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The Magic Numbers

The Magic Numbers

 

20.10.06 - Lido / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Andreas

 

 

 

Das Bett zerwühlt, der Tisch übersät mit leeren Flaschen, Zigarettenschachteln und überlaufenden Aschenbechern. Der ganz normale Rock’n’Roll-Alltag? Nicht unbedingt zu erwarten von den langhaarigen, bärtigen Söhnen und Töchtern (lange Haare, ohne Bart) entspannter Hippies. Angela und Sean Gannon räumen denn auch als erstes den überfüllten Tisch beiseite und erklären, dass das Bett soeben für eine kleine Fotosession gebraucht wurde. Das Ergebnis ist einige Wochen später in den üblichen Musikmagazinen zu sehen. „Those The Brokes“, das zweite Album der Magic Numbers ist im Kasten, auf CD gepresst und wartet in den Lagerhallen der Plattenfirma auf Auslieferung. Der Grund für all dies und „feuchte Traum einer jeden Plattenfirma“ (siehe weiter unten) kommt indessen seinen Promotionpflichten nach. Eile ist geboten, denn The Magic Numbers müssen in Kürze durch den Feierabendverkehr Berlins zum Flughafen, um am nächsten Tag München zu beglücken. Doch wenn im Gespräch mit den Gannon-Geschwistern eines sicher nicht aufkommt, ist es der leiseste Gedanke an Hektik.

Soundmag: Das große Hotelbett dort hinten ist total durcheinander gewühlt. Habt ihr eigentlich ab und zu einen „Bad Hair Day“?

Angela: Ständig! Du solltest uns nie erwischen, wenn wir gerade den Bus verlassen.

Sean: Mein Haar tut, was ihm gefällt. Ich muss es nur waschen. Es sind also weniger schlechtes Haar- als fettiges Haar-Tage

(Beide lachen.)

Soundmag: Was haltet ihr denn im Allgemeinen von Friseuren?

Angela: Ich mag sie! Von allen vieren in der Band bekommen meine Haare wahrscheinlich am regelmäßigsten einen Schnitt.

Sean: Oh ja! Ich habe seit Jahren keinen mehr gesehen. Wir anderen drei interessieren uns nicht wirklich dafür.

Soundmag: The Magic Numbers bestehen aus zwei Geschwisterpaare. Wie kam es dazu?

Sean: Romeo (Stodard) und ich gründeten die Band. Als Romeo damals mit Michele nach London kam, wurden sie Freunde unserer anderer Geschwister, die Zwillinge sind. Sie sahen mich dann an einem Abend, als ich in irgendeinem Pub spielte. Weil Romeo sich gerade eine Gitarre gekauft hatte, taten wir uns zusammen. Über viele Jahre hinweg spielten wir mit ständig wechselnden Besetzungen. Irgendwann blieb niemand mehr übrig, den wir fragen konnten und so standen wir allein da. Michele (Stodard) versuchte sich dann einfach am Bass und erwies sich als die beste Bassistin, mit der ich je gespielt hatte. Genauso war es mit Angela und ihrer Stimme.

Soundmag: Hat diese Veränderung die Chemie innerhalb der Band verwandelt?

Angela: Als Michele und ich in die Band einstiegen, besannen wir uns auf die Songs. Vorher ging es Romeo und Sean vor allem darum, Spaß mit möglichst lauter Musik zu haben. Wenn du aber den Gesang zu einem Hauptbestandteil der Musik machen willst, musst du ihm Raum geben. Es standen also Veränderungen an.

Soundmag: Kam einem von euch die Idee, dass diese Geschwisterkonstellation vielleicht nicht funktionieren könnte?

Angela: Nicht wirklich. Uns war klar, dass es das vor uns wahrscheinlich noch nicht gegeben hatte. Aber wir fühlten uns wohl, wenn wir gemeinsam auf der Bühne standen. Es passte, wir hielten es nie für eine schlechte Idee.

Sean: Eher für eine verrückte Idee.

Soundmag: Gibt es im Studio manchmal Grabenkämpfe zwischen den beiden Familien?

Angela: Sehr selten.

Sean: Beim Songwriting lässt jeder seine Gedanken einfließen und äußert sich zum Input des anderen. Wenn es zu Streit kommt, spielt sich der eher zwischen Bruder und Schwester ab, nicht jedoch zwischen den Familien.

Angela: Während sich die einen streiten, lachen sich die anderen beiden in der Regel kaputt. (Beide lachen.)

Soundmag: In den letzten zwei oder drei Jahren hat sich für euch eine Menge verändert.

Angela: Es war wirklich unglaublich, was alles auf uns einstürzte.

Sean: Wir waren so an den Terminplan gebunden, dass es gar keinen Moment gab, darüber nachzudenken, was eigentlich passierte. Erst als wir einen oder zwei Tage frei hatten, realisierten wir, was geschieht. Es geht so schnell und gewaltig vor sich, dass es zuviel Platz in deinem Gehirn einnimmt. Also ist es besser, die Gedanken erstmal außen vor zu lassen und sich damit zu beschäftigen, wenn die Zeit da ist.

Soundmag: Erinnert ihr euch an das erste Mal, als ihr einen eurer Songs im Radio hörtet?

Angela: Wir waren auf einer kleinen Tour und Michele und ich trieben uns anschließend noch auf einer Aftershow-Party herum. Wir blieben bis 8 Uhr morgens wach und ich verabschiedete mich gerade von Michele, weil der Schlaf übermächtig wurde. Ich schaltete das Radio ein, um mit Musik einzuschlafen. Plötzlich: „Als nächstes haben wir die Magic Numbers!“ Ich erstarrte. Meine Schwester kam angerannt und tanzte total betrunken durch das Schlafzimmer, während ich ihr nur ungläubig vom Bett aus zusah. (lacht)

Sean: Bei mir war es schon wesentlich früher. Romeo und ich schafften es, genau einen Song ins Radio zu bekommen. Die Band traf sich für diesen großen Moment in einer Bar und wir baten den Chef, das Radio einzuschalten. Und dann geschah es zum ersten Mal – und an das erste Mal erinnerst du dich immer! (grinst)

Soundmag: Ein paar Jahre später bekommt ihr zwei Platin-Schallplatten, habt eine Million Platten verkauft und eure Songs wurden wahrscheinlich doppelt so oft aus dem Internet heruntergeladen. Ist es nicht komisch zu wissen, dass all diese Leute eine CD in den Player legen und eure Musik hören?

Angela: Irgendwie verrückt, wenn man sich das genau überlegt. Du kommst in eine neue Stadt und denkst, dass dich hier kein Schwein kennt. Minuten später singt das komplette Publikum deinen Song mit. It’s a bit nuts, really.

Sean: Verrückt, aber großartig. Denn genau darum geht es ja. Mit etwas Glück amüsieren sie sich bei deinen Stücken genauso gut wie du es tust.

Soundmag: Euer zweites Album „Those The Brokes“ steht kurz vor der Veröffentlichung. Ich konnte es leider noch nicht hören. Erzählt mal.

Sean: Es ist reifer geworden, ohne jedoch erwachsen zu sein. Es gibt Streicher in einigen Songs, Angela und Michele singen bei zwei Songs abwechselnd Lead-Vocals.

Angela: Die Stücke haben mehr Seele, einige von ihnen sogar einen guten Groove.

Sean: Einen 60er-Jahre-Motown-Groove.

Angela: Andere wiederum sind unglaublich schnell. Schneller als alles, was bis jetzt von uns zu hören war. Wir spielten sie live und anschließend musste ich erstmal kräftig durchatmen. Aber es macht wirklich Spaß und dieser Stil war uns auch wichtig.

Sean: Durch die langen Tourneen haben wir uns gegenseitig an das Spiel des anderen gewöhnt. Das hört man auf dem neuen Album. Es ist selbstbewusster, vielleicht gerade weil die Band stärker zusammenwuchs. Dadurch war es für uns auch einfacher, dieses Album aufzunehmen. Der Druck von innen, also uns selbst war wesentlich geringer.

Angela: Bei den ersten Aufnahmen willst du etwas erschaffen, mit dem du für immer glücklich sein wirst. Diese fast unerfüllbare Erwartung verschreckt dich. Jetzt beim zweiten Mal waren wir vertrauter mit der Studiosituation und konnten die Dinge etwas mehr fließen lassen, ihnen Raum geben. Trotzdem war es uns natürlich wichtig, dass „Those The Brokes“ mindestens genauso, wenn nicht sogar besser wird als unser Debüt. Trotz dieses Anspruchs gestalteten sich die Aufnahmen viel einfacher und gelassener. Wir ließen uns sechs Wochen Zeit, während wir für das erste Album nur 14 Tage hatten und zwischendurch sogar noch tourten.

Sean: It was a little bit of a head-fuck. Aber wir lernten dadurch viel und gewannen auch im Studio an Selbstvertrauen.

Soundmag: Gab es denn auch Druck von außerhalb der Band? Vom Label etwa?

Sean: Eher nicht. Den größten Druck machen wir uns selbst, indem wir jedes Mal wieder unser bestes Album abliefern wollen. So entsteht unsere Musik. Einflüsse von außen tangieren uns nicht wirklich. Sicher hörst du immer wieder, dass diese Person das und jene Person dies von uns will. Aber in der Regel schauen wir vier uns dann an und denken „Wer zum Teufel sind diese Menschen eigentlich?“. (Beide lachen.)

Angela: Unser Label versuchte nie, uns zu beeinflussen. Dadurch, dass wir „Those The Brokes“ so flink aufnahmen, gaben wir ihnen einfach keinen Grund, zu intervenieren. (lacht) Wir sind der feuchte Traum jeder Plattenfirma, denn wir tun genau das, was sie wollen – ohne dass sie uns dazu drängen müssten.

Sean: Sie haben uns sogar einen Urlaub angeboten! (Beide lachen.) Abgelehnt, wir wollten aufnehmen und produzieren.

Soundmag: The Magic Numbers sind eine der Bands, die ihre Fans vor allem durch Live-Konzerte und hartes Touren überzeugt haben. Heutzutage legt sich jede Band erstmal eine Seite auf MySpace an. Bereut ihr, dass euch damals kein ähnliches Werkzeug zur Verfügung stand

Sean: You know what? Es gibt nichts Besseres als eine Band live zu sehen. Schau TV, spiele am Computer – it’s all bullshit! Du musst den Moment fühlen und das geht nur live.

Angela: Das Touren bringt unglaublich viel Erfahrung. Nicht nur, was das Spielen angeht, auch im Zusammenleben mit anderen Menschen. Mit Menschen, die du jeden Tag siehst und sonst lernst du auf einer Tour wirklich so gut wie niemanden kennen. Du musst mit ganz unterschiedlichen Leuten im Publikum vor der Bühne zu Recht kommen. Es bringt dich also in vielerlei Hinsicht weiter. MySpace hilft ohne Zweifel vielen jungen Bands. Aber selbst, wenn wir jetzt neu im Musikgeschäft wären...

Beide: ... würden wir es wieder genauso angehen.

Angela: Es gibt keinen besseren Weg für uns.

Sean: Aber wenn deine Band wirklich schlecht ist, dann geh` auf MySpace!

(Beide lachen.)

Sean: Okay, nicht wirklich. Aber MySpace ist nicht mehr und nicht weniger als ein Werkzeug.

Soundmag: Ihr werdet in Kürze zusammen mit Paul Weller bei den „BBC Electric Proms“ spielen.

Sean: Das wird komisch. The Jam und The Magic Numbers... was soll das sein?

Soundmag: Ich habe gelesen, dass ihr vor einem Treffen mit Brian Wilson sehr aufgeregt wart. Ist es bei Paul Weller ähnlich?

Angela: Na ja, wir respektieren ihn, denn er hat einige große Songs geschrieben...

Sean: ...allerdings auch wirklich schlechte Stücke.

Angela: Über die muss man ja nicht reden. Aber er ist jetzt kein Idol oder wirklich großer Einfluss für uns. Trotzdem freuen wir uns, ihn zu treffen.

Soundmag: Wer hat euch denn beeinflusst?

Angela: Die Klassiker: Leonhard Cohen, Beach Boys, Tom Waits...

Sean: ...Johnny Cash, Guns’n’Roses. Mir geht es eher um gute Songs, nicht um ganze Bands.

Angela: Richtig. „Be My Baby“ von den Ronettes etwa.

Sean: Oder Micheles Lieblingssong von The Knack: “My Sherona”. Ein fantastisches Stück. Haben sie sonst noch Bemerkenswertes geleistet? Wohl nicht, aber dieser Song bleibt. Ein einziges Lied kann dich beeinflussen. Nimm „Carl’s Song“ auf dem neuen Album. Darin geht es um Carl Wilson von den Beach Boys, der Romeo in einem Traum besucht und ihm eine Melodie vorsummt. So werden die Beach Boys zum Bestandteil der Magic Numbers. Ein wichtiger Einfluss für unseren Sound ist, dass wir alle unterschiedliche Musik hören.

Angela: Unsere unterschiedlichen Vorlieben sind schon fast lächerlich.

Soundmag: Aber ihr alle seid große Guns’n’Roses-Fans.

Beide: Definitely!

Sean: Als ich sie zum ersten Mal hörte, wurde mir bewusst, dass ich in einer Band spielen möchte. Bei Romeo war es ganz genauso. Als Angela fünf Jahre alt war, habe ich ihr zum ersten Mal Guns’n’Roses vorgespielt. (Beide lachen.)

Soundmag: Glaubt ihr denn, dass dieses mysteriöse Album, dass alle paar Monate wieder zur Veröffentlichung angekündigt wird, jemals erscheint?

Angela: Wir haben während unserer Aufnahmen in New York ein Konzert von ihnen gesehen.

Sean: Unser freier Tag ging dafür drauf. Wir gingen in den Hammerstein Ballroom und sahen The Axl Rose Band, vormals als Guns’n’Roses bekannt. Izzy war da, hat aber nicht viel gespielt.

Angela: Das Album wird erscheinen! Ich habe einige Demos gehört...

Sean: ...and they’re all shit!

Angela: Das waren Demos. Du kannst nicht wissen, was draus wird. Ich freue mich auf jeden Fall darauf.

Sean: Wir werden es natürlich kaufen und sei es noch so schlecht.

Soundmag: Ist Axl Rose ein gutes Beispiel für Musiker, die den Absprung nicht zum richtigen Zeitpunkt geschafft haben?

(Wildes Durcheinandereden)

Sean: Axl Rose ist während der Aufnahmen zu “Use Your Illusion” einfach verrückt geworden. Das ist es. He went crazy! Darum stiegen anschließend alle aus. (lacht) Sie wollten nicht mehr mit diesem Typen rumhängen, der auf Pianos spielte und riesige Orchester arrangierte.

Angela: Als Band waren sie famos, man konnte die Magie spüren. Wir werden sehen, was er allein zustande bringt.

Sean: Mein letzter Wunsch wäre, dass sich die fünf wiedervereinen. Aber das wird wohl nicht passieren. (Beide lachen.)

Soundmag: Die letzte Frage: was haltet ihr von den Pet Shop Boys?

Sean: Warum fragst du das?

Soundmag: Es ist ähnlich wie bei Guns’n’Roses und euch beiden.

Angela: Sie haben einige gute Songs geschrieben, aber ich habe sie niemals wirklich intensiv gehört.

Sean: (lacht) Müll!

Angela: Nein! Das kannst du nicht sagen!

Sean: Und ob ich das kann: I think, they’re fucking shit! Shit! Shit!

Angela: Du kannst jetzt aufhören, es zu sagen.

Sean: Hör dir „Go West“ an... was soll das? „East End Boys, West End Girls...“ – puuuuh.

Angela: Das war ein toller Song. Dann wurde er von East17 sehr schlecht gecovert.

Sean: Oh, ich mag East17! (grinst)

(Alle lachen.)

Soundmag: Angela, Sean – vielen Dank für das Interview. Und jetzt ab zum Flughafen.

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www.themagicnumbers.net

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