Interviews

Schneider TM

Schneider TM

 

20.03.06 - Berlin / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Bandfoto

 

 

 

Dirk Dresselhaus darf ohne Zweifel als Urgestein der deutschen Indieszene bezeichnet werden – auch wenn er das selbst wahrscheinlich nicht so gern hört. Und selbst die Tatsache, dass einem sein Name nichts sagt, sagt an sich noch nichts. Denn der umtriebige Dirk Dresselhaus steckt hinter mehr Projekten als die Hände Finger haben. Kurze Aufzählung der aktuellen Beteiligungen: Mr. Schmuck’s Farm, Angel und ganz neu auch The Beautiful New Born Children. Nicht zuletzt jedoch ist Dirk Dresselhaus Schneider TM und pendelt von Platte zu Platte zwischen den elektronischen Möglichkeiten auf der einen, klassischen Songstrukturen und Instrumenten auf der anderen Seite. Es muss sich reiben – so sein Konzept. Geholfen haben ihm dabei auf dem neuen Album „Škoda Mluvit“ unter anderem Erlend Oye von den Kings Of Convenience und Julia Hummer.

Im Berliner City Slang-Büro sitzt Dirk in einem mit roter 70s-Tapete tapezierten Pausen- und Interviewraum, um Fragen zu beantworten. Seine Songs erklärt er nicht so gern. Das überlässt er dem Hörer.

Soundmag: Dirk, ich lass jetzt mal gleich die Hosen runter: mit elektronischer Musik habe ich ehrlich gesagt nicht viel am Hut. Ich hoffe, das wird in den nächsten 20 Minuten nicht zum Problem.

Dirk: Das kann doch spannend werden. Manchmal verstehen die Leute, die eigentlich gar keine Ahnung davon haben, solche Musik besser als die, die sich in festen, geschmacklichen Strukturen und Hörgewohnheiten bewegen.

Soundmag: Dann beginne ich auch gleich mit der für mich, nach dem Hören deines neuen Albums, nahe liegenden Frage: Wie wichtig ist die digitale Technik für deine Art von Musik?

Dirk: Für mich ist das einfach nur ein weiteres Werkzeug. Ich habe Musik immer schon gern zu Hause aufgenommen. Früher war das noch anders, weil ich in Bands spielte und wir oft im Studio waren. Aber vor zehn Jahren begann ich damit, hauptsächlich zu Hause aufzunehmen, damals noch auf 4-Spur-Kassette. Die heutigen technischen Voraussetzungen, die Musik an einem Rechner aufzunehmen, zu editieren und mit den Möglichkeiten zu spielen, sind im Vergleich dazu natürlich super. Für mich sind diese Optionen aber genauso interessant, wie das Spielen einer Akustikgitarre. Auch der Computer bleibt ein Werkzeug. Früher war ich da noch anderer Meinung, habe die Technik viel intensiver genutzt. Aber bei der neuen Platte hatte ich darauf keine Lust mehr. Auf „Škoda Mluvit“ ist fast alles gespielt und relativ wenig programmiert. Mittlerweile mache ich Musik wieder lieber mit der Hand. Trotzdem hat die Musik nach wie vor so einen „electronic appeal“ und das gefällt mir auch, weil es zeigt, dass in meinen Stücken Gegensätze aufeinander treffen, sich reiben und so eine Art Spannungsfeld entsteht.

Soundmag: Bei einigen Stücken auf dem Album hatte ich auch das Gefühl, dass der Drang zu akustischen/klassischen Instrumenten recht groß ist.

Dirk: Ja. Das erklärt sich auch ganz einfach, weil ich ja mit diesen Instrumenten angefangen habe. Meine ersten Bands waren klassische Gitarrengruppen. Ich mache halt gern Musik und merke auch immer mehr, dass ich über die Instrumente der Musik mehr geben kann, als über Kopf- und Programmierarbeit. Selbst die Elektronik nutze ich eher mit der Hand, baue mir so Effekt- oder Feedbackschleifen, schicke die am Computer entstandenen Töne wieder in den Computer hinein. So entstehen Sounds, die ich interessant finde und die auch zur Musik passen.

Soundmag: Du hast gerade schon erwähnt, dass du eigentlich in klassischen Bands begonnen hast. Wie kam es denn dann zu diesem Bruch? Obwohl das Wort „Bruch“ ja hier gar nicht richtig passt.

Dirk: Es war überhaupt kein Bruch, sondern hat sich aus der Neugier heraus entwickelt. Früher habe ich hauptsächlich Gitarre gespielt und gesungen. Bei meiner anderen Band Locust Fudge haben wir alles zu zweit aufgenommen und so habe ich da fast jedes Instrument auch mal selbst gespielt - auch das Schlagzeug, mein erstes Instrument. Nach zehn Jahren Indierock bekam ich dann Lust auf anderes und lieh mir eine Drum-Machine. Deren Klänge schickte ich durch meine Gitarreneffekte. Einfach, um zu sehen, was dabei rauskommt. Der elektronische Aspekt war also auch schon bei meinen anderen Bands präsent. Der Übergang hat sich dann fließend gestaltet.

Soundmag: Wenn du auf dem neuen Album wieder einen Schritt zurückgehst, weg von der Elektronik, ist das ein Ausdruck dafür, dass du deren Möglichkeiten ausgereizt hast? Oder ist es einfach die Lust am selbst spielen?

Dirk: Ausgereizt überhaupt nicht. Das geht auch gar nicht. Ich habe irgendwann wieder Songs geschrieben. Viele Stücke auf der Platte waren von vorneherein als einfache Songs mit Akustikgitarre und Texten konzipiert. Bei früheren Schneider TM-Platten war es doch eher so, dass sie während des Aufnahmeprozesses entstanden sind. Wahrscheinlich ist der Hauptgrund für diese Entwicklung aber die Tatsache, dass ich genau das über lange Zeit nicht gemacht habe. Es ist bei mir immer so, dass mich eine bestimmte Arbeitsweise irgendwann langweilt und ich mir dann neue Möglichkeiten suche. Letztendlich geht es nur darum, die Musik für einen selbst interessant zu halten. Mich selbst zu überraschen, indem ich experimentiere und ganz unterschiedliche Dinge miteinander kombiniere. Ein richtiges Konzept stand also nicht dahinter.

Soundmag: Siehst du denn ganz allgemein Grenzen für deine Musik?

Dirk: Nein, überhaupt nicht. Musik ist ja – wenn du so willst – die einzige Kunst- oder Kulturform, wo man Utopien relativ einfach praktisch umsetzen kann. Wo Dinge funktionieren können, die erstmal als Idee absurd wirken: Kombinationen, Gefühle... Für mich ist es sehr wichtig, dass ich mir selbst keine Grenzen setze. Bei „Škoda Mluvit“ war dieser Ansatz extrem, denn ich habe über diese Platte gar nicht nachgedacht. Die ist einfach so passiert und auch ganz anders geworden, als ich mir es anfangs vorstellte. Das Album ist einfach so entstanden, ich bin bei der Arbeit sehr wenig rational vorgegangen. Das hat auch mit einem Konzept von „Gegenkultur“ zu tun, was man ja in der Musik heutzutage nur noch sehr wenig vorfindet. Dass Leute sich also ihre eigenen Gedanken machen und quasi einen Gegenentwurf sich selbst gegenüber anbieten. Ein Gegenentwurf zu dem, was einem im Alltag präsentiert wird. Was da auf einen einwirkt ist ja mitunter nicht so leicht zu schlucken, finde ich. (lacht)

Soundmag: Zu deinem Ansatz, die musikalischen Grenzen möglichst weit auseinander zu schieben und die Musik für dich selbst interessant zu gestalten, tragen sicher auch die vielen Gäste auf diesem Album bei. Kannst du mal erzählen, wie es zu den Kollaborationen mit Erlend Oye oder Julia Hummer kam?

Dirk: Zufall. Es war halt so, dass ich mit den Aufnahmen begann und ständig Freunde vorbeikamen, mitspielten. Es gab also vorher kein Konzept, das genau so zu tun. Von Erlend zum Beispiel habe ich einige Gitarrenanzähler aus einer gemeinsamen Session genutzt, die wir für seine vorletzte Platte aufgenommen haben. Diese Elemente habe ich bearbeitet und dabei kam dieser Effekt raus, den ich interessant fand. Bei Julia Hummer war es ganz ähnlich. Man trifft sich zufällig irgendwo, probiert dann mal was aus und am Ende schafft es davon vielleicht etwas auf die Platte.

Soundmag: Du sprichst jetzt immer von Songs. Bei einigen Stücken auf dem Album hatte ich das Gefühl, dass du erst einen Song geschrieben hast, den dann aber in gewisser Weise wieder zerstört hast, um ihn eckiger oder in deinem Verständnis interessanter zu machen.

Dirk: (denkt nach) So bin ich eigentlich nicht rangegangen. Jedes Stück entsteht natürlich unterschiedlich. Manchmal habe ich Beats für Wochen oder Monate rumliegen und weiß damit nichts anzufangen. Irgendwann schreibe ich dann einen Song und kombiniere das mit den Elementen, die noch auf Halde liegen. Es ist ein ständiges Ausprobieren. Bewusstes Eckigmachen gibt es bei mir eigentlich nicht.

Soundmag: Du schreibst also bewusst Songs in einem ganz klassischen Sinn.

Dirk: Auch, aber nicht nur. „Vodou“ zum Beispiel mit seinen afrikanischen Rhythmen und diesem langsamen Neil Young-mäßigen Stück darüber ist glaube ich eine der extremeren Kombinationen auf der Platte. Bei dem Song hatte ich erst den Rhythmus, der ständig im Loop lief. Dazu spielte ich irgendwas, solange bis es irgendwann als Stück Musik funktionierte. Das hat letztendlich viel mit editieren und mischen zu tun. Dabei passiert viel und wenn ich über das Songwriting an sich sprechen soll, fehlen mir dazu auch die Worte.

Soundmag: Du hast ja schon gesagt, dass man am Ende öfter mal überrascht ist von dem, was man da erschaffen hat.

Dirk: Ja, es ist eine sehr emotionale Vorgehensweise. Ich gehe dabei ausschließlich nach meinem Gefühl. Entweder etwas fühlt sich gut an oder interessant oder völlig absurd, dann mache ich das und schaue, was passiert. Selbst etwas komplett Absurdes ist ja am Ende schon wieder interessant. Es kommt also sehr von innen heraus, da steckt wenig Kopf dahinter - vor allem bei diesem Album, wie gesagt. Ich hatte überhaupt keine Zeit, darüber nachzudenken, was ich gerade tue, weil die äußeren Umstände relativ schwierig waren. Ich habe versucht, einen Flow zu finden und dann aufgenommen.

Soundmag: Bist du in deinem Herzen schon ein leidenschaftlicher Popfan? Bei „Caplets“ vom neuen Album gibt es beispielsweise diese eine Stelle, an der du die Textzeile „Eight Days A Week“ ein paar mal variierst und für mich klang das stark nach den Beatles.

Dirk: Das ist interessant, so habe ich das noch gar nicht gehört. Natürlich habe ich schon einen starken Popappeal, aber meine Vorstellung von Popmusik ist wahrscheinlich eine andere, als die von vielen anderen Menschen. Popbands heutzutage finden ja ihren Sound und kopieren den anschließend nur noch, um eine bestimmte Corporate Identity zu haben. Solche Popmusik interessiert mich gar nicht. Im Gegenteil – so was finde ich extrem langweilig. Interessant wird es für mich, wenn innerhalb eines Universums, einer Band ganz unterschiedliche Sachen passieren können. Das war bei den Beatles so, aber auch bei Velvet Underground. Die finde ich vom Sound her sogar noch besser als die Beatles. Das ist für mich gute Popmusik und korrespondiert auch sehr stark mit meiner Einstellung der eigenen Musik gegenüber. Insofern trifft es der Beatles-Verweis vielleicht sogar ganz gut.

Soundmag: In diesem Zusammenhang habe ich gerade eben noch gelesen, dass du Madonna-Fan seiest? Auch aus diesem Grund der wechselnden Identitäten und Musikstile?

Dirk: Naja... Madonna... richtiger Fan bin ich da nicht. Ich fand einige der letzten Platten ganz gut. Mittlerweile würde ich mich aber nicht mehr als Madonna-Fan bezeichnen, denn gerade das, was sie jetzt macht, kommt mir sehr kalkuliert und langweilig vor. Ich finde, sie könnte mal anfangen, etwas anderes zu machen... (lacht) Madonna ist schon sehr kalkuliert, darum habe ich mit Songs, die ich früher sehr mochte, inzwischen auch ein kleines Problem. Im Rückblick wird einem bei vielen Stücken bewusst, warum sie genau das gerade damals genau so gemacht hat. Da ist sehr viel Berechnung hinter und das finde ich schade.

Soundmag: Nun bist du ja auch als Remixer tätig. Wenn jetzt eine Anfrage von ihr käme... wie wäre deine Reaktion?

Dirk: Puh... na ja... (denkt lange nach) Das kommt drauf an, aber vor allem finanziell ist das ja sicher nicht ganz uninteressant. Mit dem Remixen habe ich vor zwei Jahren eigentlich aufgehört, weil ich zu viel gemacht habe. Ich hatte mich zu sehr daran gewöhnt, mit dem Material anderer umzugehen. Das ist ein sehr einfaches Arbeiten, weil dir ein fertiges Stück Musik angeliefert wird, in dem du ohne Grenzen rumfuhrwerken kannst. Mir fiel dann der Weg zurück zum selbstständigen Schreiben sehr schwer, das hat einige Zeit gedauert. Naja, zurück zu Madonna... ich bin jetzt wahrscheinlich auch nicht der erste, den sie fragen würde. Aber an Remixen bin ich natürlich immer noch interessiert.

Soundmag: Gibt es unter Remixern für dich Gallionsfiguren?

Dirk: Das finde ich auch schwer. Die meisten Remixer beschränken sich ja auf zwei Optionen, wenn sie einen Track bearbeiten. Entweder man bleibt möglichst nahe und funktionell am Original oder macht so Abstrakto-Wahnsinn draus. Meine Herangehensweise ist eigentlich, eine eigene Interpretation des Songs zu liefern, die dann vielleicht auch aktuelle Ereignisse und Stile verarbeitet. Ich kenne aber ehrlich gesagt auch nicht allzu viele Remixer mit Namen.

Soundmag: Ich auch nicht - wie du dir sicherlich schon gedacht hast. Ich danke dir für das Interview und würde jetzt gern noch ein Foto vor dieser ultramodernen Tapete von dir machen.

Dirk: Klar, kein Problem. Auch dir vielen Dank.

Review kommentieren

Neues Thema im Forum

Mehr zu Schneider TM auf soundmag.de

Band-Seite

Review zu "Skoda Mluvit"

Offizielle Website

www.schneidertm.net

Alle Interviews

 

 

 

Neue Interviews

 

Neue Reviews

 

Suche in soundmag.de