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The Enemy

The Enemy

 

10.07.07 - Berlin / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Andreas

 

 

 

Geht’s eigentlich noch jünger? Die drei Jungs, die in einem Berliner Hotelzimmer auf den Interviewmarathon des heutigen Tages warten, machen optisch den Eindruck von 16jährigen. Tatsächlich haben sie dann doch ein paar mehr Jahre auf dem Buckel, trinken allerdings ganz jugendlich ungestüm ausschließlich Cola und essen bevorzugt in den Fast Food-Tempeln dieser Welt – so berichtet zumindest die Dame von der Plattenfirma. Im Zimmer angekommen, fröstelt es einen erstmal gehörig, denn Liam, Tom und Andy haben die Klimaanlage auf niedrigster Stufe laufen. Sänger Tom hängt außerdem von einem Handtuch bedeckt über einer dampfenden Wasserschüssel, um seinen Heuschnupfen unter Kontrolle zu bringen. Morgen spielen The Enemy ein Konzert in Hamburg, heute steht nur Promotion an. Promotion für das in England just in dieser Woche direkt auf Nummer 1 gesprungene Debütalbum „We’ll Live And Die In These Towns“. Nicht schlecht für eine Band aus Coventry, einer kleinen Stadt in den britischen Midlands.

Soundmag: Nummer 1 in den englischen Charts! Wie konnte das denn bitte passieren?

Liam Watts (Drummer): Gerechnet haben wir damit sicher nicht. Wir hatte nicht mal eine Ahnung, in welchem Bereich das Album überhaupt einsteigen würde.

Tom Clarke (Sänger, Gitarrist): (kommt dazu) Ich denke, es hängt damit zusammen, dass viele Leute das Album gekauft haben. (Alle lachen) Es war eine riesige Überraschung, ein brillanter Tag. Als der Anruf kam, der uns mitteilte, dass wir auf Platz 1 sind, saßen wir alle in einem Van auf dem verregneten Weg nach Schottland. Zweifellos ein schöner Moment.

Soundmag: Euer erster Gedanke, als ihr es erfahren habt?

Tom: Ich glaube, das darf ich vor dem Mikro nicht sagen. (Alle lachen) Er beinhaltete einige obszöne Worte und ein ekstatisches Gefühl, weil wir es geschafft hatten. Für eine Band wie uns ist es im Moment wirklich schwer, überhaupt in die sehr poplastigen Charts zu kommen. Da findest du nur Müll und leider kaufen die Leute diesen Mist auch noch! Für echte Bands gestaltet es sich darum umso schwerer, überhaupt einen Platz zu ergattern und somit war es für uns schon ein geiler Erfolg!

Soundmag: Dem deutschen Publikum seid ihr natürlich noch weitgehend unbekannt. Könnt ihr uns einen kurzen Abriss eurer Geschichte geben?

Tom: Wir alle sind beste Freunde, vor ca. 18 Monaten waren wir von unseren miesen Jobs extrem gelangweilt und fanden, dass das Leben so nicht weitergehen konnte. Also wagten wir etwas und begannen, Songs zu schreiben. Nachdem wir ein paar zusammen hatten, nahmen wir sie auf und verschickten das Ergebnis an ein paar Leute. Tatsächlich meldeten sie sich und wollten unsere Musik veröffentlichen. Also schmissen wir unsere Jobs hin, veröffentlichten unsere erste Single auf Stiff Records und dann ging es richtig los. Über die letzten 18 Monate sind wir wie blöde getourt und jetzt haben wir es offensichtlich bis auf die Nummer 1 geschafft.

Soundmag: In Artikeln über euch und natürlich auch auf dem Album spielt euer Heimatort eine wichtige Rolle. Wie kann man sich Coventry vorstellen?

Tom: Uns fällt es wirklich schwer, das zu beschreiben, denn für uns ist es schlicht und einfach das Zuhause, die Heimat. Aber wahrscheinlich steht er momentan stellvertretend für fast jede Stadt in England. Coventry ist nichts besonders – es sei denn, du lebst dort. (denkt nach) Es ist wirklich schwer, einen Ort zu beschreiben, an den du immer wieder zurückkehrst, wenn du nichts anderes zu tun hast.

Liam: Man gewöhnt sich an Dinge, die schon immer da waren. Nimmt sie als gegeben hin, obwohl sie vielleicht etwas Besonderes sind und anderen Menschen Freude bereiten.

Soundmag: Wenn ich mir eure Biografie durchlese, scheint ihr aber eine sehr zwiespältige Haltung gegenüber eurer Heimatstadt zu haben.

Tom: Total! Der Albumtitel „We Live And Die In These Towns“ ist gleichermaßen ein stolzes Statement wie er auch einen negativen Beigeschmack hat. Beim ersten Lesen klingt er vielleicht sehr negativ, aber in dem Satz schwingt eine Menge Stolz mit. Für mich ist er in beiden Richtungen verständlich.

Soundmag: Dann war die Stadt sicher sehr wichtig für eure Musik. Wie viel von ihr findet sich in den Songs wieder?

Tom: Als wir unsere ersten Songs schrieben, überlegten wir, von was sie handeln sollten. Am logischsten war es darüber zu singen, was wir täglich sahen und das waren nun mal unsere Umwelt und damit Coventry. Wenn wir also nicht dort gelebt hätten, wären es andere Songs - nicht schlechter oder besser, aber anders. Ich denke, jeder Songwriter wird von seiner Umwelt beeinflusst, dagegen kann man nichts machen, es passiert einfach.

Soundmag: Einer von euch hat mal gesagt, dass ihr euch entscheiden musstet – entweder ihr wärt weiterhin jeden Abend in den Pub gegangen und hättet euch dort die Zeit vertrieben oder ihr würdet eine Band gründen. So scheint es ja vielen Jugendlichen in England zu gehen, zumindest hört man ständig von neuen, guten Indierockbands von dort.

Tom: Ja, aber so einfach gestaltet sich die Entscheidung natürlich nicht. Als wir den Entschluss fassten, eine Band zu gründen, prüften wir erstmal, ob das praktisch auch umsetzbar ist. Das geht mit dem Übungsraum los - der kostet dich acht Pfund pro Stunde, obwohl wir vielleicht vier Pfund in der Stunde verdienten. Die Entscheidung, das Doppelte von deinem Verdienst für eine relativ unsichere Sache auszugeben, wird so zu einem ähnlich großen Ding wie das Wagnis, Songs zu schreiben. Du musst an dich glauben und wissen, dass es die Anstrengung wert sein wird und sich am Ende auszahlt. Keine Ahnung, warum es im Moment so viele Bands in England gibt – ganz egal welches Genre du dir anschaust. Aber da draußen toben unendlich viele schlechte Gruppen herum, die sich enge Jeans anziehen, schlechte Musik spielen und glauben, dass sie damit unbemerkt davonkommen. Das beschämt mich viel mehr als alles andere. Gott sei Dank gibt es aber auch gute Bands – zumindest einige. Ich hoffe, die schaffen den Durchbruch, aber England ist momentan voller unfähiger Bands!

Soundmag: Die Guten wären...?

Tom: Dazu zählen auf jeden Fall Kasabian. Muse, eine der momentan besten Live-Bands - sie sind die modernen Pink Floyd! Dann gibt es eine neue Band, die mehr sehr gefällt: Low Life. Sie haben gerade ihre ersten fünf Konzerte hinter sich, kommen aus Manchester, klingen wie Primal Scream und Joy Division. Auch The Harrissons, die uns auf unserer Tour begleitet haben, sind verdammt gut. Es gibt eine Hand voll viel versprechender Bands, aber sie werden bei weitem übertrumpft von Bands, die sich nicht um gute Songs scheren und denen es egal ist, ob sie ihre Instrumente beherrschen. Für uns aber ist genau das eine Frage des Stolzes. Liam ist ein verdammt guter Drummer und es gibt nicht viele Menschen, die behaupten können, einen so grandiosen Drummer wie Liam zu haben. Er ist fantastisch, bekommt aber leider kaum die Anerkennung, die ihm zusteht, weil viele unserer Songs einfach mit einem geraden Beat arbeiten. Wir sind stolz darauf, dass wir unsere Instrumente beherrschen und ich habe nicht das Gefühl, dass das heutzutage auf viele Bands zutrifft.

Soundmag: In einem Zitat von euch heißt es, dass ihr die Menschen aufwecken wollt. Von was?

Tom: Na ja, wir leben in einer OK-Nation, wo fast alles ein bisschen nach Müll stinkt, obwohl wir soviel in unser Leben investieren. Schau dir die Menschen in England an. Sie bekommen einen Mindestlohn und arbeiten in furchtbaren Jobs, nach denen sie sich nie gesehnt haben. Wenn du einen 15jährigen Schüler fragst, was er mal tun möchte, antwortet er entweder Musiker oder Fußballer oder Formel 1-Fahrer. Jeder in diesem Alter hat die Ambition, etwas zu erreichen, das in seinen Augen cool ist. Wenn du den gleichen Jungen ein Jahr später fragst wenn er kurz davor ist, die Schule zu verlassen und mit seinem Berufsberater gesprochen hat, dann hat der alle seine Träume in den Mülleimer gestopft. Warum? Weil dieser Mensch ein Berufsberater geworden ist und selber denkt, den besten Job der Welt zu haben. Ich habe ein paar solcher Gespräche hinter mir und du wirst darin systematisch nach unten gedrückt. Bei mir endete es mit dem Verkauf von Fernsehern. Bevor ich das tat, hatte ich ca. 40 andere Jobs hinter mir, in denen ich Dinge tat, die nichts mit meinen Begabungen zu tun hatten. Wenn du an diesem Punkt den gleichen Jungen noch mal diese Frage stellst, wird er sagen: egal was, ich muss nur Geld verdienen. Hättest du mich damals gefragt, hätte ich dir geantwortet, dass ich großartige Musik schreiben möchte und vielleicht einen Nummer 1-Hit haben will. Ein Jahr später wollte ich nur einen Job haben, denn ich brauchte Geld und konnte nicht von nichts leben. Als ich dann TV-Verkäufer wurde, war ich irgendwie glücklich. Wir kamen jedoch im letzten Jahr an den Punkt, an dem wir feststellten, dass es das nicht sein kann. Ich wollte nicht für den Rest meines Lebens Fernseher verkaufen. Du merkst, dass du deine Träume zurücklässt und spätestens dann musst du die Initiative ergreifen. Du musst dir sagen: ich will diesen Traum erreichen – egal was es kostet, denn das ist es, was ich immer tun wollte.

Soundmag: Ihr habt auch mal gesagt, dass ihr nicht akzeptiert, dass das Leben nur aus Arbeit, Arbeit und Arbeit besteht. Was, wenn sich jeder diese Frage stellt?

Tom: Dann wird diese Welt leider zusammenbrechen. (lacht) Wir werden jede Menge toller Bands haben, aber niemand wird das Essen liefern. Aber das wäre ja wirklich nur so, wenn jeder in einer Band spielen wollte und so ist es ja nicht. Jeder hat andere Ambitionen. Solange du etwas verfolgst, was dich glücklich macht - toll. Ein Freund von mir, ein echtes Genie, bekam nur Einsen in der Schule, ein echt cleverer Typ. Und wenn du ihn fragst, was er gern tun würde, möchte er in einer Bibliothek arbeiten. Es ist zu viel mehr fähig, aber ich kann ihn deswegen ja nicht anklagen. Wenn das sein Wunsch ist, soll er es tun. Genau das ist der Punkt: tu das, was du willst – nicht das, was am Ende übrig bleibt.

Soundmag: Lasst uns mal zum Album kommen. „We’ll Live And Die In These Towns“. Das klingt für mich etwas deprimiert. Wie würdet ihr die Stimmung auf dem Album beschreiben?

Tom: Die variiert sehr stark. „Aggro“ beispielsweise steht für den Punk, für das Rausgehen und Rumschreien, um die Menschen aufzuwecken. Dann gibt es einen Song wie „Happy Birthday, Jane“, der sehr zu Herzen geht, mir aber genauso wichtig ist wie jedes anderes Stück auf dem Album. „This Song“ klingt eher nach Retrospektive. Die Single „Away From Here“ ist dabei, „Had Enough“ – ein eher wütendes Stück. Und dann natürlich der Titeltrack. Um ehrlich zu sein, nahmen wir im Studio einfach Sounds auf, die toll klangen. Egal, ob sie von einer Gitarren stammten oder vom Trommeln auf Papier. Was immer auch gut klang, nahmen wir auf und ich bin wirklich überrascht, was aus dem Titeltrack am Ende geworden ist. Keine Ahnung, wie ich all das beschreiben soll. Es ist eine Kollektion großartiger Klänge und von Liedern, die ich mag.

Soundmag: Sehr ihr euch selber als Punk-Band?

Tom: Kein Stück. Ich verstehe sowieso nicht, warum sich Band selbst solche Labels aufdrücken. Warum sollte man sich selber als Indie- oder Punk-Band bezeichnen? Damit signalisierst du nur, dass du diese und jene Musik machst. Das möchte ich nicht, mein Ziel ist Musik, die überrascht – egal in welchem Stil. Es ist immens wichtig, verschiedenartig und vielfältig zu sein.

Soundmag: Auf eurer Homepage findet man Links zu Adidas und Fjäll Raven, ihr dankt ihnen auch im Booklet eurer CD. Sind das eure Sponsoren oder mögt ihr die Klamotten einfach?

Tom: Keine Sponsoren. I just love my Adidas! Ich sammle das Zeug. Sobald wir etwas Freizeit haben, ziehe ich los und suche seltene Klamotten, die wir in England nicht bekommen. Ich habe so ungefähr 32 Paar Turnschuhe, die ich sehr mag! Ich habe einen speziellen Tourkoffer, in dem sich nur Adidas-Turnschuhe befinden. Als die Firma merkte, wie sehr ich ihren Kram mag, schickten sie mir ein Paar streng limitierter Schuhe. Bei Fjäll Raven ist es genauso. Bei einem Gig in Österreich statteten sie uns mit hervorragenden Jacken aus. Danke also, an beide.

Soundmag: Wenn es um Unterstützung geht, was denken The Enemy eigentlich über den NME?

Tom: Na ja, sie unterstützen uns im Moment. Offensichtlich haben sie auf das richtige Pferd gesetzt. Aber wie bei allen Medien musst du auch dem NME mit Vorsicht gegenüber treten. Hab immer im Hinterkopf, dass diese Menschen dich heute zwar mögen, schon morgen aber hassen können. Geh niemals mit ihnen ins Bett – das ist der beste Rat, den dir jemand geben kann. Don’t shag them! (Alle lachen) Wenn du mit ihnen schläfst, wird es mies und dreckig. Akzeptiere keine Küsse auf den Hintern, kein Rumgeschleime, denn wenn du es einmal getan hast, wird es immer wieder passieren. Das nervt irgendwann und jeder hat braunes Zeug um den Mund herum. Keiner ist dann glücklich! (grinst)

Soundmag: Ich habe euren Namen mal im Internet gesucht. Erwartet ihr eigentlich Klagen von den anderen Enemys, die es in Amerika und Australien gibt?

Tom: Ich bezweifle es, aber sie sollen es ruhig versuchen. Wir hatten schon Kontakt mit einigen anderen The Enemys. Dann spricht man über die Musik des anderen, mehr nicht. Heutzutage wirst du keinen Bandnamen mehr finden, den es nicht schon irgendwann irgendwo mal gab. In den 60ern als der Rock’n’Roll noch in den Startlöchern stand, war das kein Problem. Aber heute? Vergiss es.

Soundmag: Ihr wart schon mit einigen Bands auf Tour. Was waren die besten Support-Slots bis jetzt?

Tom: Sie waren alle unterschiedlich. Mit den Manic Street Preachers war es einfach fantastisch, weil sie und auch ihre Crew unglaublich nette Menschen sind. Die erste Band, mit der wir unterwegs waren, hieß The Paddingtons. Sie kommen aus der gleichen Gegend und so fanden wir immer wieder heraus, dass wir viele Dinge gemeinsam haben. Aber auch auf unseren eigenen Touren hatten wir immer viel Spaß mit den Vorbands. Figure Five zum Beispiel sind eine grandiose Band, The Harrisons, von denen ich vorhin sprach, ebenso. Auf Tour lebst du mit diesen Menschen zusammen – selbst wenn man nicht im selben Bus schläft. Wenn du dich dann mit ihnen verstehst und gemeinsam lachen kannst, ist das ein enormer Vorteil.

Soundmag: Vielen Dank für das Interview.

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