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Aqualung

Aqualung

 

13.06.07 - RedInk-Büro / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Andreas

 

 

 

Nach Hause telefonieren – Aqualung-Mastermind Matt Hales versucht den Kontakt zu seiner Familie zu halten. Verständlich, nachdem er die ersten Monate im Leben seines Sohns auf Tour in Amerika verbrachte, um den dortigen, vom Einsatz seiner Songs in Auto-Werbespots (Volkswagen, Chrysler) und TV-Serien beflügelten Erfolg seiner Band ausnutzen wollte. Und jetzt, da das neue Album „Memory Man“ eingespielt ist und schon vor Monaten in Amerika veröffentlicht wurde, muss er auf Promotour durch den Rest der Welt. Heute Berlin, morgen London und demnächst ab nach Japan. Es ist viel geschehen im Leben von Matt Hales, seit er vor fünf Jahren sein selbstbetiteltes, noch schlicht vom Piano getragenes Debüt veröffentlichte.

Soundmag: Matt, im Video zu „Pressure Suit“ wird dir ganz schön zugesetzt. Vor allem in der zweiten Strophe siehst du aus, als ob du dir überlegen würdest, warum alle anderen diese tollen, gut aussehenden Videos bekommen und du dich in deinem von Wasser und Wind belästigen lassen musst.

Matt: Ganz allgemein muss ich sagen, dass ich Videos, in denen ich verletzt werde, durchaus mag. Keine Ahnung warum. Vielleicht einfach weil ich schon als Kind Stuntman werden wollte. Da ich jetzt die Chance dazu bekomme, nutze ich sie natürlich. Aber ganz ehrlich: der Videodreh war eine lächerliche Erfahrung, denn ich musste mehrere Takes von jeder Szene drehen. Wenn ich also gerade vom Wasser durchnässt worden war, föhnte man mich trocken und dann musste ich wieder zurück in den Regen, den Wind und zu dem Piano, das Stück für Stück auseinander fiel. Ein ziemlich dramatischer Tag, der irgendwie doch Spaß gemacht hat.

Soundmag: Wenn ich mir die Credits deines neuen Albums „Memory Man“ anschaue, scheinst du jede Menge Instrumente zu beherrschen. Ist noch eines übrig, das du gern spielen können würdest?

Matt: Na ja, es ist so: obwohl ich auf dem Album viele Instrumente spiele, beherrsche ich die meisten von ihnen nur sehr schlecht. Wenn du dich dazu entscheidest, auf diese Art und Weise zu spielen, kannst du so ziemlich jedes Instrument nutzen. Trotzdem sind noch einige von ihnen übrig. Ich habe zum Beispiel noch nie schlecht Cello oder Violine gespielt. Vielleicht versuche ich die mal. Du kommst bei vielen Instrumenten tatsächlich über die Runden, wenn du schlecht spielst. Sie klingen dann trotzdem gut. Auf das Cello trifft das aber eher nicht zu. Darum lasse ich es besser.

Soundmag: Ich habe das Album jetzt seit zwei Monaten, aber erst heute bei der Vorbereitung des Interviews habe ich herausgefunden, dass der Titel auch für ein Instrument steht, richtig?

Matt: Es ist ein Echo-Gerät, ein etwas nostalgisches Ding, das wir bei den Aufnahmen sehr oft benutzt haben. Natürlich bekommst du damit die ganz normalen Echoeffekte hin, du kannst es allerdings auch ins Extreme treiben, das Gerät quasi überladen und erhältst dann sehr seltsame Geräusche, die mit dem, was du hineingegeben hast, nichts mehr zu tun haben. Das klingt am Ende als kämen sie direkt aus dem Weltall. Genau darum nutzten wir es sehr gern. Auch in den Live-Shows hat jeder Musiker eines dieser Geräte, manchmal erzeugen wir unsere Musik nur mit den Memory Men – sehr cool.

Soundmag: Erklärt sich der Albumtitel nur so oder ist er vielschichtiger?

Matt: Das Album heißt sicher nicht nur so, weil wir diesen Effekt so oft nutzten. Am Ende wollte ich einen Titel, der klang wie ein alter Science Fiction-Film aus den 60ern. Denn das Artwork, das wir für das Album geplant hatten, und die Fotos schienen so einen Titel geradezu zu provozieren. Die Platte wäre dann quasi der Soundtrack zum Film. „Memory Man“ kam mir irgendwann in den Sinn und es schien die Anforderungen zu erfüllen. Es klingt wie der Titel eines Films aus dieser Zeit.

Soundmag: In einem der Songs gibt es die Textzeile “This is a story about the three of us”. Ursprünglich meintest du damit dich, deine Frau und euren Sohn. Könnte es aber nicht auch für dich, deine Frau und deinen Bruder Ben stehen? Also die drei Personen, die wesentlich an den Arbeiten zum Album beteiligt waren?

Matt: Es handelt definitiv von mir, meinem Sohn und meiner Frau. Aber sicher hast du Recht: ich, mein Bruder Ben und meine Frau Kim sind ein sehr wichtiges Trio für die Welt von Aqualung. Ohne sie wäre zweifellos alles anders. Sie gehören wie die anderen Teile eines Puzzles dazu. Klar, die Leute denken an mich, wenn sie von Aqualung hören, denn ich bin das Gesicht und die Stimme dieses Projekts. Und wahrscheinlich ist es viel eher mein Projekt als jedes anderen. Aber Kim und Ben sind an fast jedem Aspekt von Aqualung beteiligt. Sie sind in gewisser Weise mein Team, die Leute, mit denen es erst funktioniert.

Soundmag: Ist Aqualung denn primär dein Projekt oder schon eine wie auch immer geartete Familienband?

Matt: Es ist schon irgendwie eine Familie – jedenfalls ist das das Wort, was mir als erstes dafür einfällt. Und mein Bruder und meine Frau gehören ja auch tatsächlich zu meiner Familie. Aber auch andere Menschen sind an Aqualung beteiligt, sehr gute Freunde von mir. Auch darum fühlt es sich wie ein Familienunternehmen an. Ich weiß es also nicht wirklich. Der Welt wird es als Soloprojekt präsentiert und wahrscheinlich erweisen sich die meisten Dinge, die so bezeichnet werden, am Ende als keine Soloprojekte mit einer einzigen, isolierten Person. So hat Aqualung vielleicht einiges gemeinsam mit Bright Eyes, Cornelius oder The Divine Comedy. Auch das sind irgendwie Soloprojekte, gleichzeitig aber auch Bandgebilde.

Soundmag: Könntest du dir denn vorstellen, Aqualung mit zwei anderen Menschen zu machen? Du hast nämlich auch gesagt, dass dir eine gewisse Intimität bei der Arbeit wichtig ist.

Matt: Es gibt eine ganze spezifische Charakteristik, die entsteht, wenn ich mit Menschen zusammen arbeite, die mir so nah stehen. Und ja, das ist mir sehr wichtig. Es herrscht eine Art von emotionaler Direktheit zwischen uns, die bei Menschen, die ich nicht so gut kenne, sicher nicht zustande käme. Technisch wäre es also kein Problem, das nächste Album mit anderem Personal aufzunehmen und vielleicht wäre es tatsächlich interessant, es mal zu probieren. Das Ergebnis und die Arbeit daran wären allerdings etwas völlig anderes.

Soundmag: Es hat ein paar Jahre gedauert, bis das neue Album fertig war. Vor allem natürlich, weil die Best-Of Compilation „Strange & Beautiful“ in Amerika ernorm erfolgreich war und ihr dort viel auf Tour wart. War das eine schwierig Situation für dich? Denn ungefähr zu dieser Zeit wurde auch dein Sohn geboren.

Matt: Oh ja, die letzten drei Jahre waren ziemlich verrückt. Mein Sohn wurde geboren, was natürlich eine unglaubliche, lebensverändernde Erfahrung war. Und ein paar Monate später hatten wir plötzlich einen Hit in Amerika - eine großartige Möglichkeit, die genutzt werden wollte. Daraus ergab sich ein Konflikt zwischen dem Wunsch, bei ihm zu Hause zu sein und dem Nutzen der Chance. Ich erlebte eine sehr intensive Zeit, in der wir durch Amerika tourten, um so die Zukunft dieses Projekts zu sichern und gleichzeitig versuchte ich, ein guter Vater zu sein. Es war eine wirklich Herausforderung und der Weg dorthin war alles andere als einfach. Aber wir haben es hinbekommen.

Soundmag: Das Album heißt „Memory Man“. Was ist die schönste Erinnerung, die dich bis jetzt mit deinem Sohn verbindet?

Matt: (lacht) Es sind so viele, dass ich mich an keine besondere erinnern kann. Was mir jetzt gerade durch den Kopf geht, ist die erste Begegnung mit ihm am Tag, an dem er geboren wurde. Ich hörte seine Stimme, sein Schreien, bevor ich ihn überhaupt sah. Dieser atemberaubende Moment, als ich ihn endlich das erste Mal hörte – daran werde ich immer denken! Vor ein paar Tagen unterhielt ich mich mit ihm, was ich für meinen Job getan habe und überlegte, was er wohl einmal gern machen würde. Er dachte eine Weile nach und sagte: Ich glaube, ich wäre gern ein Roboter. Das war wirklich gut!

Soundmag: In den Monaten auf Tour habt ihr viel mit den neuen Songs experimentiert.

Matt: Schon, aber viel eher noch mit den alten Stücken. Da mir bewusst war, dass der Erfolg in Amerika die Tour um ein oder zwei Jahre verlängern würde, wollte ich nicht einfach nur touren ohne dabei irgendwie kreativ zu sein. Also nutzte ich die Chance, um einige Ideen für Aqualung auszuprobieren. Es ging dabei nicht so sehr um neue Songs, sondern eher um die Art zu musizieren. Wir spielten das alte Material, ich tauschte jedoch die Bandmitglieder aus und veränderte das Set-Up in den Konzerten. Eine Tour lang waren wir so als 5-Mann-Rockband unterwegs, spielten in größeren Clubs mit stehendem Publikum und versuchten, soviel Lärm wie möglich zu machen. Ein anderes Mal fuhren nur mein Bruder und ich durchs Land. Ich am Piano, er an der Pedal-Steel spielten wir in Konzerthäusern und Kunstgallerien. Die Betonung verlagerte sich so auf die Texte. Bei jedem dieser Auftritte fand ich etwas über die Natur von Aqualung heraus. Oder darüber, was Aqualung sein könnte. Das alles mit dem Hintergedanken, dass ich nach der Tour ein neues Album aufnehmen würde und herausfinden wollte, welchen Aspekt ich gern weiter verfolgen würde. Am Ende zog ich Schlussfolgerungen aus allem, was wir ausprobierten. Sie alle machten aus „Memory Man“ das, was es nun am Ende ist.

Soundmag: Du hast nicht die beste Art zu spielen gesucht, sondern einfach eine andere Art.

Matt: Genau, was ist schon die beste Art? Wenn es klingt wie auf dem Album? Nun, das ist eine Möglichkeit. Aber es gab gute Aspekte in jedem Versuch, den wir unternahmen. Das Gute daran war, dass auch das Publikum in jedem Versuch etwas Interessantes erkannte. Das Wichtigste, was ich lernte, war allerdings die Intensität mit jedem Mal zu erhöhen, wenn wir etwas Neues probierten, uns etwas trauten und riskierten. Wir bekamen umso mehr Energie zurück. Das war sicherlich der Hauptaspekt, den ich aus diesem Prozess mitnahm. Ich dachte, wenn ich jetzt eine neue Platte mache, dann möchte ich etwas von diesem Extra an Intensität auf dem Album spüren und dies als neuen Startpunkt nutzen, um zu schauen, wohin wir von dort gelangen.

Soundmag: Zwei Songs sind mir schon beim ersten Hören aufgefallen: „Cinderella“ und „Pressure Suit“. Vor allem die sehr prägnanten Gitarrenriffs beeindrucken mich. Ist das etwas Neues, das du ausprobiert hast?

Matt: Nun, dieses Album hat definitiv mehr Gitarren als alle vorherigen. Das liegt vor allem daran, weil ich mich vom Piano als dominanten Sound entfernen wollte. Tatsächlich gab es viel mehr Dinge, die ich ausprobierte. Ich dachte mir: wenn Aqualung bis jetzt für ruhige, sanfte, pianobasierte, langsame, emotionale Musik stand, was würde passieren, wenn ich plötzlich harte, rau klingende, laute Gitarrenmusik einbringe? Oder schnellere Songs – es waren Ideen für Veränderungen und ich wollte wissen, ob ich sie umsetzen kann und am Ende immer noch Aqualung stünde. Obwohl auf „Memory Man“ nun zahlreiche Elemente zu hören sind, die die Menschen von Aqualung gewohnt sind, gibt es auch Momente, die auf neues Territorium führen. Einige Songs sind eher gitarrenbasiert, vielleicht fast schon Rock. Aber das ist nicht alles. Als das Piano aus dem Zentrum der Musik verschwand, blieb viel Raum für andere Klänge, um es wieder zu füllen. Und die Gitarre war nur einer davon. Dieses Album lebt von einer Struktur, die sich ergab als wir das Piano entfernten.

Soundmag: Das Album erscheint in Deutschland im August, also fünf oder sechs Monate nachdem es in Amerika veröffentlicht wurde. Siehst du den Sinn darin?

Matt: (lacht) Na ja, so hat es sich nun mal ergeben. Es erscheint ja in ganz Europa erst im August. Wir können nun mal nicht an mehr als einem Ort auf dieser großen Welt sein. Mit Blick auf die Ereignisse der letzten Jahre, kamen alle Impulse aus den USA, was unser Label dort inzwischen zu unserem Heimatlabel gemacht hat. Darum fühlte es sich richtig an, das Album dort zuerst zu veröffentlichen. Wir mussten es einfach so entscheiden. Denn wenn wir die Veröffentlichungen staffeln, können wir in jedem Land Promotion machen und das Album in einer Art und Weise unterstützen, die es verdient hat.

Soundmag: Aber es fühlt sich doch für eine englische Band sicher komisch an, ihr Album erst in Amerika zu veröffentlichen.

Matt: Sehr komisch sogar. Es scheint mir aber genauso komisch, dass so ein kleiner Act aus England so unglaublich viele Alben in Amerika verkauft hat. Nichts davon hatten wir erwartet, aber es ist so gekommen. Und so hat sich das Gewicht für den Moment nach Amerika verschoben. Da dieses Album weltweit erscheint, können wir unsere Kräfte nun wieder gleichmäßiger auf die verschiedenen Länder verteilen.

Soundmag: Dann kann man also sagen, dass Aqualung zum jetzigen Zeitpunkt erfolgreicher in Amerika sind als in Europa und England.

Matt: Auf jeden Fall. Sowohl was die Verkaufszahlen angeht als auch mit Blick auf unser Profil. Da wir in Amerika über die ganzen letzten Jahre getourt sind, konnten wir in anderen Ländern nur wenig präsent sein. Das Feuer unter diesem Projekt brennt in Amerika also wesentlich heller und in den nächsten Monaten werden wir die Temperatur hoffentlich auch von anderen Teilen der Welt erhöhen können.

Soundmag: So, dass du nicht irgendwann noch umziehen...

Matt: ...und so tun muss, als wäre ich Amerikaner. Es fühlt sich wirklich komisch an. Jetzt, da wir uns auch um Europa und Japan kümmern, verlagert sich das Gewicht etwas und es geht nicht mehr nur um Amerika. Aber seltsam bleibt es trotzdem. Wenn das Album endlich in meiner Heimat erscheint, wird sich dieses Gefühl sicher noch etwas mehr normalisieren.

Soundmag: Aber immerhin hast du das geschafft, was fast jede britische Band gern erreichen würde.

Matt: Es sieht so aus, auch wenn es mich immer noch überrascht. Vielleicht hat es ja gerade deswegen geklappt, weil wir mit sehr bescheidenen Zielen dorthin kamen. Wir wollten das Album veröffentlichen und ein paar Shows spielen, vor allem in New York. Und dann mal schauen, was passiert. Dann ging es plötzlich los, allerdings nicht mit einem großen Knall, sondern Schritt für Schritt. Also flogen wir zurück und es ging immer weiter aufwärts. Wirklich seltsam!

Soundmag: Zwei letzte Fragen: Nachdem der eine oder andere Song von dir schon in Werbespots für Autos lief, was für einen Wagen fährst du?

Matt: I drive a Volkswagen Golf.

Soundmag: Was hältst du von den Pet Shop Boys?

Matt: (blickt erstaunt) Ich mag die Pet Shop Boys. Sie werden wahrscheinlich maßlos unterschätzt, man sieht sie immer als leichtfüßiges, irgendwie tuntiges Popduo. So wie eine etwas seriösere Version von Erasure. Ich denke, sie sind um einiges komplexer und feinfühliger, besonders was ihr Songwriting angeht. (Pause) Ich kann dir versichern, dass mich das noch nie jemand gefragt hat.

Soundmag: Dann enden wir mit einer Premiere. Vielen Dank für das Interview.

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