Interviews

Chikinki

Chikinki

 

16.11.07 - Magnet / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Pressefoto

 

 

 

Düster ist der Backstage-Bereich des Berliner Magnet-Clubs - voller Gerümpel und runtergesessener Möbel. In einer Ecke der durch speckige Vorhänge unterteilten Indiebüroetage sitzen die fünf Herren von Chikinki und warten auf ihren Auftritt. Den Soundcheck gerade hinter sich gebracht, setzt es jetzt erstmal Bockwurst mit Brötchen, plus Bier natürlich. Eine Woche, bevor ihr neues Album "Brace Brace" erscheint, touren Chikinki durch ein Land, mit dem sie mehr verbindet als gelegentliche Reisen. Ihr erstes Werk "Lick Your Ticket" erschien vor zwei Jahren auf dem deutschen Label Kitty-Yo und erregte nicht nur die Aufmerksamkeit einiger DJs. Nachdem die Wurst verspeist ist, schlendert Sänger Rupert Browne (auf dem Foto in der Mitte) mit Flasche in der Hand und Hut auf dem Kopf zur Couch in den etwas ruhigeren Getränkelager-Bereich. Ein Interview umgeben von Bierkästen.

Soundmag: Das neue Album heißt „Brace Brace“. Ich habe mal im Wörterbuch nach der Bedeutung des Wortes gesucht. Es gibt einige Möglichkeiten. Wie ist der Albumtitel gemeint?

Rupert: Wir fliegen oft, weil wir nun mal viele Shows spielen. Egal wohin es geht, jedes mal hören wir die Sicherheitshinweise vor dem Start – erst in Englisch, dann in einer anderen Sprache. Egal ob Deutsch oder Russisch oder jede andre Sprache – jede dieser Durchsagen endet mit „Brace Brace“, denn es ist der internationale Code, um die Sicherheitsgurte anzulegen. Wir hören diesen Spruch zu den komischsten Zeiten – am Morgen wenn wir noch halb schlafen oder mitten in der Nacht und so schleicht sich dieses „Brace Brace“ von hinten in dein Bewusstsein.

Soundmag: Seit eurer letzten Platte „Lick Your Ticket“ sind drei Jahre vergangen. Was hat da so lange gedauert?

Rupert: Als wir das letzte Album veröffentlichten, war dieses neue eigentlich schon so gut wie fertig. Dann gab es plötzlich Probleme mit dem Label, Kitty-Yo existiert in der Form ja eigentlich nicht mehr. Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre das Album schon seit Jahren draußen, aber so ist das Geschäft nun mal.

Soundmag: In der Zwischenzeit seid ihr auch ab und zu durch Osteuropa getourt. Kannst du waschechte Rock´n´Roll-Stories von dort erzählen?

Rupert: Sie haben versucht, uns einzusperren. Sie wollten, das wir Schmiergeld zahlen. Es hat uns zwei Tage gekostet, wieder nach Hause zu kommen. Am Ende saßen wir in Lettland, was wirklich etwas beängstigend war. Wenn du dorthin reist, bist du komplett unter ihrer Kontrolle, verstehst die Sprache nicht und musst tun, was sie sagen.

Soundmag: Worum ging es denn? Was hat man euch vorgeworfen?

Rupert: Wir hatten unsere Pässe nicht dabei.

Soundmag: Das ist natürlich eine echte Steilvorlage. Was ihr fast immer dabei habt sind gleich zwei Synthesizer. Wie beurteilst du den Aufstieg des Synthesizers im Indierock der letzten Jahre?

Rupert: Ich bin immer etwas verwirrt, wenn es um dieses Thema geht - weil ich mir selbst nicht wirklich sicher bin, ob es wirklich so ist. Wir standen damals sehr auf AddNToX, das war unser größter Einfluss, was die Synthesizer angeht - vor langer, langer Zeit. Es ging darum, möglichst viele Synthesizerelemente in die Musik zu integrieren. Wenn du dir die 60er und 70er Jahre-Glam anhörst, dann wussten die Musiker damals überhaupt nicht, was sie mit den Synthesizern anfangen sollten. Es war schlicht ein neues Instrument für sie, elektronische Musik war damals noch so gut wie nicht vorhanden. Sie spielten einfach darauf und nichts anderes tun wir heute. Viele der Bands, die heute mit Synthesizern in Verbindung gebracht werden, arbeiten mit programmierten Backing-Tracks. Das machen wir gar nicht, bei uns ist das alles live. Viele Indie-Bands haben einen Song und blasen ihn dann mit riesigem elektronischen Hintergrund. Auch damit haben wir nichts zu tun.

Soundmag: Dann siehst du also gar keine Gemeinsamkeiten zwischen euch und den anderen Bands?

Rupert: Eine Band wie die Klaxons beispielsweise würde ich in ihrer Art, auch live mit Synthesizern zu spielen, schon in unserer Nähe sehen. Generell gebe ich dir natürlich recht, man sieht es immer öfter, was mich allerdings nicht wirklich überrascht. Es ist en weiteres Instrument – eines, mit dem du viel Krach machen kannst. Und mit einem Synthesizer ist es relativ einfach, etwas gut klingen zu lassen.

Soundmag: Von den Songs des letzten Albums gibt es einige Remixe. Du hast schon erwähnt, dass ihr mit Tiefschwarz gearbeitet habt und ich glaube auch Ewan Pearson war mit euch im Studio. Wie mächtig ist die elektronische Seite von Chikinki?

Rupert: Ich denke, es gab diese Periode, wo wir Remixe unserer Songs veröffentlichten und uns viele Leute erst deswegen kennenlernten. Allerdings ist das was wir tun nicht besonders elektronisch. Viel eher machen wir Rock`n`Roll, Rockmusik. Es ist wirklich keine Dance-Music, denn tanzen kannst du dazu sicher nicht.

Soundmag: Dann passt es ja ganz gut, dass das neue Album wesentlich klassischer und traditioneller daherkommt.

Rupert: Oh ja, das war wirklich beabsichtigt. Wir waren enorm genervt davon, immer in diese Dance-Szene gesteckt zu werden obwohl wir uns selbst dort in keinster Weise sahen. Die Leute sollten sich mehr mit unseren Songs beschäftigen. Also sagten wir uns: Lass uns ein klassisches Album aufnehmen und mit dem beweisen, dass wir gute Songwriter sind. Genau das war unser Ziel. Keine Ahnung, ob es uns gelungen ist, aber zumindest versucht haben wir es.

Soundmag: Der Infozettel zum Album nennt Namen wie Burt Bacharach und Brian Wilson. Waren das die Vorbilder?

Rupert: Wir entschieden zu Beginn, wohin das Album gehen soll. Wir wollten klassische Popsongs im 3-Minuten-Format schreiben und alles in diese drei Minuten hinein packen. Das war das Ziel. Beim letzten Mal nahmen uns das Album und die Live-Shows mit auf eine Reise. Wir wollten mit „Brace Brace“ zeigen, dass auch ein Song allein das schafft. Denn so denken die Leute: sie kennen diesen einen Song und meinen, dass er für die Musik von Chikinki steht. Und das stimmt ja nicht wirklich. Es ist ein kleiner Teil von Chikinki, doch es gibt noch viel andere. Dieses Mal sollte jedes einzelne Stück für das gleiche Bild von Chikinki stehen. Bacharach, Brian Wilson und Leute von deren Format schafften genau das. Bei den Ramones ist es ganz ähnlich. Das waren Songwriter, die wussten, wie man ein 3-Minuten-Stück schreibt und alles hinein packt.

Soundmag: Was ist einfacher? Der 3-Minuten-Song oder das lose Experimentieren von „Lick Your Ticket“?

Rupert: Ich denke das Experimentieren. Klar kannst du mehr Spaß mit dem Arrangement und anderen Elementen haben, wenn du am Experimentieren bist und wahrscheinlich werden wir irgendwann zu dieser Methode zurückkehren. Bei „Brace Brace“ aber ist es anders. Ich meine, wenn jeder Klassiker schreiben könnte, würde es doch auch jeder tun. Dort draußen gibt es 10 000 Billionen Indiebands, die mit verrückten Sounds experimentieren. Aber es gibt nur eine Hand voll Bacharachs und Brians Wilsons. Es scheint also wesentlich schwerer zu sein, eine fantastische Popplatte aufzunehmen.

Soundmag: Habt dir das Ziel denn zumindest mit einem der neuen Songs erreicht?

Rupert: Ich weiß nicht, ob wir das geschafft haben. Es ist zweifellos eine tolle Sammlung von Songs, aber es gibt keinen großen Hit darauf. Also zumindest nicht in der Art und Weise, das man sich für immer und ewig an diesen einen Song erinnern wird, wenn man den Namen Chikinki hört. Den Leuten gefallen glaube ich ganz unterschiedliche Stücke.

Soundmag: Ein Zitat von dir aus dem Infoschreiben: „Popmusik dreht sich immer um Cliches.“

Rupert: Oh, das habe ich gesagt? (überlegt länger) Naja, am Ende ist doch alles irgendwie voller Cliches. Kunst, Wissenschaft, Politik – alles ist ein großes Cliches. Sobald du etwas Neues tust, kannst du schon sicher sein, dass es irgendjemand irgendwann schon mal gemacht wurde. Also ja: alles was wir tun, ist ein Cliches. Selbst dieses Interview. Wenn wir nachher auf die Bühne gehen oder im Studio aufnehmen – dann ist das ein Cliches. Aus irgendwelchen Gründen gibt es Menschen, die das gern tun. Und aus anderen Gründen sehen sich Leute das gern an. So ist das mit allem.

Soundmag: Was ist denn das Popmusik-Cliches, das Chikinki am ehesten bedienen?

Rupert: Puh, das sind so viele. Wir sind nach jedem Konzert sturzbesoffen, wir spielen diese theatralischen Shows, die sich eine Band so schnell wie möglich abgewöhnen sollte. Eigentlich sollten sie nur in der Ecke stehen und die Songs spielen. Niemand sollte ihnen zuschauen. (lacht) Es geht nur um die Musik – nicht nötig, sie auch noch anzusehen. Außerdem unsere Songstrukturen und all der Rest. Alles ein großes Cliches. Ich meine, schau mich an: Ich bin der Leadsänger und sehe aus wie Mick Jagger! Alles ein riesiges Cliches.

Soundmag: Wie werden die Popmusik-Cliches und die Musik selbst denn in ein paar Jahren aussehen? Momentan scheint ja viel im Umbruch.

Rupert: Ich denke nicht, dass sich in den nächsten drei oder vier Jahren soviel ändern wird. Die Leute scheinen inzwischen etwas genervt vom Indierock zu sein, der ihnen aus jedem Radio entgegenkommt. Für eine Weile werden sie sich wahrscheinlich von dieser Art Musik abwenden. Es wird eine Lücke entstehen, in der es viel Müll geben wird, die Menschen werden sich nicht mehr so stark für Musik interessieren. Dann wird der NME wiedererstarken, wir sind wieder auf dem ersten Feld des Indie-Spiels und die nächsten Libertines stehen vor uns.

Soundmag: Man hört, dass während eurer Live-Konzerte nackte Menschen auf die Bühne springen?

Rupert: Oh ja, das passiert mitunter. Unsere Shows entwickeln sich manchmal in eine sehr verrückte Richtung. Ich vermute, dass es an unseren 70s-liken Konzerten liegt, dass die Leute vollkommen enthemmt durchdrehen. Sie ziehen sich aus. Aber hey – es ist eine Rock’n’Roll-Show. Im Prinzip sollten sie genau das tun.

Soundmag: Du und Boris spielt neben Chikinki noch in Nebenprojekten.

Rupert: Ja, wir haben ein bisschen nebenbei gearbeitet. Es gab diese Lücke nachdem das Album eigentlich im letzten Jahr erscheinen sollte. Also suchten wir uns einen Zeitvertreib, damit wir beim Spielen der neuen Songs, die noch gar nicht veröffentlicht waren, nicht komplett durchdrehen. Es war schön, sich mal mit anderer Musik zu beschäftigen. Ich denke allerdings nicht, dass das ernste Versuche waren. Als Musiker musst du einfach immer irgendwie Musik machen.

Soundmag: Die peinlichste Platte in deiner Sammlung?

Rupert: Mir ist nichts von dem, was ich höre, wirklich peinlich. Ich war immer ein großer Fan von Betty Boo, aber das muss einem nicht wirklich peinlich sein. Betty Boo ist ziemlich gut! Die erste Platte, die ich mir in sehr jungem Alter kaufte, war von A-Ha. Aber auch das ist eigentlich nicht so schlecht, oder? Irgendwann habe ich mir mal „Levelling The Land“ von den Levellers angehört und dachte mir dabei: „Wie konntest du das nur jemals gut finden?“ Es war richtig schlecht.

Soundmag: Das bringt mich zur nächsten und letzten Frage: Was hältst du von den Pet Shop Boys?

[b]Rupert:
Puh, das ist eine ziemlich schwierige Frage. Darüber habe ich noch nie wirklich nachgedacht. Ich war noch sehr jung als Songs wie „It’s A Sin“ raus kamen. Damals war es ziemlich coole Musik und ich mochte die Stücke. Sie habe es geschafft, ihren ganz eigenen Stil über viele, viele Jahre durchzuziehen. Sie haben mich niemals wirklich genervt.

Soundmag: Vielen Dank für das Interview.

Review kommentieren

Neues Thema im Forum

Offizielle Website

www.chikinki.co.uk

Alle Interviews

 

 

 

Neue Interviews

 

Neue Reviews

 

Suche in soundmag.de