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Miss Li

Miss Li

 

09.10.08 - Berlin / Berlin

Interview:  Andreas

Foto: Pressefoto

 

 

 

In ihrem Ausweis steht bei Größe eine Zahl rund um 1,60, aber wenn sich Linda Carlsson am Abend in ihre Bühnenpersönlichkeit Miss Li verwandelt, wächst sie auf mindestens zwei Meter und wird quasi unbesiegbar. Denn Miss Li hat unerschöpfliche Energie und kennt schlechte Laune nur aus den melodramatischen Filmen, die sie sich früher am Sonntagnachmittag mit ihrer Mutter anschauen musste. So könnt es sein, doch die Geschichte von Miss Li kennt nur Linda Carlsson und umgekehrt mag es genauso sein. Das eine oder andere über die beiden allerdings erfährt man in ihren Songs, die jetzt auch auf dem selbstbetitelten Deutschlanddebüt zu finden sind. An einem leicht diesigen Popkomm-Nachmittag im Oktober kommt Miss Li in die Empfangsräume eines kleinen Berliner Hostels, grinst breit und ist bereit.

Soundmag: In deinem Song „Miss Li“ beschreibst du wie aus Linda Carlsson Miss Li wurde. Wie viel daran ist wahr?

Miss Li: Naja, fast alles. Ich kann mir nicht einfach etwas ausdenken. Das, was ich singe, muss ich auch genau so meinen. Das meiste in den Texten habe ich also tatsächlich auch selbst erlebt. (lacht)

Soundmag: Das heißt: Miss Li ist quasi die Bühnenpersönlichkeit von Linda Carlsson?

Miss Li: Ja, irgendwie schon. Am Anfang ging es mir eigentlich nur darum, dass ich Linda Carlsson für einen furchtbar langweiligen Namen hielt. Er ist in Schweden sehr verbreitet. Also dachte ich: vielleicht sollte ich mich einfach Miss Li nennen. Zur Sicherheit googelte ich nochmal danach und fand heraus, dass eine japanische Prostituierte genauso heißt. (lacht) Okay, dann gibt es jetzt sie und mich. Als ich nach einer Weile in Schweden bekannter wurde und mich die Leute auf der Straße erkannten, gefiel mir die Vorstellung, dass es Miss Li gibt und parallel dazu auch Linda. Wenn ich nicht arbeiten will, lege ich den Schalter um und werde zu Linda Carlsson. Und wenn ich auf die Bühne gehe, verwandle ich mich in Miss Li. Alles, was ich schreibe allerdings, hat Linda selbst erlebt.

Soundmag: Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den beiden?

Miss Li: Ja klar. (lacht) Ich habe diese positive Seite und bin teilweise voller Energie. All das packe ich jetzt in Miss Li. Miss Li ist niemals depressiv, aber Linda kann das sehr wohl sein. Sie weint auch manchmal – so wie wir alle. Aber diese verrückte Seite passt einfach besser in die Live-Atmosphäre eines Konzerts, denn da ist Miss Li ja schon ein Stück verrückter als auf ihren Alben.

Soundmag: Ist es denn so einfach wie es klingt, auf glücklich und Lächeln umzuschalten?

Miss Li: Manchmal ist es tatsächlich einfacher, Miss Li zu werden. Denn jeder will glücklich sein und viel lachen. Manchmal allerdings bin ich ein furchtbarer Workaholic und dann fällt es mir schwer, Linda zu sein, zu Hause zu sitzen und nicht an die Arbeit zu denken. Aber Miss Li zu sein, ist nie ein Problem. Ich ziehe mir einfach ein niedliches Kleid an, trage Make-Up auf, gehe auf die Bühne und bin glücklich. Wenn ich Musik mache, bekomme ich immer gute Laune. Darum ist das wahrscheinliche die einfachere Verwandlung.

Soundmag: Du bist in Deutschland noch ein kompletter Newcomer, aber zu Hause in Schweden kennt man dich schon länger. Was sind die drei Dinge, die jeder über Miss Li wissen sollte?

Miss Li: Das Erste, was man wissen sollte, ist wie alles begann: ich wachte mitten in der Nacht auf und dachte: Ich muss Musik machen und zwar alleine. Ich war auch vorher schon in verschiedenen Bands, hatte aber noch nie Piano gespielt. (lacht) Darum nennen sie mich manchmal die Pianoterroristin. Denn ich bin die schlechteste Pianistin, aber trotzdem hat es immer noch seinen Charme – hoffe ich zumindest. Damals schrieb ich all diese Balladen, weil ich nicht wusste, wie ich das Instrument zu spielen habe. Also drückte ich die Tasten ganz langsam und sang dazu. Dann schrieb ich „Oh Boy“, der erste Uptempo-Song mit einer eingängigen Melodie. Als ich ihn aufnahm, dachte ich so bei mir: Hey, das klingt ganz gut, vielleicht sollte ich in diese Richtung weitergehen. Also komponierte ich ähnliche Songs und so ging es los. Das sollte man wissen. Als zweites müsst ihr bereit dafür sein, dass ich in meinen Texten sehr ehrlich bin. Es sind einfache Texte, weil ich sie mit meinem Englisch nicht zerstören will. Und: meine Songs sind von alter Musik beeinflusst - Jazz, den 40s und 50s und 60s – nicht so sehr von den 70ern und gar nicht von den 80s. (lacht)

Soundmag: Du kommst aus Borlänge, das ja ein unglaublich kreatives Städtchen zu sein scheint.

Miss Li: Ja. Man sagt immer, es sei ein wenig wie Liverpool. Borlänge ist eine arme Stadt, viel Industrie und eine hohe Kriminalitätsrate. Jeder Jugendliche überlegt: soll ich kriminell werden oder doch lieber Musik machen? Und ich war eine von denen, die sich für die Musik entschieden. (lacht) So wie die Jungs von Mando Diao und Sugarplum Fairy. Und ich glaube, wir inspirieren uns auch irgendwie gegenseitig.

Soundmag: Mit der Musik hast du also aus Langeweile angefangen?

Miss Li: Vielleicht, als ich jung war spielte ich Fußball, hörte dann irgendwann damit auf. Mir wurde klar, dass ich anders war und nicht zu den anderen Mädchen passte. Wenn du mich anschaust, sehe ich natürlich wie eine Frau aus, aber ich bin nicht der Girly-Typ mit den Girly-Freundinnen. Gleichzeitig passte ich aber auch nicht mehr in die Jungs-Clique und musste darum meinen ganz eigenen Ausdruck suchen. Und vielleicht habe ich diese Ausdrucksform ja in der Musik gefunden.

Soundmag: Ihr habt in Borlänge sicher auch die anderen Bands kennengelernt, oder?

Miss Li: Es gab ein paar Talentshows. Mit 17 trat ich mit meiner Band gegen Sugarplum Fairy an und am Enden standen wir auf Platz 1 und Sugarplum wurden nur Zweiter. (lacht) Aber irgendwie wurden sie dann erfolgreicher, was auch daran liegen könnte, dass ich die damalige Band verließ und mein Glück allein versuchte.

Soundmag: Du hast in verschiedenen Bands einige Musikstile durchprobiert. Kann man die Musik von Miss Li jetzt eigentlich noch in irgendein Format einordnen?

Miss Li: Die Leute fragen mich oft, ob ich von einer anderen Frau beeinflusst werde, die ähnliche Musik macht. Aber ganz ehrlich habe ich solche Musik noch nie gehört. Und ich habe ja auch nie beabsichtigt, diese Mischung aus Kabarett, Punk und Jazz zu kreieren. Ich habe einfach Musik gemacht und am Ende klang sie so. Ob es da draußen noch ein Mädchen gibt, die wie ich schlecht auf dem Piano spielt und ähnliche Musik macht, weiß ich nicht. (lacht)

Soundmag: Musikerinnen aus Schweden machen oft sehr ruhige, nachdenkliche Musik und werden sofort mit dem Klischee der langen, dunklen Nächte konfrontiert. Beim Hören deines Albums habe ich mich gefragt, woher du all diese Einflüsse hast. War es die Plattensammlung deiner Eltern?

Miss Li: Ich weiß es nicht. Als ich von Borlänge nach Stockholm zog, war ich ein Punk- und Hardrockfan. Damals hörte ich all die gute Musik gar nicht, sondern nur New Metal und solchen Kram. Dann entdeckte ich Hard Rock von Iron Maiden und so ging ich immer weiter zurück: zu Thin Lizzy in die 70er, in die 60er zu den Kinks und den Beatles und so kam ich irgendwie zu Louis Armstrong. Im Prinzip ging ich also den Weg vom hier und jetzt bis in die 20er. Am Ende beeinflusste mich also nicht dieses eine Ding, sondern mein Umzug aus dem langweiligen Borlänge nach Stockholm, wo all die Puzzleteile in dieser einen Nacht zusammen kamen. Aber ich kenne natürlich, diese Meinung über schwedische Musikerinnen, die alle nur traurige Songs schreiben und kein Make-Up tragen. Und daran ist auch gar nichts Falsches, aber ich wollte kein solchen Mädchen sein. Ich wollte Spaß haben und Fröhlichkeit vermitteln. Hoffentlich ist mir das gelungen. Ich zumindest habe viel Spaß beim Songwriting.

Soundmag: Und dann kam der Tag, an dem du entschieden hast, ab jetzt Piano zu spielen.

Miss Li: Ich habe vorher versucht, Bands zu gründen. Aber die Typen waren immer zu faul zum proben oder hatten kein Geld, um die Demos aufzunehmen. Ich hatte damals auch nicht viel Geld, hab es mir dann aber von Freunden und Bekannten zusammengeborgt. Dann nahm ich mein erstes Demo auf und beschloss: wenn ich es schaffen will, muss ich es allein tun!

Soundmag: Aber heute besteht deine Band ja wieder nur aus Typen!

Miss Li: Richtig, aber jetzt müssen sie auch nur noch pünktlich bei den Konzerten auftauchen. Heutzutage werden wir ja sogar richtig bezahlt. Es sind coole Typen, die meisten von ihnen habe ich erst kennengelernt als ich mein erstes Album bereits aufgenommen hatte. Einer aber ist sogar ein Freund aus Kindertagen und mein Gitarrist spielte vorher in einer Band, von der ich Fan war. Heute schreiben wir sogar die Songs zusammen, zum Beispiel für das letzte Album, das ich in Schweden veröffentlicht habe.

Soundmag: Apropos - dort hast du einfach mal drei Alben in nur elf Monaten veröffentlicht. Wie konnte denn das passieren?

Miss Li: Keine Ahnung, ich wurde wohl inspiriert. Als ich mein erstes Album veröffentlichte und es gleich so gut lief, war das für mich einfach Spaß. Also nahm ich gleich das zweite auf und hinten dran Nummer drei. Keine Ahnung, wie das passierte. Auf meinem Best Of-Album, das in diesem Jahr rauskam, waren auch gleich acht neue Songs mit drauf. (lacht) Es gibt viel zu tun, aber es macht auch Spaß. Für das nächste Album haben mein Gitarrist Sonny und ich 30 Stücke geschrieben. Vielleicht springen also auch im nächsten Jahr drei neue Alben raus.

Soundmag: Hat dein Label in Schweden nicht mal gesagt: Ok, jetzt kannst du mal Urlaub machen und es langsam angehen?

Miss Li: Nein, sie mochten es sogar. Es ist ein kleines Label und sie wissen, dass das Geschäft heutzutage schlecht läuft und man seinen eigenen Weg finden muss. Und mein Weg hat sich ganz gut entwickelt, also gefällt er ihnen auch.

Soundmag: Das Album, das jetzt in Deutschland erscheint, ist ja quasi eine Best Of. Wer hat die Stücke ausgesucht?

Miss Li: Das Label in Deutschland hat die Auswahl zusammen mit der schwedischen Plattenfirma getroffen. Dann fragten sie mich, ob ich einverstanden wäre und ich sagte: Klar, wenn ihr es so mögt, machen wir es so. Mit etwas Glück werden hoffentlich zwei oder drei Leute hier in Deutschland die Platte kaufen. (lacht)

Soundmag: Die erste Single heißt „Oh Boy“. Was muss man haben um Miss Li dieses „Oh Boy“-Gefühl zu geben?

Miss Li: (lacht) Du brauchst irgendetwas Spezielles oder Besonderes. Aber ehrlich: der Song erzählt wie alle anderen eine wahre Geschichte. Aber dieser „Oh Boy“ könnte jeder für jeden sein.

Soundmag: Einer deiner Songs heißt „I’m Glad I’m Not A Proud American“. Was ist denn so falsch an stolzen Amerikanern?

Miss Li: Ich habe das Gefühl, dass ein stolzer Amerikaner einer von den Amerikanern ist, die in den Krieg ziehen. Aber das ist nur meine Meinung. Meistens sind diese Menschen in meinen Augen auf die falschen Dinge stolz. Nicht für ihre Kriege oder ihr Christentum, das Abteibungen verbietet, sollten sie sich rühmen. Jetzt kannst du dir sicher schon denken, dass ich nie für Bush gestimmt hätte, wenn ich Amerikanerin wäre. In diesem Song drücke ich einfach meine Meinung aus – auf sehr einfache Art und Weise.

Soundmag: Beobachtest du denn die amerikanischen Wahlen?

Miss Li: So gut ich kann. Denn ich habe keinen Fernseher. Den hab ich weggeschmissen, um mehr Songs schreiben zu können. (lacht) Aber ich lese natürlich Tageszeitungen und versuche, auf dem Laufenden zu bleiben. Ich glaube, es wird sehr spannend. Es ist doch erstaunlich, dass ein Schwarzer dabei ist, der nächste Präsident Amerikas zu werden! Wenn es so kommt, wäre das sicher toll für das Land.

Soundmag: Im Dezember wirst du nochmal nach Deutschland kommen. Was können die Leute dann von deinen Konzerten erwarten?

Miss Li: Es wird lustig! Und ich finde, dass es live noch besser ist als auf CD, denn die Musik wird spontaner. Ich zumindest habe gute Laune, wenn ich live spiele und ihr dann hoffentlich auch, wenn ihr mich seht und hört.

Soundmag: Letzte Frage: Was hältst du von den Pet Shop Boys?

Miss Li: (lacht) Ich habe keines ihrer Alben, aber vor ein paar Tagen hörte ich einen Pet Shop Boys-Song im Radio. Während der ersten Sekunden dachte ich: Oh, den kenne ich. Der gefällt mir. Dann fiel mir aber auf, dass es die Pet Shop Boys sind und darum entschied ich mich, ihn doch nicht zu mögen. (lacht) Sie haben in mir etwas bewegt – keine Ahnung, warum. Vielleicht ja wegen einer Kindheitserinnerung. Aber ich wurde ja erst 1982 geboren, allzu viel kann da also nicht sein. Die Pet Shop Boys sind beides: gut und schlecht. Etwas anderes kann ich zu ihnen nicht sagen.

Soundmag: Vielen Dank für das Interview.

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