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Ghosts

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19.09.07 - Kato / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Andreas

 

 

 

Die Welt da draußen ist hektisch. Über unseren Köpfen fährt die U-Bahn, vor den mit Plakaten verhängten Fensterscheiben des Katos rauscht der Berufsverkehr um das Schlesische Tor. Innen drin herrscht Ruhe, lediglich aus dem Nachbarraum dringt ab und zu ein Trommelknall oder torkelnde Gitarrenriffs. Nur der Tourmanager der Ghosts scheint verzweifelt, weil er sich nicht ins WLAN-Netzwerk einloggen kann und in die obere Etage umziehen muss. Im Austausch für ihn schlendern Sänger Simon Pettigrew und Schlagzeuger Jonny Harris entspannt in den Raum und nehmen Platz. Das heutige Konzert ist das zweite der Band in Berlin, deren aktuelle Single „The World Is Outside“ momentan die affektierten Ratschläge von Frank, dem Weddingplaner auf PRO7 untermalt.

Soundmag: „The last Monday in January is apparently the worst day of the year“ (aus “The World Is Outside“). Simon, warum eigentlich nochmal?

Simon: (grinst) Dieser Satz stand in der Zeitung. Keine Ahnung, ob es das auch in Deutschland gibt, aber in England schreiben Menschen Zeitungsartikel mit kleinen Rezepten für die perfekte Tasse Tee oder das perfekte Bohnen-mit-Toast-Frühstück. Meistens ist es versteckte Werbung für ein Unternehmen. Diesen Spruch las ich in einem Artikel, der wohl von einer Versicherung bezahlt wurde - aber das wurde mir erst im Nachhinein klar. Sie zählten darin jede Menge Fakten auf, die den Schluss nahe legten, dass der letzte Montag im Januar der schlimmste Tag des Jahres sei: das schlechte Wetter, dir fehlt das Geld, weil du Mitte Dezember Lohn erhältst, dann aber erst wieder Ende Januar und oben drauf kommen noch die Schulden durch teure Weihnachtsgeschenke. Das alles war sehr interessant, auch wenn es wahrscheinlich nicht mal zur Hälfte stimmt. Der Satz blieb mir irgendwie im Gedächtnis.

Soundmag: Ihr alle könnt eine rechte lange Liste mit Bands aufweisen, in denen ihr gespielt, den Durchbruch aber nicht geschafft habt. Dachtet ihr irgendwann mal ans Aufgeben?

Simon: Nicht wirklich. Im Prinzip war es ja fast durchgängig dieselbe Band mit fast den gleichen Mitgliedern. Es gab in den ersten zehn Jahren immer einen Antrieb weiterzumachen, auch wenn wir nicht wirklich Großes erreichten. (lacht) Neue Konzerte standen an, eine gute Kritik unseres letzten Demos erschien oder wir probierten neue Songs aus. Den Punkt des Aufgebens haben wir so nie wirklich erreicht.

Soundmag: Auch nicht finanziell?

Simon: Das ging immer irgendwie. Nachdem ich die Universität abgeschlossen hatte, arbeitete ich für die Regierung und wohnte auf dem Boden unseres Studios. Natürlich alles andere als eine ideale Situation, aber es hat funktioniert.

Soundmag: Habt ihr mal drüber nachgedacht, warum es nicht geklappt hat mit dem Erfolg? Oder war es schlicht der falsche Ort zur falschen Zeit?

Simon: Es lang einfach an den Songs. Ich denke wirklich, dass wir es bis zu dem Punkt, an dem es dann geschah, nicht verdient hatten, einen Vertrag zu bekommen. Wir warteten bis unser Talent sich unseren Ambitionen anpasste. (grinst)

Soundmag: Musiker erzählen oft, dass sie das Scheitern härter gemacht hat. Sie schrieben angeblich besser Songs und die Mitglieder der Band wuchsen enger zusammen. Wahrheit oder Mythos?

Simon: Das stimmt definitiv. Wenn du mit 19 einen Plattenvertrag bekommst, geschieht das eher auf Basis deines coolen Haarschnitts. Du wirst dann wahrscheinlich nicht lange überleben. Die Tatsache, dass wir all diese Enttäuschungen und Misserfolge mitgemacht haben, zeigte uns, wie das Business funktioniert und was wir verbessern müssen. Unsere Songs sind mit den Jahren auf jeden Fall besser geworden. So werden wir hoffentlich etwas länger erfolgreich bleiben.

Soundmag: Euer vorletzter Versuch trug den Namen Polanski und spielte viel stärker mit elektronischen Elementen. War es hart, sie für den neuen Anlauf als Ghosts in die Ecke zu stellen?

Jonny: Ich finde, wir haben viel davon sogar beibehalten. Letztendlich funktioniert Ghosts viel stärker als Liveband und der Versuch, die Elektronik in unser Livespiel zu integrieren machte Ghosts zu dem, was es heute ist. Es schwirren ja noch immer einige Synthesizer durch unsere Songs.

Soundmag: Simon, war es schwer für dich bei Ghosts plötzlich hinter dem Mikrophon zu stehen und zu singen?

Simon: Am Anfang schon. Ich war nie scharf aufs Singen, wollte immer nur Gitarre spielen. Sicher habe ich auch schon den einen oder anderen Hintergrundgesang beigesteuert, aber als wir feststellten, dass keiner der Sänger, die zu den Proben erschienen, so klang wie wir es wollten, brachte ich mir das Singen selber bei. Meine Übungssongs stammten allesamt von The Verves „Urban Hymns“. Auf dem Weg zur Arbeit im Auto sang ich laut mit und stellte verblüfft fest, dass ich alle Noten traf. Also schrieb ich ein paar Melodien, Songs und übernahm die Position des Leadsingers.

Soundmag: Nach zehn harten Jahren – was waren eure ersten Gedanken, als “Stay The Night” zur „I-Tunes Single of the week” gekürt wurde und plötzlich im Radio lief?

Jonny: “Fuck!” (lacht) Der Erfolg kam allerdings nicht über Nacht, sondern kündigte sich langsam an.

Simon: Es begann damit, dass wir im März 2006 unseren Verlagsvertrag bekamen. Sechs Monate später hatten wir die Songs im Kasten und noch ein paar Wochen später geschah das I-Tunes-Ding. Wir erklommen also ständig neue Stufen auf dem Weg zum Erfolg. Und trotzdem war es natürlich ein wunderbares Schicksal – zumal sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht allzu viele Menschen bei unserem Label darum scherten, was wir taten. Das änderte sich dann. Irgendwann gewöhnst du dich allerdings auch daran, dass „Stay The Night“ alle 30 Minuten im britischen Radio läuft. Verrückt.

Soundmag: Wie viel von eurem Erfolg verdankt ihr Schweden?

Simon: Ungefähr die Hälfte des Albums würde ich sagen. Und fast alle Singles. „Stay The Night“, „The World Is Outside“ und „Musical Chairs“ entstanden dort. Der Grund, warum wir dorthin fuhren, war London hinter sich zu lassen. Nachdem wir den Verlagsvertrag hatten, gab uns das Label Geld. Uns war jedoch klar, dass wir noch nicht genügend und gute Songs hatten, um ein Album voll zu bekommen. Das in London ändern zu wollen, wäre selbstmörderisch gewesen, denn das Geld hätten wir wahrscheinlich jeden Abend im Pub ausgegeben. Also packten wir die Sachen und fuhren nach Schweden. Wir saßen ganz wörtlich irgendwo im Nirgendwo.

Soundmag: Der wirkliche Grund für Schweden waren also die hohen Alkoholpreise dort?

Simon: (lacht) Zuerst mal wollten wir raus aus London und der gewohnten Umgebung. Außerdem ist Jonny Halbschwede und hatte dieses kleine Haus in der Hinterhand. Zehn Kilometer bis zum nächsten Pub und wir hatten nicht mal ein Auto.

Jonny: Getrunken haben wir aber trotzdem. Wir tranken und arbeiteten gleichzeitig.

Soundmag: Ist das eine gute Kombination?

Jonny: Solange du nicht zuviel trinkst – ja. Wenn du betrunken bist, ist auch Aufregung im Spiel. Natürlich nur solange, bis du zu besoffen bist.

Soundmag: Aber ist das nicht trotzdem eine sehr gezwungene und bemühte Atmosphäre? Vier Menschen in einem Haus, die auf Teufel komm raus Songs schreiben wollen, müssen.

Jonny: Nun, solange es funktioniert, gibt es überhaupt keine Probleme. Die ersten drei Wochen waren ein ziemliches Desaster und wir fürchteten schon, überhaupt keine neuen Songs zusammen zu bekommen. Aber irgendwann platzte der Knoten und ab diesem Punkt blieb die Atmosphäre bis zum Ende freundlich.

Soundmag: Eigentlich wollte ich euren Keyboarder Marc nach der Relevanz von Keyboards in der heutigen Musik fragen. Nun gehört auch ihr zur Band, was ist eure Meinung?

Simon: Was unsere Songs angeht, könnten wir ohne gar nicht existieren. Ohne Bass und Schlagzeug wären wir wahrscheinlich noch lebensfähig, aber die Keyboards erlauben es uns, den Unterschied zu anderen Bands zu machen. Die Szene in England ändert sich momentan, aber die letzten Jahre waren definitiv geprägt von Gitarren, engen Jeans und coolen Frisuren. Unser Sound hingegen zeichnete sich schon immer durch Keyboards aus, denn wir versuchen so unsere Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. Wenn ich als Gitarrist also sage, dass man uns sogar eher die Gitarren wegnehmen könnte als das Keyboard, sagt das eine ganze Menge.

Soundmag: Durch dieses, auf dem Album omnipräsente Keyboard, ragt der letzte Song um einiges aus dem Kontext heraus.

Simon: “Temporary” ist tatsächlich einer der ältesten Songs, den wir schon einige Jahre mit unser herumtrugen. Als wir das Album aufnahmen, fiel mir zum ersten Mal wirklich auf, dass es in ihm nur ein Piano gibt und eben keine Synthesizer. Trotzdem verspürten wir nicht das Bedürfnis, ihn noch mal zu ändern.

Jonny: Viele Songs auf dem Album gehen relativ direkt auf unsere Demos zurück. Wenn du also „The World Is Outside“ hörst, hast du vier Jahre Arbeit vor dir. Weil wir die Demos fast immer in anderen Räumen und zu anderen Zeiten aufnahmen, klingen sie auch dementsprechend unterschiedlich. Und „Temporary“ stammt schlicht aus einer anderen Ghosts-Ära.

Soundmag: Es gibt diese Schlagzeile, dass man euch mal verhaftet hat, weil ihr eine Hotelbar demoliert haben solltet. Inzwischen wissen wir alle, dass es ein Fehler war, aber was dachtet ihr, als ihr mit der Anschuldigung konfrontiert wurdet?

Simon: Ich war ehrlich gesagt ganz schön verwirrt. Wir hatten am Abend davor tatsächlich einige Drinks in dieser Bar genommen – nichts Großes. Als ich am nächsten Tag ins Zimmer unseres Tourmanagers ging, war ich froh, dass wir nichts Ernstes angerichtet hatten. Ich sah die demolierte Bar und dachte noch: „Gott sei Dank, wir waren es nicht.“ Dann aber stand plötzlich die Polizei vor der Tür. Glücklicherweise klärte sich alles sehr schnell auf, denn wir hatten jemanden dabei, der zu diesem Zeitpunkt gerade einen Dokumentarfilm über uns drehte. Ein Blick in die Aufnahmen vom gestrigen Abend genügte und wir durften gehen.

Soundmag: Einen Hotelraum zu demolieren riecht definitiv streng nach Rock’n’Roll. Nachdem ihr es nicht getan habt, was war bisher euer definitiver Rock’n’Roll-Moment? Jetzt mal vom Trinken abgesehen, das ja eine nicht ganz unwichtige Rolle in der Band zu spielen scheint.

Simon: Na ja, verhaftet zu werden für die Zerstörung eines Raums obwohl man es nicht getan hat, ist doch ein toller Anfang, oder? Unserem Ansehen hat das definitiv gut getan. Mit viel mehr können wir gar nicht aufwarten, schließlich heißen wir nicht Motley Crue! (grinst)

Soundmag: Ein harter Schnitt: vom Randalieren zum Ghosts School Project, von dem ich auf eurer MySpace-Seite gelesen habe. Worum geht es dabei?

Simon: Das klingt etwas bizarr. Es gibt da diese Schule im Südwesten Englands, an der ein Lehrer arbeitet, der sich in den letzten fünf oder sechs Jahren immer eine Band aussuchte, um seinen Unterricht rund um diese Bands zu bauen. Die Schüler analysieren unsere Texte und vielleicht kriegt der Typ es sogar fertig, Ghosts irgendwie in den Mathematikunterricht einzubauen. Simon hat zwei Gitarren, Johnny drei Trommeln – wie viele Instrumente stehen auf der Bühne? So ungefähr. (lacht) Ehrlich gesagt glaube ich, dass der Lehrer schlicht von den Bands besessen ist und diese Leidenschaft nun auf die Schüler übertragen will. Aber er ist ein toller Lehrer! Sie schicken uns oft Bilder und designen Webseiten für uns. Unsere Vorgänger bei diesem Projekt waren Keane, Embrace und The Magic Numbers. Es ist wirklich bizarr. Oft mailen uns die Kinder, die unsere Songs wirklich zu mögen scheinen. Wir besuchten die Schule auch für ein kleines Konzert. Es ist eine nette, durchgedrehte Aktion. Auf YouTube müsste man etwas davon sehen können.

Soundmag: Eure aktuelle Single hier in Deutschland ist „The World Is Outside“. Was habt ihr eigentlich gegen Fernseher, die im Video dazu ständig vom Himmel fallen?

Simon: (lacht) Die Idee hinter dem Video erklärt sich durch den Song, der ja davon handelt, dass man den Hintern hoch bekommt und nach draußen in die Welt geht. Im Video sollten darum all die Dinge zerstört werden, die dich genau davon abhalten. Fernseher erwiesen sich als besonders aufregend, denn wenn man sie von einem Kran schmeißt, zersplittern sie spektakulär. (lacht)

Soundmag: Wer ist überhaupt der fünfte Typ im Video?

Simon: Das ist Gavin.

Soundmag: Ein inoffizielles Ghosts-Mitglied?

Simon: Irgendwie schon. Ghosts bestanden schon immer aus fünf Musikern. Etwa ein Jahr bevor wir unseren Plattenvertrag bekamen, verließ uns unser Gitarrist und Sänger. Nachdem es nicht gelang, einen Ersatz zu finden, borgten wir uns den Gitarristen von Thirteen Senses aus – der musste allerdings wieder zurück als seine Band das zweite Album aufnahm. Wir standen also erneut vor der Aufgabe, jemanden Neues zu finden. Gavin war der Freund eines Freundes und wurde zum semi-offiziellen Ghosts-Mitglied.

Soundmag: Viele Artikel über euch stellen die Behauptung auf, dass Keane euch den Thron des Pops gestohlen hätten. Die Band hat das anschließend versucht zu kompensieren, indem sie euch den Support-Slot bei einem riesigen Stadionkonzert anbot. Wann werden Ghosts vor 20 000 Menschen als Hauptact spielen?

Simon: Keine Ahnung. Früher oder später aber wird es passieren, dessen bin ich mir sicher. Momentan spielen wir in Clubs mit einer Kapazität von 1500 Menschen, also eher im Mittelfeld. We’re not quite Keane yet. (grinst)

Soundmag: Zwei letzte Fragen: Euer Sommerhit 2007?

Simon: (denke lange, lange nach) Es gab einige, was fällt mir jetzt ein? „Umbrella“ von Rihanna mochte ich ziemlich. Der Song ist zwar nicht unbedingt gut, aber er gefällt mir. Und all die Nelly Furtado-Singles, „Promiscuous“ war die beste.

Jonny: Ich glaube, ich nehme die gleichen. Wenn ich an pure Popmusik denke...

Simon: Ich höre auch immer noch „Toxic“ von Britney Spears – grandios! Überhaupt alles was The Neptunes produziert haben. Total egal welcher Künstler.

Jonny: Ach, Kanye West mit „Stronger“, ich mochte dieses Daft Punk-Sample.

Soundmag: Finally, was haltet ihr von den Pet Shop Boys?

Simon: Lustig, dass du das fragst. Erst vor kurzem habe ich ihr Best Of-Album auf meinen Computer geladen. Vorher hatte ich keine wirkliche Meinung zu den Pet Shop Boys, aber über die letzten Tage sind sie mir ein bisschen ans Herz gewachsen.

JONNY: Meine Mutter zwang mich als Kind, Pet Shop Boys zu hören. Damals gefiel mir das sehr. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher.

Simon: Man muss ihnen zugestehen, dass sie gute Songs schreiben. Mir war das nie wirklich bewusst, aber nun fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Die Produktion allerdings ist nicht wirklich mein Ding.

Soundmag: Vielen Dank für das Interview.

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www.ghostsmusic.com

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