Interviews

The Divine Comedy

The Divine Comedy

 

12.05.06 - Postbahnhof / Berlin

Interview:  Andreas & Jan

Foto: Andreas

 

 

 

„Neil Hannon is The Divine Comedy“ – so die Überschrift der Biographie auf dessen Homepage. Eben jener Neil Hannon sitzt müde und etwas verloren im riesigen Fabriketagengeschoss des Postbahnhofs. Ein Interview im Freien kommt nicht in Frage, da der Herr Heuschnupfen hat. Neben ihm steht eine Kiste Wasser, vor ihm liegen noch fünf Interviews. Er trägt einen braunen Cord-Anzug und T-Shirt, die Haare liegen wie einzeln zurechtgezupft. Im Laufe des Interviews drängt sich das Gefühl auf, als sei Neil in seiner ganz eigenen Welt, aber viel zu freundlich, um in diese zu verschwinden. Das neue Album „Victory For The Comic Muse“ ist fertig und wird im nächsten Monat veröffentlicht. Die „Haldern geht zelten“-Tour gehört damit zu den ersten Terminen, auf denen die neuen Songs gespielt werden. Mr. Hannon schaut nach unten, blickt uns hin und wieder scheu für den Bruchteil einer Sekunde an, lacht und erzählt.

Soundmag: Neil, ist das hier das erste Mal, dass du das neue Album vorstellst?

Neil: Fast, es ist das zweite Konzert. Wir waren gestern schon in Paris und es lief wirklich fantastisch. Das macht mir fast ein wenig Angst. Ich überlege gerade, ob wir das überhaupt noch toppen können... (lacht) Wir müssen es einfach versuchen. Das Konzert war wirklich toll und die neuen Songs klangen cool.

Soundmag: Habt ihr Streicher mit auf der Bühne?

Neil: Wir haben einen Cellist und eine Dame, die Geige spielt. Die beiden kommen auf die Bühne, wenn es gut zum Song passt. Ansonsten spielen wir als ziemlich traditionelle Band, denn das neue Album trägt beide Stile, die man von The Divine Comedy kennt, in sich. Es beginnt sehr poppig und wendet sich dann aber immer stärker zur künstlerischen Seite. Darum wollte ich eine kleinere Besetzung – jedenfalls für Divine Comedy-Maßstäbe. Es sind immer noch acht Leute, also viel mehr, als man von Pop- und Rockbands gewohnt ist. Ich wollte die Liveshow so etwas perfektionieren. „Absent Friends“ spielten wir mit ganz unterschiedlichen Besetzungen, von drei über fünf und acht bis hin zu 20 Musikern. Mir fiel es mit der Zeit wirklich schwer, mich zu erinnern, mit welcher Band ich denn gerade spiele. Außerdem mussten die Songs ständig neu arrangiert werden und das ist natürlich unglaublich teuer. Acht schien mir die perfekte Anzahl zu sein, wir können in dieser Besetzung alles spielen und wir können rocken! Ich rocke wirklich gern und möchte, dass die Leute hoch- und runterspringen! Ein großer Spaß!

Soundmag: Aber das neue Album klingt nicht unbedingt so, als ob die Hörer dabei herumspringen sollen…

Neil: Du bist nicht herum gesprungen? Oh, dann solltest du es vielleicht lauter hören! (lacht)

Soundmag: Ich habe es sehr laut gehört.

Neil: Na ja, der Effekt, den es hervorruft, ist wahrscheinlich bei jedem anders.

Soundmag: Also, ich finde, dass “Victory For The Comic Muse” ein sehr emotionales Album ist. Sowohl was die Text angeht, als auch musikalisch. Es gibt darauf sehr traurige Songs, „A Lady Of A Certain Age“ zum Beispiel.

Neil: Oh ja, der ist wirklich traurig. (denkt kurz nach) Ich werde den noch mal in einer fröhlichen Version aufnehmen. (lacht) Traurig, fröhlich, traurig, fröhlich... „The Plough“ ist sehr fröhlich, „Party Fears Two“ auch. Wahrscheinlich ist es ein Mix aus beidem. Es gibt einige sehr traurige Momente – das gestehe ich dir zu. Aber so ist es nun mal - das Leben, wie ich es sehe.

Soundmag: Hat das Album denn ein übergeordnetes Thema?

Neil: Zumindest keins, dass ich von Anfang an vorgesehen hatte. Ich habe über „Victory For The Comic Muse“ nicht viel nachgedacht, da ich mit vielen anderen Projekten beschäftigt war, also das Songwriting für andere. Eines Abends war mir langweilig und ich ging zum Schreibtisch, um zu sehen, was für Songs sich dort angesammelt hatten. Es war eine ganze Menge. Und ich dachte: Jetzt nimmst du aber besser mal ein Album auf. Ich habe versucht, nicht zuviel darüber nachzudenken, sondern es so schnell wie möglich zu machen. In der Vergangenheit habe ich mich schon einige Mal des zu vielen Nachdenkens schuldig gemacht.

Soundmag: Ist das dein Urteil?

Neil: Ja. Dieses Album sollte sich spontaner anfühlen. Für mich ist eine Platte genau dann ein richtiges Album, wenn du es innerhalb von fünf Monaten nach dem ersten Gedanken daran fertig hast. Meistens dauert es aber ein gutes Jahr.

Soundmag: Diesmal warst du nur unglaubliche zwei Wochen im Studio!

Neil: Zwei Wochen für die Musik, richtig. Dann habe ich noch mal einige Wochen gebraucht, um den ganzen verdammten Kram zu singen. (lacht dreckig) Und dann noch mal zwei Wochen für den Mix.

Soundmag: Ich will noch mal auf das Thema des Albums zurückkommen. Du singst darauf über Leute, die in ihrem Leben gescheitert sind. So wie in „Diva Lady“.

Neil: Es sind eher die alltäglichen Kämpfe mit dem Leben, nicht unbedingt das Scheitern. „Diva Lady“ gehört nicht unbedingt zu den intellektuellsten Songs, die ich je geschrieben habe. Es ist vor allem ein Song über Menschen, die mich ärgern. Er ist ziemlich fies.

Soundmag: Hattest du beim Schreiben jemand Bestimmten vor Augen?

Neil: Schon, aber ich kann auf die Gerichtsprozesse verzichten. Darum werde ich dir nicht sagen, um wen es geht. Am Ende trifft der Text aber auf erschreckend viele Menschen zu. Musiker wie Models und auch ganz normale Menschen. Eigentlich sogar jeder, der sich selbst zu ernst nimmt.

Soundmag: Das neue Album hat mich an frühe Platten wie „Promenade“ oder „Liberation“ erinnert. So, als ob du zu deinen Anfängen zurückgingest.

Neil: Ich kann dieses Gefühl verstehen. Die neue Platte ist freier als der Vorgänger. „Absent Friends“ war ein Album mit genau einer Farbe und einem wunderschönen orchestralen Klang. „Regeneration“ war im Gegensatz dazu nur eine Facette von dem, was ich tue. Ich wollte, dass das neue Album eklektischer wird, alle meine Arten von Musik beinhaltet. Denn ich sehe keinen Sinn darin, warum ich mich auf eine davon beschränken sollte.

Soundmag: Du hast ja schon über das Songwriting für Andere gesprochen. Das unterscheidet sich ja sicher gravierend vom Schreiben der Stücke für The Divine Comedy. Wie stark gehst du dabei auf die andere Person zu, versuchst dich, in sie hineinzuversetzen?

Neil: Das hängt von der Situation ab. Wenn ich Popsongs für andere Künstler schreibe, muss ich diesen Weg bedingungslos gehen und kann mich selbst überhaupt nicht in das Stück integrieren. Und weißt du, das ist so eine Erleichterung! Ich musste nicht ehrlich sein. Einen puren Popsong zu schreiben, ist eine sehr spezielle Kunstart und ich bin noch in der Lernphase. Für mich ist das faszinierend. Und natürlich hoffe ich, dass ich damit einen Haufen Geld verdienen werde – aber das ist eher so ein Zusatzeffekt, den die Sache hat. Aber nur wegen des Geldes wäre ich nicht dabei, es muss mich schon interessieren. Dann gibt es da die anderen Projekte, denen etwas mehr Glaubwürdigkeit eigen ist. Also, das Textschreiben für Charlotte Gainsbourg – ihre Mutter Jane Birkin wollte dann plötzlich auch ein Stück von mir, also schrieb ich ihr eins...

Soundmag: ...einen perfekten Smiths-Song...

Neil: (wird plötzlich ganz aufgeregt, blüht förmlich auf und schaut seinem Gegenüber zum ersten Mal während des Gesprächs direkt in die Augen) Johnny Marr spielt die Gitarre auf „Home“! Es ist unglaublich. Johnny Marr spielt auf einem meiner Songs!

Soundmag: Es ist wie auf „Paint A Vulguar Picture“, die gleiche Gitarre.

Neil: Tatsächlich? (lacht amüsiert) Ich muss mir das noch mal anhören.

Soundmag: Du kennst den Song nicht?

Neil: Oh doch, kennen ja. Aber ich habe die Gitarre gerade nicht im Ohr. Die Endfassung von „Home“ auf dem Album unterscheidet sich ziemlich von meiner Version, aber das ist ihr gutes Recht.

Soundmag: Hast du bei diesem Song versucht, aus der Perspektive von Jane Birkin zu schreiben?

Neil: Versucht, genau. Es ist sehr schwer, dich in den Körper einer wunderschönen Schauspielerin/Model/Sängerin aus den 60ern zu versetzen, wenn du ein 46jähriger Ire bist. Sie ist ja eine erstaunliche Ikone in Frankreich, kommt aber tatsächlich aus England. Durch all die Bücher und Filme, die ich von ihr gelesen und gesehen habe, fiel es mir am Ende aber doch relativ leicht, mir ein kleines Szenario vorzustellen, das realistisch schien.

Soundmag: Noch mal zurück zum neuen Album. Warum der Titel „Victory For The Comic Muse“?

Neil: Sehr gute Frage, aber ich habe keine Ahnung.

Soundmag: Mir schien es wie der schon angesprochene Schritt zurück in Richtung “Promenade” und “Liberation” und zu deiner ersten Veröffentlichung, die ja “Fanfare For The Comic Muse” hieß.

Neil: Ja, die sachliche Antwort ist, dass es sich dabei um ein Zitat aus “Zimmer mit Aussicht” handelt. Ein Film, der zu meinem Leben unbedingt dazu gehört und es verschönert hat. Ich änderte es vor vielen Jahren zu „Fanfare For The Comic Muse“, habe jetzt aber nicht mehr das Gefühl, dass ich es ändern muss. Es ist jetzt ein Statement der Absicht. Vielleicht hoffe ich, dass es sich als selbst erfüllende Prophezeiung erweist. (kichert) Dass ich also mit diesem Album den endgültigen Sieg erstreite. (kichert vergnügt)

Soundmag: Auch ich habe den Film ungefähr 30 mal gesehen. Kannst du die Situation etwas genauer beschreiben, als dieser Ausspruch fällt?

Neil: Cecil, der Verlobte von Lucy, möchte ein Haus vermieten. Der ortsansässige Reverend schlägt ihm Miss Catherine und Miss Teresa Alan vor.

Soundmag: Diese beiden älteren Damen aus Italien?

Neil: Genau, aber darin liegt der Witz. Es sind nicht die alten Damen, die einziehen. Vielmehr vermietet Cecil an die Emersons. Sehr frei denkende Menschen für die damalige Zeit. Vater und Sohn. Mit dem Sohn hatte Lucy ein Techtelmechtel in Italien. So hat Cecil sich also selbst in den Fuß geschossen und sein eigenes Grab ausgehoben, da Lucy mit George Emerson am Ende des Buches zusammenkommt. Das ist die ultimative Ironie dieses Werkes. Er denkt in diesem Augenblick, dass das ein wundervoller „victory for the comic muse“ ist, weil er all die Landlords verprellt hat, indem er diese frei denkenden Verrückten zu sich geholt hat. Das ist es wohl. Ich scheine diesen Film tatsächlich etwas zu oft gesehen zu haben. (lacht und denkt nach) Ich habe für dieses Album an hunderte verschiedener Titel gedacht, aber nichts blieb wirklich hängen. Der, der es jetzt geworden ist, blieb als Letztes übrig. Ich wollte auf keinen Fall einen langweiligen Titel. Und das ist „Victory For The Comic Muse“ nun ganz sicher nicht.

Soundmag: Vielleicht werden dich die Leute in der Zukunft fragen, ob du mit deiner Vergangenheit zufrieden bist. Ob du mit den damaligen Ereignissen heute leben kannst.

Neil: Ja, ich nehme an, dass darin auch ein Teil Akzeptanz liegt. „Fanfare For The Comic Muse“ war tatsächlich das erste Divine Comedy-Album... It’s shit, you know... aber darum geht es wohl nicht dabei. Es existiert und ich akzeptiere heute und hier mein jüngeres Ich.

Soundmag: Ist das der Grund, warum du es nicht auf deinem neuen Label wieder veröffentlichen willst?

Neil: Na ja, vielleicht tue ich das ja.

Soundmag: Okay, ich las gestern auf deiner Homepage, dass das nicht passieren wird. Jemand schrieb dort: „Ihr alle wisst, was Neil darüber denkt...“

Neil: Hm, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Kann schon sein, dass ich das tun werde, wenn die Leute es hören wollen

Soundmag: Das wollen sie ganz offensichtlich.

Neil: Tatsächlich? Okay, dann mache ich das! (lacht noch mal dreckig)

Soundmag: Da wir schon den Atem deiner Betreuerin im Nacken spüren, ist es Zeit für die letzte Frage des Interviews, die im übrigen nichts mit dem Vorangegangenen zu tun hat. Dieses Mal wollen wir wissen: Wen magst du mehr – Phil Collins oder die Pet Shop Boys?

Neil: Die Pet Shop Boys, das ist einfach.

Soundmag: Warum?

Neil: Ich war ein großer Fan von ihnen in den 80ern. Neil Tennant kenne ich außerdem persönlich und er ist ein sehr netter Mann. Darum gewinnen sie – Basta. Ich habe auch einen Song für sein Benefiz-Album beigesteuert, für „20th Century Blues“ über Noel Coward. Er kam auch zufällig vorbei, als wir das neue Album aufnahmen, hörte sich ein paar Songs an und schien komplett unbeeindruckt davon. (lacht)

Soundmag: Warum?

Neil: Das kann man nie wissen, es ist nicht einfach, ihn zu verstehen.

Soundmag: Neil, vielen Dank für das Interview und ein tolles Konzert heute abend – vielleicht sogar noch besser als in Paris.

Neil: (zu diesem Zeitpunkt waren wir schon fast außer Hörweite und der nächste Interviewer hat bereits Platz genommen) Vergiss nicht, auf- und abzuspringen nachher.

Leider war dies nicht wirklich möglich, da das Konzert am Abend nach bereits acht Liedern durch die Polizei beendet wurde.

Review kommentieren

Neues Thema im Forum

Offizielle Website

www.thedivinecomedy.com

Alle Interviews

 

 

 

Neue Interviews

 

Neue Reviews

 

Suche in soundmag.de