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Guillemots

Guillemots

 

12.05.08 - Lido / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Pressefoto

 

 

 

„Wanky“ und „obscure“ sind zwei Worte, denen man in Artikeln über die Guillemots relativ schnell begegnet. Denn die multikulturelle Band unter Leitung von Fyfe Dangerfield klingt nicht so, wie man es erwarten könnte, wenn sich eine Frau und drei Männer den Schlachtruf „Pop“ auf die Fahne schreiben. Nachdem ihr Debüt „Through The Windowplane“ vor gut zwei Jahren vorsichtige Beifallsstürme auslöste, gelingt der in England beheimateten Band mit „Red“ und einem Chartentry auf Nummer 9 der vorsichtige Durchbruch, zumindest im Vereinigten Königreich.

Soundmag: Wie fühlt man sich, wenn man oft über die eigene Band liest, dass sie ein wenig absonderlich und obskur sei?

Fyfe Dangerfield(Gesang): Denken die Leute das? Einige haben sicher diese Meinung, unsere Vorstellung ist es jedenfalls nicht. Es gibt besonders in der englischen Presse so eine komische Tendenz, jeden zu kreuzigen, der versucht, etwas anders zu klingen. Manchmal werden wir aber einfach fehlinterpretiert. Wir wollen nur Spaß haben! Manche empfinden unsere Musik als pseudo-interlektuell. But that’s bullshit! We just fucking love to play music. Wenn wir etwas zwei Mal tun würden, wären wir sehr schnell gelangweilt.

Greg Stewart(Drums): Meistens besteht eine Band eben aus vier weißen Typen mit lustigen Frisuren, die mit ihren Gitarren und Bässen Rockmusik machen. Wenn du dich von diesem Schema unterschiedest, bist du plötzlich nicht mehr cool.

Fyfe: Oh ja, wir gehören definitiv nicht zu den coolen Jungs. Aber damit kann ich leben, denn keiner der Musiker, die ich jemals gemocht habe, gehörte zu denen. Wir machen Popmusik! Und mehr nicht. Nimm eine Band wie Radiohead. In einem Song auf ihrem aktuellen Album zitieren sie ganz offensichtlich modernen R‘n’B und wurden dafür enorm gelobt. Wir haben auf „Red“ etwas Ähnliches probiert und was war die Reaktion? „Oh, jetzt halten sie sich also für Timbaland!“ Aber das tun wir ganz und gar nicht, nicht mal ansatzweise. Vielleicht liegt es daran, dass wir dieses Element mit Popmusik mischen. Jemand wie Tom Waits macht ja seit Jahrzehnten nichts anderes, nur würden seine Songs niemals im Radio gespielt werden und bekommen darum die entsprechende Anerkennung. Aber wenn wir etwas mit einer tollen Melodie verkuppeln, denken die Leute sofort „Oh, ihr haltet euch ja für sehr clever!“ Aber dem ist nicht so, überhaupt nicht.

Soundmag: Glaubt ihr, dass die aktuelle Popmusik etwas mehr Mut braucht?

Fyfe: Definitiv, denn sie ist einfach langweilig. Popmusik sollte immer aufregend und voller Energie sein. Experimentell zu sein reicht nicht, denn Popmusik steht für Elvis und Little Richard. Schau dir die Leute an, die heute Musik aufnehmen. Alles dreht sich um Click-Tracks und wird automatisch angepasst. Popmusik wird quasi viel zu oft nach dem gleichen Rezept zusammengebastelt. Ich aber habe mich immer für Musik interessiert, bei der ich das Gefühl hatte, dass etwas schief gehen könnte. Darum arbeiten wir nicht nach diesen Schemen, wir mögen es einfach nicht allzu aufgeräumt. Unsere Alben sind eher eine Ansammlungen von spontanen Momenten. Klar spielen wir nicht alles live, aber die meisten Elemente einer Platte entstehen aus der Improvisation und unserer Spielfreude.

Soundmag: Ihr habt schon von R’n’B gesprochen, interessiert ihr euch für diese Art von Musik?

Fyfe: Klar, wir hören Unmengen von Musik. Es ist wie mit Lebensmitteln, wir probieren alles aus. Jeder von uns hat ein Problem damit, sich nur mit einem Musikstil zu beschäftigen. Denn am Ende besteht jede Musik aus Klängen. Und zu sagen, man höre nur eine bestimmte Art von Klängen, ist verrückt. Denn es hängt davon ab, wie diese Klänge und Sounds zusammengesetzt werden. Solange ein Stück Energie hat und ehrlich ist, bin ich dabei. Vieles aus dem aktuellen R’n’B schafft genau das ohne dabei altbacken zu klingen. Diese fetten Beats beeinflussen uns definitiv mehr als 0815-Gitarrenmusik. Aber es gibt halt auch noch jede Menge mehr. Alles, was du hörst, beeinflusst dich schlussendlich irgendwie.

Soundmag: Genauso wie ihr nicht nur mit einem Musikstil in Verbindung gebracht werden wollt, scheint es nicht weniger wichtig zu sein, dass jeder von euch aus einer anderen Musikszene kommt.

Fyfe: Ich bin nicht sicher, ob das wirklich so ist.

Greg: Wir spielen einfach zusammen. Wir improvisieren und alles andere passiert quasi von allein. Es gibt kein langes Nachdenken. Den ganzen Tag über nehmen wir auf und am Ende hören wir es nochmal durch und suchen die besten Stellen heraus. Pläne existieren bei uns nicht und weil es auch ohne funktioniert, fangen wir gar nicht erst an nachzudenken, wie es funktioniert. Wir haben Spaß und genießen die Zeit.

Fyfe: Es hilft natürlich, dass wir alle aus verschiedenen Teilen der Welt kommen. Aber wir stehen nicht im Studio und sagen: Ok Magrão (Gitarrist der Band), kannst du hier bitte etwas Brasilianisches einstreuen? Die Guillemots klingen ja auch nicht wie eine Band, die aus Brasilien, England, Schottland und Kanada kommt. Jeder von uns hat in seiner Jugend andere Musik gehört und trotzdem fühlt es sich im Studio an als würden wir uns schon seit Ewigkeiten kennen. Wenn du all das zu genau analysierst, zerstörst du es.

Soundmag: Nachdem ich “Red” die ersten Male gehört habe, hatte ich den Eindruck, dass es viele tolle Melodien und Ohrwürmer darauf gibt – nur sind sie nicht so offensichtlich wie bei anderen Hits. Es ist alles eine Spur dezenter und subtiler, oder?

Fyfe: Ich kann verstehen, dass du das so empfindest. Bei unseren beiden Alben sagten viele Menschen, dass sie die Songs im ersten Durchlauf nicht mochten. Und dann liebten sie sie mit jedem Hören mehr. Aber wir versuchen nicht, es extra kompliziert zu machen. Es gefällt uns, all diese kleinen Details in einen Song zu packen, aber dadurch soll die Melodie auf keinen Fall zerstört werden. Es hat uns sehr glücklich gemacht, dass die erste Single von diesem Album „Get Over It“ viel öfter im Radio gespielt wurde als die Songs vom Vorgänger. Und die nächste Single scheint sich noch besser zu entwickeln. Wir mussten dafür nichts verändern, der Sound blieb derselbe. Es macht Spaß ein kunterbuntes Album zu machen und die Songs anschließend im Radio zu hören.

Soundmag: Fast überall in Artikeln über euch ist von George Michael die Rede. Woher kommt diese Faszination?

Fyfe: Dass muss dir Greg erzählen, ich habe keine George Michael-Faszination!

Greg: Unser Toningenieur, der mit uns an „Red“ gearbeitet hat, ist auch für George Michael tätig. Wir haben ihn ständig damit aufgezogen.

Fyfe: Eine Art Running Gag. Wir haben ihn ständig gefragt, ob wir nicht George für diesen und jenen Track ins Studio holen könnten. Bei „Big Dog“ hätten wir ihn sehr gern dabei gehabt. Unser Toningenieur hat ihn ihm dann vorgespielt und seine Daumen zeigten nach oben.

Soundmag: „Red“ ist auf Platz neun in die britischen Charts eingestiegen! Hat euch das überrascht?

Fyfe: (überlegt lange) Ich weiß nicht. (grinst)

Greg: Klar war ich überrascht. Das ist doch toll!

Soundmag: Bedeuten euch Chartplatzierungen heutzutage noch etwas?

Greg: Naja, eine Nummer 1 ist immer noch eine Nummer 1. Es war auch insofern toll, weil „Red“ von Anfang an sehr polarisiert hat. Es gab einige miese Kritiken. Dann aber in die Top 10 einzusteigen, hat uns die Sorgen doch etwas genommen.

Soundmag: In eurem neuen Video zu „Falling Out Of Reach“ spielt Ian McKellen (spielte den Gandalf in „Der Herr der Ringe“) die Hauptrolle. Wie kam es dazu?

Fyfe: Sein Neffe mag uns seit einigen Jahren. Als wir ihn auf einem Gig trafen, erzählte er uns, dass Ian McKellen sein Onkel sei. Ich darauf: Dann sag ihm doch, dass wir ihn gern mal in einem unserer Videos hätten. Bei einem anderen Konzert 2006 bracht er ihn dann mit und wir unterhielten uns. Er sagte, dass 2007 wegen der Dreharbeiten zu „King Lear“ komplett voll sei, aber im nächsten Jahr sicher etwas möglich sei. Für dieses Video hatten wir schon länger die Idee dieses alten Mannes, der vom Leben müde ist. Er hatte Zeit, kam ins Studio und bestand darauf, dass wir ihn nicht bezahlen. Ian ist ein echter Gentleman und toller Typ, sehr bodenständig und lustig. Das Video als Endprodukt sieht cool aus, aber wenn du ihn im Studio gesehen hättest – es war so kraftvoll.

Soundmag: Welcher Superstar sollte im nächsten Video dabei sein?

Fyfe: Jake Gyllenhaal und Kirsten Dunst mögen die Guillemots. Die Chancen stehen also nicht schlecht.

Greg: Ich wäre für Woody Allen.

Fyfe: Oder David Hasselhoff. Er könnte „The Hoff“ im „Big Dog“-Video spielen.

Soundmag: Ein anderes Projekt, das irgendwie mit der Band verbunden ist, heißt „Right, So What Are You Thinking?“

Fyfe: Den Film hat unser Gitarrist Magrão gemacht. Wir haben ihn vor ein paar Tagen zum ersten Mal im Bus gesehen. It’s pretty fucked-up stuff! Er ist wie ein düsterer Traum und wir allen haben kleinen Rollen darin. Greg ist ein fantastischer Schauspieler! (grinst) Wirklich!

Greg: Meine Rolle ist etwas größer. Ich hatte ein paar Tage frei und war sowieso in der Gegend. Also bekam ich gleich mehrere Charaktere übergeholfen. Es hat Spaß gemacht, ein toller Film. Man entdeckt immer wieder neue Details.

Soundmag: Habt ihr auch die Musik beigesteuert?

Fyfe: Greg hat so ziemlich den kompletten Soundtrack übernommen.

Greg: Viele Industrial-Beats, von deutschen Bands beeinflusst. Ich habe dafür viel mit Metall und Steinen gearbeitet.

Fyfe: So wie die Einstürzenden Neubauten.

Soundmag: Auch der Filmtitel kommt ja in diesem Wust aus großen und kleinen Buchstaben daher. So wie jedes Artwork von den Guillemots. Hat das eine Bedeutung?

Fyfe: Nein, es sieht einfach nur cool aus. Die Idee kam von Magrão, aber wir gewöhnen es uns so langsam ab.

Soundmag: Eine andere Geschichte, die sich um euch rankt, ist Paul McCartney, der einen eurer Songs im Radio spielte. Habt ihr es gehört oder wie habt ihr davon erfahren?

Fyfe: Man hat es uns erzählt. Er spielte „Little Bear“, den ersten Song unseres Debütalbums, und sagte, es sei ein mutiger Einstieg für ein Album. Irgendwann später rief er mich auch an und sagte, dass ihm unser Album sehr gefalle. Da ich bis zum Alter von neun oder zehn Jahren nicht anderes als die Beatles gehört habe, hat mich das sehr glücklich gemacht.

Soundmag: Was ist das für ein Moment, wenn du den Hörer abnimmst und Paul McCartney ist am anderen Ende?

Fyfe: Es ist blöd gelaufen, denn wir haben grad Mittagspause gemacht und aßen Pizza. Anschließend sah ich diese Telefonnummer, die ich nicht kannte und dass sie eine Nachricht hinterlassen hätte. Die hörte ich dann ab und schaute alle dabei mit riesigen Augen an: „Hey, this is Sir Paul McCartney...“

Soundmag: Du beschäftigst dich neben der Musik auch mit Ornithologie.

Fyfe: Ich liebe es, Vögel zu beobachten. Heute habe ich einige Nachtigallen gesehen. Es ermöglicht dir, den Alltag etwas hinter dir zu lassen.

Soundmag: Einige Leute sagen ja, dass das Album durchaus von den 80er Jahren beeinflusst sei. Darum meine letzte Frage. Was haltet ihr von den Pet Shop Boys?

Fyfe: Wow, mich hat neulich erst jemand etwas über die Pet Shop Boys gefragt. Ich bin kein Superfan, aber „West End Girls“ beispielsweise ist ein toller Song. Ansonsten bin ich nicht sehr vertraut mit ihren Alben.

Greg: Ich habe mal gehört, dass es in den 80ern eine Gruppe Hooligans gab, die sich wie die Pet Shop Boys gekleidet haben. Stimmt das?

Soundmag: Nicht dass ich wüsste.

Fyfe: Anyway, wir haben schon mit ihnen gespielt. Zusammen mit den Magic Numbers, Keane und anderen für die Warchild-Organisation. Ich habe sie bei den Proben und ihrem Auftritt von der Seite aus beobachtet. Dieses Duett mit Dusty Springfield ist fantastisch. Sie sind toll, haben ihren eigenen, einmaligen Sound.

Fyfe: Neil Tennant ist ein netter Mensch…

Greg: …und er war auf einem unserer ersten Konzerte in London! Er hat seine Finger also definitiv am Puls der Zeit!

Soundmag: Vielen Dank für das Interview.

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www.guillemots.com

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