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The Book Of Daniel

The Book Of Daniel

 

27.01.07 - per Email / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Pressefoto

 


Das Leben auf Tour gestaltet sich mitunter wie purer Stress. Wegen Stau, Schneematsch oder anderen nur wenig beeinflussbaren Momenten kommt der Künstler zu spät in die nächste Stadt. Straffe Zeitpläne platzen plötzlich mit lautem Knall. Soundcheck, ab ins Hostel, um die Betten zu beziehen und dann noch Abendbrot, bevor es in nur einer Stunde schon losgehen soll. Was da als erstes gestrichen wird, sind halbstündige Interviews. Doch kein Problem in Zeiten des Internets. Das Berliner Konzert von The Book Of Daniel im letzten Herbst war ein Musterbeispiel für das beschriebene Chaos. Trotz des biblischen Namens und eines nicht weniger religiös anmutenden Albumtitels „Songs For The Locust King“ hatte der liebe Gott seine schützenden Hände für ein paar Stunden nicht über Daniel Gustafsson, aka der kleine Bruder von Boy Omega, gehalten. Später jedoch entpuppte sich das Konzert als Gottesdienst in einem viel zu kleinen Club. Seelenheil und Erlösung nicht ausgeschlossen. Ein paar Monate danach sitzt Daniel mit vielen Büchern in der schwedischen Heimat und gibt Antworten.

Soundmag: Daniel, wo bist du gerade?

Daniel: Ich sitze auf dem Cover von „Songs For The Locust King“ in meinem Apartment in Göteburg und der Computer steht neben dem Fenster. Links von mir steht mein Piano. Die Wände haben eine warme grüne Farbe und daran hängen Poster von John Coltrane und Miles Davis. Auf dem Boden liegen zig Bierbüchsen, Bücher und Rechnungen, die ich eigentlich hätte bezahlen sollen – wenn ich denn das Geld hätte. Außerdem sehe ich hier ein ungemachtes Bett, auf dem meine Gitarre liegt, einen Kühlschrank mit einer Flasche Gin drin. Oben drauf noch mehr Bücher und ein Anzug, der eigentlich in die Reinigung gemusst hätte, als ich von der letzten Tour kam. Das war’s schon.

Soundmag: Gar kein Gameboy? Ich habe gelesen, du und dein Bruder spielen oft Tetris. Wo steht der Highscore im Moment?

Daniel: Mein Bruder liebt Tetris. Ich hingegen spiele lieber mit mir selbst. Aber über einen Highscore in dieser Disziplin rede ich wohl besser nicht.

Soundmag: Danke. Du und dein Bruder Martin seid beide Musiker. Welcher Vergleich trifft eher auf euch zu: Noel & Liam Gallagher oder Neil & Tim Finn?

Daniel: Als wir in unseren Jugendjahren zusammen in einer Band spielten, gab es keine großen Unterschiede zwischen uns und den Gallaghers. Genau darum hat jetzt jeder von uns ein Soloprojekt.

Soundmag: Zweiter Versuch. Die Allmann Brothers oder Blues Brothers?

Daniel: In diesem Fall zweifellos die Blues Brothers.

Soundmag: Wer von euch hat zuerst mit der Musik begonnen? Wurde der andere davon beeinflusst?

Daniel: Ich glaube, wir beide fingen ungefähr zur gleichen Zeit an, uns mit Musik zu beschäftigen. Mein Bruder Martin ist viel mehr als ich ein Musikforscher. Er entdeckte all diese obskuren Indiebands, während ich mich regelmäßig in diesen riesigen Boxen voller alter Klassik- und Jazzplatten vergrub. Martin versuchte jedoch immer, mir interessante Bands vorzustellen. Das Problem war lediglich, dass ich sehr wählerisch bin.

Soundmag: Gab es zwischen euch auf musikalischer Ebene immer nur Freundschaft oder habt ihr euch mitunter als Konkurrenten in einem Wettbewerb um bessere Songs gesehen?

Daniel: Wenn du einmal mit dem Schreiben begonnen hast, verlierst du aus dem Auge, was allgemein als guter Song gilt. Gute Songwriter konkurrieren nicht miteinander, sie setzen eigene Standards und kämpfen nur noch mit sich selbst.

Soundmag: Mit zwei musikalisch so talentierten Söhnen... wie kann man sich Weihnachten in der Gustafsson-Familie vorstellen? Gesang unter dem Weihnachtsbaum?

Daniel: Unser Vater ist immer ganz heiß drauf, dass wir etwas spielen. Aber im Angesicht unserer Großmutter ist es echt hart über die Lust am Klebstoffschnüffeln und das Nachhausekriechen um fünf Uhr morgens zu singen.

Soundmag: Ihr beide arbeitet mit anderen Musikern zusammen, versteht Boy Omega und The Book Of Daniel aber trotzdem als Soloprojekte. Seid ihr zwei Typen, die die Kontrolle über ihre Arbeit behalten wollten?

Daniel: Absolut, ich habe eine sehr klare Vision davon, was ich mit meiner Musik tun möchte und arbeite hart daran, dass zu bekommen, was ich hören möchte. Aber trotzdem, diese Musiker bringen Wundervolles in die Musik mit ein. Ich spiele ihnen die Songs meist im Proberaum vor. Dazu musst du wissen, dass ich in der Regel fünf verschiedene Versionen davon aufnehme, bevor es an mein Verständnis von Perfektion heranlangt. Jedenfalls diskutieren wir dann die Arrangements und argumentierten, ob die Bridge vielleicht vor dem Chorus kommen sollte etc. etc. Ich vertraue diesen Menschen, sie bringen in 99% der Fälle ihr Bestmögliches in die Stücke ein. Falls nicht, lasse ich sie das wissen. Davon abgesehen sind alle Musiker in meiner Band großartige Songwriter und viele von ihnen arbeiten an eigenen Projekten. So haben sie Kontrolle über ihre und ich über meine Arbeit.

Soundmag: Wie würdest du die Musik deines Bruders beschreiben und sie mit deiner eigenen vergleichen?

Daniel: Mein Bruder macht Musik, nach der junge Menschen suchen. Meine Musik ist die, bei der sie am Ende der Suche ankommen. Es ist, als würdest du Frösche und Prinzen vergleichen. Es braucht viel Zeit und Schneid herauszufinden, was man möchte. Und – wenn das irgendwie Sinn ergibt - ein Kuss wird daran nichts verändern. Anders ausgedrückt: zu der Musik meines Bruders tanzt du in einem Club, meine Songs hörst du, wenn du um vier Uhr früh mit einem Sixpack in der Hand und einem/einer Fremden an der Seite nach Hause kommst

Soundmag: Wer von euch hat das bessere Album gemacht?

Daniel: Na ja, ich werde dich jetzt nicht anlügen und behaupten, dass ich nicht sehr sehr stolz auf mein Album wäre. Denn es ist genau so geworden, wie ich es mir wünschte. Allerdings liebe ich die Platte meines Bruders nicht weniger. Auch hier ist ein Vergleich schwierig oder gar unsinnig, denn eine Giraffe ist nicht besser als ein Elefant. Sicher haben sie beide vier Füße, aber die Giraffe hat Punkte und einen langen Hals bekommen und das passt irgendwie besser zu mir, wenn ich herumklettere, um etwas in einem großen Baum zu finden. Die Zeit wird zeigen, welches der beiden Alben mit Würde altert ... and what record will have a stroke at the age of twenty-four – so wie in dem Belle & Sebastian-Song.

Soundmag: Auf deinem Album gibt es einige religiöse Referenzen, nicht zuletzt im Projektnamen. Würdest du dich als religiösen Menschen charakterisieren?

Daniel: Ich bin keiner von denen, die behaupten, dass das was ich tue ein Geschenk von Gott wäre. Denn ich arbeite sehr hart und diese Anstrengung belastet mich ebenso wie sie mich antreibt. Aber zweifellos bete ich oft zu Gott, jedoch eher in dem Sinn, dass er oder es etwas in mir darstellt, das so unglaublich viel größer ist als ich selbst. Gott stellt keine physische Person dar und ich setze ihn auch nicht mit der Tätigkeit des Musikmachens gleich. Gott geschieht, wenn Linda aus Sheffield, Marcus aus Bochum oder Lars aus Umeå tief einatmen und dabei die Welt dort draußen vergessen – selbst wenn es nur für die 30 Sekunden geschieht, in denen sie Musik hören. Er ist in den Momenten, wenn jemand seine Schritte auf dem Weg zur Arbeit abbremst, um noch einen Song mehr zu hören, bevor ihn all das verschlingt, was er an diesem Tag tun muss. Diese Sekunden, diese langsamen Schritte – das ist Gott für mich. Und dafür bete ich. Etwas erschaffen zu können, das über den Klang von 65 Menschen in einer Straßenbahn oder eines tropfenden Wasserhahns hinausgeht. Weißt du, einige brauchen Viagra, um auf der Bühne zu stehen. Ich komme mit etwas anderem aus und mehr ist dazu nicht zu sagen.

Soundmag: Dein Fanclub trägt den Namen „Blind Stalkers Union“. Gefällt dir die Idee, dass dir die Leute folgen? Woher kommt der Name?

Daniel: Die Idee kam mir, als ich eines Abends darüber nachdachte, in welche Gewerkschaft (dt. für Union) Menschen mit ungewöhnlichen Jobs wohl eintreten müssten. Etwa Pornostars – gehören sie in die Gesellschaft der Handwerker, weil sie ja mit ihrem Körper arbeiten? Irgendwie führte mich diese Idee zu dem Gedanken, ob ein Blinder eigentlich zu einem Stalker werden könnte. Blind Stalkers Union erschien mir da plötzlich als grandioser Name für einen Fanclub. Vielleicht sollte ich mich noch etwas stärker um meine Fans kümmern. So bald wie möglich werde ich einen unveröffentlichten Song, der es nicht auf „Song For The Locoust King“ geschafft hat, per MP3 an sie verschicken.

Soundmag: Dein Bruder Martin erzählte in einem Interview, dass er in Konzerten versucht, das Publikum auszublenden. Hast du ähnliche Tendenzen?

Daniel: Nicht wirklich. Vielleicht ein wenig von beidem. Wenn ich auf der Bühne stehe, fließe ich mit der Musik und erlaube dem Song, mich überall hin mitzunehmen. Zwischen den Stücken allerdings ist es mir wichtig, etwas zu erzählen, einfach Blödsinn zu brabbeln oder Buchtips zu geben. Ich bin da der Talkmasterin Oprah Winfrey nicht unähnlich. Mir ist es wichtig, dass die Leute gute Bücher lesen und dabei all die harten Tatsachen des Lebens vergessen: etwa, dass sie Gewicht verlieren sollten oder nicht in einer Villa leben. Aber vielleicht bin ich in dieser Hinsicht auch nur etwas komisch.

Soundmag: Ihr beide seid auch zusammen auf Tour. Genießt du Familiengeschäfte dieser Art?

Daniel: Mein Bruder ist mein bester Freund und ein echt lustiger Typ, mit dem man gern 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche zusammen ist. Vielleicht aber auch nur, weil er so unglaublich lange schläft. So family-business on the road is really great!

Soundmag: Plant ihr ein Album mit euch beiden auf dem Cover?

Daniel: Momentan nicht. Mein Album wurde am 24. Januar in Skandinavien veröffentlicht, also hoffe ich, dort jetzt erstmal ein paar Konzerte zu spielen, bevor wir dann im Frühling für eine weitere Tour nach Deutschland zurückkommen. Gleichzeitig arbeite ich an neuem Material und wenn alles klappt, haben wir im August vielleicht schon ein neues Album. Aber all das sind nur Pläne und ich bin wirklich schlecht, wenn es um Deadlines geht.

Soundmag: Letzte Frage: was hältst du von den Pet Shop Boys?

Daniel: Ich liebe sie. Ich bin begeistert, dass Neil Tennant das neue Rufus Wainwright-Album „Release The Stars“ mit produziert. Die Pet Shop Boys sind klassische Songwriter, auch wenn sie besser gefahren wären, ihr letztes Album nicht zu veröffentlichen. Aber falls irgendjemand da draußen Zweifel an ihnen hat, soll er sich ihr „Best Of“-Album kaufen und mir dann direkt ins Gesicht sagen, dass die Songs nerven. Ich werde solange mit ihm kämpfen, bis wir beide das Blut in unseren Mündern schmecken. Anschließend kannst du mir ein Bier ausgeben.

Soundmag: Sag Bescheid, wenn es soweit kommt. Vielen Dank für das Interview.

 

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