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Teitur

Teitur

 

20.09.06 - Postbahnhof / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Andreas

 

 

 

Inzwischen dürfte jedes europäische Land seinen eigenen Abend während der Popkomm veranstalten. Teitur von den Färöer Inseln verdankt seinen Auftritt dem Staat Dänemark – auch wenn die Färöer sich selbst für ungefähr so dänisch halten wie die Mallorciner von sich denken, dass sie Deutsche sein. Das dänische Musikexportbüro befürchtete wohl ausbleibende Interessenten, denn mindestens drei Schulklassen dänisch sprechender Teenager laufen durch die gut gefüllte Halle und mischen sich zwischen die tendenziell zu fein angezogenen Messebesucher. Teitur singt an diesem Abend für 40 Minuten in Hemd und Krawatte die Songs seines zweiten Albums „Stay Under The Stars“, behält dabei schüchtern und professionell immer den Boden im Blick. Anschließend setzen wir uns in eine ruhige Ecke des Postbahnhofs, wo wir nicht ganz so oft von durch die Halle rennenden Kindern gestört werden.

Soundmag: Du bist ein Teenistar! Das war mir bis jetzt noch gar nicht klar. Der Altersdurchschnitt heute Abend ist ja atemberaubend niedrig.

Teitur: (lacht) Ein Teeniebopper. Wir waren auch ganz perplex. Als wir mit der Show anfingen, standen nur 15- und 16-jährige vor der Bühne und grinsten uns an. Aber mit der Zeit kamen immer mehr Erwachsene herein. Gott sei Dank.

Soundmag: Ich will dir die Illusion nicht nehmen, aber ich denke, die Jungs und Mädels sind vor allem wegen Outlandish hier. Die hatten mal ein, zwei Hits und spielen nachher noch.

Teitur: Also doch nicht. Verflixt! (lacht)

Soundmag: Das kann noch werden. Du bist ja erst bei Album Nummer 2. Der Song, der mich darauf am meisten beeindruckt hat, ist „Louis, Louis“ – quasi deine Hommage an Louis Armstrong. Warum?

Teitur: Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Wofür Louis Armstrong meiner Meinung nach steht, ist eine Seite. Wichtig ist aber auch der Zeitpunkt, an dem ich diesen Song schrieb, nämlich kurz nach dem Tsunami in Thailand und der von Bush zum zweiten Mal gewonnen Wahl in Amerika. Ich kam gerade von einer Tournee aus Amerika zurück und flog auf die Färöer Inseln. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass eine unglaubliche Traurigkeit auf der Welt lag. Niemand schien sich in dieser hoffnungslosen Situation für Helden oder Auswege zu interessieren. Also schrieb ich einen Song, in dem Louis Armstrong zurückkommt, um Musik für alle Menschen zu spielen. Musik erschien mir mit die einzige Abhilfe zu sein. Louis Armstrong steht für mich exakt dafür. Er ist ein echter Musiker und es ist interessant zu sehen, wie er sein Wissen über die Menschen genutzt hat, um sie mit seinen Songs zu erreichen.

Soundmag: Du sprichst in dem Stück auch von der „stillen Generation“.

Teitur: Während ich ein paar Monate in Amerika lebte, traf ich dort viele Freunde. Nach Bushs Wiederwahl und meiner Rückkehr nach Europa erlebte ich die USA im Fernsehen als ein komplett anderes Land, das mit meinen Erfahrungen nicht mehr zusammenpasste. Es mutierte zu etwas komplett anderem. All die Menschen, die ich dort kannte, schienen plötzlich nicht mehr repräsentiert zu sein. Ganz allgemein steht die „stille Generation“ für Menschen in meinem Alter. Wir, die Kinder der Demokratie, sind sehr verwöhnt. Unsere Eltern ebneten uns den Weg und nun haben wir all diese Möglichkeiten. Es gibt keinen Zwang, etwas tun zu müssen. Du musst dich nur entscheiden: willst du Polizist oder Journalist oder Handwerker werden. Gleichzeitig überfordert dich das aber auch, denn du weißt nicht, was du tun sollst. Meine Generation zuckt nur mit den Schultern. Überall kriegst du erzählt, dass du alles tun kannst. Aber das glaube ich nicht. Jeder hat sein Schicksal – für einige tritt es ein, für andere nicht.

Soundmag: Siehst du dich denn als Teil dieser Generation oder hast du den Schritt hinaus schon getan?

Teitur: Ich entschied mich, Musik zu machen. Das ist zweifellos keine einfache Entscheidung. Trotzdem fühle ich mich auch als Teil dieser Generation. In der westlichen Welt muss jeder jeden Tag unglaublich viele Entscheidungen treffen. Alle denken, dass du ein Idiot bist, wenn du hier nicht Geld verdienst und überleben kannst. In so einer Umwelt fällt es jedem schwer, eigene Ambitionen zu entwickeln und vielleicht auch mal zu straucheln. Aber genau so ist das Leben nun mal: jeder strauchelt von Zeit zu Zeit. Wir sind bei weitem nicht so sicher, wie wir uns fühlen. Deine Einstellung hängt davon ab, woran du glaubst. Und genau das ist es, was mich interessiert. Wenn Menschen Verantwortung übernehmen, anstatt mit den Schultern zu zucken.

Soundmag: Apropos straucheln. In einem Interview mit John Mayer beschwerte der sich, dass dein erstes Album „Poetry & Aeroplanes“ nicht ausreichend von der Plattenfirma unterstützt worden wäre. Siehst du das genauso?

Teitur: Naja, ich kann nicht beeinflussen, ob jemand das Geld in ein Poster für meine Platte investiert. Mir geht es um die Musik und nicht um die große Maschinerie. Am Ende ist es eine Lotterie. Irgendwer entscheidet ohne mein Wissen, in wen er das Geld investiert.

Soundmag: Aber du hast ja sicher gemerkt, dass die Unterstützung vom deinem Label nicht gerade überschwänglich war. Hast du jemals daran gedacht aufzugeben?

Teitur: Wenn du dich entscheidest, Musiker zu sein, kannst du niemals damit aufhören. Du wirst einfach immer ein Musiker bleiben, immer Songs schreiben. Ich kann das nicht stoppen. Selbst wenn ich in einer Bibliothek oder in einer Firma arbeiten würde, schriebe ich weiter Musik. Dennoch: du musst dich als Musiker entscheiden, was du willst. Wenn du einen normalen Job hast, wird er immer deine Kreativität beeinträchtigen. Mir ging und geht es also einzig und allein darum, mein Leben so zu gestalten, dass ich jede Minute in meine Musik investieren kann. Ich will Platten machen, die so gut sind wie möglich, und die Songs live spielen. Viele meiner Freunde gaben die Musik irgendwann auf, weil sie Geld verdienen mussten. Schade, denn ich glaube, ein wirklicher Musiker wird nicht vom Erfolg getrieben. Er MUSS einfach spielen, kann nicht anders. Es gibt dort draußen Menschen, die vorgeben, Musiker zu sein. Aber sie sind es nicht, denn sie spielen keine Instrumente, schreiben Songs nur wegen des Geldes oder der Anerkennung.

Soundmag: Hat es dich denn überrascht, als dein Debüt all diese guten Kritiken bekam?

Teitur: Auf eine bestimmte Weise schon. Immer wieder fragen mich Menschen, ob es nicht toll sei, dass Leute meine Musik kaufen und in Konzerte kommen, um sie zu hören. Klar ist das toll. Aber gleichzeitig ist es für mich das einzig Denkbare. Es geht gar nicht anders! Ich bin froh, dass es Menschen um mich herum gibt, die auf mich aufpassen und dafür sorgen, dass ich morgen nicht in einer Bar arbeiten muss.

Soundmag: Du lebst inzwischen in London, fliegst aber regelmäßig zurück in deine Heimat. Hilft dir der Kontrast von Großstadt und einsamer Insel?

Teitur: Die Färöer Inseln werden immer meine Heimat sein. Jeder hat so einen Platz, an den er sich nach einer Zeit zurücksehnt. Es ist wie ein Gepäckstück, das du immer mit dir herumträgst. Ich mag das Leben in London. Vor allem weil ich dort in ein Musikstudio gehen kann und plötzlich steht Cat Stevens vor mir und macht sich einen Kaffee. (lacht) Das ist mir wichtig. Wahrscheinlich würde ich mich eher für das Kaffeetrinken mit Cat Stevens entscheiden als für einen Sekretärsjob. Mir war es wichtig, an einem Ort zu leben, wo Englisch gesprochen wird. Ich singe in dieser Sprache und darum ist dieser Einfluss für meine Songs gar nicht zu unterschätzen. Aus diesem Grund zog ich nach London. Trotzdem sind die Färöer Inseln meine Heimat, meine Band kommt von dort und ich spreche täglich auch ein paar Worte Färöisch.

Soundmag: Nun spielst du heute im Rahmen des dänischen Abends. Macht das für dich als Färöer Sinn?

Teitur: Nein! Genau darum geht es! Die Menschen der Färöer Inseln fühlen sich überhaupt nicht dänisch. Das ist eine sehr delikate Angelegenheit. Die Dänen wissen natürlich, dass die Färöer Inseln und Grönland politisch zu ihrem Land gehören. Trotzdem sehen sie diese Gebiete auch als eigenständige Territorien. Für so eine Präsentation wie heute Abend macht es Sinn, jemanden wie mich dazuzuholen. Aber ich würde nie für einen dänischen Musikpreis nominiert werden, denn man sieht mich einfach nicht als dänischen Künstler. Ich werde oft nach dänischer Musik gefragt und tatsächlich habe ich einen ganz guten Überblick über die Musikszene. Aber es ist nicht meine Heimat – obwohl die dänische Königin auch die meine ist.

Soundmag: Dann lass uns doch über Musik von den Färöer Inseln reden. Du bist ganz offensichtlich der bekannteste Künstler dort. Wie fühlt sich das an?

Teitur: Im Prinzip bin ich der erste Fall überhaupt, in dem Musik von den Inseln eine Bedeutung für Menschen von außerhalb gewinnt. Als ich aufwuchs, hatte ich immer das Gefühl, dass die komplette Insel dem Rest der Welt 20 Jahre hinterher rennt. Es gab natürlich junge Menschen wie überall auf der Welt. Aber sie lebten in einer anderen Gedankenwelt, hörten andere Musik. Dann gab es plötzlich MTV, das Internet und Radiostationen von außerhalb und das alles veränderte viel in den letzten 20 Jahren. Heute gehen Musiker offensiver mit der Außenwelt um. Ich bin nur der Erste, der es geschafft hat. Gleichzeitig warten noch viele andere, eine komplette Generation junger Menschen ist dort heute viel eher im Gleichklang mit dem Rest der Welt.

Soundmag: Die Tatsache, dass du der bekannteste Musiker der Färöer Inseln bist, bringt auch einige seltsame Nebeneffekte mit sich. Man kürte dich 2004 zum Geschäftsmann des Jahres!

Teitur: Das war vielleicht verrückt! Ich sah mich nie als Geschäftsmann, glaube aber, dass sie mit dieser Preisverleihung zum ersten Mal anerkannt haben, dass Musik ein Industriezweig sein kann und in meinem Fall auch ist. Für Färöer ist Musik kein Job, du spielst halt zum Spaß auf einer Gitarre. Der Preis legitimierte quasi die berufliche Ebene und befreite ihn von der Ansicht, dass du als Musiker auf Hochzeiten oder in einer Coverband spielst. Es war auch Zeit, dass die Färöer Gesellschaft diesen Respekt endlich ausdrückte. Glücklicherweise traf es dann mich.

Soundmag: Stimmt es, dass ihr nur eine Radiostation habt?

Teitur: Der öffentlich-rechtliche Sender betreibt nur einen Radiosender, richtig. Sie haben sich gerade mit dem Fernsehen zusammen getan. Wenn du mal bei uns bist, musst du dir das unbedingt ansehen. Es ist beeindruckend, ständig laufen Nachrichten. Die Menschen wissen sehr genau, wie sich ihre Leben und die Welt rund um ihre Insel entwickelt. Das politische Leben auf den Färöer Inseln ist sehr umfassend. Es gibt viele harte Diskussionen.

Soundmag: Wie war es als einer deiner Songs zum ersten Mal auf diesem Sender lief?

Teitur: Gigantisch! Ich erinnere mich noch heute sehr gut daran. In dem Moment habe ich gemerkt, dass ich Teil von etwas sein kann. Egal ob auf einer kleinen Insel oder hier in Berlin, als Musiker willst du Teil von all dem sein. Willst Platten verkaufen und im Radio laufen. Das war auch immer mein Traum.

Soundmag: Wie stellt man sich denn das Leben des berühmtesten Musiker der Färöer Inseln vor? Kannst du die Straßen entlang schlendern oder so wie jetzt hier nach dem Konzert im Publikum sitzen?

Teitur: Oh ja, das ist kein Problem. Auf den Färöer Inseln kennt jeder jeden. Meistens kennst du die Person, die neben dir sitzt, persönlich. In jedem Fall jedoch weißt du etwas über sie und ihre Familie. Die Leute sprechen mich also schon an, aber es interessiert sie nicht wirklich, wie mein Konzert in New York letzte Woche gelaufen ist. Sie wollen wissen, wie es mir und meiner Familie geht. Ein gewisser Stolz darüber, dass es jemand von uns auch außerhalb unserer kleinen Gesellschaft zu etwas bringt, ist schon spürbar. Die Fußballnationalmannschaft ist jedoch der wichtigste Botschafter unseres Landes. Wenn sie gegen Deutschland oder Frankreich gut spielen, bedeutet das viel für die Färöer.

Soundmag: Seit deinem ersten Album bist du viel durch die Welt gereist. Als jemand, der von einer so kleinen Insel kommt, welches Land hat dich am stärksten beeindruckt?

Teitur: Definitiv die USA. Als Kind reiste ich mit meinen Eltern oft durch Europa. Urlaub am Strand, Ski fahren in den Alpen. Ich hatte das Gefühl, Europa gut zu kennen. Als ich dann nach Amerika flog, war das eine einzige großartige Erfahrung. Du bist der amerikanischen Kultur ja fast überall auf dieser Welt ausgesetzt. Wenn du plötzlich im Land selbst bist, ist es ein besonderes Gefühl. Wie ein ständiger Kampf: auf der einen Seite fallen dir immer wieder negative Dinge auf, gleichzeitig liebst du das Gefühl der Freiheit jedoch über alles. Die Menschen dort sind so unglaublich positiv. Wenn du erzählst, dass du Musiker bist, sind alle begeistert. Und das ist bis heute so. Diese Einstellung hält die Menschen zusammen, es ist das Rückrat Amerikas. Wenn du als Außenstehender Teil davon wirst, bist du beeindruckt. Ich möchte auch unbedingt mal in Asien auftreten. Oder in Russland. Leider jedoch ist es sehr schwer, dort ein Album zu veröffentlichen. Bis jetzt allerdings geht der Punkt an die USA.

Soundmag: Ich habe noch zwei weitere Fragen. Erstens: was ist mit deiner Homepage los? Die ist noch auf dem Stand von letztem Jahr!

Teitur: Das hängt mit meinem Labelwechsel zusammen. Meine alte Plattenfirma hat die Seite leider nicht freigegeben. Aber wir sind dabei, eine neue zu entwerfen. Du hast Recht, es ist ein riesiges Problem. Ich kann sie weder offline stellen, noch kann ich eine neue freigeben.

Soundmag: Letzte Frage: Was hältst du von den Pet Shop Boys?

Teitur: (lacht) Sie sind Popkultur. Sie haben großartige Songs, tolle Melodien. Fast schon perfekter Pop. Obwohl es nicht die Musik ist, die ich höre. Denn sie wird von etwas anderem angetrieben als meine Songs. Bei den Pet Shop Boys geht es um Popkultur, Mode und Trends. Ich hörte ihre Alben als ich sehr jung war. „It’s A Sin“ war damals ein großartiges Stück.

Soundmag: Teitur, vielen Dank für das Interview. Wir sehen uns im November, wenn du wieder in Berlin spielst.

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