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Anajo

Anajo

 

11.12.06 - Park Inn Hotel / Berlin

Interview:  Jan

Foto: Pressefoto

 

 

 

Mit ihrem ersten Album „Nah Bei Mir“ haben Anajo aus Augsburg schon für ordentlich Furore in der deutschen Indie-Szene gesorgt. Ich traf Bassist/Keyboarder Michael Schmidt, Sänger/Gitarrist Oliver Gottwald und Schlagzeuger Ingolf Nössner im 27. Stock des Park Inn Hotels am Alexanderplatz, um über verpatzte Rückreisen, ihr zweites Album, Enthüllungen und Stefan Raab zu reden. Da das eigens für die Interviews gemietete Hotelzimmer eher einer Besenkammer als einem Ballsaal glich, lümmelten wir - nach einer schnellen Zigarette auf dem Flur – auf dem frisch bezogenen Bett. Dabei präsentierten sich die drei Bayern sehr offen und sympathisch. Fast hatte ich das Gefühl, als würde ich sie schon seit Jahren kennen....

Soundmag: Nina von Tapete Records sagte mir, dass ich euch nach der Rückfahrt aus der Ukraine, wo ihr einige Konzerte gegeben habt, fragen soll...

Michael: Die Rückfahrt? Das war der absolute Horrortrip.

Oliver: Das war wirklich unglaublich. Aus vier Stunden geplantem Flug wurden ca. 44 Stunden Zug-, Auto- und Busfahrt quer durch die Ukraine, Polen und Deutschland.

Ingolf: Wenn wir daran zurück denken, haben wir das Gefühl, als wären wir zwei Tage dort gewesen und sind vier Wochen zurückgefahren.

Michael: Stimmt. Der Flughafen in Warschau wurde für zwei Tage wegen Bodennebel dicht gemacht.

Oliver: Unser Problem war, dass wir über diesen Flughafen fliegen mussten. Da der nun aber geschlossen war, wurden alle Flüge aus der Ukraine in die südostpolnische Provinz umgeleitet...

Ingolf: ... und die Flüge aus Berlin wurden auch dorthin umgeleitet...

Oliver: ...was zur Folge hatte, dass auf diesem „Mini-Flughafen“ sehr, sehr viele Fluggäste rumsaßen und auf ihre Flüge warteten. Wir hatten beispielsweise acht Stunden Aufenthalt. Irgendwann wurde dann ein Bus gechartert, der uns in einer fünfstündigen Fahrt nach Warschau brachte, wo wir uns dann entschieden, in den Zug nach Berlin umzusteigen. Als wir dann am Hauptbahnhof ankamen, haben wir auch noch unseren Produzenten Alaska Winter verloren. Also bin ich zurückgefahren, um ihn wieder einzusammeln. Zusätzlich wurden dann auch noch alle Züge umgeleitet... es war jedenfalls ganz schlimm.

Michael: Eine Grenzerfahrung, sozusagen.

Oliver: In der Ukraine selbst war es allerdings wahnsinnig schön. Wir wurden regelrecht mit offenen Armen empfangen, auch wenn die Menschen uns nicht kannten.

Soundmag: Gut. Kommen wir jetzt zu eurem neuen Album „Hallo, Wer Kennt Hier Eigentlich Wen?“. Auf der ersten Single „Wenn Du Nur Wüsstest“ singt Suzie Kerstgens von Klee die Backing-Vocals.

Oliver: Dieses Lied geisterte schon ziemlich lange auf unseren internen Demo-CDs herum. Außerdem war uns von Anfang an klar, dass wir ein klassisches Mann/Frau-Duett haben wollten. Zuerst haben wir den Refrain mit einer Freundin aus Augsburg ausgearbeitet, woraus eine wirklich schöne Skizze entstand. Irgendwann kam dann aber die Idee, jemanden zu nehmen, der schon etwas bekannter ist und dessen Stimme zu meiner gut passt. Also fragten wir Suzie. Die Aufnahme an sich war recht unkompliziert. Sie kam einen Tag nach Augsburg, wir nahmen ihre Parts auf und haben recht schnell festgestellt, dass unsere Stimmen besser harmonieren als eigentlich vorgestellt.

Soundmag: Im Gegensatz zu eurem ersten Album, was man sicher als eine Kompilation aus diversen EPs bezeichnen kann, sind die Lieder auf der neuen Platte direkt dafür geschrieben worden. Habt ihr das Gefühl, als würdet ihr gerade euer eigentliches Debütalbum präsentieren?

Oliver: Die neuen Stücke sind zwischen dem ersten und zweiten Album entstanden. Natürlich ist es eine ganz andere Art und Weise zu arbeiten, weil man in relativ kurzer Zeit alle Songs für das Album schreiben muss. Darüber hinaus muss jedes einzelne Lied unserem eigenen Qualitätsstandard entsprechen. Insofern hatten wir es mit unserem ersten Album weitaus einfacher, weil wir auf zwei-drei Demos zurückgreifen konnten, von denen wir die jeweils besten Stücke für die Platte noch mal neu aufgenommen haben. Für „Hallo, Wer Kennt Hier Eigentlich Wen?“ mussten wir uns aber hinsetzen und dreizehn völlig neue Lieder schreiben. Eigentlich wollten wir damit auch schon im Frühjahr 2006 fertig sein, stellten dann aber fest, dass es doch nicht so schnell ging wie gewünscht. Jetzt sind wir allerdings sehr zufrieden und glücklich mit diesem Album. Die lange und teilweise recht harte Arbeit daran hat sich doch gelohnt.

Michael: Hinzu kam, dass wir zwischendurch verschiedene kurze Touren und sporadische Konzerte hatten, die uns immer wieder aus unserem Arbeitsfluss rissen. Konzerte sind natürlich nie schlecht, aber fürs nächste Mal wissen wir, dass wir uns unsere Zeit besser einteilen sollten.

Soundmag: Wo seht ihr eure Entwicklung vom ersten zum zweiten Album?

Oliver: Wenn man unsere ersten Demos oder „Nah Bei Mir“ nimmt, erkennt man, dass wir im Vergleich zu unserer jetzigen Platte einen Schritt weg vom programmierten Sound hin zu einem stärkeren Bandgefühl gemacht haben. Wir benutzen mehr Gitarren, zum ersten Mal auch Akustikgitarren und haben damit ein stärkeres „Live-Gefühl“ erzeugt. Trotzdem ist es ganz klar erkennbar eine typische Anajo-CD.

Soundmag: Sind deine Texte immer autobiografisch?

Oliver: Sie sind es oft aber nicht immer. „Spätsommersonne“ ist schon eine Sache, die ich erlebt habe. Viele Ansätze für meine Texte resultieren auch daraus. Man kann aber nicht 1 zu 1 herauslesen, was mir in den letzten zwei Jahren alles passiert ist, aber die Inspiration und die Anlässe sind tatsächlich meistens autobiografisch.

Soundmag: Würdest du auch über Erinnerungen und Erfahrungen deiner beiden Bandkollegen in der Ich-Perspektive schreiben?

Oliver: Ja, wenn mir dazu was einfällt, würde ich das so machen.

Michael: Das Schöne an Ollis Texten ist, dass wir nachvollziehen und fühlen können, was er schreibt, weil wir ähnliche Erfahrungen in unserem Leben gemacht haben. Ich denke, dass es vielen unserer Fans genauso geht.

Oliver: Vielleicht gibt es ja irgendwann einmal ein Erlebnis der beiden, was mir ähnlich nahe geht und zu dem mir etwas einfällt. Aber einen Versuch wäre es definitiv wert.

Soundmag: Ich habe lange gegrübelt, ob ich dieses Thema mit euch berede. Eigentlich dachte ich bisher, dass es zu plakativ wäre. Aber als ich dann das neue Album hörte, hat mir Olli jede Überlegung schon vorweg genommen. In „Amsterdam-Mann“ setzt du ganz deutlich einen Punkt und machst klar, dass du schwul bist.

Michael: Weiß man das, wenn man das Lied hört? Es gab auch schon Stimmen von Leuten, die ganz überrascht waren, weil sie dachten, dass dieses Lied aus einer Frauen-Perspektive gesungen wurde. Für den Einen oder Anderen ist es nicht gleich offensichtlich.

Oliver: Man muss da kein Hehl draus machen. Ich stehe ja auch dazu. Manche hören es vielleicht heraus, manche nicht. Aber „Amsterdam-Mann“ ist ein sehr ehrliches Lied. Es ist ein Lied über eine Sache, die ich wirklich erlebt habe. Damals, auf Abi-Fahrt in Amsterdam... (lacht) Und das Lied erzählt von dieser unvergesslichen Grachtenfahrt.

Soundmag: Wir haben vorhin darüber geredet, dass deine Texte recht universell sind. Hier beziehst du jedoch eindeutig Stellung. Hast du dich vorher gefragt, ob du mit diesem Text euren Liedern die Allgemeingültigkeit nimmst?

Oliver: Natürlich. Intern gab es deshalb viele Diskussionen. Ich habe für dieses Lied auch ein bisschen kämpfen müssen. Es ist nicht so, dass ich damit auf offene Ohren gestoßen bin. Aber wir fanden dann, dass es ein tolles Stück ist. Wenn wir es live spielten, wurde es auch immer sehr positiv aufgenommen. Zuerst haben alle ein bisschen komisch geschaut. Inzwischen ist es jedoch so etwas wie ein Highlight unserer Konzerte geworden. Natürlich wussten wir, dass wegen dieses Liedes viele Fragen kommen werden. Aber es ist ehrlich und eine Geschichte, die ich selbst erlebt habe. Genau deswegen ist es auf dem Album!

Michael: Ich finde auch, dass es ein sehr guter Text ist, den ich leicht für mich umwandeln kann. Dann ist es eben kein Mann, sondern eine Frau.

Oliver: Wir haben auch überlegt, ob ich als zweite Strophe singe: „Die schönste Frau aus Oberammergau“. Aber das war mir irgendwie zu sperrig... (lacht)

Ingolf: Man kann dieses Lied auch mit etwas Augenzwinkern verstehen. Ich sehe oft Kerle, die wahnsinnig schick und sehr gepflegt sind und dann schaue ich Zuhause in den Spiegel und sehe diesen Rock’n’Roll-Kopf. Wenn man das Ganze mit Witz nimmt, kann man den Text auch so sehen.

Soundmag: Michael und Ingolf, welche Bedenken hattet ihr bei diesem Lied?

Michael: Für mich war es schwierig, weil ich nicht in eine Richtung gedrängt werden wollte. Nimm Rosenstolz. Diese Band wird immer als DIE Band für Lesben und Schwule gehandelt. Und ich kann die einfach nicht leiden. Allein auf die Gefahr, durch „Amsterdam-Mann“ als Band in diese Richtung geschoben zu werden, habe ich wirklich keine Lust.

Oliver: Aber ich denke, da können wir uns locker machen.

Michael: Ja klar, aber da habe ich mich erst mal locker machen müssen.

Ingolf: Einen Song von Rosenstolz finde ich ganz gut. „Ich Geh` In Flammen Auf“. Das ist doch mal eine Perspektive.

Soundmag: Das kann ich sehr gut verstehen. Hund am Strand ging es ähnlich. Irgendwann habe ich in der Siegessäule (schwul-lesbisches Magazin aus Berlin) einen Bericht über diese Band gelesen. Wahrscheinlich wäre der Fokus niemals auf ihnen gelandet, wenn Sänger Fabian nicht schwul wäre. Eine Seite weiter gab es aus dem gleichen Grund eine Plattenkritik über „Takk“ von Sigur Ròs. Ich habe mich wirklich über diesen Musikchauvinismus geärgert. Das darf nun wirklich kein Grund sein, über eine Band zu berichten.

Oliver: Ich kann den Ansatz dieser Magazine schon verstehen. Schließlich bedienen sie damit ihre Zielgruppe. Auf der anderen Seite finde ich das Ganze natürlich auch ein bisschen verlogen, weil man das Gefühl hat, dass es nicht um die Musik geht, sondern darum, dass in der Band einer schwul ist.

Soundmag: Das können wir als Schlusspunkt zu diesem Thema jetzt einfach so stehen lassen.

Alle: Genau.

Soundmag: Ich habe vor kurzem gelesen, dass ihr am Bundesvision-Song-Contest teilnehmen werdet. Jetzt sagen manche, dass es ganz gut ist, zu etablierten Acts wie Mia oder Jan Delay ein Indie-Gegengewicht zu setzen. Andere wiederum werden euch sicherlich dafür kritisieren, dass ihr daran teilnehmt. Wie seht ihr das?

Oliver: Natürlich haben wir auch innerhalb der Band darüber diskutiert, ob wir an dieser Veranstaltung teilnehmen wollen. Ist es cool, mitzumachen, oder nicht?

Michael: Wir haben uns ja schon letztes Jahr beworben, aber wurden nicht berücksichtigt. Und jetzt kamen sie auf uns zu und haben uns gesagt, dass wir mal etwas Neues schicken sollen, was wir dann auch taten. Kurze Zeit später wurde uns mitgeteilt, dass Interesse an uns und vor allem an „Wenn Du Nur Wüsstest“ besteht. Daraufhin haben wir ganz kurz überlegt und eigentlich recht schnell entschieden: Wir machen da mit.

Oliver: Ich glaube, wir dürfen da auch mitmachen und es ist auch cool, da mitzumachen. Man sieht trotzdem, dass wir eine Indie-Band sind. Und wir werden das auch immer bleiben. Wir schreiben alle Lieder, wir gestalten die Cover. Wir machen wirklich das, was wir wollen und haben absolute künstlerische Freiheit. Wir verbiegen uns nicht und werden das auch nicht für den Bundesvision-Song-Contest tun. Deswegen finde ich es auch nicht falsch, da mitzumachen. Egal, was man von TV Total und Stefan Raab hält, aber er gibt unbekannteren Bands die Chance, vor einem breiten Publikum zu spielen. Das muss man ihm hoch anrechnen. Gerade, wenn man bedenkt, dass kleinere Bands aus dem Musikfernsehen nahezu komplett verschwunden sind.

Soundmag: Auf welchem Platz werdet ihr landen?

Michael: Wir wollen natürlich gewinnen. (lacht) Aber da muss man natürlich die Augen aufmachen und sehen, dass da viel bekanntere Künstler als wir mitmachen. Wo werden wir landen?

Oliver: (überlegt) Also, Mittelfeld wäre schon super. Oder letzter Platz. (lacht)

Michael: Ja. Entweder ganz hinten oder oberes Mittelfeld.

Soundmag: Jede Band, die an dieser Veranstaltung teilnimmt, wird vorher in die Sendung eingeladen. Wie stellt ihr euch das vor?

Oliver: Da bin ich ein bisschen nervös, ehrlich gesagt. Vor dem Auftritt habe ich keine Angst, das schaffen wir schon. Aber vor dem Gespräch auf der Couch habe ich etwas Respekt. Obwohl wir das bestimmt auch ganz gut hinbekommen.

Michael: Ich habe mich auch schon gefragt, wie das sein wird.

Ingolf: Bei dem Raab ist das natürlich immer ein Spiel, aber ich glaube nicht, dass er uns ordentlich was reindrücken wird.

Michael: Nein, das glaube ich auch nicht. Er weiß ja auch, dass einige der Bands, die da sitzen, nicht gerade die erfahrensten sind. Die kann er ja nicht einfach so niedermachen. Es macht ja auch keinen Sinn, Musiker einzuladen, nur um die dann fertig zu machen.

Soundmag: Obwohl klar ist, dass er schon sticheln wird. Fällt ihm ja auch nicht schwer. Schließlich befindet ihr euch auf seinem Terrain. Da könnt ihr nur verlieren.

Oliver: Ja klar, da hat man einfach keine Chance. Ich glaube, man darf auch nicht versuchen, zu kontern oder krampfhaft lustig zu sein. Das wäre ganz sicher ein Fehler. Das Beste ist, wenn wir so bleiben, wie wir sind. Da kommen wir sicher eindeutig am besten weg.

Soundmag: Viele Glück und vielen Dank für das Interview.

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