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Jason Collett

Jason Collett

 

26.05.06 - Postbahnhof / Berlin

Interview:  Alice

Foto: Alice

 

 

 

Jason Collett spielt an diesem kalten Maiabend im Postbahnhof. Ich warte auf das Interview mit ihm, es wird sich wegen des verspäteten Soundchecks nach hinten verschieben. Irgendwas stimmt nicht. Der Tormanager wirkt ziemlich angespannt, Jasons akustische Gitarre will nicht so wie er es will. Irgendwann ist alles gefixt und wir gehen nach draußen, um das Interview durchzuführen. Es ist wirklich kalt, Jason Collett trägt einen altmodischen aber schicken Dandy-Anzug und hat nicht besonders viel Zeit, denn in einer halben Stunde geht es los. Während wir uns draußen unterhalten hört man Amy Millans Soundcheck.

Soundmag: Amy Millan begleitet dich heute Abend auf der Bühne …

Jason Collett: Ja, sie hat ein Soloalbum draußen und von heute an ist sie bis zum Ende der Tour unser „Opener“. Wir werden sie mit der Band unterstützen und sie singt auch während unseres Auftritts mit.

Soundmag: Und wer sind die Jungs, die dich eben beim Soundcheck begleitet haben?

Jason Collett: Das ist meine Band, sie heißen Pasomino. Letztes Jahr nach meiner Tour mit Broken Social Scene standen sie vor meiner Tür und sagten, dass sie meine Band sein müssen. Sie gaben mir ihre CD, ich rief sie danach an und sagte: Lasst uns mal spielen. Sie spielten mein ganzes Material ein, ohne es mit mir zu üben, legten los und das hat mich umgehauen. Seit Juni letzten Jahres spielen wir zusammen und es macht wirklich Spaß. So haben wir mit Feist auch schon mal gespielt.

Soundmag: Kommt sie heute auch vorbei?

Jason Collett: Ich weiß, dass sie in der Stadt ist, vielleicht kommt sie wirklich vorbei. Aber geplant haben wir nichts. Na jedenfalls, habe ich mit Pasomino auch Feist bei ihren Konzerten begleitet, dann haben Jungs von ihrer Band mit mir gespielt… Wir tauschen uns auf diese Weise mit Musikern aus.

Soundmag: Es ist ziemlich faszinierend zu beobachten, wie dieser Austausch untereinander funktioniert …

Jason Collett: Das ist echt gut. Es war auch einer der Gründe, warum wir mit der Broken Social Scene angefangen haben. Es macht einfach mehr Spaß. Wir finden es einfach lustiger, mit so vielen Menschen unterwegs zu sein. Aber vor allem bewahrt es dich als Musiker davor, eingefahren zu werden. Wenn du ständig mit anderen Musikern spielen musst, musst du auch deine Spielweise ändern. Es hält dich frisch und wach.

Soundmag: In den letzten Jahren gab es erstaunlich viele gute kanadische Musiker und Bands, die in Deutschland sehr beliebt sind. Hast du eine Erklärung für diese „kanadische Welle“?

Jason Collett: Ich weiß es nicht, es gab in der Tat so etwas wie eine Renaissance in der kanadischen Musik, Kunst, im Kino und sogar in der Politik. Aber Kanada ist generell ein merkwürdiges Land. Viele Künstler mussten es erst verlassen, um eine Karriere im Ausland zu beginnen, auch wegen der niedrigen Population dieses riesigen Landes. Außerdem ist es typisch für Kanada oder für Kanadier, dass wir der Wert unserer Künstler erst dann erkennen, wenn sie im Ausland berühmt und anerkannt worden sind. So war es schon bei Neil Young, Jonni Mitchell oder Ron Sexsmith. Das ist auch der Grund warum Künstler wie Peaches und Gonzales weggingen, um in Berlin ihre Karrieren anzufangen. Deshalb sehe ich auch unsere zukünftigen Aktivitäten eher außerhalb von Kanada. Und damit meine ich auch Amy Millan und Broken Social Scene.

Soundmag: Seid ihr in Kanada nicht wirklich bekannt?

Jason Collett: Doch, sind wir schon, aber es ist einfach anstrengend. Der Musikmarkt ist viel zu klein und wenn wir die Möglichkeit bekommen in Europa oder in Amerika zu arbeiten, dann machen wir es auf jeden Fall.
Das führt eben dazu, dass die Künstler, die in Kanada geblieben sind, oft Communities und Netzwerke bilden, um sich gemeinsam so zu entwickeln, dass die Industrie endlich aufmerksam wird. Und meistens führt der Weg zu Erfolg über das Ausland. Ich würde sagen, es gibt keinen speziellen kanadischen Sound, aber mit Sicherheit einen kanadischen Spirit. Unsere Stärke liegt oft in den Freundschafts-Kollaborationen, die wir kreativ nutzen. Meine besten Freunde sind gleichzeitig meine besten Kritiker. Amy Millans Soloplatte zum Beispiel ist so wahnsinnig gut, dass sie mich total inspiriert und motiviert, etwas mindestens genauso Gutes zu kreieren. Wir sind gute Freunde, wir haben viel Spaß zusammen, es ist eine extrem angenehme Art der Arbeit. Klar gibt es Nachteile, wenn man so lange unterwegs ist und von der Familie entfernt, aber dennoch, es ist schon ein tolles Leben, das wir führen dürfen.

Soundmag: Wie hat sich deine Zusammenarbeit mit Broken Social Scene ergeben? Du warst ja vorher schon ein Solokünstler.

Jason Collett: Eigentlich war ich nicht daran interessiert, mit einer Band zusammen zu spielen, denn ich hatte an meinem Soloalbum gearbeitet. Aber da sie meine Freunde sind und mich gefragt haben, ob ich nicht Lust hätte mitzumachen, habe ich natürlich ja gesagt. Das ist alles. Und wenn du dann merkst, wie viel Spaß das Arbeiten in einer großen Gruppe macht, schaffst du einfach Raum dafür in deinem Leben.

Soundmag: Wie wird es weiter gehen? Wollt ihr wieder verstärkt als Band zusammenarbeiten oder gibt es das nächste Soloalbum von dir?

Jason Collett: Ich bin mir sicher, dass es sehr bald viele neue Soloalben von einzelnen Mitgliedern der Broken Social Scene geben wird. Eine neue Platte von Feist kommt jetzt raus, Amy Millan hat eine sehr gute Platte gemacht. Ich kann mir aber vorstellen, dass wir demnächst alle zusammen auf Tour gehen werden. Das wird auf eine Art die Fortsetzung von Broken Social Scene.

Soundmag: Auf deiner Homepage fällt auf, dass du gerne in die Vergangenheit zurückblickst und einige Geschichten aus deiner Jugend beschreibst. Ist es so, weil du etwas vermisst?

Jason Collett: Ich muss zugeben, ich fand es am besten siebzehn zu sein. Eigentlich wollte ich nie zurückblicken und mit dem ganzen, was war, abschließen. Aber wenn du älter wirst, fängst doch an, über die Vergangenheit nachzudenken. Die Frau, mit der ich damals gegangen bin, ist jetzt meine Ehefrau. Als ich wegging, um nach neuen Wegen zu suchen, habe ich mich irgendwann umgeschaut und stellte fest, dass ich sie darum beneide, dass sie immer noch ihre alten Freunde hat. Und dann denkst du darüber nach, woher du kommst: aus der Vorstadt-Kultur. Kultur, die sich um Autos und Isolation dreht. Die Menschen haben solche Angst voreinander, dass sie nicht mal mit ihrem verdammten Nachbarn reden können. Das ist aber auch meine Geschichte. Ich hasse sie manchmal, deshalb wenn ich Songs schreibe, betreibe ich auch eine Art des Exorzismus. Ich suche in der Vergangenheit oft nach Geschichten, die für mich damals auch gefährlich waren. Ich glaube, dass Gefahr ein unglaubliches Gefühl des Lebendigseins erzeugen kann, das du sonst nicht finden wirst. Manchmal während meiner Auftritte, erzähle ich diese Geschichten dem Publikum, sie können sich dadurch mit meinen Songs besser identifizieren. Und deshalb habe ich sie auch auf meiner Homepage.

Soundmag: Wie lebst du jetzt?

Jason Collett: Wir wohnen Downtown in einem großen Haus. Es war sehr preiswert aber ziemlich runtergekommen. Aber da ich früher Zimmermann war, habe ich in den letzten Jahren sehr viel selbst repariert. Und ich habe drei Kinder. Es gibt immer was zu tun. In der Küche finden oft Musik-Sessions statt…

Soundmag: Hängt heute deshalb dieses Küchen-Bild über der Bühne?

Jason Collett: Nein, das war keine Absicht, aber ich mag einfach Küchen. Da findet das meiste Leben statt. Egal, wie sehr du dich bemühst, die Leute im Wohnzimmer zu behalten, am Ende der Party sitzen alle in der Küche. Und deshalb dieser Versuch, die Konzerte soweit es geht intim zu gestalten. Kleine Klubs sind das Beste. Und die besten Konzerte die, in denen die meisten Fehler passieren.

Soundmag: Howie Beck hat dein neues Album „Idols Of Exile“ produziert. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Jason Collett: Wir sind seit Jahren befreundet, haben schon of zusammen gespielt und irgendwann hat er mir vorgeschlagen, das neue Album zu produzieren. Er ist ein großartiger Produzent. Es war auch klar für mich, dass ich die Leute, mit denen ich sonst zusammenarbeite dazu eingeladen habe, also z.B. Feist, Ami Millan oder Emily Haines. Wir haben es im Januar und Februar aufgenommen, wenn die meisten zu Hause sind. Es war sehr relaxed. im Prinzip ist es eine Art der Dokumentation der positiven Energie, die zwischen uns während der Arbeit stattgefunden hat.

Soundmag: Wie unterscheidet sich das erste Album „Motor Motel Lovesongs“ (2003) von dem neuen?

Jason Collett: Diesmal hatte ich mehr Geld zur Verfügung und konnte tun und lassen was ich will. Das erste Album ist eigentlich eine Demo-Compilation meiner früheren Sachen zwischen 1996 und 2003. Vorher habe ich meine Platten nur während der Gigs verkauft. Dann wollte das Label Arts & Crafts diese Songs als Album veröffentlichen. Man kann es sich online anhören.

Und hier ist die Zeit dann auch um und wir gehen wieder rein.

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Offizielle Website

www.arts-crafts.ca/jasoncollett

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