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Eskobar

Eskobar

 

01.11.06 - Magnet / Berlin

Interview:  Andreas & Dirk

Foto: Andreas

 

 

 

In den letzten Jahren waren Eskobar wahrscheinlich mehrmals kurz davor, von der Bildfläche zu verschwinden. Zu fallenden Verkaufszahlen kam die ungesunde Lust auf Alkohol von Sänger Daniel Bellqvist. Irgendwie aber meisterten sie die Rückschläge und präsentierten im Herbst dieses Jahres ein neues Album auf ihrem neuen, eigenen Label. Eskobar sind mit ihrer vierten Platte quasi erwachsen geworden: vollkommen eigenständig, allein verantwortlich für die eigene Karriere und strafmündig. Nach zehn Jahren Bandgeschichte scheinen die neuen, ruhigen und zurückgenommen Songs in Richtung der eigenen Anfänge zu blinzeln. Den elektronischen Ballast, für den die drei Schweden in Kritiken der letzten Jahren viel Häme einstecken mussten, ließen sie hinter sich, um neu anzufangen und so das zu erkennen, was in Eskobar steckt: eingängige Melodien und ein Gespür für verführerische Arrangements – egal ob im Breitformat oder stripped down auf Akustikgitarre, -bass und Schlagzeug. Mit diesem Wissen sitzen Daniel Bellqvist, Gitarrist Frederik Zäll und Schlagzeuger Robert Birming entspannt und kichernd in der durchgesessenen Couchgarnitur des Magnets und knabbern am laufenden Band Kartoffelchips und Erdnussflips. Das Abendessen ist nur noch ein Interview entfernt.

Soundmag: Daniel, ich habe gelesen, dass du im Gegensatz zu vor ein paar Jahren inzwischen ab und zu auf Shoppingtour gehst. Was war deine letzte Errungenschaft?

Daniel: (lacht) Es war ein Buch mit dem Titel „The Coming Chinese Wars“ von einem Wirtschaftsexperten. Er sagt voraus, dass China in Zukunft zu einer wichtigen Macht wird und beschreibt, was für Probleme sich daraus ergeben könnten.

Soundmag: Liest du nur Sachbücher?

Daniel: Nichts anderes. No fiction for me.

Soundmag: Erstaunlich für einen Songwriter. Ich habe mir eure Diskographie angeschaut und festgestellt, dass immer zwei Jahre zwischen den Alben liegen. Lest ihr soviel oder warum dieser vergleichsweise lange Zeitraum?

Frederik: Das hat unterschiedliche Gründe. Als wir das erste Album veröffentlichten, war es – wie bei jeder neuen Band – ein Best Of... aller Sachen, die wir bis dahin geschrieben hatten. Beim zweiten Album aber kommt dann alles zusammen. Du bist eigentlich noch auf Tour, promotest dein erstes Album, solltest aber gleichzeitig schon Songs für die nächste Platte schreiben. Irgendwie ist es unserer damaligen Plattenfirma auch nie gelungen, die Veröffentlichung unserer Alben vernünftig zu synchronisieren. So waren wir ständig unterwegs, erst in Schweden, dann Frankreich, Deutschland und schließlich rüber nach Japan. Obwohl wir also durchaus in der Lage waren, in angemessener Zeit neue Songs zu schreiben und aufzunehmen, ließ uns der Zeitplan einfach keine Luft dafür. Jetzt, da wir unser eigenes Label betreiben, ist eines unserer wichtigsten Ziele, mehr Musik in kürzeren Abständen zu veröffentlichen.

Soundmag: Euer Label heißt Gibulchi. Woher kommt der Name?

Frederik: Vor langer, langer Zeit nannten die Leute mich wegen meiner Größe und Figur immer „The Giraffe“, also die Giraffe. Schon vorher verliehen wir Robert den Spitznamen „The Bull“, der Bulle. Wir waren damals bei dem gleichen Label wie Tom Jones und machten uns einen Spaß daraus. (Daniel lacht.) Daniel hingegen hatte in einem früheren Teil seines Lebens panische Angst vor fast allem. Darum wurde er „The Chicken“, das Huhn. Und so wurde aus GIraffe, BULl und CHIcken GiBulChi. (lacht)

Soundmag: Gab es einen bestimmten Grund, mit eurem eigenen Label genau jetzt zu starten?

Robert: Wir hatten die Chance, es jetzt zu tun. Es gab schon lange Diskussionen darüber, also ergriffen wir die Möglichkeit, endlich das zu tun, was wir wollten – ohne jemanden fragen zu müssen. Es arbeitet sich so viel einfacher.

Soundmag: Plant ihr auch, andere Künstler unter Vertrag zu nehmen?

Robert: Möglicherweise. Es gibt keine konkreten Planungen, aber es kann passieren.

Soundmag: Auf eurem neuen, selbstbetitelten Album fehlen eine Menge der elektronischen Instrumente von den Vorgängern. Wo sind sie geblieben?

Frederik: Es ist immer noch auf den alten Alben. (Alle lachen) Wir haben sie einfach dort zurückgelassen.

Daniel: Normalerweise analysieren wir unser Tun nicht allzu gründlich oder überlegen, warum wir etwas so tun, wie wir es tun. Wir machen es einfach. Diesmal wollten wir eine etwas zurückgenommene Produktion ohne allzu viel Elektronik verwirklichen.

Soundmag: Der Stil der letzten beiden Alben stellte aber keine Sackgasse dar oder sich im Nachhinein als falsch heraus?

Daniel: Nein. Weißt du, an einem sonnigen Tag bist du in einem T-Shirt perfekt gekleidet. Aber in der Winterzeit brauchst du andere Klamotten. Mit Alben ist es nicht anders, sie passen alle zu einer ganz bestimmten Zeit.

Soundmag: Gibt es in eurem Aufnahmestudio eigentlich elektrisches Licht? Oder stehen überall Kerzen herum – so zumindest klingt das neue Album für mich.

(Alle lachen.)

Frederik: Wir mögen diese etwas launische Stimmung. Es muss sicher nicht so hell beleuchtet sein wie durch diese Krankenhausleuchten, die hier für Licht sorgen. (Alle lachen.) Eine schwach beleuchtete, behagliche Atmosphäre ist viel netter.

Robert: Vor allem für unser letztes Album richteten wir uns das Studio so behaglich ein. Es wurde ja sowieso im Keller von Frederiks Elternhaus aufgenommen. Für die Zukunft finden wir sicher eine neue Örtlichkeit.

Frederik: Wir werden sehen, was passiert. Uns ist es wichtig, nicht zu entscheiden, was die Zukunft bringt, sondern was jetzt und hier passieren soll. Darum kommt das neue Album ohne viel Elektronikschnickschnack aus. Vielleicht entpuppt sich die nächste Platte als das genaue Gegenteil. Das ist die Art und Weise, wie wir arbeiten. Unser Debüt ähnelt, was die Produktion angeht, sehr dem letzten Album – ohne dass wir es von vornherein so beabsichtigten. Diese Dinge passieren einfach.

Soundmag: Es ist für euch also auch kein Schritt zurück zu den Anfängen?

Daniel: Ich verstehe jeden, der es so empfindet, denn das erste Album war nun mal wesentlich akustischer als alles, was danach kam. Doch auch wenn es im Sound unserem Debüt ähnelt, ist es trotzdem ein Schritt vorwärts für uns als Band. Denn mit jedem Album werden wir besser, einfach durch die Tatsache, dass wir weiter schreiben, singen und üben. Es gibt all diese unterschiedlichen Möglichkeiten, Musik zu produzieren – von großen Arrangements bis hin zum Trommeln auf Gras. Wir testen einfach neue Möglichkeiten aus und gehen so immer einen Schritt weiter.

Soundmag: Hat sich die Produktion denn nicht vielleicht an den Texten orientiert? Über weite Strecken sind sie recht pessimistisch, fast schon negativ.

Daniel: Das ist durchaus möglich, liegt dann aber eher an der generellen Stimmung, in der wir uns befanden. Wir haben nie beieinander gesessen, uns die Texte durchgelesen und dann entschieden, ob in den Songs die Sonne scheint oder es so stark regnet, dass wir einen Regenschirm brauchen. Manchmal werden auf textlicher Ebene traurige Songs durch eine größere Produktion auch optimistischer.

Soundmag: Daniel, auf eurem Berliner Akustikkonzert vor zwei Wochen erzähltest du, dass du seit zehn Monaten keinen Alkohol mehr trinkst. Ist „Eskobar“ für dich ein Neustart?

Daniel: Die Songs für das neue Album schrieb ich, als ich noch nicht mit dem Trinken aufgehört hatte. Ich denke viel eher, dass es ein Neustart für die gesamte Band ist. Wir sind auf einem neuen Label, können tun, was wir wollen, ohne dafür kämpfen zu müssen. Aber falls du die Texte ansprichst, so steht der Neustart noch bevor.

Soundmag: Vor allem im letzten Song „Champagne“ singst du ja, dass du deinen Spaß gehabt hast...

Daniel: ...aber auch den schrieb ich noch vor dem Ende meiner Alkoholsucht. In gewisser Weise habe ich die Zukunft vorausgesehen.

Soundmag: Beim letzten Interview mit Soundmag.de habt ihr einem ungläubig schauenden Interviewer erklärt, dass eine Menge Country in euren Songs steckt. Countrymusik der langsamen Sorte aus der einsamen Wüste. Nach diesem Maßstab ist auch „Eskobar“ wieder sehr countrybeeinflusst. Mögt ihr alle drei diesen Musikstil?

Alle: Sicher, jeder Zeit.

Frederik: Die letzten vier Alben, die ich mir gekauft habe, waren Countrysachen.

Soundmag: Ist Schweden allgemein countrybegeistert?

(Alle lachen.)

Frederik: Wohl eher nicht. Aber wir sehen uns auch nicht als typisch schwedische Musikhörer.

Soundmag: Wo liegen denn eure Einflüsse?

Frederik: Ich glaube, dass kann man nicht an wenigen Namen festmachen. Wir werden immer wieder von ganz unterschiedlichen Musikern inspiriert. Allison Kraus z.b. ist eine fantastische Musikerin. Mark Knopfler hat mit seinen Soloalben sicher viel Einfluss auf unsere aktuellen Songs gehabt.

Soundmag: Wie stark war der Einfluss des Britpops auf euch?

Daniel: Wir liebten diesen Stil als er aufkam. Auch wenn wir heute nicht mehr so klingen, sind die Einflüsse von damals immer noch wichtig. Bands wie The Charlatans oder Stone Roses. Wir kauften uns damals fast alles. Gerade heute hörte ich mal wieder Cast. Wir haben vor Jahren mal ein fantastisches Konzert von ihnen in Stockholm besucht.

Soundmag: Nachdem die Britpopwelle etwas abflachte, begann der Aufstieg der skandinavischen Bands...

Frederik: ...des skandinavischen Reichs... (Alle lachen.)

Soundmag: So kannst du es nennen. Ihr gehörtet auf jeden Fall von Anfang an zu dieser Bewegung. Wie seht ihr den Erfolg all der skandinavischen Bands wie Mando Diao, Sugarplum Fairy oder Moneybrother in den letzten zwei, drei Jahren?

Frederik: Das ist schwer zu beurteilen, denn wir wissen kaum, welche schwedischen Bands im Ausland populär sind. Manchmal treffen wir in Frankreich oder auch Deutschland erfolgreiche Bands, von denen wir nicht mal wussten, dass sie aus Schweden sind. Damals brauchte es diese eine Band, die...

Robert: ...UNS... (Alle lachen.)

Frederik: Eine Band, die den Anfang als Wegbereiter macht. Die Hörer erkennen dann, dass Musik aus Schweden qualitativ gut sein kann und suchen nach anderen Gruppen. Jede Band hilft so der nächsten, die eigenen Chancen zu verbessern.

Robert: Es ist auch nicht das erste Mal, dass schwedische Musik hier erfolgreich ist. Schwedische Schlager waren in Deutschland schon in den 70ern sehr erfolgreich. Vielleicht gab es einen neuen Höhepunkt, als wir unser Debüt veröffentlichten. (Alle lachen.) Aber inzwischen sind neue Bands dazugekommen.

Daniel: (ungläubig) Also ist das nicht nur unser Verdienst?

Robert: Ich fürchte nicht. (Alle lachen.)

Soundmag: Warum spielt ihr eigentlich bestimmte ältere Songs nicht mehr? „Angels“ oder „Move On“ und andere Stücke vom zweiten Album.

Frederik: “Angels Life” haben wir einmal gespielt und danach irgendwie vergessen.

Daniel: Vor allem “Move On” haben wir sehr, sehr oft gespielt (lacht). Die Stücke müssen einfach zum aktuellen Programm passen und für uns auf der Bühne spielbar sein. Einige Songs vom zweiten Album passen nicht mehr zu den einfachen Arrangements, die wir auf der aktuellen Tour spielen. Inzwischen ist der Pool an Titeln, aus dem wir wählen, auch größer geworden.

Robert: Als Musiker willst du dich selbst immer wieder etwas herausfordern. Darum veränderst du die Setlist und bringst neue Stücke ins Konzert – einfach der Abwechslung wegen.

Soundmag: Ihr seid auch sehr aktiv im Internet. Robert, du schreibst regelmäßig in eurem Forum. Wie wichtig ist euch die Beziehung zu euren Fans?

Robert: Es ist großartig, mit den Fans in Kontakt zu stehen. Wir stellen unsere Videos auf YouTube, richten eine MySpace-Seite ein, schreiben im Forum und beantworten Fragen.

Frederik: Dass wir das können, macht mich sehr stolz. Im Prinzip sind es nur wir drei, die sich um alles kümmern. Klar gibt es Leute, die uns helfen, aber der Kern sind wir selbst. Auch unsere Homepage haben wir selbst gestaltet.

Robert: Wir versuchen einfach, überall erreichbar zu sein.

Soundmag: Bei MySpace hattet ihr kleine Probleme mit eurer Seite, richtig?

Robert: Es gab jemanden, der sich myspace.com/eskobar registriert hatte und dort quasi offizielle Verlautbarungen von uns kund tat, ohne uns je zu fragen. Wir kennen ihn bis heute nicht. Also haben wir eine eigene Seite unter myspace.com/officialeskobar eröffnet. Wir werden sichergehen, dass es...

Daniel: ...unsere bleibt. (Alle lachen.)

Robert: Wir werden sie immer weiter ausbauen. It’s Gonna Be Huuuuuuuuge! (Alle lachen.)

Soundmag: Das Internet ist vor allem ein Promotion-Instrument. Wie wichtig ist euch der Erfolg in den Charts?

Daniel: Er bringt unseren Egos nichts, gibt uns aber eine gewisse Sicherheit für die Zukunft. Wenn die Menschen dich wahrnehmen und mögen, kannst du weiter Musik machen.

Frederik: Trotzdem schauen wir eher auf die Airplay-Charts, um zu sehen, wo und wie oft unsere Songs im Radio laufen. Das macht dich bekannt und wenn die Leute dich kennen, kannst du Konzerte spielen. Und so weiter.

(Eine kurzes Gespräch in Schwedisch zwischen den Dreien.)

Daniel: Ich glaube, wir haben eine spezielle Ankündigung zu machen. Robert, bitte.

Robert: Es ging gerade um den Kontakt zu den Fans. In diesem Zusammenhang könnte es sein, dass um Weihnachten herum etwas Besonderes auf Eskobar.com passiert. Haltet also eure Augen offen.

Soundmag: Habt ihr eigentlich einen Fanclub?

Robert: Nein, nichts wo du einen Sticker für deine Stoßstange herbekommen könntest. (Lautes Lachen in der Runde.) Oder?

Daniel: Mich hat das neulich auch jemand gefragt. Keine Ahnung, habe ich gesagt, wofür ist das gut?

Robert: Da bekommst du Eskobar-Schlüsselringe und Stoßstangenaufkleber. (Nochmal lautes Lachen.)

Frederik: Ich glaube, das passt eher zu Michael Jackson und Madonna.

Daniel: Vorher müssen wir uns erstmal ein paar Fans besorgen. (Lachen, Lachen, Lachen)

Soundmag: Letzte Frage: Was haltet ihr von den Pet Shop Boys?

Daniel: Warum fragst du das?

Soundmag: Es ist meine ultimative Abschlussfrage in jedem Interview.

Frederik: Sie haben einige fantastische Songs geschrieben. Ich kenne sie und ihre Alben nicht wirklich gut. „It’s A Sin“ liebe ich. „Go West“ auch.

Daniel: Ich stimme Frederik zu. Bei mir hält es sich auch die Waage. Einige Songs mag ich, andere nicht. Aber von „It’s A Sin“ gab es vor kurzer Zeit eine Big Band-Coverversion von... wie heißt er noch mal...

Soundmag: Paul Anka.

Daniel: Ich liebe diese Version.

Robert Ich schließe mich den anderen beiden an. Die Pet Shop Boys wissen, wie gute Musik klingen muss. Sie sind dem, was sie tun, sehr bewusst.

Daniel: Es ist eine Hass/Liebe-Beziehung.

Robert: Richtig. Sie haben ja auch zwei Songs auf dem neuen Robbie Williams-Album produziert.

Daniel: „Suburbia“ ist doch auch von ihnen. Ein tolles Stück.

Soundmag: Vielen Dank für das Interview.

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