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Brakes

Brakes

 

02.02.07 - Estrel / Berlin

Interview:  Dirk

Foto: Pressefoto

 

 

 

Als Brakes vor zwei Jahren ihr Debüt „Give Blood“ auf Rough Trade veröffentlichten, war nicht vorauszusehen, welch positive Resonanz das zur Folge haben würde. Eigentlich nur als Seitenprojekt zweier Mitglieder von The Electric Soft Parade und des Keyboarders von British Sea Power geplant, landete das Quartett aus dem englischen Brighton Ende 2005 auf diversen Bestenlisten. Selbst einen kleinen Hit hatten sie im Gepäck: „All Night Disco Party.“ Nun schicken sich Brakes mit dem Nachfolger „The Beatific Visions“ erneut an, die Welt zu erobern. Im Estrel Hotel traf ich mit Sänger und Gitarrist Eamon Hamilton auf einen äußerst interessanten und sympathischen Gesprächspartner.

Soundmag: Ich habe gehört, dass du British Sea Power verlassen hast, um dich voll auf Brakes zu konzentrieren. Wie kam es dazu?

Eamon: Ja, etwa vor einem Jahr. Ich habe anderthalb Jahre ununterbrochen auf Tour verbracht. Das war natürlich ziemlich harte Arbeit. Ich habe British Sea Power verlassen, als Brakes eine dreimonatige Tour angeboten wurde. Dadurch hätte ich BSP zu sehr im Stich gelassen. Die Gigs, die wir angeboten bekamen, waren dermaßen gut: Touren mit Belle And Sebastian und den Editors. Das konnten wir nicht absagen. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, die Band zu verlassen. Aber nicht im Unfrieden, sie haben mich verstanden. British Sea Power konzentriert sich jetzt wieder auf vier Personen, so wie es am Anfang war. Ich denke, dass es so für uns alle besser ist.

Soundmag: Du bedauerst die Entscheidung aber nicht, oder?

Eamon: Nein. Aber ich vermisse die Band, sehr sogar. Ich habe mit ihnen soviel Zeit verbracht, wie mit keinem anderen. Ich vermisse die Gespräche und die Art und Weise, wie man sich zum Lachen gebracht hat. Wir sind aber immer noch Freunde. Ich schaue sie mir live an. Ich bin mir sicher, dass sie mich auf die Gästeliste setzen werden. (lacht.)

Soundmag: Aber es ist eine definitive Entscheidung?

Eamon: Ja. Aber dafür wird es The Electric Soft Parade weiterhin geben. Sie werden neues Material veröffentlichen. Tom White (Gitarre) und Alex White (Schlagzeug) machen im Moment nur eine Art Pause. Ich konzentriere mich jetzt darauf, Songs für Brakes zu schreiben.

Soundmag: Was würdest du als die entscheidenden Unterschiede von eurem neuen Album zum Vorgänger beschreiben?

Eamon: Wir sind jetzt viel selbstbewusster. Das heißt nicht, dass wir in bezug auf „Give Blood“ nicht selbstbewusst waren. Aber da hatten wir weniger Zeit, es fertig zu stellen. (plötzlich klingelt Eamons Handy, kurzes Gespräch, nach ein paar Sekunden kommt Eamon zurück.) Sorry, das war mein Bruder. Ging wahrscheinlich um die Stromrechnung. (lacht.) Wir haben eine lange Zeit auf Tour verbracht, auf der wir durch das Zusammenspielen unser jeweiliges Talent erkannt haben. Wir haben gewissermaßen plötzlich realisiert, dass wir eine gute Band sind. Nicht, dass wir nicht an unsere Songs geglaubt haben. Wir haben jeden Song ernst gemeint, den wir gemacht haben. Aber alle anderen haben angefangen, uns ernst zu nehmen. Die Presse, die Plattenfirmen und auch die Leute, die unsere Platten kaufen. Das war wirklich befriedigend. Wir wollten beim zweiten Mal nicht so unfertig klingen, wie beim ersten Album. Auch, wenn das so beabsichtigt war. Wir wollten, dass das neue Werk richtig gut klingt. Wir haben viel länger daran gearbeitet. Wir haben es, statt nur in einer, in drei Wochen aufgenommen. Es kommt ausgereifter rüber, man kann es wirklich hören. Aber es hat immer noch diesen unmittelbaren Sound, der entsteht, wenn wir zusammen in einem Raum Musik machen.

Soundmag: Gab es spezielle Einflüsse?

Eamon: Was die Texte betrifft, habe ich eine Menge Bücher gelesen. Darunter war auch ein Buch namens „Der Meister und Margarita.“ Es handelt sich dabei um einen russischen Roman von Michail Bulgakow, in dem es darum geht, dass der Teufel ins kommunistische Moskau kommt und dort allen einen Streich spielt. Zudem habe ich das Alte Testament gelesen, was ich nie zuvor getan hatte. Dort dreht es sich hauptsächlich um eine Art verrückten und irren Gott, der alles und jeden zerstört. Ich denke, es gibt eine Menge Parallelen zwischen diesen beiden Büchern und der heutigen Zeit. Es gibt eine Reihe von Leuten, die Gott dazu verwenden, andere Menschen zu töten. Dass der Teufel auf die Erde kommt und allen Menschen einen Streich spielt, passt sehr gut in die heutige Zeit. Das waren zwei große Einflüsse für mich. Sie spiegeln sich zum Beispiel in Songs wie „Margherita“, „Cease And Desist“ und „Porcupine Or Pineapple?“ wider. Musikalische Einflüsse waren Leadbelly, ein alter Bluesgitarrist und Sänger, Little Richard, Hank Williams, Sunn O))) und englische Punkbands wie Wire oder The Clash. Außerdem mag ich „The Greatest“ von Catpower sehr. Das ist so ein schönes Album. Voller Soul. Es schien nicht allzu viel Soul in der aktuellen Musik zu geben. Bis ich dieses Album gehört habe. Ich habe nur gedacht: „Fucking Hell! Das ist ja voller Seele!“

Soundmag: Du hast den Text von „Margherita“ erwähnt. Ist es dir sehr wichtig, aktuelles Zeitgeschehen zu kommentieren?

Eamon: Die Musik, die ich liebe, beinhaltete schon immer politische oder soziale Kommentare. Sei es alte Bluesmusik, Folkmusik oder Technomusik. Selbst Techno hat eine politische Agenda, die Utopie einer anderen Welt. Ich denke, dass gute Musik die Kultur, aus der sie kommt, reflektieren sollte. Und die Kultur, in der wir uns im Moment befinden, ist eine ziemlich faule. Wir versuchen, das auf dem Album widerzuspiegeln. Es beinhaltet auch eine allgemeine Reflektion über all diese Konzepte, wie zum Beispiel diesen „eine andere Welt nach dem Tod“-Unsinn. Wir sind nur Menschen und alles, was wir wirklich wissen, ist, dass wir jetzt leben.

Soundmag: Wenn ich mir euren Albumtitel, „The Beatific Visions“, anschaue, stellt sich mir die Frage: Möchtet ihr mit dem Album eine Vision des Guten entwerfen?

Eamon: Er lässt sich wieder auf die Gottesfragen beziehen. Ich glaube, dass die Chance auf das größte Glück vielmehr dann bestehen muss, wenn wir noch leben, als dass ich an höchste Glückseligkeit nach dem Leben glaube.

Soundmag: Du hast vorhin den Einfluss von „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow hervorgehoben. Interessierst du dich generell für russische Literatur?

Eamon: Nein. Ich bin sehr an der transsibirischen Eisenbahn interessiert. Ich versuche, dafür Russisch zu lernen. Ich mag es einfach, zu lesen. Wenn man einen guten Roman liest, hat das etwas sehr Wiederbelebendes. Als ob man einen Defibrillator benutzen würde. Ich mag eine Menge Romane.

Soundmag: Gibt es bestimmte Autoren, die du besonders bewunderst?

Eamon: Ich lese gerade meinen ersten Martin Amis-Roman. Er ist ziemlich gut. Ganz schön zynisch. Die Kon-Tiki-Expedition von Thor Heyerdahl. Er wollte beweisen, dass die Polynesischen Inseln von Südamerikanern bewohnt waren. Er hat 1947 ein Boot gebaut, um zu beweisen, dass es möglich war, dorthin zu segeln. Das ist wirklich eine erstaunliche und tolle Geschichte. Gute Bücher sind wie gute Freunde.

Soundmag: Aber du interessierst dich auch für Philosophie, wie schon der Albumtitel zeigt.

Eamon: Oh ja! Als ich achtzehn war, habe ich in einer WG gewohnt. Mein Mitbewohner war ein bisschen verrückt. Er war sehr Jim Morrison-fixiert. Er hat mich jeden Morgen zum Frühstück gefragt: „Was ist Leben? Was denkst du über das Leben?“ Er hatte eine Menge Bücher, zum Beispiel von Platon, Spinoza... Ich war gelangweilt, also habe ich sie alle gelesen. Ja, ich bin an den Gedanken von anderen Menschen interessiert. Ich bin sehr schnell von Unterhaltung gelangweilt. Manchmal reflektiert Unterhaltung Dinge, die in der Gesellschaft passieren. Aber in der Regel hält Unterhaltung die Leute vom Nachdenken ab.

Soundmag: Da stimme ich dir zu. Vielleicht ist das der Kern des Kapitalismus. Die Menschen werden mit Dingen zufrieden gestellt, die sie eigentlich nicht wollen und denken dadurch nicht über ihre wahren Bedürfnisse nach.

Eamon: Produziere und konsumiere immer weiter und denke nicht darüber nach, warum.

Soundmag: Aber neben Büchern sind auch Menschen eine Inspiration für dich.

Eamon: Ja. Je mehr Menschen du triffst, um so weniger allein bist du mit diesen Gedanken.

Soundmag: Als ich vor dem Interview recherchiert habe, habe ich etwas über euch aufgeschrieben und plötzlich festgestellt, dass ich die falsche Band erwischt hatte.
Passiert es oft, dass ihr für eine andere Band gehalten werdet?


Eamon: Wir tragen den ungünstigsten Namen, den man sich jemals vorstellen könnte. Wirklich. Wir nennen uns Brakes (Bremsen), das ist so wie Garages oder Carshops. Wir werden gerade von einer amerikanischen Funkrockband aus Philadelphia namens „The Brakes“ verklagt. Deswegen mussten wir unseren Namen in Amerika in brakesbrakesbrakes ändern. (lacht.) Der Name ist so gut, dass wir uns dreimal danach benannt haben. (lacht.) Wir hatten einige Schwierigkeiten. Der Grund, warum wir Brakes heißen, ist übrigens folgender: Es gibt einen wirklich großen Berg in Brighton. Ein Freund von uns sah einen Typen, der den Berg schreiend auf einem Fahrrad herunter gerast kam: „Ich habe keine Bremsen! Aus dem Weg! Ich habe keine Bremsen!“ Marc hat mir diese Geschichte erzählt. Ich habe so gelacht, weil die Straße eine Einbahnstraße war und der Fahrer ohne Bremsen eine komplette Drehung nach links machen musste. Ich dachte mir: „Jeder braucht Bremsen!“ So ist der Name entstanden. Wir waren schon die Turin Brakes. Die Leute haben gedacht, dass wir die Brakes aus Manchester sind. Andere haben gesagt: „Ach, ihr seid die Jungs aus Philadelphia. You suck!“

Soundmag: Überlegt ihr, euch umzubenennen?

Eamon: Ja. „Eamon And The Archonauts“ war eine Idee. Wir sind nicht besonders gut darin, einen passenden Namen für uns zu finden.

Soundmag: Ihr kommt ja aus dem eher beschaulichen Brighton. Ich habe gelesen, dass es dort eine große Musikszene gibt. Woran liegt das?

Eamon: Es gibt keine Industrie in Brighton. Es ist von Bergen und vom Meer umgeben. Das, was es gibt, ist die Tourismusindustrie. Wenn man dort lebt, arbeitet man meist in Servicejobs. Ich habe sehr viel in Küchen gearbeitet oder als Kellner. Aber man sieht eben auch all diese Touristen, die kommen. Sie bringen ihre eigene Kultur und Identität mit. Sie sind für eine Weile in deiner Stadt. Sie befinden sich immer noch in ihrem eigenen Geisteszustand. Es ist ziemlich interessant, das zu beobachten. Man kann sich eine Menge Menschen anschauen. Es tauchen auch viele europäische Touristen auf. Es ist eine ziemlich europäische Stadt für Großbritannien. Es war mal sehr preiswert, hinsichtlich der Mieten. Aber jetzt sind die Preise sehr angestiegen. Ich denke, dass billige Mieten Künstler anziehen. Leute, die bereit sind, in schlechten Unterkünften mit dem Glauben an Kreativität zu leben. Es ist ein guter Ort, um kreativ zu sein. Mittlerweile ist es etwas geld- und erfolgsorientierter geworden. Es wird aber immer ein nichtindustrieller Ort am Meer bleiben. Es wird immer eine Brise Freiheit wehen, um zu denken.

Soundmag: Macht in Brighton jeder sein eigenes Ding, oder sind die Bands sehr miteinander verbunden?

Eamon: Ja, es gibt eine Verbindung zwischen uns allen. Zu Electrelane zum Beispiel. Verity Susman von Electrelane lebt tatsächlich in Berlin. Berlin ähnelt Brighton sehr. Es gibt dort ebenfalls niedrige Mieten, eine Menge Kreativität und wenig Industrie. Es ist so wie: „Was machen wir? Los komm, lass uns was auf die Beine stellen!“

Soundmag: Du magst Berlin also.

Eamon: Ja. Es ist besser als Dortmund.

Soundmag: Du warst schon mal da?

Eamon: Ja, einige Male. Es hat nicht dieselbe Lebendigkeit. Aber ich will Dortmund nicht disqualifizieren. Wirklich nicht! Ich mag Dortmund. Ich habe dort schöne Tage verbracht. (lacht.)

Soundmag: Ich kann dich schon verstehen. Es ist definitiv nicht so attraktiv wie Berlin.

Eamon: Aber ich will Dortmund wirklich nicht schlecht machen! (lacht.)

Soundmag: Ihr werdet dieses Jahr in Deutschland auf dem Haldern Pop Festival spielen.

Eamon: Wir sind sehr gespannt darauf. Ich denke, es wird toll werden. Wir lieben Festivals. Es herrscht dort eine friedliche Atmosphäre. Man kann sich ein Glas Bier holen, gute Bands anschauen und mit seinen Freunden unterwegs sein.

Soundmag: Plant ihr, hier auch eigene Shows zu spielen?

Eamon: Ja, wir hoffen, dass es Ende Mai klappt.

Soundmag: Eine letzte Frage noch. Beim letzten Interview mit uns hast du gesagt, dass ihr mit dem zweiten Album Superstars sein werdet. Wo befindet ihr euch jetzt?

Eamon: Wir haben diesen Punkt noch nicht erreicht. Was wird die Zukunft diesmal bringen? Unsere Alben werden Platinstatus haben und wir werden weltweit die Nummer eins sein! (lacht.)

Soundmag: Wir werden beim nächsten Mal wieder nachfragen. Vielen Dank für das Interview!

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