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¡Forward, Russia!

¡Forward, Russia!

 

25.06.06 - Lido / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Andreas

 

 

 

Der kollektive Fußballwahn liegt schon seit drei Wochen wie Blei über Deutschland. Schwarz-rot-goldene Fahnen auf jedem zweiten Auto. Jeder Club, der etwas auf sich gibt, hat eine irgendwie geartete WM-Partyreihe. Im Lido haben die „11 Freunde“ ihr Hauptquartier aufgeschlagen und jeden Abend gibt es Musik als Zugabe zum Fußballspiel. Heute abend spielt eine eher enttäuschende englische Mannschaft gegen Ecuador. Forward, Russia stehen hinter ihrer Mannschaft - selbst wenn der Bandname klingt, als würden sie eine Mannschaft anfeuern, die in der WM-Endrunde gar nicht vertreten ist. Sie sollen recht behalten. Zehn Tage später jedoch sind David Beckham, Ashley Cole und Kollegen auf dem Weg zurück in die Heimat und wieder ist es nichts geworden mit dem Fußball, der nach Hause zurückkehrt. Aber davon wussten an diesem Tag weder Whiskas (Guitar) noch Katie (Drums).

Soundmag: Ich wollte euch eigentlich mit einem galanten „Sdrawstwuidtje“ begrüßen, war mir aber nicht sicher, ob ihr mich daraufhin nur komisch anschauen würdet. Wisst ihr, was das heißt?

(Beide gucken verwirrt.)

Katie: Keine Ahnung. Noch nie gehört.

Soundmag: Das war Russisch und heißt schlicht und einfach „Hallo“.

Whiskas: Oh! Na ja, dieses Ding mit Russland bezieht sich eigentlich nur auf den Namen.

Katie: Es gibt keine wirkliche Verbindung mit dem Land

Soundmag: Und dieses nach vorn treibende „Forward“? Hat das etwas mit Fußball zu tun?

Whiskas: Nein, es ging eigentlich nur um den Klang. Zumindest dachten wir uns das. Aber jeder vermutet jetzt irgendeinen originellen Hintergrund, den es nicht gibt. Das spricht vielleicht auch dafür, dass es ein wirklich guter und kraftvoller Name ist.

Soundmag: Gut. Trotzdem läuft hier in Deutschland gerade die Fußball-Weltmeisterschaft. Interessiert ihr euch für Fußball?

Beide: JA!

Soundmag: Euer Tip für das heutige Spiel?

Whiskas: Ich habe gerade die Aufstellung gesehen. Ich möchte jetzt kein genaues Ergebnis tippen. Aber ich kann dir etwas erklären: das Problem im Spiel gegen Schweden bestand darin, dass wir auf zwei Verteidiger verzichten und Owen vom Platz ging. Also mussten wir unsere komplette Strategie über den Haufen werfen. Für das heutige Spiel haben wir eine gute Strategie und können auf alle Spieler zurückgreifen. Es sieht also alles danach aus, als ob wir sie vom Platz jagen können. Mit der jetzigen Formation könnte es zum ersten Mal bei dieser WM großen Fußball von der englischen Mannschaft zu sehen geben.

Katie: Das Konzert heute abend lässt uns ja sogar die Möglichkeit, das Spiel zu sehen. Wenn wir nicht auf der Bühne stehen, können wir also ganz relaxt dabei sein. Selbst der Soundcheck und dieses Interview passt in den Zeitplan

Soundmag: Seid ihr denn zurzeit auf Tour oder gibt es nur dieses Konzert heute abend?

Whiskas: Nur das Konzert heute, das in letzter Minute kam. Wir spielten am Freitag auf einem Festival in Frankreich. Da unser Album demnächst auf dem europäischen Festland erscheint, sind Tom und ich in den nächsten Tagen noch für Interviews unterwegs. Das WM-Camp passte hervorragend dazwischen.

Soundmag: Das Album hat mir eure Plattenfirma gestern zugeschickt. In der beiliegenden Biographie stand, dass ihr bei eurer Gründung etwas musikalisch vollkommen Neues schaffen wolltet.

Katie: Unbedingt. Whiskas, Tom (Vocals, Synth) und Rob (Bass) waren vorher bereits in anderen Bands aktiv. Das waren alles tolle und in Leeds sehr aktive Gruppen. Aber uns schwebte etwas Anderes, etwas Neues vor. Es gab keine Limitierungen.

Whiskas: Wir hatten alle das Gefühl, dass wir in unseren früheren Bands gefangen waren. Wir mussten Songs schreiben, die zum Stil der Gruppe passten und die künstlerische Freiheit war relativ begrenzt. Es gab keine Mauern, die man durchbrechen konnte. Bei Forward, Russia soll alles möglich sein, obwohl das Album inzwischen natürlich einem bestimmten Stil gehorcht. Aber es gibt große Variationen: die langsamen 60er Jahre-Songs auf der einen und die vielen elektronischen Elemente auf der anderen Seite etwa. Wir freuen uns schon jetzt darauf, neue Songs zu schreiben und unseren Horizont dabei zu erweitern.

Soundmag: Aber du würdest eure Musik jetzt nicht auf die Kombination von Rock und Elektronik beschränken. Denn das ist ja nun wieder so neu nicht.

Whiskas: Nein, sicher nicht. Es ist alles und nichts zur gleichen Zeit. Wir wollen vor allem laut und tanzbar sein. Uns dabei jedoch nicht sklavisch einem Stil verschreiben. Natürlich haben wir bei den Aufnahmen auch daran gedacht, dass die Songs zusammen passen sollten, aber es gab keine paradigmatischen Schranken. Wir sehen uns vor allem als Live-Band. Alles, was wir tun, baut darauf auf. Darum kann die Elektronik nur ein Element sein. Wir haben auch sehr viele elektronischere Stücke geschrieben, die wir live aber gar nicht spielen können.

Soundmag: Als ich mir das Album angehört habe, hatte ich das Gefühl, dass ihr alle sehr wütend auf ganz unterschiedliche Dinge seid. Ist das richtig oder vermittelt mir die von dir beschriebene Kombination einfach diesen Eindruck?

Whiskas: Vielleicht nicht wütend, aber doch frustriert.

Katie: Es hat lange gedauert, bis wir dieses Album aufnehmen konnten. Die Songs haben wir schon so lange live gespielt, dass es irgendwie befreiend war, sie jetzt endlich einzuspielen. Wenn darauf Emotionen wie Wut oder Ärger zu spüren sind, dann ist das für mich letztendlich Sinn und Zweck eines Albums. Diese Gefühle sollen, müssen geradezu vermittelt werden, denn das Album wird immer da sein und muss auch noch in zehn Jahren etwas ausdrücken.

Soundmag: Ein Thema, über das ihr in jedem Interview sprechen müsst, sind die Nummern, die ihr als Songtitel nutzt. Inzwischen wissen die meisten, dass diese Nummern für die Reihenfolge der Songs stehen, in der ihr sie geschrieben habt. Mich verwundert in diesem Zusammenhang, dass das Album nun mit „Give Me A Wall“ einen ganz normalen Titel hat. Ich hätte eher gedacht, ihr gebt ihm eine römische Eins als Namen.

Whiskas: Verstehe. Der Grund dafür, dass wir den Stücken Nummern als Titel geben ist folgender: normalerweise ergibt sich der Songtitel ja aus dem Text. Meist gibt es einen Refrain und die Wörter, die dort zu hören sind, werden zum Titel des Lieds. Bei unseren Songs funktioniert das leider nicht. Tom schreibt sie einfach nicht nach diesem Muster, sondern denkt dabei an größere Zusammenhänge. Das spiegelt sich nun auf dem Album wider und darum erschien „Give Me A Wall“ als übergreifender Titel hier absolut passend.

Katie: Außerdem schreibt Tom seine Texte als allerletztes. Wir könnten den Stücken also gar keinen passenden Namen geben, bevor wir nicht die Texte kennen. Die Nummern sind der passende Ersatz. Als das Album fertig war, schien „Give Me A Wall“ ein immer wieder auftretendes Thema zu sein.

Soundmag: Haben die Songs denn heimliche Titel, die ihr vielleicht bandintern benutzt.

Beide: Nein. (Whiskas lacht)

Katie: Die Nummern sind wirklich die einzigen Titel.

Soundmag: Als ihr das letzte Mal im Oktober 2005 in Berlin wart, hat Tom auf der Bühne kleine Kunststücke mit dem Mikrofonkabel veranstaltet. Das sah mitunter sehr gefährlich aus.

Whiskas: Oh ja, er wickelt sich gern damit ein.

Katie: Das war tatsächlich ein sehr gutes Konzert. Toms Kabel war so lang, dass er damit zum Mischpult und wieder zurückgehen konnte.

Whiskas: Wenn Tom nicht auf der Bühne steht, spielt er ständig mit seinen Händen. Das Mikrofonkabel ist wahrscheinlich der Ersatz dafür.

Soundmag: Aber es ist noch niemand dabei verletzt worden?

Whiskas: Nein, einige Leute dachten allerdings, dass er sich selbst erhängen will.

Katie: Einmal hatte er sich so extrem in das Kabel gewickelt, dass er gar nicht mehr richtig in sein Mikrofon singen konnte. Das Kabel klebte auf komische Art und Weise in seinem Gesicht und er konnte es auch nicht mehr entwirren. Aber er hielt es bis zum Ende des Songs aus.

Soundmag: Lebt ihr eigentlich noch in Leeds?

Whiskas: Ja. Allerdings sind wir ständig unterwegs und kaum mehr in der Stadt.

Soundmag: Hier in Deutschland konnte man in den letzten Monaten das Gefühl bekommen, dass Leeds eine große und starke Musikszene hat. Stimmt das?

Katie: Oh ja. Es gibt sogar Bands, die zurzeit auf Deutschlandtour sind.

Whiskas: Jules. Sie kommen heute zum Konzert. Also ja, es gibt einen großen Enthusiasmus in Leeds. Die Bands sind sehr aufgeschlossen und wollen etwas erreichen. Man hilft sich untereinander, spielt mal hier mit und mal dort. Die letzten Monate waren eine wirklich gute Zeit für Bands aus Leeds.

Soundmag: Es ist also eine große Gemeinschaft.

Katie: Ja, jedes Mal, wenn wir in Leeds in den Pub gehen, treffen wir mehrer Mitglieder anderer Bands. Man ist fast mit jedem befreundet, erzählt sich, was passiert ist und gibt Ratschläge.

Whiskas: Obwohl alle ständig unterwegs sind, trifft man sich. Und sei es wie heute hier in Berlin.

Soundmag: Whiskas, du hast ja auch ein kleines Label. Gibt es noch genügend Potential für mehr gute Musik aus Leeds?

Whiskas: Ich glaube schon. Es gibt einige Bands, die sich schon ganz gut machen, deren Sound aber noch etwas stagniert. Bis jetzt gab es uns, The Cribs und die Kaiser Chiefs, die ein Album veröffentlicht haben und damit Erfolg hatten. Darum ist da auf jeden Fall noch mehr zu erwarten.

Katie: Viele Bands sind noch etwas von ihrem Höhepunkt entfernt. Aber das wird kommen.

Soundmag: Wie läuft es denn für euch in England?

Whiskas: Mehr als gut. Was irgendwie seltsam ist, weil wir gerade erst das Album aufgenommen haben. Wir waren mit den Editors unterwegs und ein paar Wochen später spielten wir bereits in den USA. Bis jetzt hatten wir also noch keine Chance, Headliner-Shows in England zu spielen. Aber auch das kommt demnächst. Bei den englischen Festivals sind wir natürlich auch zu sehen. Es soll noch zwei Singles von „Give Me A Wall“ geben und dann wollen wir neue Songs schreiben. Anfang nächsten Jahres erscheint dann neues Material.

Soundmag: Wenn es um den Erfolg in England geht, hängt viel vom New Musical Express (NME) ab. Auch ihr standet in diesem Magazin auf der so genannten „Cool List“. Wie schätzt ihr den Status des NME ein, wenn es sich um Musik in England dreht?

Katie: Es gibt viele Leute, die die Zeitschrift lesen. Ich würde sagen, die Kernzielgruppe des NME ist zwischen 15 und 18 Jahre alt.

Whiskas: Das Problem mit dem NME ist folgendes: In Deutschland scheint es eine relativ gut entwickelte Musikpresse zu geben. Aber wir waren ja in Amerika und dort gibt es kein einziges nationales Musikmagazin. Der NME scheint mir im Vergleich mit anderen Ländern das einzige Magazin zu sein, dass eine internationale Wirkung hat – insbesondere wenn es um neue Bands geht. Dabei musst du vergessen, dass sie Razorlight und Oasis aufs Cover packen. Das müssen sie tun, weil sich die Zeitschrift darüber verkauft. Aber der NME tut mehr für kleine, junge Bands als jedes andere nationale Musikmagazin. Auch uns hat das geholfen, denn unsere Fans in Deutschland oder Frankreich hörten von uns zum ersten Mal über den NME. Trotz dieses lobenswerten Engagements gibt es ein Problem: der Journalismus im NME ist alles in allem ziemlich schrecklich. Sie setzen auch oft auf die falschen Pferde, unterstützen Junkies und ähnliches.

Katie: Aber auch das hängt ja damit zusammen, dass sie das einzige nationale Magazin sind, dass wirklich in der ganzen Welt gelesen wird.

Whiskas: Die Leute beim NME wissen natürlich, dass sie so ziemlich jede Band groß machen können. Sie wissen aber auch, dass sie Bands auf das Cover bringen, die auch ohne sie groß werden würden. Es ist eine symbiotische Beziehung zwischen dem NME, den Bands und der Musikindustrie. Da gibt es dann schon mal einen Artikel über eine Band, die sie nicht mögen, für die das Label aber eine Anzeige schaltet. Wenn du das gemacht hast, kannst du die Gruppe natürlich nicht eine Ausgabe später in Stücke reißen. Aber sie unterstützen eben auch Bands wie Forward, Russia. Es wäre darum fatal, sie zu sehr zu kritisieren, denn sie geben unglaublich vielen Bands beeindruckende Möglichkeiten.

Soundmag: Also ist der NME ein notwendiges Werkzeug?

Whiskas: Ein böses, notwendiges Werkzeug. Definitiv. Genau das ist es. Es gibt so vieles im NME, worüber ich nur den Kopf schütteln kann. Aber zwei Seiten weiter haben sie dann diese kleine, feine Rubrik, in der Bands wie wir unterstützt werden.

Soundmag: Dann kommt jetzt die letzte Frage, damit ihr euch anschließend aufs Spiel vorbereiten könnt. Die Mannschaften laufen ja schon fast auf, wie ich auf der Leinwand sehe. Was haltet ihr von den Pet Shop Boys?

Whiskas: Die Pet Shop Boys?

Katie: Die Pet Shop Boys?

Whiskas: Waren mal okay, sind jetzt Müll. In den späten 80ern, frühen 90ern machten sie guten Elektropop.

Katie: Sie reiten inzwischen auf einem toten Pferd, machen zu lange weiter.

Whiskas: Sie müssen inzwischen schon ziemlich alt sein. Und genauso klingt ihre Musik.

Katie: Als Band musst du merken, wenn deine Zeit vorüber ist.

Whiskas: Human League waren sowieso besser. It’s a bit too camp but not camp enough, really.

Soundmag: Vielen Dank für das Interview. Viel Glück für das Spiel. Viel Spaß heute abend beim Konzert!

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www.forwardrussia.com

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