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The Fratellis

The Fratellis

 

03.06.08 - Lido / Berlin

Interview:  Andreas & Doris

Foto: Andreas

 

 

 

Innovationen bei den Fratellis zu suchen, ist eigentlich so gut wie aussichtslos. Die drei Schotten wollen Spaß und den haben sie fast ausschließlich mit Gitarre, Bass und Schlagzeug. Ausreichend viele Beweise für diese nicht ganz so kühne These brachte ihr Debüt „Chelsea Dagger“. Und auch der Nachfolger „Here We Stand“ ist Rockmusik im puren und klassischen Sinn. Gute Laune bringen die Songs entweder trotzdem oder gerade deswegen – vor allem auch live. Anfang Mai sitzt Bassist Barry Fratelli im überdachten Freigelände des Berliner Lido und genießt Krümel für Krümel seinen Schokomuffin. Das obligatorische Bier steht noch nicht auf dem Tisch, aber das passt ja auch nicht zum Schokogeschmack.

Soundmag: Ob du es glaubst oder nicht, aber ich habe in einem Interview mit Jon gelesen, dass er euer erstes Album „Costello Music“ inzwischen etwas komisch und nicht mehr ganz so gut findet. Stimmst du ihm da zu?

Barry Fratelli (Bass): Definitiv. In den drei oder vier Monaten nach Erscheinen des Albums wurden wir eine komplett andere Band und klangen total anders. Im Prinzip spielten wir die Songs in den letzten 18 Monaten auf eine komplett andere Art und Weise als auf dem Album. Darum war es uns dieses Mal enorm wichtig, quasi einen perfekten Schnappschuss davon aufzunehmen, wie wir jetzt klingen wollen. Also vor allem härter und schwerer, mehr wie eine Rockband. Unser erstes Album ist ziemlich poppig geworden, ohne dass wir das beabsichtigt hätten. Es klang am Ende einfach so, auch wenn die Stücke live keinesfalls Popsongs sind.

Soundmag: Du hast in dem gleichen Interview gesagt: „Keine Ahnung, warum wir damals sagten, dass es ein gutes Album sei. Vielleicht kannten wir einfach nichts anderes.“ Bist du dir denn sicher, dass das gleiche nicht auch mit „Here We Stand“ passieren könnte?

Barry: Gute Frage, vielleicht nicht. Damals war alles neu für uns. Hätten wir das Debüt selbst produziert, würde es wahrscheinlich komplett anders klingen. Sie haben uns damals nach Los Angelas geschickt und ich finde, „Costello Music“ hat so ein gewisses L.A.-Poptuning. Immer wenn du mit einem Produzenten arbeitest, hat der auch seine Vorstellung, wie es am Ende klingen soll. Im Prinzip bekommst du ein weiteres Bandmitglied hinzu, ein weiteres Ego, mit dem du dich herumschlagen musst. Ich bin mir bei diesem Album aber ziemlich sicher, dass das nicht nochmal passieren wird, denn – und ich weiß, dass das viele Bands sagen – es ist exakt das Album, das wir machen wollten. Wir allein haben es gemacht, ohne einen Produzenten. Es klingt nach uns, ganz allein nach uns. Hoffentlich wird es also nicht passieren. Aber vielleicht… (lacht)

Soundmag: Auch wenn das erste Album in euren Augen den Test der Zeit nicht besteht, hat es sich doch über 1,6 Millionen Mal verkauft. Was erwartet ihr vom Nachfolger?

Barry: Ich glaube, wir werden genau soviele Fans verlieren wie wir neue hinzugewinnen. Natürlich erwarte ich, dass es erfolgreich wird. Schließlich muss man Vertrauen in die eigene Arbeit haben. Aber am Ende stört uns das nicht wirklich. Weißt du, Plattenverkäufe und die Charts interessieren nur das Plattenlabel. Solange wir in verschiedenen Ländern live spielen und davon leben können und solange wir uns mit jedem neuen Album verbessern, kann man wohl nicht mehr verlangen. Trotzdem würde ich es gut finden, wenn es hoch in die Charts einsteigt. Unser erstes Album kam ja nie auf die 1, sondern blieb drei Wochen auf dem zweiten Platz. Für mich ist das ein ganz anderes Statement, als auf 1 einzusteigen und dann nach ein paar Tagen wieder zu fallen – so wie es ja vielen Indiebands im Moment passiert. Ich nenne jetzt keine Namen, die wissen, wer gemeint ist. Wir waren auf Platz 2 und vor uns war der verdammte Justin Timberlake. Wie soll man das denn bitte toppen? Und dieses Jahr treten wir gegen fucking Coldplay an. Was hat man denn da für Chancen?

Soundmag: Ist euch das zweite Album wegen dieses Selbstvertrauens leichter gefallen oder wegen all der Erwartungen schwerer?

Barry: Es gab überhaupt keinen Druck, denn wir hatten einfach keine Zeit. Wenn wir sechs Monate frei gehabt hätten, wären uns sicher Gedanken über das „schwere, zweite Album“ gekommen. Das passiert ja vielen. Uns fehlte diese Zeit. Wir waren mit der Tour fertig, nahmen uns sechs Wochen frei und gingen dann sofort zurück an die Arbeit. Wir trafen uns auch nicht extra, um Songs zu schreiben. Es waren die Stücke, die wir eh schon hatten – was in jeder Hinsicht ein Vorteil war. Das Songwriting ist wesentlich besser, unsere Fähigkeiten als Musiker sind gewachsen und es gab keinen Druck. Das muss man auch unserem Label zu Gute halten. Sie steckten nicht jede Woche ihre Nase durch die Studiotür und nervten. Sie gaben uns sogar Geld, damit wir unser eigenes Studio einrichten konnten. Das Album haben sie bis zum Ende nicht gehört und baten schließlich nur um einen weiteren Song. Den gaben wir ihnen und alles war cool.

Soundmag: Ist da wirklich so ein großer Unterschied zwischen dem eigenen Studio und einem gemieteten?

Barry: Für uns war es dieses Mal wichtig, denn wir wollten alles allein machen. Das war ein mutiger Schritt für uns, denn keiner wusste beispielweise, wie das Schlagzeug klingen würde. Das ganze Ding hätte furchtbar enden können. Es hängt vielleicht davon ab, wie viel Freiheit du brauchst. Wenn du ein Sicherheitsnetz haben willst, helfen ein etablierter Produzent und ein gutes Studio natürlich. Aber wie ich schon sagte, wir vertrauten unseren Songs und so brauchten wir nur jemanden, der den Aufnahme-Knopf drückt. Ob es am Ende wirklich so gut ist, wie wir denken, werden wir wohl in den nächsten Wochen herausfinden.

Soundmag: Wann braucht eine Band denn einen Produzenten?

Barry: Das ist eine harte Frage. Viele Bands vertrauen darauf, dass der Produzent irgendein magisches Pulver über ihre Songs streut und ihnen beim Schreiben und Aufnehmen hilft. Ehrlich gesagt brauchten wir das nie, denn unsere Songs sind in der Regel komplett arrangiert wenn wir ins Studio gehen und den Produzenten treffen. Ich kann dir genau sagen, dass er beim ersten Album exakt drei Dinge verändert hat. In „Baby Fratelli“ etwa sagte er, dass wir den Vers auf die Hälfte kürzen sollten. Und das war es. Fucking anybody can do that! Klar wollen Produzenten nicht, dass wir das sagen, denn sie machen sich selbst überflüssig. Aber wenn du deinem eigenen Songs vertraust und keine Hilfe beim Schreiben brauchst, dann kannst du auf sie getrost verzichten. Ich will nicht sagen, dass wir nie wieder mit einem Produzenten arbeiten werden, beim nächsten Mal freuen wir uns vielleicht sogar über einen. Aber dieses Mal war es wichtig, alles selbst zu tun, um genau das zu bekommen, was wir wollten. Und das hat geklappt!

Soundmag: Nun seid ihr eine sehr traditionelle Rockband, du hast es selbst schon gesagt. Könntet ihr euch vorstellen, beispielsweise mit einem Synthesizer zu arbeiten?

Barry: Nicht unbedingt bei den Fratellis. Aber vielleicht machen wir irgendwann ein Album, auf dem der Bassist mit den Füßen spielt. Wenn wir in diese Richtung gehen, vielleicht. Aber wir werden auf der nächsten Platte sicher nicht wie Kraftwerk klingen. Man kann schon andere Instrumente integrieren, wie auf diesem Album etwa die Pianos – klassische Piano und Orgelklänge, die es auf der ersten Platte nicht gab. Vielleicht hat die nächste ein paar Moogs. Wir würden sicher nicht generell nein dazu sagen, es hängt davon ab, womit wir uns gerade beschäftigen.

Soundmag: Jon ist ganz offensichtlich der Hauptsongwriter in der Band. Schreiben du und Mince gar nicht?

Barry: Jon ist einfach viel produktiver, wir beide sind ganz schön faul. Ich interpretiere quasi Jons Arbeit. Er schreibt den Song und ich interpretiere es auf meine Art, spiele den Bass, so wie ich es will. Bei Mince und seinem Schlagzeug ist es genauso. Einige von mir geschriebene Songs werden bald als B-Seiten erscheinen. Mince hat auch gesagt, Songs schreiben zu wollen – irgendwann. Wenn wir jetzt damit begonnen hätten, eigenen Songs zu schreiben, hätte das wahrscheinlich die ganze Dynamik verändert. And Jon almost shits out songs every time.

Soundmag: Mal ganz ehrlich: seid ihr manchmal eifersüchtig auf euren Frontmann?

Barry: Nein, ich bin Bassist. Und mir sagt ja auch niemand, wie und was ich spielen soll. Genauso bei Mince. Jon kommt mit einem neuen Song als Demo und dann interpretieren wir es auf unsere Art und Weise. Wenn wir das Stück dann als Band spielen, verändert es sich in der Regel auch nochmal. Also sind wir alle ganz zufrieden mit unseren Positionen. Das ist ja bei allen großen Bands genauso. Nimm The Who – Pete Townsend schrieb die Texte und war die Kraft hinter der Band, aber gesungen hat Roger Daltrey. Und The Who wären nicht The Who ohne Keith Moon und Roger Daltrey. Es könnte schlimmer sein, so wie bei den Strokes zum Beispiel. Die kriegen ja einfach gesagt, was sie spielen sollen. Das könnte ich nicht, Mince auch nicht. Wir brauchen unsere Freiheit.

Soundmag: Wie war es denn mit Roger Daltrey auf der Bühne zu stehen?

Barry: Ich grinse immer noch, es war fantastisch. Für mich sind The Who meine All Time Favourites. Mit ihnen so eine längerfristige Verbindung aufzubauen, ist grandios. Letztes Jahr haben wir mit Pete Townsend gespielt. Und dann schloss sich der Kreis als wir mit Roger Daltrey auftraten. Mit dieser Band für insgesamt sechs Minuten auf der Bühne zu stehen und von den Menschen, die du verehrst, die Anerkennung zu bekommen… das kann man gar nicht erklären. Es ist fantastisch. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell passiert.

Soundmag: Wer steht jetzt noch auf eurer Wunschliste?

Barry: Was soll denn da bitte noch kommen? Es seit denn Joe Strummer und Johnny Cash steigen nochmal aus ihren Gräbern und haben sonst nichts zu tun. Pink Floyd wären noch nett, mit Dave Gilmour würde ich gern mal auf der Bühne stehen oder John tut sich mit der Band von Roger Waters zusammen.

Soundmag: Auf eurer Homepage gibt es den Budhill Singles Club. Worum geht es dabei?

[b]Barry:
Darauf sind wir sehr stolz, nicht viele Bands geben Songs einfach so weg. Auch unser Label hat versucht, uns zu überreden, Geld dafür zu nehmen. Es ist einfach eine tolle Sache, wir verschenken Songs. Zuletzt sind wir etwas faul geworden, aber der eigentliche Plan war, jeden Monat etwas online zu stehen. Inzwischen liegt der letzte Song allerdings schon neun Monate zurück. Registrierte Fans sollen jeden Monat einen Song downloaden können - einen komplett neuen Track oder Jon allein und akustisch. Der erste Song für dieses Album hieß „Headkiss“ und wir haben ihn komplett eingespielt. Das sind Dinge, die sonst keiner bekommt und wir haben definitiv vor, damit weiterzumachen.

Soundmag: Stimmt es eigentlich, dass ihr euch über eine Anzeige gefunden hat, in der Menschen gesucht wurden, die die Weltherrschaft anstreben?

Barry: (lacht) Die Geschichte geht wohl auf Mince zurück. Die Wahrheit ist, dass jeder von uns dreien eine Anzeige schaltete und eine Band gründen wollte. Ich rief also Jon an und er meldete sich bei Mince und so ging es los. Mince hat sich diese Weltbeherrschungsgeschichte ausgedacht. Naja, ich erinnere mich noch, wie Jon zu mir sagte, er klänge wie ein Arschloch und ich solle ihn besser nicht anrufen. Ich bin echt froh, dass wir es dann doch gemacht haben.

Soundmag: Hat euch der Erfolg denn dann überrascht?

Barry: Mir war schon klar, dass es gut laufen würde. Ich erwartete, dass es erfolgreich sein würde - aber nicht in dieser Geschwindigkeit. Man muss damit zurechtkommen und solange man nicht seinen Kopf verliert, ist alles ok. Dass es aber so gigantisch werden würde, war mir nicht bewusst. In England nimmt es langsam wahnsinnige Züge an, „Chelsea Dagger“ läuft in jedem Koch-TV-Programm. Und im Kinderfernsehen und im Garten-TV. Immer wenn ich den Fernseher anmache, höre ich es. Aber ich denke dann einfach an das Tantiemengeld.

Soundmag: Ihr hattet einen Song im iTunes-Spot und auch noch in einer anderen Werbung. Würdet ihr eines eurer Stüke für eine Anti-Alkohol-Kampagne zur Verfügung stellen?

Barry: Anti-Alkohol? Jesus! Wer sollte denn keinen Alkohol wollen? Wenn sie genug zahlen, sollte das kein Problem sein. Es gibt einige Dinge, die wir besser nicht in Zusammenhang mit unseren Songs bringen wollen, aber sonst… Vielleicht nicht unbedingt Anti-Alkohol. Aber wenn es etwas Cooles ist, würden wir sicher nicht aus moralischen Gründen nein sagen. Oft verdient man damit viel Geld und es wäre einfach idiotisch dann abzulehnen. Außer Apple! Wir haben echt ein paar mehr kostenlose Computer erwartet als wir am Ende bekamen.

Soundmag: Womit verdienst du denn lieber Geld? Mit Werbung oder auf der Bühne?

Barry: Wir verdienen es natürlich lieber auf der Bühne und tatsächlich machen Bands heutzutage ja genau dort ihr Geld. Mit Plattenverkäufen verdienst du nichts mehr. Es ist als wenn du einen sehr spendablen Bankmanager hast. Sie geben dir Geld, du gibst es aus und dann kommt neues – als ob du einen riesigen Überziehungskredit hast. Wirklich verdienen tust du nur mit Konzerten und dem T-Shirt-Verkauf. Es ist wie eine richtige Plattenfirma, nur auf einem niedrigeren Level. Wir verdienen wirklich lieber mit Konzerten und Festival – obwohl ich gar nicht weiß, wie viel heute in Berlin rausspringt. Vielleicht gar nichts.

Soundmag: Es gab Meldungen, nach denen Jon ein Soloalbum machen wird…

Barry: (lacht) Ja, wir haben da auch schon drüber gelacht. Er wurde falsch zitiert. Ich hab es online gelesen und dachte: Fuck, warum sagt der Typ mir nichts davon?! Soweit ich weiß, hat Jon nicht vor, ein Soloalbum zu veröffentlichen. Und das ist ein Fakt. Vielleicht nicht jetzt, aber irgendwann mag das passieren und ich wünsche ihm Glück dafür. Womöglich veröffentliche ich auch eins. Wir haben ja schon kurz über Songwriting gesprochen, ich würde gern einen Soundtrack schreiben. Vielleicht für einen Film wie „Kill Bill“.

Soundmag: Letzte [b]Soundmag: Was hältst Du von den Pet Shop Boys?

Barry: Die Pet Shop Boys? Ich mag sie ziemlich. Bist Du ein Superfan? Ich würde sagen: unaufdringliche Musik. Meine Schwester mag sie, also musste ich sie auch hören. Es gibt einen tollen Song, den sie mit Kylie Minogue gemacht haben („In Denial“, Anm. d. Autors). Also: Viva Pet Shop Boys! (lacht)

Soundmag: Vielen Dank für das Interview.

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