertig waren My Latest Novel. Wir alle waren damals gar nicht unbedingt darauf aus, in einer Band zu spielen. Ich selber hatte mich gerade erst aus einer anderen Band verabschiedet und es stand nicht unbedingt ganz oben auf meiner Prioritätenliste, sofort eine neue zu gründen. Aber irgendwie fühlte es sich gut an und letztlich sprach ja auch nichts dagegen. Wir fühlten uns alle einander sehr nahe und unser Songmaterial war gut. Wir haben enorm viele Songs in sehr kurzer Zeit geschrieben. Es waren so viele, dass wir einige davon wieder wegwarfen. Die, die blieben, klangen großartig. Unsere erste Single „Sister Sneaker Sister Soul“ beispielsweise war der erste Song, den wir überhaupt geschrieben hatten.

Soundmag: Ist Songwriting also etwas, das euch sehr leicht von der Hand geht?

Chester: Nein, überhaupt nicht. Es gibt immer wieder Songs, über die wir uns sechs Monate lang den Kopf zerbrechen. Aber während dieser Zeit entstehen andere Stücke wiederum vollkommen komplikationslos. Inzwischen gehen wir mit dem Songwriting sehr professionell um. Ich glaube, das ist auch nötig für die Art von Musik, die wir machen. Da musst du sehr konzentriert sein – egal ob beim Spielen oder Schreiben. Mit manchen Dingen kämpfst du ewig, andere fliegen dir einfach zu. Bei dem Großteil der Songs auf dem Album kann ich mich nicht mal mehr erinnern, wann und wie wir sie geschrieben haben. Oder wo sie herkamen. Es ist einfach passiert.

Soundmag: Wie viel Zeit hat es denn gebraucht, um die Songs für euer Debüt zu schreiben?

Chester: Naja, das waren schon ein paar Jahre. Aber das Debüt einer Band besteht ja meist aus Songs, die vor eben diesem Debüt geschrieben wurden. Man packt das Beste von dem zusammen, was man hat. Darum ist das mit der langen Zeit jetzt nicht sonderlich erstaunlich. Es war wichtig für uns, all die guten Songs schon zusammen zu haben, als wir für zwei Wochen ins Studio gingen. So konnten wir sehr zielstrebig arbeiten. Außerdem haben wir versucht, keinem Trend hinterherzulaufen. Es war uns nicht wichtig, einer trendigen Subkultur anzugehören. Alles sollte möglich sein und es gibt einige Dinge, die wir jetzt getan haben, andere stehen uns noch offen. Wir könnten Punksongs machen auf dem nächsten Album. Everything is possible.

Soundmag: Wann seid ihr denn nach Glasgow gezogen?

Chester: Vor ca. 18 Monaten.

Soundmag: Hast du das Gefühl, das „Wolves“ beide Seiten kombiniert? Also die eher ländliche Seite von Greenock und das urbane Glasgow.

Chester: Irgendwie schon. Das Album ist sehr erzählerisch. Es gibt viele Songs, die Geschichten erzählen. Darin spiegeln sich schon beide Perspektiven wider. Allerdings liegen zwischen Greenock und Glasgow lediglich 20 Meilen. Es ist also nicht so, dass es zwei komplett verschiedenen Welten wären. Was uns aber immer wichtig war und ist, ist das Schottischsein zu bewahren. Dieses Gefühl, wenn du in Schottland lebst... das sollte sich in den Songs wieder finden, ohne den Nationalstolz raushängen zu lassen. Mit der Zeit ist uns immer mehr aufgefallen, dass das auf dem Album wirklich der Fall ist. Mitunter unbewusst, aber wir mögen diesen Fakt heute sehr. Es ist gut, wenn deine Identität auch in der Musik vorhanden ist.

Soundmag: Von Deutschland aus gesehen hat Glasgow eine sehr große und breite Musikszene. Wie würdest du das beschreiben?

Chester: Absolut. Geschichtlich gesehen gab es in Glasgow immer wichtige Bands,The Jesus & Mary Chain, My Bloody Valentine und andere. Heutzutage ist das nicht anders. Franz Ferdinand sind eine der größten Gitarrenbands in der Welt. Das ist großartig, denn sie kamen aus dem Nirgendwo. Dann gibt es Bands wie Belle & Sebastian oder Mogwai. Ich glaube, das Tolle an Glasgow ist die Tatsache, dass es viele Bands gibt, die sich mit ganz unterschiedlichen Stilen beschäftigen. Klar gibt es eine Szene in Glasgow, die war jedoch nie mit einem bestimmten Musikstil verbunden. Die Stadt schafft eine gute Umwelt für Musik und die Einwohner sind offenbar sehr aufgeschlossen gegenüber ganz unterschiedlicher Musik. Mogwai beispielsweise sind eine der experimentellsten Bands, die ich kenne. Franz Ferdinand sind purer Pop. All das und noch viel mehr geht in Glasgow nebeneinander.

Soundmag: Entsteht dort durch all dies ein ganz spezieller Vibe für Musiker?

Chester: Oh ja. Es gibt viele Auftrittsmöglichkeiten und viele Menschen, die sich um die notwendige Promotion für solche Konzerte kümmern. Du kannst in jedem Plattenladen Unmengen von Fanzines kaufen und im Internet auf ganz unterschiedlichen Seiten über die Musiker aus Glasgow lesen. Das ist sehr gesund für eine Musikszene.

Soundmag: Eure Musik vergleichen Kritiker auch oft mit Belle & Sebastian oder Arcade Fire. Hast du das Gefühl, dass das passen könnte?

Chester: Weißt du, manchmal ist es schwer, das zu beurteilen, weil ich viel zu sehr in der Musik drinstecke. Ich kann unsere Musik nur von meinem Standpunkt aus betrachten. Beides sind gute Bands und es ist schön, mit ihnen verglichen zu werden. Das hilft uns auch, wenn es um die Presse oder Radioeinsätze geht. Aber ich hoffe, dass die Leute irgendwann merken, dass es doch eine Menge Unterschiede zwischen ihnen und uns gibt. Dennoch: im Moment hilft uns das. Es schafft auch eine Vorstellung von unserer Musik bei Leuten, die sie noch nie gehört haben.

Soundmag: Ein Grund für diesen Vergleich ist sicher der Junge-Mädchen-Gesang. Hast Du auch das Gefühl, dass diese Art Gesang im Folkpop momentan ein gängiges Mittel ist, das von fast jeder Band genutzt wird?

Chester: Ja und ich sage dir auch, warum es schön ist, solch einen Mix aus männlicher und weiblicher Stimme zu haben. Ich habe früher Bands wie Mazzy Star gehört und hatte immer das Gefühl, dass du mit solcher Musik Herzen brechen kannst. Als Laura in die Band einstieg, wollte ich sofort, dass sie auch singt. Denn das gibt uns die Möglichkeit, Texte aus verschiedenen Sichtweisen zu betrachten. Es ermöglicht außerdem eine größere Bandbreite an Tönen und Melodien. In unserem speziellen Fall ist es auch sehr zuträglich, wenn es um die Geschichten auf „Wolves“ geht. Das Erzählerische lässt sich mit zwei Stimmen viel besser darstellen. Vor allem aber klingt es besser!

Soundmag: Du hast so auch die Möglichkeit, Emotionen in anderer Art und Weise auszudrücken.

Chester: Absolut.

Soundmag: Jetzt zu den offensichtlichen Fragen: Woher kommt der Name?

Chester: Oh, du wirst enttäuscht sein von der langweiligen Geschichte. Als wir anfingen und gerade mal zwei, drei ordentliche Songs hatten, buchte man uns für einen Gig. Wir schrieben also bis zum Umfallen Songs und irgendwann fiel uns in einem Pub ein, dass wir noch nicht mal einen Namen hatten. Wir hatten diesen einen Song, der „My Latest Novel“ hieß und fanden eigentlich alle, dass das ein beschissener Name wäre. Auch unsere Freunde rieten uns davon ab. Aber irgendwie bleibt so was hängen und am Ende blieb es dabei.

Soundmag: Dann kommen wir zur zweiten Frage, die gestellt werden muss: Was war der letzte Roman, den du gelesen hast?

Chester: „Fear And Loathing In Las Vegas“. Ich bin gerade durch damit. Es hat mir gefallen und als ich den Film sah, fand ich den Müll.

Soundmag: Das passiert ja oft bei verfilmten Büchern.

Chester: Ja, aber es gibt auch Beispiele, die das widerlegen. Mir fallen zwar gerade keine ein, aber es gibt sie. (lacht)

Soundmag: Wer sind denn allgemein deine Lieblingsautoren.

Chester: Das ist sehr unterschiedlich. Mein Lieblingsbuch ist „On The Road“ von Jack Kerouac. Das ist so ein Buch, das ich jedes Jahr noch mal lesen könnte. „Brave New World“ von Aldous Huxley ist ebenfalls fantastisch. Irgendwie habe ich jetzt gerade das Gefühl, dass ich ständig die gleichen Bücher lese.

Soundmag: Hat Literatur einen großen Einfluss auf eure Musik?

Chester: Ich glaube ganz generell, dass es immer gesund ist, wenn es Einflüsse von außerhalb der Musik gibt. Ich bin kein großer Fan der gemalten Kunst. Ich weiß sie zu schätzen, das war’s aber auch. Aber es hilft dir, auf andere Gedanken zu kommen, ebenso wie ein Buch oder ein guter Film. Das hat dann wiederum auch Auswirkungen auf die Musik.

Soundmag: Auf eurer Homepage stand, dass ihr einmal die Pixies supportet habt. War das ein Treffen mit Jugendhelden?

Chester: Genau das. Viele Menschen mögen die Pixies, viele haben sogar einen ganz speziellen Lieblingssong. Wir traten damals als Vorband auf, obwohl wir noch nicht mal eine richtige Single veröffentlicht hatten. Wir kannten Clubshows und hatten auch schon mal bei T In The Park gespielt, vor 4 000 Leuten. Aber dann stehen da plötzlich 15 000 Menschen vor der Bühne und schauen dich an. Das war unglaublich! Es war großartig, dass sie unsere Musik mögen und sie ernst nehmen. Das motiviert dich. Natürlich nimmst du deine eigene Musik ernst, aber wenn du merkst, dass auch andere Leute respektvoll mit ihr umgehen, ist das wie ein kleiner Kick. Und natürlich war es unglaublich, die Pixies zu treffen. Ich meine, nicht dass wir uns lange unterhalten hätten. Es waren eher schüchterne Blicke unsererseits und ein leises „Hey guys“ als sie vorbeiliefen. (spielt das nach) Wenn du dann einmal vor 15 000 Leuten gespielt hast und anschließend wieder im Club stehst, dann weißt du, was möglich ist und wo es hingehen soll. Es gibt dir einen Vorgeschmack.

Soundmag: Hast du denn das Gefühl, dass My Latest Novel im Moment größer und größer werden?

Chester: Ja, aber auf eine ganz natürliche Art und Weise. Ich war vor einigen Monaten in Berlin und habe Promotion gemacht. Anschließend ging es aus demselben Grund nach Skandinavien und dann nach Amsterdam, Brüssel, Mailand. Ich wundere mich immer noch, wenn ich einen Artikel in einem Magazin über uns lese. Dass die über uns schreiben wollen... das ist brillant. Wenn du ein Album aufnimmst, sagst du zu dir selbst: „Der Song ist klasse. Den mag ich! Aber was ist mit den anderen Leuten? Ist es das, was sie mögen könnten?“. Manchmal denkst du, dass du alles falsch machst und viel zu selbstbezogen bist. Wenn dann gute Kritiken kommen oder sich das Album gut verkauft, machst du drei Kreuze, weil du den Geschmack der Leute offensichtlich irgendwie getroffen hast.

Wenn es um die Entwicklung einer Band geht, ist es aber vor allem wichtig, live zu spielen. Vor Weihnachten haben wir unsere erste richtige Tour absolviert und das hat uns wirklich weiter gebracht. Uns als Band und auch beim Publikum, weil du sie live überzeugen kannst. So wie heute in Berlin – hoffentlich.

Soundmag: Hast du denn das Gefühl, immer noch Kontrolle über die Entwicklung von My Latest Novel zu haben? Es passiert ja ab und zu mit Bands, dass es wie eine Rakete nach oben geht und sechs Monate später ist alles vorbei.

Chester: Ja, darum sind wir auch bei einem Indielabel. Das klingt vielleicht etwas arrogant, weil ich ja gar nicht weiß, wie es bei einem Major läuft. Aber ich kenne einige Musiker, die das Vergnügen hatten. Sie unterzeichneten einen Vertrag, wurden berühmt und ein paar Monate später fragten sie sich, was hier eigentlich passiert ist. Warum ist meine Band kaputt obwohl ich vor drei Wochen bei „Top Of The Pops“ gespielt habe? Bei einem Indielabel hingegen wird sehr viel kommuniziert. Man kann beobachten, wie sich etwas entwickelt. Es geht langsamer, ohne dich zu überrumpeln. Und nicht zuletzt macht es Spaß! Mit 14 habe ich die Stone Roses gehört und mir gesagt, irgendwann werde ich auch bei dem coolsten Indielabel der Welt unter Vertrag sein. Und jetzt ist das tatsächlich so. Aber wie gesagt, ich kenne die Verhältnisse bei einer großen Plattenfirma nur aus Erzählungen.

Soundmag: Vielleicht kannst du das in der Zukunft noch persönlich erleben. (beide lachen). Meine letzte Frage: warum habt ihr ein Tier für den Titel Eures Albums „Wolves“ ausgewählt?

Chester: Das waren einige, ganz verschiedene Gründe. Hauptsächlich mochte ich die Idee, dass die fünf Mitglieder von My Latest Novel wie in einem Wolfsrudel zusammenhalten und Musik machen. Außerdem hatten die Leute, die unsere Demos kannten, oft den Eindruck, dass wir eher leichtfüßige Musik machen. Auf dem Album gibt es aber auch einige aggressive Nummern. Auch das wollten wir mit dem Titel ausdrücken, das eher Wilde, Aggressive. Nicht zuletzt aber ist es auch der Versuch, die Hörer und Journalisten zu verwirren und so das Album interessant zu machen. Das scheint ja auch ganz gut geklappt zu haben. (lacht)

Soundmag: Chester, vielen Dank für das Interview und einen fantastischen Auftritt heute Abend.

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