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Digitalism

Digitalism

 

30.04.07 - Virgin-Büro / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Andreas

 

 

 

Man will es nicht glauben, aber manchmal kriegen sie einen doch – die Jungs mit den dicken Beats aus dem Tanztempel. Dann aber bitte mit Songstruktur und Livequalitäten. Kein Problem, hier sind Digitalism. Zwei junge Herren aus Hamburg, deren erstes Album „Idealism“ zum heiß herbeigesehnten Beinanimateur des Jahres gehört. In Frankreich schon seit Monaten angesagt, in England stehen sich Jugendliche fünf Stunden die Beine in den Bauch, um in kleinste Klubs zu kommen, in denen Jens „Jence“ Moelle und Ismail „Isi“ Tuekfekci auflegen. Falls sie nicht gerade in Asien, Südamerika oder im Großraum Europa zu tun haben und wahlweise mit DJ-Sets oder Live-Auftritten inklusive Elektro-Drums Räume gnadenlos zum kochen bringe. Tatsächlich eeindruckend, sei an dieser Stelle versichert! Also: Scheuklappen abgelegt, den Leuchtstab in die Hand genommen und auf die aktuelle Single mit Sommerhitpotential gehört: 3, 2, 1 – „Pogo“!

Soundmag: Der beste Grund, warum heutzutage kein Mensch mehr die akustische Gitarre braucht?

(Erst sekundenlange Stille, dann lachen beide.)

Jence: Die Leute brauchen auch heute noch akustische Gitarren. Wenn man jetzt krampfhaft einen Grund finden sollte, dann... vielleicht... ääähh... Doch, man kann sie ja auch an eine Anlage anschließen. Man kann sie auch mit dem Mikro abnehmen. Jetzt bin ich langsam überfordert.

Isi: Überfordert, das sehe ich genauso. Man braucht sie!

Jence: Es wär wirklich schade, wenn sie wegfallen würde.

Soundmag: Wie sieht euer Studio aus? Ist wirklich alles darin digital?

Isi: Fast.

Jence: Ja, aber auch nicht alles. Wir haben auch Drums rumstehen und eine E-Gitarre. Viele Synthesizer und Module, die wir dort stehen haben, sind natürlich elektronisch aber auch analog weil sie einfach von früher sind. Es ist also nicht alles digital.

Isi: Es ist die gesunde Mische.

Jence: Vor allem herrscht dort so ein Chaos. Wir haben auch eine kleine Küche, die sich auch nicht von allein aufräumt. Da gibt es noch keinen Knopf für (lacht) und wir müssen alles noch per Hand abwaschen.

Soundmag: Klingt nach einer Wohnung oder handelt es sich schon um ein richtiges Arbeitsstudio?

Isi: Also wenn’s kein Studio wär, wär’s ne gute Wohnung.

Jence: Aber eine ohne Fenster, Sauerstoff und Heizung. Es sieht schon ein bisschen nach so was aus, im Moment ist es aber total versifft. (lacht)

Soundmag: Erzählt mal, wie und wo ihr euch getroffen habt und wie Digitalism dann entstand.

Jence: Isi und ich kenn uns seit sieben Jahren, ich hatte damals im Plattenladen gearbeitet, weil ich mit der DJ/Club-Szene in Hamburg mehr in Kontakt kommen wollte. Isi hat dort immer Platten gekauft und so haben wir uns dann irgendwie kennen gelernt. Er hat dann auch ab und zu mal ausgeholfen, wenn ich keine Zeit hatte, weil ich damals noch zur Schule ging. Irgendwann fing Isi dann an, für den Plattenvertrieb zu arbeiten und dann telefonierten wir eh jeden Tag. Jeder von uns hat damals bereits allein aufgelegt, auf einer Party wurden wir dann aber mal zusammen geschmissen. Und dann auch auf der nächsten und der übernächsten. Wir waren dort immer die Kids und haben ab da immer zusammen gearbeitet. Irgendwann hatten wir keine Lust mehr, dasselbe zu spielen wie andere – logisch, das will keiner. Also machten wir zu Hause Edits, um eigenes Material zu haben. Vor fünf Jahren kam uns die bescheuerte, spontane Idee, ein Studio einzurichten. Auf Grund von Geldmangel konnten wir nur einen Bunkerraum anmieten. So fing das mit Studio an.

Isi: Und dann produzierten wir immer weiter, bis wir einen Freund kennen lernten, der bei einem Major arbeitete. Der schickte unsere Sachen rum und aus Frankreich hat sich dann eines Morgens das Label Kitsune gemeldet. In dem Brief stand: „Jungs. Heißes Ding. Ich will’s unbedingt rausbringen!“ Und damit hat alles angefangen.

Soundmag: Ihr hattet also ein französisches Label und auch eure Homepage spricht im Moment noch französisch. Wie bekannt seid ihr in Frankreich?

Jence: Das ist eigentlich mehr oder weniger unsere Label-Homebase seit es uns gibt. In Frankreich sind wir schon ziemlich bekannt. Unsere zweite Single „Zdarlight“ lief dort seit zwei Jahren auch schon in bestimmten Radiostationen. Auf jeden Fall kennen uns dort schon mehr Leute als z.B. in Deutschland – was verwunderlich ist, aber auf der anderen Seite ist es ja meistens einfacher, woanders als zu Hause irgendwie Beachtung zu finden.

Soundmag: Jetzt kommt euer Debütalbum raus. Wie liefen die Aufnahmen?

Isi: Da ist natürlich Material drauf, was zwei oder drei Jahre alt ist. Aber im Endeffekt haben wir im Oktober mit den Arbeiten am Album angefangen und es war im Februar fertig. Die Layouts waren ja schon da und wir haben nur noch entschieden, was wir verwenden wollten. Da wir auch einen langen Prozess mit Soundveränderungen durchgemacht haben, haben wir das alles sehr gut verpackt und haben uns in den Monaten festgelegt, dass wir das Album jetzt endgültig zu Ende machen.

Soundmag: Nun gibt es auf dem Album nicht nur harte Clubtracks, sondern auch poppigere Stücke wie z.B. „Pogo“ oder „Apollo_Gize“. Wie weit geht ihr stilistisch?

Isi: Ich glaube, auf dem Album sieht man sehr gut, wie weit wir gehen und man könnte noch weiter gehen. Das kommt daher, dass Jens und ich verschiedene Musikrichtungen hören. Unser Output ist auch ziemlich groß, weswegen wir uns schon schwer getan haben, nur 15 Tracks aufs Album zu tun.

Jence: Es sind sogar noch mehr! Sobald man das Album hat, kriegt man übers Internet noch Zugang zu sieben weiteren Tracks.

Isi: Ich glaube, vom Sound her kann man eigentlich noch viel weiter gehen.

Jence: Ja, also wir hätten kein Problem damit, noch poppiger zu werden – solang es etwas ist, was wir selber cool finden. Dann ist es egal, ob es komplett undergroundig klingt und sich das niemand anhört oder ob das im Radio läuft. Genau so ist es auch auf dem Album. Da zieht sich insgesamt so eine gewisse Lo-Fi-Soundgeschichte durch: wir produzieren alles selber, spielen alles selber ein, mixen das selber – was nicht immer das beste Mixing ist, aber das ist uns egal. Was auch immer aus uns rauskommt, trägt immer diese Digitalism-Signatur. Insofern kann es auch extremer werden. Das planen wir zwar nicht großartig, aber es wäre uns egal.

Soundmag: Die erste Reaktion, wenn man wie ihr den Auftrag bekommt, einen Depeche Mode- oder Daft Punk-Song zu remixen?

Jence: Große Ehre auf jeden Fall. Besonders bei Depeche Mode war das extrem, weil es sich auch um einen ganz alten Song von ihnen handelte: „Never Let Me Down Again“. Die haben mit ihren Keyboard-Lines schon auch Einfluss auf unsere Musik gehabt. Also: Respekt! Und da haben wir natürlich sofort ja gesagt.

Soundmag: Hat man bei soviel Respekt denn vielleicht Hemmungen, den Song zu sehr auseinander zu nehmen?

Jence: Hatten wir nicht, denn der Remix, den wir gemacht haben, war dann so anders und so „in die Fresse“, dass wir das abgeliefert haben und einfach dachten: Gut, entweder die nehmen das oder wir machen später noch mal was Eigenes draus. Insofern hatten wir da keine Hemmungen und die wohl mit der Annahme des Remixes auch nicht. Gott sei dank, weil es war ja mehr oder weniger eine langsame Ballade und unsere Version ist schon ziemlich hart geworden.

Isi: Wir haben komplett das Gegenteil gemacht aus „Never Let Me Down“...

Soundmag: Was ist die größere Herausforderung – einen eigenen Song zu schreiben oder den Titel eines anderen zu nehmen, ihn komplett zu dekonstruieren, um daraus etwas Neues entstehen zu lassen?

Jence: Wenn wir remixen, haben wir auch den Anspruch, es zu einem eigenen Track zu machen. Wir nehmen nur sehr wenig vom Originalmaterial und bauen drum herum einen neuen Track mit der Digitalism-Signatur. Im Prinzip ist es also eigentlich dasselbe.

Soundmag: Im Moment hat man das Gefühl, dass die Club- und Danceszene ganz gut im Kommen ist. Mit all dem Gerede über New Rave und Indie meets Dance usw. Spürt ihr das auch?

Jence: Es war schon mal ein bisschen weniger, glaube ich. Aber jetzt ist der Wille, dass jeder etwas dazu besteuert, wieder da. Der war vor ein paar Jahren ein bisschen abgesackt, jetzt sind wir wieder in der Aufbauphase. Durch Internetgeschichten wie YouTube, MySpace usw. hat jeder die Möglichkeit etwas beizusteuern: Magazine, Bands, Labels. Es gibt Labels, da sitzt ein Mann zu Hause irgendwo auf dem Berg und bringt nur MP3s raus, hat überhaupt keinen Aufwand. Dadurch entsteht unglaublich viel Output. Natürlich ist auch viel Spam dabei, aber es ist ein globaler Enthusiasmus, der sich jetzt gerade richtig aufbaut. Das ist auf jeden Fall sehr interessant.

Soundmag: Ihr beiden seid ständig unterwegs, spielt jedes Wochenende in anderen angesagten Clubs. Was waren bis jetzt die besten Live-Momente?

Jence: Es ist schwierig, da etwas auszusuchen. Bis jetzt gab es noch keine Enttäuschungen. Besonders intensive Momente hatten wir als wir im letzten Jahr in London in einem Riesenclub gespielt haben. Das Line-Up bestand aus über 40 Indie-Live-Bands und wir als einzige Elektroniker hatten keine Ahnung, was wir da eigentlich sollen. Am Ende war es aber eine unserer intensivsten Nächte. Während wir gespielt haben, mussten wir Leute die Hände schütteln. Die sind komplett ausgerastet! Sowas bleibt hängen und genau diese Momente sind auch der Grund, warum wir wahnsinnig gern dabei sind. Anschließend bauen wir das Erlebte wieder in die Musik mit ein. Für mich ist genau das das Wichtigste am Leben: viel erleben, um so möglichst offen durch die Welt zu gehen.

Isi: Als wir in Belgien das erste Mal aufgelegt hatten und „Zdarlight“ lief – daran erinnern wir uns auch sehr, sehr gerne. Wir haben uns gegenseitig angeguckt, denn die Leute sind komplett ausgeflippt. Wir brauchten echt Security, damit sich die Menschen nicht gegenseitig zerquetschen. Es war wirklich so! Die ganze Masse ist nach vorn gerannt und der ganze Club hat geschrieen, als ob man auf dem Schlachtfeld ist. Das sind Momente, an die man sich gern erinnert und das hat halt nicht abgenommen. Von Land zu Land und Stadt zu Stadt war es immer anders, immer eine Steigerung.

Soundmag: Ist so konstant steigender Erfolg nicht auch beängstigend, weil man immer auf den Absturz wartet?

Isi: Ich glaube, Höhen und Tiefen sind normal, sie haben nichts Beängstigendes. Wir machen das mit, was jetzt gerade passiert – ohne allzu viel darüber nachzudenken. Wenn die Talfahrt kommt, kannst du dich an gute Zeiten erinnern und auf den nächsten Aufschwung hoffen.

Jence: Im Hinterkopf spukt der Gedanken sicherlich herum. Aber es wäre doch bescheuert, wenn man die guten Momente nur deswegen nicht genießt.

Soundmag: Wenn ihr davon sprecht, Erlebtes auch wieder in neue Song einzuarbeiten, seht ihr euch also ganz klar auch als Live-Act, richtig?

Jence: Inzwischen schon. Das war vor ein paar Jahren noch anders, aber inzwischen sehen wir uns als eine Formation, die was rüberzubringen hat – in welcher Form auch immer. Wir sehen uns auf gar keinen Fall als DJs oder so was, auch nicht als Band. Irgendwas dazwischen auf jeden Fall, irgendeine Art von Formation.

Soundmag: Danke für das Gespräch und viel Erfolg für das Album!

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Offizielle Website

www.thedigitalism.com

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