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Howling Bells

Howling Bells

 

21.11.08 - Lido / Berlin

Interview:  Dirk

Foto: Pressefoto

 

 

 

Nachdem das Debüt der Howling Bells außerhalb von UK unglaublicherweise letztendlich keine reguläre Veröffentlichung erfahren hat, stehen die Sterne nun wesentlich besser für die beste australische Band seit Jahren. Mit einem neuen Plattenvertrag in der Tasche sollte nun mit dem elektronischeren, poppigeren und sogar mit famos orgelnden Keyboardsounds aufwartenden „Radio Wars“ auch Europa entgültig zu knacken sein. Bassist Brendan Picchio und Drummer Glenn Moule nahmen sich im Tourbus wenige Minuten vor Beginn des Konzertes als Support für Mercury Rev eine Menge Zeit, die sie fast zu spät zu ihrem Auftritt kommen ließ. Dabei erwiesen sich nach der wunderbaren Juanita Stein vor zwei Jahren auch Picchio und Moule als äußerst sympathische, humorvolle, aufgeräumte und reflektierte Zeitgenossen. Aber der Reihe nach.

Soundmag: Wie fühlt es sich für euch an, wieder auf Tour zu sein?

Brandon: Auf dem Gipfel der Welt zu sein. (lacht)

Glenn: Wir waren vierzehn Monate nicht mehr unterwegs. Es hat ein bisschen gedauert, um sich daran zu gewöhnen. Aber jetzt sind wir wieder in der Spur. Das ist es, was eine Band ausmacht.

Brandon: Es ist ein gutes Gefühl, nach Duschen und Nahrung zu jagen. Alles ist ein wenig wie ein kleines Abenteuer.

Glenn: Das Schwerste ist wirklich, eine Dusche zu finden. Deine Überlebensinstinkte werden geweckt. (lacht)

Soundmag: Ich hätte nicht vermutet, dass das so schwer ist...

Brendan: Völlig klar. Aber wenn man jeden Tag zwei Stunden reisen muss, ist das wirklich schwierig. (Beide lachen)

Glenn: Wenn mal darüber nachdenkt: jeder hat die Möglichkeit zu duschen. Eine Dusche ist immer vorhanden. Aber wenn du auf Tour bist, musst du an jedem einzelnen Ort in der Welt erneut danach suchen.

Brendan: Ja, Mann! Dazu muss man Talent haben.

Soundmag: Aber wo über übernachtet ihr denn bitteschön?

Brendan: Es gibt hier im Bus zwölf Betten. (lacht)

Soundmag: Ist das immer noch euer „small shitty tourbus“, wie mir damals Juanita berichtet hat?

Glenn: Nein, nein.

Brendan: Es ist jetzt viel besser.

Glenn: Er ist um einiges größer als der alte.

Brendan: Aber diesen Raum brauchen wir auch. Der neue Tourbus ist prima und erfüllt seine Aufgabe.

Soundmag: Fühlt ihr euch denn erleichtert, die neuen Songs live zu spielen?

Brendan: Ja, ich denke, es ist eine Erleichterung. Es ist etwa so, wie wenn man ein Kind hat und dieses dann aufwachsen sieht. Vielleicht übertreibe ich ein bisschen. Man hat an diesen Songs über ein halbes Jahr gearbeitet und dann gelangt man an den Punkt, an dem alles zusammen kommt und dann überkommt einen plötzlich Erleichterung. Man versucht alles rauszulassen. Es fühlt sich großartig an.

Glenn: Für mich ist es so, wie wenn man jemand Neues kennen lernt. Man ist völlig aufgeregt über das, was passiert

Brendan: Nervöse Aufregung.

Glenn: Genau. Weil man äußerst interessiert ist, es aber nicht zu sehr zeigen darf. So geht es mir mit dem neuen Material.

Soundmag: Wo habt ihr denn die neuen Songs geschrieben? Auf Tour?

Brendan: Überall! Es war aber nicht viel auf Tour.

Glenn: Einige haben wir in Sydney, andere haben wir in Victoria geschrieben.

Brendan: Der Prozess war diesmal komplett anders. Es hat die Bemühungen aller Bandmitglieder kombiniert, um dieses Album entstehen zu lassen. Es wurde sehr viel an persönlichen Rückzugsorten geschrieben. Manche sind im Schlafzimmer oder in diesem wunderschönen Haus in Australien entstanden.

Soundmag: Habt ihr das Haus gemietet?

Brendan: Wir können dir gar nicht erzählen, wie wir an das Haus gelangt sind. Das ist eine lange Geschichte. (Glenn lacht laut)

Glenn: Aber wir haben niemanden dafür umgebracht.

Brendan: Genau. Wir haben dafür niemandem etwas angetan. Es wirklich ein toller Ort, um Songs zu schreiben. Es gibt dort nur Bäume und sonst nichts. Man hört überhaupt nichts. Komplette Stille bei Nacht. Es dauert etwa eine Woche, um sich daran zu gewöhnen und ruhig schlafen zu können. Und wenn es dann schneit, ist es wirklich seltsam schön.

Glenn: Danach wieder in die Stadt zurückzukehren, hat sich nicht richtig angefühlt.

Brendan: Was besonders stark dadurch kontrastiert wurde, dass wir das Album in Los Angeles aufgenommen haben. Wir sind also nach dieser Szenerie direkt im Großstadtdschungel gelandet.

Soundmag: Hat L.A. einen besonderen Einfluss auf die Aufnahmen ausgeübt?

Brendan: Oh ja. Du musst das Album hören. Es ist sehr lebendig. Es klingt wie eine Stadt. Unser Debüt war sumpfiger, bluesiger, düsterer und countryesker. „Radio Wars“ ist viel vibrierender, zukunftsbezogener und im Hier und Jetzt verankert. Das war auch in unserem Fokus, es farbiger klingen zu lassen. L.A. hat dabei sicher geholfen. Wir haben es mit Dan Grech-Marguerat aufgenommen.

Warum habt ihr ihn als Produzenten ausgewählt? Er hat mit Nigel Godrich Travis und Radiohead produziert. Warum habt ihr nicht direkt Nigel genommen?

Glenn: Ich glaube, Nigel war nicht verfügbar. Aber normalerweise läuft das so: man stellt eine Liste zusammen, mit wem man zusammen arbeiten möchte. Dann fängt man an, diese Liste abzutelefonieren. Dan ist dann ziemlich früh in der Suche aufgetaucht. Wir haben gesehen, was er vorher gemacht hat und wofür er steht, seine ganzen Ideen. Was ihn spezialisiert. Gerade hinsichtlich der elektronischen Seite.

Brendan: Er war frisch. Er ist jung. Er ist sogar jünger als wir.

Glenn: Er ist doch in unserem Alter. Um die zwanzig. (lacht)

Brendan: Mit Ken Nelson beim Debüt war es eine völlig andere Erfahrung. Er war sozusagen unser Senior. Mit Dan war es mehr auf einem Level. Er war weniger wie ein älterer Bruder für uns. Das wollten wir eher. Zudem hatte er schon Erfahrung mit elektronischer Musik vorzuweisen. Das war sehr wichtig.

Soundmag: Aber es gab nicht vorher den Plan Nigel zu nehmen und dann habt ihr einfach...

Glenn: Nein, nein. Es war glaube ich, ein Vorschlag von unserem Management.

Brendan: Um ehrlich zu sein. Es gibt keine Band auf dieser Welt, die nicht Nigel Godrich auf ihrer Wunschliste stehen hat. Aber als wir Dan getroffen haben, war das das Entscheidende. Wir haben uns seine Ideen angehört. Er war sehr aufgeregt und energetisch. Uns war dann klar, dass er derjenige ist, mit dem wir zusammenarbeiten möchten.

Soundmag: Euer Debüt war relativ erfolgreich. Was wollt ihr mit dem neuen Werk erreichen?

Glenn: Zweimal so viel.

Brendan: Und das dann verdoppeln.

Glenn: Wir wollen uns weiterentwickeln und unsere Fanbasis weiter vergrößern. Neue Gebiete erobern, mit denen wir noch nicht in Berührung gekommen sind. Und hoffentlich einen Großteil unserer Fans zu behalten. Aber ich denke doch, dass wir das mit diesem Album schaffen werden. Wir bekommen bis jetzt ziemlich viel positives Feedback.

Brendan: Ich sehe es immer als einen Sprung von einem zum nächsten Stein an. Jedes Album ist ein neuer Felsen. Ein neuer Fels, zu dem man rüberspringt. Man macht sein Album und man hofft, dass man während man das macht, der nächste Felsen kommt, um dann wieder auf den springen zu können. Wir wollen uns weiter vorwärts bewegen, uns verbessern und auf diese Weise expandieren.

Soundmag: Gab es etwas Spezielles, dass ihr euch für „Radio Wars“ vorgenommen hattet?

Brendan: Wir hatten Worte, die wir immer wieder benutzt haben. Um zu beschreiben, was wir fühlen und was mit der Musik transportiert werden sollte. Es waren Worte wie „farbig“, „bemerkenswert“, „dramatisch“, „gewagt“... Mehr in der Gegenwart verankert. Wir haben also Worte oder Bilder genommen, um damit zu arbeiten. Und dann in dem Sinne zu denken.

Soundmag: Habt ihr Druck aufgrund der zahlreichen, euphorischen Kritiken zu eurem ersten Longplayer gespürt?

Glenn: Nein, nein. Wir haben darüber gar nicht nachgedacht.

Brendan: Ich habe nicht viele Kritiken gelesen. Ich versuche, nur wenige zu lesen. Ich denke, dass es dich manchmal verletzt.

Glenn: Die guten führen dazu, dass man sich gut fühlst, die negativen, dass es einem schlecht geht.

Brendan: Es ist wie, wenn man Drogen nimmt und dann runter kommt. Das ist alles. (Glenn lacht laut) Es ist wirklich so! Wenn man die Kritik liest, fühlt man sich blendend. Das passt dann zu der Theorie, dass man immer nur so gut ist, wie die letzte Show es war. Das sollte nie im Mittelpunkt stehen. Wir sind nur Menschen, die sich weiterentwickeln. Also wir versuchen, Dinge unterschiedlich anzugehen. Man scheitert oder man erreicht Dinge.

Glenn: Man muss die Tatsache akzeptieren, dass man scheitern wird. Das betrifft jeden, egal was man macht. Man wird an irgendeinem Punkt scheitern.

Brendan: Ich denke, dass Druck niemals ein Thema während des Songwriting-Prozesses war. Wir haben nie gedacht: „Oh mein Gott, wir haben so und so viele Punkte in dem und dem Magazin.“ Völlig egal. Wir machen Musik.

Glenn: Menschen mögen unsere Musik oder nicht. Das ist absolut in Ordnung.

Brendan: Genau. Ein “Take it or Leave it-Business.”

Soundmag: Demnach habt ihr auch keine Angst vor dem NME, dass er seine Meinung euch gegenüber ändert?

Glenn: Sie ändern ihre Meinung dreimal täglich.

Brendan: Wenn man sich danach richtet, zerstört man sich.

Glenn: Es ist ziemlich lustig, wenn man den NME als Beispiel nimmt. Für einen Außenstehenden ist es lustig zu sehen, wenn sie wütend werden und genau das tun, was sie manchmal auszeichnet. Nicht für die Bands. Es ist Teil des Konzepts.

Brandon: Sie sind sensationslüstern.

Glenn: Manchmal allerdings ist die Band, die sie attackiert haben, drei Monate später völlig auf dem Vormarsch.

Brendan: Sowas sollte niemals deine Handlungen beeinflussen. Denn wenn man das tut, ist man nicht wirklich ein Musiker. Dann ist man eine Publicity-Prostituierte. Und das sind wir nicht. (lacht)

Soundmag: Ich hatte die Gelegenheit, das neue Album zweimal zu hören. Würdet ihr mir zustimmen, dass die neue Platte poppiger und epischer klingt?

Brendan: Ja, da könnte ich zustimmen. (nach kurzem Zögern)

Glenn: Sie ist auf jeden Fall poppiger.

Brendan: Wir haben vor einiger Zeit viele alte gute Popsongs gehört. Ich denke, dass das ein bisschen eingeflossen ist. Aber wir sind keine Popband. Aber ich kann Reminiszensen an die Beatles nicht verneinen.

Soundmag: Aber gab keinen Plan, poppiger zu klingen, um erfolgreicher zu werden.

Glenn: Nein, den gab es nicht. Ich denke, die Musik ist einfach so entstanden.

Brendan: Ich denke, dass der Grund für den Wechsel auf der neuen Platte definitiv instinktiv geschehen ist. Wir hatten mit unserem Debüt einigen Kritiker-Erfolg erreicht. Wir hätten denselben Weg wieder gehen können. Aber das wollten wir nicht. Wir wollten etwas anderes ausprobieren.

Glenn: Das erste Album war stark davon beeinflusst, wo wir uns damals in unserem Leben befanden. Wir hatten extrem daran gearbeitet, es zu veröffentlichen, sodass die Leute es hören konnten. Nach dem Ende der Tour haben wir uns wirklich gut gefühlt, mit dem was wir persönlich als Band erreicht hatten. Wir haben uns völlig verausgabt, um es zu schaffen. Wir sind an einen Punkt gelangt, an dem wir sehr stolz auf uns waren, weil wir das meiste allein geschafft hatten. Wir befanden uns in einer sehr guten Position. Ich denke, dass war ein großer Einfluss auf unsere Ausgangsposition.

Brendan: Viele Dinge haben sich in unserem Leben verändert. Wir haben eine Menge geändert, was die Leute betrifft, mit denen wir zusammenarbeiten. Glenn hat völlig Recht. Wir sind nun frei, kreativ sein zu können. Es ist erstaunlich. Wir haben angefangen, all diese Songs zu schreiben.

Würdet ihr sagen, dass das die entscheidenden Einflüsse waren? Oder gab es wichtigere?

Brendan: Es gab eine Menge Input. Filme und Musik. Entscheidend war aber eher unsere Einstellung. Wir sind durch einiges hindurch gegangen und auf der anderen Seite wieder heraus gekommen. Es war wie eine Wiedergeburt. Das klingt jetzt ein bisschen übertrieben.

Glenn: Eine Erleichterung.

Brendan: Ja, alles ist von unseren Schultern gefallen. Wir dachten: „Oh! Wir müssen ein zweites Album schreiben.“ Wir hatten in der Zeit, in der so viel los war, keine Songs geschrieben. Dann ist alles wie von selbst passiert

Soundmag: Wer hat euch eigentlich vorgeschlagen, „Cities Burning Down“ neu aufzunehmen?

Brendan: Das ist eine gute Frage. Ich kann mich nicht daran erinnern, wer das gesagt hat. Ich kann mich daran erinnern, zugestimmt zu haben.

Glenn: Ich glaube, ich war das. Ich denke, das habe ich. Yeah.

Brendan: Es war ein Song, der noch nicht das bekommen hatte, was ihm zustand.

Glenn: Es ist ein unglaublicher Live-Song geworden. Es ist größer als alles andere in unserem Live-Set geworden. Wir haben ihn in Australien im letzten Oktober neu aufgenommen. Dass er auf das neue Album gelangt ist, war eine Idee von uns allen.

Brendan: Ich kann mich noch an die Entscheidung erinnern.

Glenn: Wir haben ihn in Australien neu veröffentlicht.

Brendan: Es ist ein Song, der schon immer zu uns gehört hat. Er war nicht auf der ersten Platte. Aber selbst wenn er das gewesen wäre, hätten wir ihn überarbeitet.

Glenn: Er hat uns nie losgelassen. (plötzlich kommt der Tourmanager rein, Howling Bells sollen in fünf Minuten auf der Bühne stehen...)

Soundmag: Schnell die letzte Frage: Warum habt ihr eure Plattenfirma gewechselt?

Glenn: Wir hatten nur einen Vertrag über ein Album.

Brendan: Genau. Wir haben einen neuen Vertrag gebraucht, um neue Songs schreiben zu können. So, jetzt müssen wir aber los! (beide lachen)

Soundmag: Dann mal schnell auf die Bühne. Vielen Dank für das Interview!

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