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The Faint

The Faint

 

22.07.08 - Mövenpick Hotel / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Andreas

 

 

 

Wenn sich eine Band vom in Omaha beheimateten Saddle Creek-Label verabschiedet, herrscht Aufregung. Zu prägnant ist die Vorstellung eines urigen, kuscheligen Familienbetriebs, dem die Künstler auf ewig verbunden bleiben. Nachdem bereits Connor Obersts mit seinem neuen Soloalbum fremdging, gründeten nun auch die Elektropunkwavewhatever-Band The Faint mit blank.wav ihr ganz persönliches Label. Der Grund dafür war weder Streit noch Missgunst – The Faint wollen alles in den eigenen Händen haben. Und dazu gehört mit dem Erscheinen ihres fünften Albums „FASCIINATION“ nun auch das eigene Label. Bassist Joel Petersen flog darum auch über den Atlantik, um an einem sonnigen Sommertag in einem Berliner Hotel über neue Songs und absonderliche Internetseiten zu reden.

Soundmag: Joel, gestern im Laufe der Interviewvorbereitung habe ich dich und die anderen Mitglieder einige Male wild durch die Gegend getreten. Und zwar auf dropkickthefaint.com. Warum lasst ihr so etwas zu?

Joel Petersen: (lacht) Es gibt diese Seite, weil man sich darauf prima die Zeit vertreiben kann. Irgendjemand hat es sich ausgedacht und wir haben ihn dabei unterstützt, weil es uns gefiel und lustig ist. Einige Leute lieben sie richtig. Als es sich damals im Internet verbreitete, bekamen wir ständig Mails, in denen man uns mitteilte, was für ein Riesenspaß es sei, uns endlich mal ordentlich in den Hintern zu treten. (lacht) Und sie meinten es ja noch nicht mal böse, es macht einfach Spaß!

Soundmag: Gestern habe ich es auf 9600 Punkte gebracht. Wo liegt der bandinterne Highscore?

Joel Petersen: (denkt kurz nach) Damit bist du schon mal besser als ich es je war. Ich habe es mal bis auf 7000 oder 8000 Punkte geschafft. Also, entweder habe ich mich noch nicht lange genug damit beschäftigt oder du hast ein echtes Talent für dieses Spiel. Oder ich wollte uns selbst einfach nicht so sehr verletzen.

Soundmag: Auf das erste ernste Thema hat mich euer eigenes Label gebracht. Du hast das vielleicht heute schon mehrmals gehört, aber das kopiergeschützte Vorabalbum mit Wasserzeichen konnte ich auf so gut wie keinem CD-Player abspielen. Darum würde ich gern von dir als Label-Miteigentümer wissen: was hältst du vom Kopierschutz?

Joel Petersen: (lacht) Ich finde, er ist ein großes Unglück. Ganz ehrlich: ich bin ein Pirat und es ist mir komplett egal. (lacht) Aber: wir haben einen Manager und Angestellte bei unserem neuen Label. Und sie sagen, dass es so sein muss. Aber ich bleibe ein Pirat.

Soundmag: Probiert ihr noch andere Optionen aus, um das Album nicht vor der Veröffentlichung im Internet zu finden?

Joel Petersen: Also ganz ehrlich: keiner hat eine Kopie des Albums – außer die Dinger, die sich nicht abspielen lassen. (lacht) Wir schicken in Kürze auch die richtigen Promos raus. Am Ende aber wird es sowieso im Netz auftauchen, wahrscheinlich eine Woche vor Veröffentlichung. Damit kann ich leben. Ansonsten wüsste ich nicht, was wir noch tun. Tut mir leid. (lacht)

Soundmag: Braucht man heutzutage eigentlich noch viel Mut, um ein eigenes Label zu gründen oder sollte eigentlich jede Band diesen Schritt wagen?

Joel Petersen: Für uns ist es schon ein bisschen beängstigend. Weil du ja erst mal Geld auftreiben musst, um alles anzuschieben. Wir haben es uns am Ende einfach bei einer Bank geliehen. (lacht) Wenn die ganze Sache jetzt floppt, müssen wir uns ernsthaft Gedanken machen, wie wir es zurückzahlen. Aber ich denke, es ist eine gute Sache, die die Menschen tun sollten - zumindest bestimmte Menschen. Das trifft sicher nicht für jede Band zu. Aber für eine mit unserer Geschichte, die inzwischen auf einige Alben und viele Tourneen zurückgeht, ergab es einfach Sinn. Wir brauchen diese riesige Plattenfirmenmaschine inzwischen nicht mehr. Wir verkaufen nun mal soundso-viele Alben und das war es. Aber mit dem neuen Album, dem damit zusammenhängenden Timing und der Tatsache, dass der digitale Vertrieb immer mehr an Bedeutung gewinnt, passt einfach alles zusammen. Trotzdem wäre es komisch, wenn kleine Bands jetzt ähnliches versuchen würden. Einfach, weil es Geld braucht, CDs zu pressen. Und das muss man erst mal haben. Dann brauchst du einen Pressemenschen, einen Vertrieb und so weiter. Es wird kompliziert. Gleichzeitig aber habe ich ja noch eine andere Band – Broken Spindles. Auch deren letztes Album habe ich allein herausgebracht, ganz ohne Pressebetreuer oder andere Angestellte. Ich bezahlte die Pressung, druckte ein paar Cover und trotzdem lief alles gut. Bei dieser Platte war es genauso sinnvoll. Am Ende hängt es sowohl vom Künstler als auch vom Album ab. Ich erwarte aber, dass viel mehr Musiker in Zukunft diesen Weg gehen.

Soundmag: Der Grund, Saddle Creek zu verlassen, war also die Tatsache, dass die Band groß genug für diesen Schritt war?

Joel Petersen: Es war einfach das Richtige für die Band. Wir haben uns ja schon immer mehr zugetraut als wir vielleicht sollten und zu dieser Strategie passt das eigene Label. Wir haben unser eigenes Artwork gemacht, eigene Videos gedreht. Die Tourproduktion mit all den Videos und Lichtshows ging auf unsere Kappe. Und das Label war die nächste Stufe einer Entwicklung, in der The Faint die komplette Kontrolle über alles erlangen.

Soundmag: Das letzte The Faint-Album liegt über vier Jahre zurück. Ihr habt zwischendurch in Soloprojekten und anderen Bands gearbeitet. War es am Anfang schwierig, wieder zusammen zu finden?

Joel Petersen: Es war insofern schwierig, weil einfach sehr viele Ideen herum schwebten, wie The Faint nach all den Jahren klingen sollten. Es brauchte Kraft, sie alle durchzuarbeiten und herauszufinden, welche von ihnen funktionieren. Über die gesamte Zeit waren The Faint ja aktiv, wir spielten viele Shows. Am Ende hat es einfach so lange gebraucht.

Soundmag: Gab es einen bestimmten Punkt, an dem euch klar war, dass es jetzt weitergehen konnte?

Joel Petersen: Wir merkten irgendwann, dass wir seit Ewigkeiten auf Tour waren, über zwei Jahre. Kein einziger neuer Song war geschrieben, wir haben einfach nur getourt. Also sagten wir: vielleicht sollten wir uns langsam mal um das nächste Album kümmern. Fast genau um diese Zeit herum kauften wir ein Haus in Omaha. Wir zogen ein, bauten unser Equipment auf und ich erinnere mich, wie wir uns gegenüberstanden und fragten: Hat jemand neue Songs dabei? (lacht) Was nicht wirklich der Fall war, aber irgendwie hat es dann doch geklappt.

Soundmag: Die erste Single heißt „The Geeks Were Right“. Ist das eure ernst gemeinte Vorhersage für die Zukunft?

Joel Petersen: (lacht) Nein. Ich denke, Todd (Fink, Sänger der Band) hatte einfach Spaß an der Idee und schrieb seine surreale Vision der Zukunft auf. Aber wer weiß schon, ob wir die Zukunft vorhersagen können oder nur in einem großen Irrenhaus leben. Der Song ist einfach sein Blick darauf.

Soundmag: Wenn ihr die Zukunft allerdings doch voraussagen könntet, gäbe es allerdings nicht allzu viel, auf das man sich freuen könnte. „FASCIINATION“ ist euer fünftes Album. Ist es eigentlich schwieriger geworden, Menschen mit elektronischer Musik zu überraschen?

Joel Petersen: Es ist vor allem schwerer, uns selbst zu überraschen. Und genau das ist unser Antrieb, diesen Funken des Unerwarteten aufzuspüren. Das aber wird mit jedem Song, den du schreibst und mit jedem Mal, in dem es dir wieder gelingt, immer schwerer. Mir gefällt der Gedanke, dass der Prozess des Schreibens in unserem Fall so egozentrisch ist: fünf Typen, die sich zusammensetzen und etwas erschaffen wollen, dass sie selbst froh macht – ohne allzu viele Einflüsse von außen. Ich kann nichts zum Funken-Faktor anderer Menschen sagen, aber für uns selbst wird es definitiv immer schwerer.

Soundmag: Dieser Gedanke kam mir, als ich Fan-Einträge auf Boards las, die sich in der Regel wünschten, dass das neue Album wie eure früheren Platten klingt. Wie geht ihr mit diesen Erwartungen um?

Joel Petersen: Wir haben uns damit beschäftigt, indem wir uns nicht damit beschäftigt haben. (lacht) Wir haben das Album gemacht, das du gehört hast und uns gefällt es. Die Leute können es fühlen oder nicht. Kontrollieren aber können wir die Reaktionen nicht. Wir haben diese Platte gemacht. Was andere Leute davon halten, ist ihr Ding. Hoffentlich gefällt es ihnen. Ich mag es!

Soundmag: Nehmt ihr in Amerika eigentlich all die elektronische Musik wahr, die im letzten Jahr beispielsweise vom französischen Ed Banger-Label kam? Was hältst du davon?

Joel Petersen: Ich finde es gut. Mir gefällt es, wenn sich kleine Gemeinschaften mit einem ganz bestimmten Stil oder auf eine ganz spezielle, künstlerische Ästhetik einschwören. Das ist cool und es ist absolut notwendig, dass das immer wieder passiert, um die Entwicklung der Musik am Laufen zu halten.

Soundmag: Die Acts dieser Bewegung versuchen ja, Elektro mit Rockelementen zu kombinieren. Auch ihr probiert diese Strategie in einigen eurer neuen Songs aus. Wie also seht ihr euch selbst: als Band oder Projekt? Als Rock- oder Elektro-Act?

Joel Petersen: Als all das! (lacht) Nein. Ich denke, ein Unterschied zwischen uns und diesen Acts ist, dass wir den Fokus immer und unbedingt auf den Song legen. Ohne ein Stück, das uns etwas fühlen lässt oder etwas ausdrückt, haben wir nichts. Also arbeiten wir so lange, bis genau das passiert. Sobald es dann aber geschehen ist, kommen all die spaßigen Sachen wie die coolen Keyboardsounds und tollen Riffs. Der Song aber ist immer zuerst da.

Soundmag: Viele Elektronikacts beziehen sich bei ihren Einflüssen gern auf deutsche Bands wie Kraftwerk oder Can. Trifft das auch bei euch zu?

Joel Petersen: Ich kann nicht sagen, dass sie mich sehr beeinflusst haben, weil ich Kraftwerk und Can erst später entdeckt habe. Aber definitiv erkenne ich ihre Großartigkeit. Diese beiden Bands sind fantastisch und ich wünschte, ich hätte sie früher entdeckt, um sie auch mal live zu sehen.

Soundmag: Ein Musikmagazin, mit dem du heute wahrscheinlich auch schon gesprochen hast, beschreibt eure Musik als „Omaha Club Sound“. Viele kennen ja die Folk-Musik der Stadt von Bands wie den Bright Eyes. Aber gibt es in Omaha überhaupt genügend Clubs, um von einem speziellen Club-Sound zu sprechen?

Joel Petersen: (kichert) Nein. Es gibt zwei Clubs, in denen sich hauptsächlich Schwule treffen. Aber so ab 1 Uhr morgens verwandeln sie sich in eher normale Danceclubs – aber nur freitags und samstags. Das war‘s dann allerdings auch. Es existiert also wirklich keine Clubszene in Omaha. Es ist die The Faint-Show. Die Einmal-Im-Jahr-Faint-Show.

Soundmag: Lass uns noch mal zu eurem neuen Label zurückkommen. Du hast schon gesagt, dass ihr fast alles rund um The Faint selbst macht. Wie wichtig ist euch dieser Punkt?

Joel Petersen: Es hat sich bei uns einfach traditionell so entwickelt. Für uns war es immer schwierig, Kontrolle abzugeben und Entscheidungsgewalten auf jemanden anderen zu übertragen. Wir müssen einfach überall dabei sein, wenn es um unsere Band geht. Vielleicht sind wir einfach Kontrollfreaks. (lacht) Allem gegenüber aufgeschlossene Kontrollfreaks allerdings.

Soundmag: Hier in Europa müsst ihr nun trotzdem mit einem anderen Label zusammenarbeiten. War es schwierig, den richtigen Partner dafür auszuwählen?

Joel Petersen: Diese Entscheidung oder vielmehr der Prozess hin zu dieser Entscheidung läuft über unseren Manager. Vor 1 ½ Jahren wurde uns einfach klar, dass wir einen brauchen würden, denn The Faint waren so groß geworden, dass wir es als 5-Mann-Band nicht mehr bewältigen könnten. Die Alternative war, nicht mehr zu touren und keine neuen Platten aufzunehmen, weil schlicht und einfach die Zeit dafür fehlen würde. Er kümmert sich nun um viele verschiedene Dinge und arbeitet alles aus. Und immer wenn er kurz vor einer Entscheidung steht, treffen wir uns, reden darüber und entscheiden, was das Beste für das Album ist.

Soundmag: Zwei kurze Fragen zum Schluss: Ich habe heute gelesen, dass Courtney Love nicht weniger als 104 Kreditkarten besitzt. Nur um die Relationen zu begreifen: wie viele Kreditkarten hat ein Musiker wie du in seiner Brieftasche?

Joel Petersen: Tatsächlich einige, denn ich kümmere mich um all die finanziellen Angelegenheiten der Band. Darum gehören ein paar davon auch uns als Band gemeinsam. Ich persönlich habe nur eine Scheckkarte, keine Kreditkarte. Um genau zu sein: wir haben eine American Express für die Tourneen und eine Kreditkarte, wenn wir Equipment und anderes Zeug brauchen.

Soundmag: Hast du eine Idee, warum man 104 Kreditkarten brauchen könnte?

Joel Petersen: Jede Menge Ärger bekommen! (lacht)

Soundmag: Richtig, den hat Frau Love jetzt auch. Sie behauptet nämlich, dass Ryan Adams mit einer der Karten die Produktion seines neuen Albums bezahlt hätte. Großartige Geschichte! Letzte Frage: Was hältst du von den Pet Shop Boys?

Joel Petersen: Die Pet Shop Boys. (denkt nach) Sie gehörten nie zu meinen Lieblingsbands. Für mich klangen sie immer etwas zu poliert. Mir fehlte eine kleine Ecke, an der ich mich hätte stoßen können. Oder ein bisschen Punk-Attitüde, die ich z.B. bei Can hören kann. Das ist es, was ich dazu sagen kann. Die Pet Shop Boys waren einfach nichts für mich.

Soundmag: Vielen Dank für das Interview.

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Band-Seite

Interview vom 08.08.04

Offizielle Website

www.thefaint.com

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