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Coldplay

Coldplay

 

05.04.03 - Southside Festival / Neuhausen Ob Eck

Interview:  Stephan St.

Foto: Pressefoto

 

 

 

"Unsere Lieder berühren unsere Fans innerlich"

Bassist Guy gewährt einen Einblick in die Welt von "Coldplay"/Gig beim Southside-Festival

“Das war die beste Tournee, die wir jemals in Deutschland gegeben haben”. Coldplay-Sänger Chris Martin badete im Jubel der 6000 Fans. Er und seine Mitstreiter Guy Berryman (Bass), Johnny Buckland (Gitarre) und Will Champion (Schlagzeug) buhlten leidenschaftlich, so wie ein Romeo, der um die Gunst seiner Julia poussiert, um die Sympathie des Publikums in der ausverkauften Böblinger Sporthalle. Das Quartett der Melancholie, das derzeit zu den erfolgreichsten Rockbands weltweit zählt, tat es mit einem exquisiten Konzert, das popmusikalische Größe offenbarte. „Jetzt singen mit Coldplay“, ermunterte Chris, der mit Hollywood Schauspielerin Gwyneth Paltrow befreundet ist, in gebrochenem Deutsch die Fans und aus tausenden Kehlen klang die mutmachende Zeile „Everything’s Not Lost – Nichts ist verloren“, die in weltpolitisch schwierigen Zeiten eine ganz besondere Bedeutung erhielt. „Yellow“, die himmlische Ode an die Liebe, schenkte dem Publikum das Gefühl gemeinschaftlicher Herzenswärme. Berauschend schön: Bei „Clocks“ wurde die Halle in grünes Laser-Licht getaucht, in dem der Trockeneisnebel wie Wolken am Himmel vorbeizog. Vor dem famosen Gastspiel der britischen Melancholiker plauderte Stephan Stöckel in einer noblen Suite des Intercontinental-Hotels mit Bassist Guy. Wer die Band ein weiteres Mal live erleben möchte, hat dazu beim „Southside-Festival“ Gelegenheit, das vom 20. bis 22. Juni in Neuhausen ob Eck am Bodensee stattfindet.

Soundmag: Bist Du traurig, dass Chris im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht?

Guy: Nein. Ganz im Gegenteil: Ich bin sehr glücklich darüber. Ich würde mich belästigt fühlen, wenn ich ständig von Paparazzis verfolgt werden würde. Wir können von Glück sagen, dass wir derzeit eine der besten und erfolgreichsten Bands auf der Welt sind, ohne dass Dutzende von Journalisten uns Schritt für Schritt verfolgen.

Soundmag: Viele Leute kennen und lieben Eure Musik, aber erkennen nicht mal den Sänger, wenn er in einem Schuhladen einkauft...

Guy: Wir streben nicht nach Ruhm und Reichtum, sondern machen das Ganze aus Freude an der Musik. Wir schreiben Lieder, die die Leute innerlich berühren, so wie es einst auch die Beatles taten. Das Aussehen spielt dabei keine Rolle. Auch vielen Fans ist die Musik wichtiger als unsere Gesichter. Wir besuchen keine Jet-Set-Parties, sondern versuchen unser Privatleben unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen. Daher kommt es, dass die Leute auf der Straße zwar unsere Lieder wie die Spatzen von den Dächern pfeifen, aber uns gleichzeitig nicht erkennen.

Soundmag: Was für musikalische Ideen kann ein Bassist in den Musikstil einer Band mit einbringen?

Guy: Viele. So wie auch ein Gitarrist und Schlagzeuger seinen Teil zum Gelingen eines Albums beiträgt. Wenn ich zum Beispiel einen bestimmten Rhythmus spiele, kann dass die Richtung eines ganzen Songs verändern. Jeder bringt seine kleinen Ideen mit ein, die dann zu einem harmonischen Ganzen miteinander verschmelzen. Dieser Prozess des Verschmelzens ist das Interessante an einem Aufnahmeprozess.

Soundmag: Kannst Du das an einem bestimmten Lied erläutern?

Guy: Bei dem Song „God Put A Smile On Your Face“ erinnern mich die Schlagzeugrhythmen an Motown-Soul, während Johnnys Gitarre wie Surf-Musik aus den sechziger Jahren klingt. Hier werden Gegensätze miteinander kombiniert, was die Sache für mich so spannend macht. Und wenn es einen unbewusst an etwas anderes erinnert, dann mag man es noch mehr.

Soundmag: Kam der kometenhafte Erfolg, den ihr mit euren beiden Alben erzielt habt überraschend oder habt Ihr damit gerechnet?

Guy: Nicht wirklich, da wir von Anfang an überzeugt waren, ein großartiges Album einzuspielen. Wir verbrachten acht Monate damit, die Texte und Songs für unser aktuelles Werk „A Rush Of Blood To The Head“ zu schreiben, zu komponieren und dann im Studio einzuspielen. Der Erfolg war der Mühe Lohn für die lange Entstehungszeit. Dabei stellten wir fest, dass einige Songs unseren kreativen Ansprüchen nicht genügten. Wir motivieren uns gegenseitig immer mehr, bessere Lieder zu schreiben, die dann auf der CD veröffentlicht wurden. Selbstverständlich plagten einen immer wieder Zweifel, ob alles auch gut geht. Im Großen und Ganzen gingen alle sehr selbstbewusst und zuversichtlich an die Arbeit heran.

Soundmag: Der „New Musical Express“ (NME), eine bekannte englische Musikzeitschrift, prophezeite Euch, dass Ihr mit eurem aktuellen Album “A Rush Of Blood To The Head“ die Welt erobern werdet. Die Prophezeiung ist inzwischen eingetreten. Der Begriff „Welteroberung“ erinnert mich an Phrasen, die normalerweise in der Politik verwendet werden...

Guy: Ich glaube der NME hat es nicht so gemeint, wie du es siehst. Meiner Ansicht nach gibt es aber dennoch Parallelen zwischen Regierungen und Bands. Politiker versuchen bei den Wahlen Stimmen zu gewinnen, die Wähler von ihrer Arbeit und ihren Programm zu überzeugen. Wir als Popgruppe hingegen versuchen Fans für unsere Alben und Konzerte zu begeistern.

Soundmag: Wie fühlt man sich, in der ersten Liga der internationalen Rockmusik mitzuspielen?

Guy: Wenn man Mitglied einer Rockgruppe ist, dann will man nicht in der zweiten oder dritten Liga mitspielen, sondern in der ersten Liga. Wir versuchen immer unser Bestes zu geben.

Soundmag: “If you ever feel neglected. And if you think all is lost. I’ll be counting up my demons, yeah, Hoping everything’s not lost”. Weshalb fühlen sich so viele Leute auf der ganzen Welt von Strophen wie diesen innerlich berührt?

Guy: Man sollte Texte nicht isoliert betrachten, also aus dem Zusammenhang eines Songs gerissen sehen. Ich denke Poesie und Musik bilden immer eine Einheit. Die hymnische Stimmung, die von dem Lied „Everything’s not lost“ ausgeht, intensiviert die mutmachende, aufbauende Wirkung, die in dem Text steckt. Beides zusammen berührt die Leute innerlich, reißt sie bei einem Konzert regelrecht mit.

Soundmag: Weshalb sehnen sich Leute in politisch schwierigen Zeiten wie diesen nach melancholischer Musik, wie sie zurzeit von Euch und anderen Gruppen wie „Radiohead“ oder „Travis“ gespielt wird?

Guy: Musik ist eine Kunstform. Kunst reflektiert immer gesellschaftliche Zustände.

Soundmag: Ihr habt für die englische Kinderkrebshilfe gespielt und unterstützt die Idee eines fairen Welthandels. Worin liegt der Grund für Euer soziales und politisches Engagement begründet?

Guy: Angesichts unseres Ruhmes haben wir eine Verantwortung gegenüber den Leuten, die unseren Worten lauschen. Es wäre töricht und egoistisch nichts zu tun. Wir müssen nicht viel tun, um eine große Wirkung zu erzielen: Wir ziehen T-Shirts an, die das Logo der Organisation „Oxfam“ tragen, die sich für einen fairen Welthandel einsetzt. Damit machen wir Millionen Menschen in aller Welt mit den Zielen dieser Organisation vertraut. Besser als es „Oxfam“ selbst je tun könnte.

Soundmag: Bei dem Benefizkonzert zugunsten der Krebshilfe soll Martin, die Menge ermuntert haben, gegen den Krieg im Irak zu singen...

[b]Guy:
Das stimmt nicht. Das war eine Zeitungsente.

Soundmag: Vielen Künstlern wird zurzeit vorgeworfen, sie würden ihr politisches Engagement gegen den Krieg im Irak zu Promotionzwecken missbrauchen. Ist es nicht eine schmale Gratwanderung für einen Künstler seine Popularität für Friedensbotschaften zu missbrauchen?

Guy: Wenn ich an etwas glaube, dann sollte es auch erlaubt sein, dies zu sagen, und man sollte nicht dafür kritisiert werden. Dabei muss man jedoch aufpassen was, wie und in welchem Zusammenhang man etwas sagt.

Soundmag: Kann eine Popgruppe wie “Coldplay” mit ihren Texten bei den Zuhörern etwas bewirken?

Guy: Wenn eine Million Leute einem Lied zuhört, kann es natürlich vorkommen, dass ein Mensch seine Haltung verändert. Aber man kann das Ganze nicht messen, denn es hängt immer davon ab, wie man Musik wahrnimmt: Benutzt man sie nur als Hintergrundgeräusch, oder lauscht man dem Text eindringlich?

Soundmag: Wegen Eures sozialen und politischen Engagements werdet Ihr oft mit U2 verglichen. Was hälst Du von diesem Vergleich?

Guy: Auch U2 spielen gerne auf Wohltätigkeitsveranstaltungen. Wenn man eine neue Band ist, dann ziehen die Journalisten gerne Vergleiche heran. Wir wurden zum Beispiel mit „Radiohead“ oder „Travis“ verglichen. Als wir begannen uns sozial zu engagieren, wurde dann sofort der Vergleich mit U2 bemüht. Das ist fauler Journalismus.

Soundmag: Seit ihr auch so strenggläubige Christen wie die Jungs von „U2” ?

Guy: Wir glauben an die gleichen Werte, wie sie vom Christentum vertreten werden, gehen aber nicht jeden Sonntag in die Kirche.

Soundmag: In Deutschland ist es eher ungewöhnlich, dass eine zeitgenössische englische Gitarrenrockband von Null auf Platz Eins in den Charts springt. Auch kommt es nicht jeden Tag vor, dass eine solche Formation als Headliner bei einem großen Festival wie dem Southside-Festival auftritt. Wie fühlt man sich wenn man auch in Deutschland so erfolgreich ist?

Guy: Für uns ist die Welt ein einziger riesiger großer Platz. Wir sind nicht glücklicher, weil wir in einem Land erfolgreicher sind als in einem anderen. Es freut uns, wenn die Leute unsere Songs mögen, egal wo wir gerade auftreten. Was ich festgestellt habe: Die deutschen Fans klatschen sehr gerne im Takt der Lieder mit.

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www.coldplay.com

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