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Anna Ternheim

Anna Ternheim

 

20.03.06 - Magnet / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Pressefoto

 

 

 

Darf ich als Fanzine-Mitarbeiter meine ja eigentlich schon im Namen des Ganzen eingebundene Begeisterung dem Musiker gegenüber offen zeigen? Darf ich Anna Ternheim sagen, dass es ihre Stimme ist, mit der ich seit drei Wochen einschlafe? Dass es auf ihrem Album drei nur wenige Sekunden lange schwerelose Passagen gibt, die mir jedes Mal fast das Herz brechen? Dass ich all dies nur all zu schön finde und „Somebody Outside“ das erste Album ist, dass von mir zehn Soundmag-Sterne bekam? All die Gedanken gehen mir vor dem Interview durch den Kopf.

Am Ende sage ich nichts davon, bin zum ersten Mal seit langem vor dem Gespräch aufgeregt und vergesse genau darum, nach dem Interview ein Foto zu machen. Gemerkt hat sie all das sowieso – in den 20 Minuten, die Anna Ternheim mir gegenübersaß, die blonden Haare unter einem tief ins Gesicht gezogenen Base-Cap versteckt, das gerade noch so einen Blick auf das dicke Gestell der Brille zuließ.

Soundmag: Anna, wie ist das für dich, jetzt – also zwei Jahre nachdem „Somebody Outside“ in Schweden veröffentlicht wurde – mit diesem Album durch Europa zu touren und es zu promoten. Hast du manchmal das Gefühl, dass das, was auf dem Album thematisiert wird, schon weit zurück liegt? Dass du vielleicht schon einen Schritt weiter bist in deinem Leben?

Anna: Ich verstehe, was du meinst. Aber das ist eigentlich kein Problem für mich. Ich glaube, du musst einfach nur die Umstände verändern, in denen du die Songs spielst. Für mich ist es in Deutschland ja wie ein Neustart. Es gibt hier nicht viele Leute, die meine Musik kennen. Wie ich die Shows hier erlebe, ist komplett unterschiedlich zu dem, was in Schweden passiert. Ich spiele hier in ganz anderen Clubs und das macht das Material, also die Songs auch für mich irgendwie neu. Das klingt seltsam, aber es funktioniert. Und ich genieße das wirklich.

Soundmag: Worin besteht der Unterschied zwischen Schweden und Deutschland? Nur darin, dass du in Schweden wahrscheinlich in viel größeren Hallen spielst?

Anna: Im Wesentlichen schon, denn das Album läuft in Schweden wirklich fantastisch und hat sich so gut verkauft, wie ich es niemals erwartet hätte. Ich spiele also in großen Konzerthallen und bei Festivals auf den größten Bühnen. Aber auch in Schweden habe ich ja in kleinen Clubs angefangen. Ich bin mir auch heute noch sicher, dass die Intimität eines kleinen Clubs von nichts überboten werden kann. Meine besten Konzerte habe ich in dieser Umgebung erlebt. Am Ende geht es aber nicht darum, ob etwas besser oder schlechter ist. Wichtig ist, dass eine Entwicklung zu sehen ist und ich mich vorwärts bewege. Das hier ist jetzt meine erste Tour in Deutschland, dazu kann ich also noch nicht viel sagen. Darum ist mein Motto: So far, so good. Und was als nächstes kommt, werde ich sehen.

Soundmag: Wenn du auf diese Entwicklung zurückblickst, ist das relativ einfach abgelaufen oder gab es viele Hürden, die du überwinden musstest?

Anna: Nun, es schaut natürlich von außen immer einfach aus, weil alles ja erst mit der Veröffentlichung des Albums sichtbar wird. Das scheint auf ganz natürliche Art und Weise einfach zu geschehen. Aber bis du soweit bist, braucht es Zeit. Das war bei mir nicht anders. Auch ich habe Shows ohne Plattenvertrag gespielt. Ich habe diese ganze Platte ohne einen Vertrag aufgenommen, ohne ein Label, das mich unterstützte und die Kosten bezahlte. Das hat natürlich lange gebraucht und mir haben viele Menschen dabei geholfen. Am Ende hat es natürlich großen Spaß gemacht, aber dieser geradlinige, einfache Pfad, den du nur entlang laufen musst, um am Ziel anzukommen – den gibt es nicht. Nie! Aber solange dir die Arbeit gefällt, ist das kein Problem.

Soundmag: Kannst du die Umstände, unter denen das Album aufgenommen wurde, etwas genauer beschreiben? Wo ihr wart, wann es geschah...

Anna: Das ist inzwischen 2 Jahre her. Damals begannen wir mit den Aufnahmen auf Gotland, einer Insel an der Ostküste Schwedens. Wunderschön. Den Eltern meines Schlagzeugers gehört dort ein altes Sägewerk. Dort bauten wir unser Studio auf, brachten unser Equipment in dieses einsam stehende Haus. In einer Woche, die wir dort verbrachten, haben wir quasi das Fundament für das Album gelegt. Alle Songs hatte ich vorher schon geschrieben, die Musiker halfen mir, sie letztendlich zu realisieren. Anschließend arbeitete ich im Studio meines Managers Andreas, stellte so die Songs in Stockholm fertig. Das dauerte insgesamt sechs Monate, also ziemlich lang. Gleichzeitig habe ich aber auch an der Universität Architektur studiert und darum für die Musik eigentlich nur am Wochenende und an den Abenden Zeit gehabt. Noch mal sechs Monate später war alles fertig. Das Material zu veröffentlichen war dann kein so großes Problem mehr. Ich habe zwar kurzzeitig mit dem Gedanken zu spielen, es komplett selbst zu veröffentlichen, aber bei vielen Kollegen, die das durchgezogen haben, sah ich, dass es wirklich eine Menge Arbeit ist. Zum Glück fand ich Stockholm Records, die mir einen Vertrag anboten. Heute habe ich trotzdem ein eigenes Label, gebe meine Musik dann aber in die Hände von größeren Firmen, die mehr Potential haben, um die Musik bekannt zu machen.

Soundmag: Wenn du dir das Album jetzt mit etwas Abstand anhörst, würdest du sagen, es ist ein typisch schwedisches Album?

Anna: Ich mag es eigentlich mehr, es genau so nicht zu sehen. Natürlich habe ich Leute über die skandinavische Melancholie reden hören. Dass die Musik etwas Nordisches hat. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Mein Wunsch wäre es , mit Leuten zu kommunizieren, sie über die Musik zu berühren – ganz egal, wo sie leben. Die Musik sollte etwas Universelles in sich haben und nicht lokal mit Stockholm und Schweden verbunden werden. Aber natürlich hat „Somebody Outside“ viel aus meiner Vergangenheit. Die spielte sich nun mal in Schweden ab, darum ist es wahrscheinlich nur natürlich, wenn sich das auch in der Musik ausdrückt.

Soundmag: Wenn du „Somebody Outside“ mit einer Jahreszeit vergleichen solltest, welche wäre das?

Anna: (denkt nach) Ich glaube, das wäre der Herbst. Der frühe Herbst, September, Oktober. Was würdest du wählen?

Soundmag: Ebenfalls den Herbst. Den späten Herbst und frühen Winter. Aber zum heutigen Wetter passt die Musik auch. Ist es zurzeit eigentlich in Berlin kälter als bei dir zu Haus?

Anna: Oh nein, mit Schweden kommt ihr hier nicht mit. Wir hatten einen sehr kalten Winter dieses Jahr.

Soundmag: Wir auch. Die Leute warten im Moment, dass endlich der Frühling kommt und die Kälte geht.

Anna: Das kann ich gut verstehen.

Soundmag: Anna, ich habe mir die Liste der Leute angeschaut, für die du als Support auf Tournee warst. Das sind alles Männer. Auch die Musiker in deiner Band sind fast alle männlich, richtig?

Anna: Naja, es gab ein Mädchen, das in die Aufnahmen involviert war. Inzwischen ist sie aber nicht mehr dabei. Der Rest sind tatsächlich alles Männer, richtig.

Soundmag: Ist das für dich gar kein Problem? Du singst ja doch sehr persönliche Texte und hast im Studio dann fast ausschließlich Männer um dich herum.

Anna: Ich glaube, ich weiß worauf du hinaus willst. Aber für mich stellt sich das nicht als Problem dar. Es würde kein bisschen einfacher werden, wenn das Gegenteil der Fall wäre und nur Frauen mit mir im Studio wären. Mir ist klar, dass der überwiegende Teil der Musiker weltweit männlich ist. Es gibt ja auch Musiker, die dagegen irgendwie protestieren wollen und nur mit Frauen spielen – aus dem einzigen Grund, mehr Frauen in die Musik zu bringen. Aber ich glaube, ich zeige meinen Standpunkt zu diesem Thema allein durch die Tatsache, dass ich als Frau genau das tue, was ich möchte. Dass ich mit Menschen zusammenarbeite, mit denen ich arbeiten möchte. Ich spiele nicht mit Leuten, die mich einschüchtern, von daher sind all die Männer bei mir, weil ich mit ihnen in einer kreativen Atmosphäre arbeiten kann. Wenn das beim nächsten Mal mit fünf Frauen sein sollte, ist das für mich in Ordnung.

Soundmag: Hast du denn allgemein das Gefühl, dass es für Frauen schwerer ist, bekannt zu werden? Insbesondere wenn es um Indiemusik geht?

Anna: Da bin ich mir nicht so sicher. Vieles hängt davon ab, wer du als Person bist, wie du dich gibst. Ob du als Frau den Mut hast, Musik zu machen und ob dich Menschen in diesem Anliegen unterstützen. Viele Frauen hören vielleicht an diesem Punkt bereits auf, weil sie schon am Anfang nicht das nötige Umfeld vorfinden. Andererseits kommt es nicht gerade selten vor, dass du Beachtung findest allein aus dem Grund, weil du eine Frau bist. Dieser Fakt gibt der Musik ein bestimmtes Achtungszeichen, was aber nicht automatisch positiv sein muss, weil das Geschlecht anstatt der Musik in den Fokus rückt.

Aus diesen Gründen bin ich mir nicht 100%ig sicher, ob es so schwieriger ist, eine Musikerin zu sein. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland aussieht, aber im letzten Jahr zeigte sich bei den schwedischen Grammy-Awards, dass Frauen sehr erfolgreich sind. Der Grammy steht auch in Schweden nicht unbedingt für Independent, aber es gab einige Künstler aus diesem Bereich, die auch nominiert und ausgezeichnet wurden. Die Gala jedenfalls war fast durchweg von Frauen dominiert. Viele Frauen haben in den letzten Jahren erfolgreiche und für meinen Geschmack die interessantere Musik gemacht. Hinzu kommen Frauen wie ich, die unabhängig begonnen haben, es aber irgendwie schafften, sich ein großes Publikum zu erspielen. In den letzten zwei Jahren und auf Schweden beschränkt würde ich darum behaupten, dass im Bereich Singer/Songwriter die Frauen den größeren Erfolg hatten. Wie sieht es denn in Deutschland aus?

Soundmag: Was Mainstream-Popmusik angeht, gibt es hier einige Frauen, die sehr erfolgreich sind. In den letzten Jahren gab es außerdem das Phänomen, dass viele Bands nach dem Muster „Vier Männer + Sängerin“ entstanden sind. Auch von denen waren einige sehr erfolgreich. Aber wenn ich mir den Indiesektor ansehe, sind Frauen eher selten anzutreffen, bzw. erfolgreich.

Anna: Ahja. Naja, vielleicht muss man das wirklich von Land zu Land betrachten.

Soundmag: Um mal etwas von der Problematik Mann/Frau wegzukommen... Ist es für skandinavische Künstler einfacher geworden, sich in Europa einen Namen zu machen und Platten zu verkaufen?

Anna: Gute Frage. Hast du diesen Eindruck?

Soundmag: Definitiv. Ich las neulich einen Artikel, in dem die Situation so beschrieben wurde, dass gute Bands in Schweden anscheinend auf jedem Baum wachsen und man gar nicht besonders gründlich suchen müsse, um eine zu finden. Sie fallen einem quasi vor die Füße. Außerdem führe ich in letzter Zeit wirklich viele Interviews mit skandinavischen Gruppen und Künstlern.

Anna: Da könnte etwas dran sein. Das mag damit zu tun haben, dass unserer Länder eher klein sind - vielleicht nicht, was die Fläche angeht, aber das potentielle Publikum. Viele schwedische Bands singen in Englisch, doch trotzdem bleibt es schwierig, ein großes Publikum zu erreichen. Um mit deiner Musik Geld zu verdienen und leben zu können, musst du also zwangsläufig raus aus Schweden. Für viele Bands ist es also wirklich wichtig, auch international auf Tour zu gehen. In einem Land wie Frankreich oder Deutschland hast du einfach mehr Möglichkeiten.

Soundmag: Wie schätzt du deine Chancen ein, was den Erfolg hier betrifft? Das Konzert heute Abend ist ja schon mal ausverkauft.

Anna: Das hängt wohl davon ab, wie man Erfolg definiert, auf was man aus ist. Meine Chance auf Erfolg ist so gut wie die jedes anderen. Es geht mir eher darum, weiter gute Songs abzuliefern. Meine Musik hat ja nur wenig mit Magie zu tun. Ich habe in Schweden viel live gespielt. Dadurch wirst du einfach besser und erspielst dir neue Fans. Ich werde mich sicher nicht auf Wunder verlassen, wenn es um meine Zukunft geht. Wenn man an sich arbeitet und sich weiter entwickelt, wird es funktionieren. Meine Musik ist nicht unbedingt prädestiniert für die Charts oder fürs Radio. Ich mache keinen Mainstream, der sofort bei jedem hängen bleibt. Es hängt also viel von meiner Motivation ab und ich werde solange Musik machen, wie ich das unbedingte Verlangen danach habe. Wenn mir das abhanden kommt, wird so oder so nichts mehr funktionieren.

Soundmag: Ist Deutschland denn deine erste Tour außerhalb Skandinaviens?

Anna: Ja, aber nur in dem Sinn, dass ich hier beginne. Nachdem ich in Köln und München gespielt habe, geht es gleich weiter nach Österreich. „Somebody Outside“ ist in Österreich, der Schweiz, Holland, Frankreich veröffentlicht worden – fast überall in Europa. Japan kommt vielleicht auch noch – wer weiß das schon... (lacht)

Soundmag: Hast du denn vor, irgendwann in der Zukunft noch mal zur Architektur zurückzukehren und dein Studium wieder aufzunehmen?

Anna: Keine Ahnung. Man hält sich ja immer ein paar Türen offen – auch wenn es nur gedanklich sein mag. Das gibt einem die Sicherheit, dass man zurückgehen und dort weitermachen könnte. Eine sichere Option und das beruhigt doch ungemein. Aber es fällt mir mehr und mehr schwer, mich noch als Architektin zu sehen. Es ist keinen Beruf, den du nebenbei mitschleifst. Auch für die Architektur braucht es unbedingt Leidenschaft und es bedeutet verdammt harte Arbeit. Bevor ich diese Motivation habe, muss irgendetwas passieren. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, was das sein könnte. Denn im Moment erschaffe ich Musik und keine Gebäude. Das ist ein großer Unterschied.

Soundmag: Wohl war. Es gibt ja auch den schönen Spruch, dass über Musik schreiben ungefähr das gleiche ist wie zu Architektur zu tanzen. Anna, vielen Dank für das Interview und ich für mich kann sagen, dass ich dir allen erdenklichen Erfolg wünsche.

Anna: Vielen Dank.

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