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The Bluetones

The Bluetones

 

02.11.06 - Magnet / Berlin

Interview:  Andreas & Jan

Foto: Andreas

 

 

 

Holt eure Töchter von der Straße! Schließt die Fenster und verriegelt die Türen! The boys are back in town! Falscher Anfang, denn es sind die Bluetones. Nur wenige Bands verdienen mehr Sympathie und Offenherzigkeit als die vier Herren um Sänger Mark Morris. Vier Jahre nach ihrer letzten Tour hat irgendein spendables Label oder ein großherziger Promoter Geld für eine kurze Deutschland-Tour bereitgestellt. Das selbstbetitelte, aktuelle Album ist die punktgenaue Fortsetzung des Stils, den die Randlondoner Mitte der 90er etablierten und bis heute nur noch in feinen Nuancen veredeln. Die Bluetones sind auf dem besten Weg, die Floskel „perfekter Pop“ ein weiteres Mal mit Leben zu füllen. Also, auf die Türen und rein in den Tourbus, wo ein entspannter, gut gelaunter und unfassbar spitzbübisch charmanter Mark Morris im blau-braunen Ringelshirt gerade das vorangegangene Interview beendet.

Soundmag: Hallo Mark. Wir haben uns schon auf virtuellem Weg unterhalten und du hast uns bereits erzählt, was du von den Pet Shop Boys hältst. Unsere letzte Frage heute wird sich um Phil Collins drehen. Du kannst dir also schon mal überlegen, was du sagen wirst.

Mark: Ihr werdet euch wundern, ich habe eine großartige Phil Collins-Geschichte auf Lager. Sehr persönlich!

Soundmag: Okay. Dann haben wir jetzt schon mal eine enorme Erwartungshaltung aufgebaut. Kommen wir gleich zu einem anderen, vielleicht ähnlich spannenden Thema. Ihr habt eure US-Tour abgesagt. Was ist passiert?

Mark: Eine lange, komplizierte Geschichte, denn nicht wir haben die Tour abgesagt, sondern unser Ex-Manager tat es zwei Tage bevor wir nach New York fliegen sollten. Er schnappte sich das Geld und verschwand. Als letzte Tat stornierte er die Flüge und Hotelbuchungen. Jetzt kümmern sich Anwälte darum. Wir haben ihn inzwischen aufgespürt und versuchen nun, unser Geld zurückzubekommen. Zwölf Jahre war er unser Manager, keiner von uns hat mit so etwas gerechnet. Er hatte zwar einen Nervenzusammenbruch, aber deswegen vergebe ich ihm noch lange nicht.

Soundmag: Eure Anwälte müssen inzwischen zu guten Freunden geworden sein, denn ihr brauchtet sie auch, als ihr euch vom Mercury-Label getrennt habt.

Mark: Irgendwie schon, auch wenn es damals nicht darum ging, dass wir unbedingt und gegen deren Willen von Mercury loskommen wollten. Das Label hatte uns quasi schon fallengelassen. Tatsächlich erwarteten wir diesen Schritt und waren am Ende glücklich darüber, weil unsere Beziehung zu Mercury komplett in die Brüche gegangen war. Es gab keine Kommunikation mehr zwischen der Band und dem Label.

Soundmag: Trotzdem habt ihr euch anschließend noch an „Rough Outline“ beteiligt – einem Boxset mit B-Seiten und raren Songs.

Mark: Wir wussten, dass sie es sowieso veröffentlichen würden. Also beschlossen wir, noch ein letztes Mal mit Mercury zusammenzuarbeiten. Schließlich stand unser Name auf der CD und die Käufer wissen in den seltensten Fällen, ob eine Best Of mit oder ohne die Zustimmung der Band herauskommt. Egal ob so oder so, es war eine unverblümte Abzocke – vor allem dann, wenn du dir den Preis anschaust und im Hinterkopf hast, dass erst ein Jahr vorher ein Greatest Hits-Album erschienen war. Wir schickten ihnen also eine historisch genaue Abfolge, in der die Songs zu hören sein sollten. Aber auch das haben sie ignoriert. That pissed us off again! (lacht)

Soundmag: Es ist viel Zeit vergangen seit ihr das letzte Mal in Deutschland gespielt habt.

Mark: Vier Jahre! Obwohl ich mich nicht mehr genau daran erinnere, wo es war. Wir traten definitiv 1998 bei Rock Am Ring auf.

Soundmag: (ungläubig) Ihr wart bei Rock Am Ring?

Mark: Yeah man! (Alle lachen.) Vier Jahre ist das her. Als „Luxembourg“ erschien, fehlte uns ganz einfach das Geld für die Tour und in vielen Ländern auch der Vertrieb. Inzwischen verkauft es sich ganz gut, aber damals hingen wir irgendwie fest. Es scheint, als wäre die Karriere der Bluetones übersät mit Pech und schlechten Entscheidungen.

Soundmag: Das passt zu einem Zitat von dir: „Wenn wir in Spanien, Deutschland oder Frankreich unterwegs sind, ist es vorbei mit dem Geld um sich werfen.“

Mark: Richtig. (lacht) Es läuft so wie jetzt: keine Hotels, keine große Bühnenshow. In England spielen wir in größeren Hallen und können so auch mehr Geld für die Präsentation ausgeben. Here it’s just bare bones, balls out, rock’n’roll! Für uns eine tolle Abwechslung, nur bekommt das Publikum hier nie unsere gigantische Lightshow, die Tänzer in ihren Käfigen, die Liliputaner und all den anderen Showkram zu sehen. (grinst)

Soundmag: Wie reagieren die Leute, wenn sie euch nach all den Jahren wieder auf der Bühne sehen?

Mark: Sehr gut. Die England-Tour lief fantastisch, jetzt haben wir ein paar Wochen frei, in denen wir eigentlich in Amerika unterwegs sein wollten. Die Show in München gestern war toll, das Publikum hatte eine sehr interessante Mischung. Einige Leute waren offensichtlich zu jung, um uns von Anfang an zu kennen und hinten an der Wand standen Menschen, die jetzt Kinder haben. Ein schöner Mix aus alten und neuen Besuchern, was eine nette Atmosphäre kreierte. Die Bluetones sind nicht eine dieser Bands, die sich selbst für zu cool halten. Wir wollen unsere Songs spielen und uns ein bisschen mit den Fans unterhalten. Wir alle in diesem Raum sind wie eine Clique. Die Münchener waren offensichtlich sehr froh, dass es uns noch gibt. Aber wie ich euch schon geschrieben habe: wir haben uns in den letzten vier Jahren Bärte wachsen lassen, sie waren also nicht vergeudet (siehe Interview vom 25.09.2006). (lacht)

Soundmag: Fallen dir auf euren Konzerten manchmal Leute auf, die du schon vor zehn Jahren gesehen hast?

Mark: Mitunter, obwohl ich gestehen muss, dass ich damals viel mehr trank und meine Erinnerung an diese Jahre etwas löcherig ist. Jetzt trinke ich nicht mehr.

Soundmag: Gar nichts?

Mark: Auf Tour nicht. Dafür rauche ich. Ich nehme all den Wein, der sich während der Tournee ansammelt, mit nach Hause und packe ihn ins Regal.

Soundmag: (zweifelnd) Du hast ein Weinregal? Wirklich?

Mark: Oh ja. Zu Hause trinke ich ziemlich viel Wein. Meine Freundin und ich sind große Weinliebhaber.

Soundmag: Siehst du denn mitunter einige Menschen zu oft? So dass dir ihr Hinterherreisen eher Angst macht.

Mark: Das passiert tatsächlich, ist aber selten ein Problem. Man grüßt sie schnell und geht vorbei oder drückt sich um die Konfrontation. Einige Leute erwarten einfach zuviel. Sie wollen dich als guten Freund haben und verstehen nicht, dass du keine Zeit hast, jeden Tag mit ihnen zu reden und etwas zu trinken. Das meine ich nicht abwertend, aber ich habe viel zu tun. Ich bin der Star! (grinst) Am Ende ist das ein Phänomen, das alle trifft, die in der Öffentlichkeit stehen. Einer meiner Freunde ist ein bekannter Komiker in England. Auf der Bühne gibt er sich natürlich lustig, ähnlich wie ich auf der Bühne den Gastgeber spiele. Danach aber willst du deine Ruhe haben, man muss eine klare Linie ziehen, sonst wirst du zum Seelendoktor der Fans. Letztendlich wissen sie mehr über mich als anders herum. Das freundschaftliche Gleichgewicht fehlt.

Soundmag: Wie steht es zurzeit um die englische Presse? Unterstützt sie euch?

Mark: Nicht wirklich – jedenfalls nicht, wenn es um den NME geht, der sehr an neue Musik gebunden ist. Wir passen nicht mehr in diese Kategorie, sind Dinosaurier in der Welt des NME. Aber darum haben sich die Bluetones nie wirklich gekümmert. Zu unserem Glück verändert sich die Medienwelt und das Internet bekommt immer mehr Wichtigkeit. In England arbeiten die besten Schreiber schon lange nicht mehr für Magazine, denn dort gibt es nur noch wenig Journalismus. Es geht um Werbung und Sponsoren. Wenn du diese Zeitschriften liest, hast du das Gefühl, dass es da draußen nur sechs Bands gibt. Jede Woche geht es um die gleichen Gruppen. Obwohl unser Land auf sein großes popmusikalisches Erbe verweisen kann, verbindet sich diese Tradition immer wieder mit einer gewissen Hochnäsigkeit und der Tendenz, neuen Trends hinterher zu hecheln. Insofern können wir glücklich sein, denn es ist uns gelungen, eine gewisse Fanbasis aufzubauen, die über die Jahre sehr treu blieb. Diese Leute suchen nach unseren neuen Alben und so müssen wir uns nicht um große Promotion kümmern. Gleichzeitig ist das natürlich auch ein unglaublich frustrierender Zustand, weil alles, was du veröffentlichst, als alt gilt – nur weil du älter als 24 bist.

Soundmag: Genau diesen Stil hatten die Artikel in deutschen Magazinen. Nach all den Jahren seid ihr wieder da und macht noch immer genau das, wofür man euch kennt.

Mark: So ist es eben. Kaufst du dir ein Led Zeppelin-Album, kennst du alle. Aber du wirst keine zweite Band finden, die wie Led Zeppelin klingt. Genauso ist es mit den Bluetones. Jedes unserer Alben hat einen gewissen Geschmack. Wenn er dir gefällt, wirst du auch unsere anderen Platten mögen.

Soundmag: Das Cover eures neuen Albums zeigt einen kleinen Menschen, der zwischen riesigen Wellen schwimmt oder es zumindest versucht. Auch die Single-Cover haben einen ähnlichen Stil. Da ist immer ein verschwindend kleiner Mensch zwischen einer alles überragenden Umwelt.

Mark: Da solltet ihr besser mit meinem Bruder Scott reden, denn er ist für die Zeichnungen verantwortlich. Viel seiner Inspiration zog er wohl aus dem Song „Fade In / Fade Out“, in dem all diese Bilder vorkommen.

Soundmag: Von eurer neuen Single „Head On A Spike“ gibt es sogar einen Remix! Das gehört auch nicht unbedingt zum Alltagsgeschäft der Bluetones.

Mark: Ein paar unserer Freunde remixen von Zeit zu Zeit Songs. Sie hörten „Head On A Spike“ und baten uns darum, einen Remix machen zu dürfen. Wir waren nicht wirklich daran beteiligt. Wir fühlten uns durch ihre Anfrage vor allem geschmeichelt. (lacht)

Soundmag: Ihr könntet die Pet Shop Boys um einen Remix bitten!

Mark: Ja! Ich habe Neil Tennant schon ein paar Mal gesehen. Wir tauchten sogar in ihrem Fanmagazin auf, nachdem wir sie in Spanien trafen. Wir gingen in ihre Garderobe und wurden zusammen mit den Pet Shop Boys fotografiert, die dort gerade ein Interview für ihr Magazin gaben. Ein Traum, der in Erfüllung ging.

Soundmag: Als „Slight Return“ in die Charts ging, war das sicher auch ein Traum, der sich erfüllte. Obwohl du damals noch öfter dem Alkohol verfielst, kannst du dich daran erinnern?

Mark: Es war dramatisch schon allein deswegen, weil wir nicht erwarteten, so groß und erfolgreich zu sein. Als wir unser erstes Album „Expecting To Fly“ aufnahmen und überlegten, was die erste Single sein sollte, war ich ganz klar gegen „Slight Return“. Wir hatten es schon einmal als 7“, die auf unseren Konzerten verkauft wurde, veröffentlicht und ich empfand es als Abzocke, das jetzt noch mal zu tun. Ich wollte in meiner Indiementalität unsere Fans der ersten Stunde nicht vor den Kopf stoßen – auch wenn es nur 200 von ihnen gab. (lacht) Label und Management überredeten mich schließlich. Als es dann losging, waren wir gerade auf Promoreise in Holland. Mitte der Woche erhielten wir einen Anruf und erfuhren, dass die Single auf Platz 2 steht und Platz 3 meilenweit abgehängt hat. Wir dachten, jemand nähme uns auf den Arm. Wenn du etwas erschaffen hast, bist du oft zu nah am Endprodukt dran und bemerkst gar nicht, welche universellen Qualitäten es hat. Bis heute ist es mysteriös für mich. Ich wundere mich immer noch, wenn ich Interviews mit Autoren, Malern oder Musikern lese und sie so tun als wüssten sie, was die Leute mögen. Das hat für mich einen geschmacklosen Charakter, denn wenn es tatsächlich so wäre, wird deine Arbeit zu einem Formular, das du nur noch ausfüllst um Erfolg zu haben. Es wird zu einem kaputten Motor, den du einfach reparierst, um Geld zu verdienen.

(Alle schauen sich an.)

Soundmag: Wir haben keine Fragen mehr und freuen uns jetzt auf deine Phil Collins-Story.

Mark: Dann werde ich sie mal erzählen. Haltet euren Neid bitte zurück. 1984 als „No Jacket Required“ herauskam, arbeitete meine Mutter in einem Filmstudio an der Bar. Musiker nutzten die großen Studios, um sich dort auf ihre Tourneen vorzubereiten. Phil Collins probte also dort und meine Mutter fragte ihn an einem Abend, den er in der Bar verbrachte, ob sie ihre Kinder mitbringen dürfte, damit Phil unsere Platten unterschreiben könne. Er hatte nichts dagegen. Also gingen mein Bruder, meine Schwester und ich zusammen mit meiner Mutter zu ihm und er signierte meine Exemplare von „Sussudio“, „You Can’t Hurry Love“ und all die Kassetten, die ich hatte. Plötzlich fragt er uns, ob wir nicht bei den Proben zuschauen möchten. So standen Scott, ich und meine Schwestern plötzlich zusammen mit ihm, seiner Band und der Crew in dieser riesigen Halle und staunten Bauklötze. It was fantastic! Ich dachte: Ich liebe Phil Collins und werde ihn mit meinem Leben verteidigen.

Soundmag: Hat sich das bis heute nicht geändert?

Mark: Nein! Es nervt mich tierisch, dass ich seine Songs nicht bei I-Tunes bekomme. Kein Phil auf I-Tunes! Nur ein paar Livesachen und die Disney-Soundtracks!

Soundmag: Dein Lieblingssong?

Mark: Gute Frage. (denkt nach) „In The Air Tonight“ und „Turn It On Again“ von Genesis. Aber um noch mal auf meine Mutter zurückzukommen: ich habe durch ihre Arbeit wirklich interessante Menschen kennen gelernt: Duran Duran als sie ihr „Wild Boys“-Video drehten. Ich traf Howard Jones.

Soundmag: Du warst von Anfang an ein Freund der ganz großen Stars.

Mark: Du sagst es! Meine Mutter war die Managerin der Bar und jeder der dort vielleicht etwas länger feiern und trinken wollte, musste sich mit ihr gut stellen. In den Sommerferien konnte ich dort als Aushilfe arbeiten und fuhr auf einem kleinen, elektrisch betriebenen Wagen durch die Studios, um Essen auszuliefern. (mit stolzem Tonfall) Ich habe Sting mit 15 Jahren Eier und Toast serviert! Als Terry Jones „Eric, The Wiking“ drehte, habe ICH die Wikinger bedient!

Soundmag: Beeindruckend. Ist denn noch ein Held von dir übrig für den Fall, dass das nächste Album auf Nummer 1 geht und euch jeder treffen will?

Mark: Ich fürchte nicht. Meine ehrgeizigen Pläne habe ich alle erreicht. (Alle lachen.)

Soundmag: Schön, wenn man das von sich sagen kann. Vielen Dank für das Interview.

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