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Kettcar

Kettcar

 

05.06.05 - Rock im Park / Nürnberg

Interview:  Stephan St.

Foto: Pressefoto

 

 

 

Dieses „Kettcar“ ist kein Kinderspielzeug und auch nicht der Soundtrack zur jugendlichen Rebellion. Obgleich Sänger Marcus Wiebusch und Bassist Reimer Bustorff von der gleichnamigen Hamburger Band einst bei den Punkbands „But Alive“ und „Rantanplan“ Hymnen für den revolutionären Block sangen, dass was sie jetzt musikalisch machen, hat mit dem Drei-Akkorde-Stoff von einst nur noch wenig gemein. Die beiden Jungs sind erwachsen geworden, schreiben mit „Kettcar“ mal bittere Liebeslieder in Moll, mal kantig-aufbrausende Songs, die wie der Soundtrack zur politischen Lage in Deutschland klingen. Ihr jüngstes Erfolgsalbum mit dem Titel „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händern“ offeriert tiefsinnige Gedanken über das Leben und Gitarrenpop, wie er nicht filigraner hätte sein können. Welches Ambiente könnte wohl besser zu der schöngeistigen Musik zwischen chansonhaften Balladen und rauem Gitarrenpop passen als der Coburger Schlossplatz? Dort musizieren Erik Langer (Gitarre und Gesang), Frank Tirado-Rosales (Schlagzeug), Lars Wiebusch (Tasten und Gesang), Marcus Wiebusch (Gesang und Gitarre) und Reimer Bustorff (Bass und Gesang) am 19. August gemeinsam mit dem Hip-Hop-Trio „Fettes Brot“. Bei „Rock im Park“ erfuhr Stephan Stöckel im Plausch mit Sänger Marcus allerhand Wissenswertes.

Soundmag: „Coldplay“-Sänger Chris Martin sagte in einem Interview mit dem Stern, dass er nur als Künstler, und nicht als Star wahrgenommen werden möchte. Wie siehst Du das angesichts des zunehmenden Erfolges, den „Kettcar“ verzeichnen?

Marcus: Diesen Ansatz von Chris Martin kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich glaube schon, dass ich mit der Musik, die ich mache, etwas Dauerhaftes schaffe, was nicht schnell vergänglich ist. Unsere ganze Karriere ist darauf aufgebaut, etwas Dauerhaftes zu schaffen. Wir arbeiten hart daran, als Künstler wahrgenommen zu werden. Die Mechanismen, wie man im Medienzeithalter von Heute Star werden kann, sind haarsträubend. Je populärer man wird, desto schwieriger wird es als Künstler wahrgenommen zu werden. Wenn Du erfolgreich bist, denken viele Leute, dass du etwas Besonderes machst und dann bist Du automatisch der größere Star, auch wenn Du es gar nicht willst. Herbert Grönemeyer oder Bono von „U2“ sind treffende Beispiele hierfür. Viele denken über sie: „Schau mal, da kommt der absolute Superstar“. Das finde ich absurd. Im Grunde genommen schreibt auch ein Herr Grönemeyer „nur“ Songs, die die Leute tief berühren und ihm so eine ungeheuere Popularität einbringen. Es liegt nicht in Deinem Ermessen, ob Du als Star oder Künstler wahrgenommen wirst. Du kannst nur immer versuchen, das Beste als Künstler zu geben.

Soundmag: Marcus und Reimer spielten früher bei den in der Punkszene sehr beliebten Bands „But Alive“ und „Rantanplan“. Wie sind die Reaktionen in dieser Szene auf „Kettcar“: Wird euer neuer künstlerischer Weg akzeptiert oder werdet ihr als Verräter, die sich dem Kommerz preisgegeben haben, an den Pranger gestellt?

Marcus: Mal so, mal so. Es gibt sicherlich eine große Zahl an Fans, die mit uns älter geworden sind. Das sind die Leute, die jetzt auch über 30 sind und mit denen wir damals angefangen haben in der Punkszene. Sie arbeiten jetzt in Berufen, die sie sich damals wohl kaum erträumt hätten. Diese Leute haben sich verändert. Sie respektieren auch, dass wir noch weiterhin Musik machen, auch wenn diese überhaupt nichts mehr mit Punkrock zu tun hat. Neun von zehn Punkbands hören auf. Wo sind die alten Bands, mit denen wir damals angefangen haben? Die Punker von einst arbeiten heute als Werbetexter für Opel, sind Lehrer geworden oder arbeiten in der Bank. Es gibt aber auch Leute, die weiterhin als Taxifahrer arbeiten und in ihrer Freizeit in einer Punkband spielen. Für diese Personen sind wir Verräter. Sie sind zwar eindeutig in der Minderheit, aber nichts desto weniger trotz sind die Stimmen dieser Leute laut vernehmbar. Klar kommt es vor, dass die Stimmen einen auch persönlich treffen. Unterm Strich muss man immer das machen, was man für richtig hält. Ich hab mich entschieden weiter Musik zu machen, aber eben keinen Punkrock.

Soundmag: „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“. Wie kommt man auf einen solch sperrigen Albumtitel?

Marcus: Grundsätzlich ist es uns egal, ob Titel von Alben oder Songs sperrig sind oder nicht. Sie müssen einfach nur passen. Es gibt das bekannte Sprichwort „Lieber einen Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach“, was nichts anderes bedeutet, dass man sich für die Sicherheit entscheidet und nicht darauf hofft oder wartet, die Taube auf dem Dach zu kriegen. Das ist halt aufs Leben gemünzt: Alle Menschen haben einmal in ihrem Leben solch grundsätzliche Entscheidungen zu treffen. Was passiert mit Deinen Träumen, die Du damals hattest in jungen Jahren. Musst Du sie jetzt begraben oder versuchst Du weiter an Deinen Träumen festzuhalten? Es gibt mehrere Songs auf der Platte, die das zum Thema haben, wie zum Beispiel „Die Ausfahrt zum Haus Deiner Eltern“. Das war auch der Grund, weshalb wir unser Album danach benannt haben.

Soundmag: Beim Song „Balu“, aber auch bei den Weisen „48 Stunden“ und „Die Nacht“ gewann ich den Eindruck, als hätten viele Lieder explizit mit deinem Leben zu tun…

Marcus: Ich tue mich immer schwer die Songs nach Authentizität abzuklopfen. Von den drei Songs, die du aufgezählt hast, ist nur „Nacht“ der einzig wirklich autobiographische Song. Bei „Balu“ ist zwar auch viel von mir drin. Aber ich habe sie mir auch ausgedacht, die Geschichte von Audrey Hepburn und Balu, dem Tanzbären. Eine solche Fernliebe, wie ich sie in dem Stück „48 Stunden“ besinge, ist mir noch nicht widerfahren. In dem Lied geht es um eine Freundin, die wegen der Karriere oder dem Studium in eine andere Stadt gezogen ist und ihren Partner verlässt. Ein Partner realisiert, dass „Liebe“ nur noch für 48 Stunden in der Woche geschaffen ist und dass man sich dann halt lieber trennt, weil man für eine Beziehung nicht geschaffen ist. Es ist ein sehr bitterer Song ohne Happy End. So etwas kommt immer wieder vor. Ähnlich wie ein Romanschriftsteller, der sich seine Geschichten ausdenkt, habe ich mir die Story zu „48 Stunden“ einfallen lassen.

Soundmag: Euer Lied „Deiche“ empfinde ich als einen Song für das Wir-Gefühl und wider die Gleichgültigkeit und Lethargie, die sich in unserem Lande bei vielen Menschen breit gemacht hat. Wie siehst Du den Song vor dem Hintergrund der Ereignisse, die sich derzeit auf der Politischen Bühne Deutschlands abspielen?

Marcus: Der Song ist ziemlich aktuell, da gebe ich dir recht. Es ist schwierig in einer Zeit wie dieser bestimmte politische Ansichten zu vertreten. Oftmals muss man dabei auch Ambivalenzen mitdenken. In dem Song plädiere ich für soziale Gerechtigkeit. Ich will dass die Hausfrau am Ende der Straße ein besseres Leben führen kann und dass alles gerechter verteilt wird. Das meine ich mit dem Motiv ‚Der Kuchen ist verteilt, die Krümel werden knapp’. Gleichzeitig kotzen mich manche dieser Leute mit ihrer kleingeistigen Schnäppchenmentalität aber auch an, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Wenn sie ihn erst einmal haben, dann ist es Ihnen egal, was mit dem Rest passiert. Das kommt in der Textzeile „Ein Volk steht wieder auf, bei Aldi brennt noch Licht“ zum Ausdruck. Gleichzeitig weise ich den Zuhörer im Refrain darauf hin, dass man sich diesen Ambivalenzen ganz konkret stellen muss: „Ich habe nicht davon gehört, ich habe nicht davon gelesen, ich bin dabei gewesen.“ Wir leben in relativ spannenden Zeiten, in denen sich gerade auch vor dem Hintergrund der Kapitalismuskritik des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, die Frage stellt wie wir mit sozialer Gerechtigkeit umgehen. Ich bin als Künstler kein Sozialreformer, ich werfe nur diese Fragen auf, ich habe keine Antworten, sondern gebe nur Denkanstöße. Ich will, dass wir uns alle diesen Fragen immer wieder stellen.

Soundmag: Am Freitag, den 19. August, tretet Ihr in Coburg auf dem Schlossplatz gemeinsam mit der Rapkombo „Fettes Brot“ auf. Manche Fans mögen das als ungleiche Paarung empfinden. Wie siehst Du das?

Marcus: Ich empfinde es nicht so. Wir sind mit den Jungs sehr gut bekannt. Es bestehen zwar musikalische Unterschiede, aber uns verbinden die norddeutsche Art sowie eine bestimmte Art von Humor. Ich empfinde die drei Rapper als sehr integre Künstler. Wenn wir die Chance haben, mit integren Künstlern zusammen aufzutreten, dann ist es uns relativ egal, ob sie aus dem Jazz oder Hip Hop oder Rock kommen. Was sie machen, finden wir gut und spannend.

Soundmag: Bildet der Schlossplatz mit seiner historischen Kulisse, einem wertvollem Stück Kultur, nicht das passende Ambiente, in dem vor allem Eure tiefsinnigen Balladen ihre Wirkung so richtig entfalten können?

Marcus: Was Du mir beschreibst, ist ein Bildungsbürgerhochkulturambiente, das nicht ohne Reiz für uns ist. Andererseits positionieren wir uns eindeutig in der Popkultur. Selbst meine Songs mit den tiefsten Texten sind Teil dieser Popkultur. Ich will sie nicht gegen Hochkultur aufwiegen. Aber was ich damit sagen will ist, dass in 200 Jahren vielleicht kein Mensch mehr vom Tanzbären Balu spricht, aber der Platz immer noch da ist. Andererseits berühre ich momentan die Menschen mit meiner Ballade, bin also derzeit Teil einer bestimmten Kultur in diesem Lande. Ich finde es sehr spannend dort zu spielen. Wir haben vorgestern auf dem Domplatz in Magedeburg mit „R.E.M.“ gespielt. Es war herrlich vor einer solchen Superkulisse zu spielen. Es hatte viel mehr Charme als in einem Stadion oder auf einer Wiese zu spielen. Ich glaube schon, dass meine schöngeistigen Lieder sehr gut eingebettet sind in das wunderschöne Ambiente des Coburger Schlossplatzes, aber man sollte die Frage auch nicht überbewerten.

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