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Feist

Feist

 

02.04.07 - Arcotel Velvet / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Andreas

 

 

 

Feist jettet durch die Welt. Heute Morgen non-stop aus Kanada in Berlin gelandet ging es inklusive einer ordentlichen Portion Jetlag direkt nach Potsdam, um dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk für Interviews zur Verfügung zu stehen. Danach – immer noch schlaflos und während der Fahrt Telefoninterviews gebend – zurück nach Berlin, wo in einem Hotel an der Friedrichsstraße die nächsten Fact-To-Face-Gespräche anstehen. Angemeldet haben sich: ZEIT, SPIEGEL, STERN und... Soundmag.de. In den wenigen Jahren, die zwischen ihrem in weiten Teilen der Welt als Debüt wahrgenommenen Album „Let It Die“ (tatsächlich gab es vorher schon das nicht ganz so beachtete „Monarch“) und dem neuen Werk „The Reminder“ vergangen sind, hat sich Leslie Feist zu einem veritablen Verkaufsargument entwickelt. Multifunktionale Musik und nicht zuletzt eine ebenso eigensinnige wie äußerst charmante Künstlerin sorgten dafür, dass ein neues Feist-Album nun zum Medienereignis mutiert. Former Indie goes Charts. Feist goes Mainstream? Morgen fliegt sie erstmal wieder zurück nach Kanada.

Soundmag: Dein neues Album heißt „The Reminder“. Bist du ein vergesslicher Mensch?

Feist: (lacht) Das ist eine sehr gute Frage. Und tatsächlich: ich bin es. Mein Erinnerungsvermögen ist wirklich erschreckend. Ich erinnere mich sehr selten an konkrete Dinge. Sensationen kann ich mir gut merken, wenn ich an einem Platz vorbeikomme, fühle ich mich, als ob ich dort schon mal gewesen wäre. Es braucht dann aber eine Weile, bis mir einfällt, was ich dort getan habe oder wann das war. Mein Defizit in diesem Punkt war aber wirklich nicht der Grund für den Albumtitel. Trotzdem: gute Frage! (lacht)

Soundmag: Gibt es ab und zu peinliche Situationen, in denen du von Leuten an etwas Bestimmtes erinnert wirst?

Feist: Das passiert ständig. Gonzales, einer meiner besten Freunde, sagt immer, dass er sich an mehr Ereignisse aus meinem Leben erinnert als ich und dass er darum auch höchstpersönlich meine Autobiographie schreiben wird. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, diese Gedächtnisstützen zu haben.

Soundmag: Die Biographie zum aktuellen Album spricht davon, dass du vom Erfolg deines letzten Albums komplett überrascht gewesen wärst. Wahrheit oder fishing for compliments?

Feist: Es gab für mich keinen Grund zu glauben, dass das, was passierte, wirklich passieren könnte. Ich bin damals etwas blind in diesen Prozess hineingeraten, schrieb ein paar Songs mit Freunden in Frankreich – in einem Land also, in dem ich vorher nie gewesen war. Warum hätte ich in dieser Situation glauben sollen, dass die Leute so positiv darauf reagieren würden? Sie taten es und das hat mich definitiv überrascht!

Soundmag: Hatte dieser immense Erfolg denn irgendwie Einfluss auf die Aufnahmen zu „The Reminder“?

Feist: All der Erfolg verdichtete sich am Ende zu einem großen Ball voller Erinnerungen und Projektionen. Aber ich dachte bei den Aufnahmen nicht ständig an die Fans meiner Musik. Ich habe ein gewisses Wohlwollen gefühlt. Viele Leute fragen mich, ob ich Druck verspürt hätte. Aber das war kein Druck, sondern viel eher Freiheit. Eine große Gelassenheit, denn ich erinnerte mich an all die Menschen, die in den verschiedensten Städten meine Konzerte besucht hatten. Eine Art Gefälligkeit, die sie mir erwiesen, indem sie in die Clubs kamen. Und vielleicht würden sie beim nächsten Mal ja wiederkommen. Wenn nicht, könnte ich zumindest die Kraft aus dem Wissen, dass es sie gibt, dazu nutzen, genau das Album zu machen, das mir vorschwebte. Und dann schauen wir einfach, ob sie wiederkommen. (lacht)

Soundmag: Nach deinem ersten Album bist du insgesamt 33 Monate (!) durch die Welt getourt. Wird das nicht irgendwann langweilig?

Feist: Ja! (lacht) Vielleicht ist es nicht unbedingt Langeweile, denn du bist ja rund um die Uhr beschäftigt, liegst nie einfach nur auf der Couch rum und schaust schlechte TV-Sendungen. Du bist beschäftigt und wirklich motiviert, es jeden Abend neu und frisch rüberzubringen. Aber irgendwann verkommt dieses Gefühl trotzdem zu einer Fotokopie der Fotokopie. Es wird nach einer Weile immer grobkörniger und ist nicht mehr so klar, weil du dich selbst vielleicht einmal zu oft wiederholt hast. Darum helfen mir das neue Album und die dazugehörige Tour, auch wieder frischer zu wirken, denn es sind endlich neue Songs. Was langweilig wird ist also nicht das Touren an sich und auch nicht die eigenen Wiederholungen, die man jeden Abend auf der Bühne bringt, sondern die immer gleich bleibenden Orte: deine Finger auf der Gitarre, deine Kehle beim Singen, links steht dieser Musiker, rechte jener, hinter mir sitzt der Schlagzeuger und vor mir ist das Publikum. Am Ende kommt es dir immer mehr wie eine Schablone vor. Aber wie gesagt: jetzt wird alles neu und frischer!

Soundmag: Erzähl ein wenig von den Aufnahmen zum neuen Album. Sie fanden in sehr angenehmer Umgebung statt.

Feist: In einer alten Villa, die zum Studio ausgebaut wurde. All das technische Equipment befand sich anfangs im Keller, wir brachten es jedoch nach oben und bauten es im Wohnbereich auf - ein großer Salon mit einer Couch, Bücherregalen und riesigen Glasstüren. Auf der anderen Seite der Türen stand das Schlagzeug und so war das Glas die einzige Trennwand zwischen uns allen. Wir sahen uns ständig und versuchten, ohne Kopfhörer zu spielen, damit wir uns nicht voneinander abschotteten. Am Ende schliefen, aßen und spielten wir in diesem Raum. Für diese Wochen wurde die Villa quasi zu meiner Wohnung.

Soundmag: Und du hast den einen oder anderen Take sogar im Pyjama gesungen.

Feist: Ja! (lacht) Das hat sich einfach ergeben. Denn es gab eigentlich keinen Grund, sich umzuziehen. Man stand auf, ging zum frühstücken herunter und dann wieder nach oben ins Studio. Es war so eine Sommerlager-Atmosphäre, als ob du jeden Abend eine Party feiern würdest.

Soundmag: Verführt eine solche wohnliche und bequeme Umgebung nicht auch zum faulenzen?

Feist: Das Gefühl, arbeiten zu müssen, war während der Zeit schon sehr präsent. Gonzales, Mocky, Jamie Lidell und meine Band unter einem Dach zu haben, macht einem schon klar, dass man sich etwas sputen muss. Insbesondere Gonzales, Mocky und Jamie touren ständig und drückten in ihrem Leben quasi die Pause-Taste, um mit mir am Album zu arbeiten. Mir war bewusst, dass sie nicht ewig Zeit haben würden. Es gab nur eine bestimmte Anzahl von Tagen, an denen wir alle zusammen arbeiten konnten, weil sich ihre Zeitpläne eigentlich ständig überschnitten. So waren mal Gonzales und ich für drei Tage zusammen, dann wieder ich, Gonzales und Mocky usw. Und ab und zu waren wir alle für drei Tage dort - ständig gemischte Kombinationen also. Wenn wir zusammen arbeiteten, gab es sicher entspannte Jams, aber trotzdem fokussierten wir unsere Arbeit immer sehr stark und genau auf das Ziel.

Soundmag: Du hast jetzt schon einige Male von Gonzales gesprochen. Ist er zu einem wichtigen Komplizen für deine Musik geworden?

Feist: Er hat mir beigebracht, ein Superschurke zu sein! (lacht) Wir arbeiten auf einer sehr niedrigen Ebene zusammen und es gibt viel unerwähntes Verständnis füreinander. Ich sehe keinen Grund, mit jemand anderem zu kolaborieren. Denn alles, was ich mit demjenigen versuchen würde, wäre diese Atmosphäre zwischen Gonzales und mir neu zu kreieren. Wir verstehen uns musikalisch, haben den gleichen Humor und ich halte ihn wirklich für ein musikalisches Genie. Da ist soviel Abwechslung in ihm! Er will nicht sein Ego streicheln oder sich selbst irgendwie präsentieren. Die Musik kommt ganz ungezwungen aus ihm heraus. Er ist wie ein Kartenzeichner. Gonzales sieht aus der Vogelperspektive die Kontinente, die Topographie und das kommt mir sehr entgegen. Denn mein Material ist oft sehr rau und ungeschliffen, ich habe oft Geistesblitze und wahre Flutwellen mit vielen einzelnen Elementen, Melodie- und Textteilen. Klar könnte ich aus denen auch selbst einen ganzen Song machen, aber Gonzales hat die ganz natürliche Fähigkeit, genau den Teil meiner Gedanken zu lesen, der mir verborgen bleibt.

Soundmag: In einem Interview nannte Gonzales euer Songwriting „Brill Sessions“ – also nach dem New Yorker Gebäude, in dem in den 60ern viele junge talentierte Songwriter Hits am Fließband schrieben.

Feist: (lacht) Damit schmieren wir uns selbst ganz schön Honig um den Mund. Aber wir haben tatsächlich in die damalige Zeit geschielt und uns vorgestellt, wie es wohl gewesen wäre, Teil dieser Songschmiede zu sein, die ständig Klassiker produzierte. Meist schreiben wir indem Gonzales am Piano sitzt und ich an der Seite stehe. Weil ich früher fast nur Songs zusammen mit meiner Band schrieb, fühlt sich diese Vorgehensweise sehr altmodisch an. Mit Gonzo macht mir das viel Spaß: (imitiert) „Sam, was meinst du dazu?“. Es ist als ob ich als Kind den Besenstil für ein Mikro halten würde – so wie im Musiktheater.

Soundmag: Woher stammt eigentlich der Chor in „Intuition“?

Feist: Es ist von einem Konzert in Toronto, das das kanadische Radio mitgeschnitten hat. Es hörte sich toll an, also nutzen wir die Aufnahme als meinen Chor. Ich mache das auf vielen Konzerten, es hängt von der herrschenden Atmosphäre ab. Aber bei „Intuition“ gelingt mir dieses „Call & Response“ meist spielend. Im Prinzip hätte ich den Chor auch in jeder Stadt aufnehmen können, denn es klingt fast überall toll. Aus Toronto hatte ich halt eine gute Aufnahme, darum fiel die Wahl darauf.

Soundmag: Du kommst aus Kanada, hast einige Monate in Berlin gelegt, wohnst in Paris. Was ist die beste Stadt zum Leben?

Feist: Puh, keine Ahnung. Ich suche selbst noch, ich brauche auf jeden Fall einen Wald. Als ich heute in Berlin ankam und den Frühling beim Herumfahren spürte, fiel mir tatsächlich wieder auf, wie grün diese Stadt ist. Berlin im Sommer ist wirklich wunderschön. Ich verbrachte ja einen Winter hier und damals empfand ich das ganz anders. (lacht) Berlin scheint eine der grünsten Städte überhaupt zu sein, überall Parks und Wälder. Hier würde ich gern etwas mehr Zeit verbringen.

Soundmag: Ist dir Europa oder Kanada näher? Oder gibt es gar keinen so großen Unterschied?

Feist: Europa und Kanada haben wahrscheinlich mehr gemeinsam als Amerika und Kanada. Mag sein, dass die visuellen Ähnlichkeiten zwischen Amerika und Kanada sehr prägnant sind, was aber auch mit den unglaublich mächtigen Medien zusammenhängt, die all die amerikanischen Sendungen zu uns hochspülen. Aber der Kern Kanadas hat sicher im Bewusstsein mehr mit Europa gemeinsam. Ich denke an die nicht ganz so extreme Hektik oder an die Einstellung, das es nicht immer das Größte und Beste sein muss. Oder die Ansichten über wirkliche Lebensqualität. Zu Hause fühle ich mich in Kanada vor allem wegen der Sprache. Wenn ich in Europa lebe, ist das einzig ermüdende daran, dass ich mit fast niemandem wirklich kommunizieren kann. Selbst wenn ich von einer alten Frau Zwiebeln kaufe, kann ich nicht einfach noch kurz mit ihr auf Deutsch oder Französisch sprechen. Diese Blase, die einen umgibt, ist das einzig wirklich anstrengende in Europa.

Soundmag: Du hast in einer Punkband gespielt, zusammen mit Broken Social Scene, den Kings Of Convenience, Gonzales und singst selbst Popmusik. Mit welcher Musik fühlst du dich am wohlsten?

Feist: Ich würde für das neue Album plädieren. Es hallt auf jeder Ebene in mir nach und bis jetzt habe ich noch nie etwas erschaffen, das mir dieses Gefühl vermittelt. Bei Broken Social Scene schreiben wir gemeinsam und stehen zusammen jammend im Studio. Ich bin dort einfach nur ein kleiner Teil, der seinen Beitrag zu einer riesigen Maschine beisteuert. Wenn sie im Studio Musik aufnehmen, über die ich dann meinen Text singe, bin ich Teil eines Etwas, das so unglaublich viel größer ist als die Summe seiner Einzelteile – ein verblüffendes Gefühl! Als ich früher Teil dieser Punkband war und mit Peaches oder Gonzales als zweite Hälfte eines Duos auf Tour ging, verbrachte ich gerade deswegen soviel Zeit mit ihnen, weil es sich wie meine eigene Musik anfühlte – obwohl sie es natürlich nicht war. Mit diesem Album erreiche ich eine neue Ebene, die mir klarmacht, wie stark ich mit jedem einzelnen Ton auf ihm verbunden bin.

Soundmag: Brauchst du diese stilistischen Veränderungen, um als Künstler gefordert zu sein und dich weiterzuentwickeln?

Feist: Nein, das glaube ich nicht. Die meisten dieser Kollaborationen entstanden einfach, weil es Freunde von mir waren und meine Freunde ständig wunderschöne Musik zu machen scheinen. Es ist wie eine glückliche doppelte Chance für mich! Mit Broken Social Scene begannen wir 2000 und die Band hat sich über die Jahre durchaus verändert. Trotzdem will ich mich mit keiner dieser Arbeiten ablenken, oft beschäftigen sie mich nur für sehr kurze Zeit und es wird anschließend viel länger drüber geredet. Mit den Kings Of Convenience etwa verbrachte ich drei Tage in Norwegen und schrieb Songs. In den drei Jahren seit damals habe ich wahrscheinlich x-mal mehr Zeit damit verbracht, darüber zu reden als ich wirklich in dieses Projekt investierte. Gerade das ist ja das Interessante, denn genau darum geht es beim Aufnehmen von Platten. Man erschafft etwas, das länger existieren wird als das Erlebnis selbst. Darum muss man dabei wirklich sehr sorgfältig sein, das richtige Album aufzunehmen!

Soundmag: Letzte Frage: Was hältst du von den Pet Shop Boys?

Feist: Ich weiß überhaupt nichts über die Pet Shop Boys. Nicht ein einziger Song fällt mir gerade ein.

Soundmag: „West End Girls“?

Feist: Oh ja! Sicher, die Pet Shop Boys! (grinst und schweigt) Ich habe keines ihrer Alben. Wenn jemand auf einer Party einen Song von ihnen spielen würde, wäre es sicher ein toller Spaß. Aber bis dahin...

Soundmag: Vielen Dank für das Gespräch.

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