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Aufstand der Gläubigen: "Uns reicht es"

    Austrittswelle: Die Bestellung von Gerhard Wagner zum Weihbischof verstärkt die Kluft unter den Gläubigen – viele haben von Rom genug.

    Treffen von Vertretern der Basisgemeinden: Dem Frust gegenüber Rom steht die Hoffnung auf eigenständige Pfarren gegenüber. Rechts hinten: Hans Peter Hurka von Treffen von Vertretern der Basisgemeinden. Rechts hinten: Hans Peter Hurka von "Wir sind Kirche." DruckenSendenLeserbrief
    Abendmesse in der Pfarrkirche Rodaun: Es brodelt unter den Gläubigen. Der Unmut über den Vatikan schlägt sich selbst in den Fürbitten der kleinen Wiener Gemeinde nieder: Einer bittet darum, dass sich Christentum und Judentum nicht weiter voneinander entfernen, ein anderer, dass die Basis gehört werde. Der Pfarrer schließt mit einer Geschichte: Fragt man Katholiken, was das Wichtigste in der Messe sei, käme als Antwort "die Wandlung". Wieso Wandlung im Sinne von Veränderung in der Kirche so verpönt sei, fragt er in die spärlich besetzten Reihen.

    Seit Rom vor 14 Tagen die Exkommunikation von vier Bischöfen der Piusbruderschaft aufgehoben hatte (einer davon ein Holocaust-Leugner, der seine kruden Thesen im am Montag erscheinenden Spiegel auch noch bekräftigt), und seit vor einer Woche der erzkonservative Pfarrer von Windischgarsten, Gerhard Maria Wagner, zum neuen Weihbischof von Linz bestellt wurde, gehen die Wogen in der Kirche hoch. Wagner war zuvor einer breiten Öffentlichkeit nur aufgefallen, weil er "Harry Potter" als satanisches Werk ansieht und Naturkatastrophen als Strafe Gottes interpretiert. Im KURIER-Interview vom Samstag bekräftigte er sein "Prinzip des strafenden Gottes" ("Den ´lieben Gott´ gibt es ja nicht"). Im am Sonntag erscheinenden profil tritt er für eine Behandlung Homosexueller ein.

    Von traurig bis wütend reichen die Reaktionen der Katholiken, die der KURIER in Wien und Linz getroffen hat – auch weil der Name Wagner im Dreiervorschlag der Diözese gar nicht vorgekommen ist. Viele lehnen sich jetzt offen gegen ihren Papst auf. "Ich bin wütend, aber nicht überrascht. Ich hab’ mir von diesem Pontifikat nichts anderes erwartet", sagt Eberhard Riegler von der Pfarre Schwechat. "Die Kirche bewegt sich seit 20 Jahren nicht mehr", sagt Wolfgang Renner aus Linz, "mich stört der jetzige ultra-konservative Weg."

    Eine ältere Dame vor dem Linzer Dom, die anonym bleiben will, meint: "Als Frau geht es einem in der Kirche derzeit schlecht." Was ihr besonders sauer aufstößt: Dass Frauen im Altarraum in letzter Zeit äußerst ungern gesehen sind. Schon lange trennt sie zwischen dem, was die Kirche sagt, und dem, was ihr Gewissen ihr rät. "Da lasse ich mir von niemandem dreinreden."

    "Geh’ ma alle weg"

    Ähnliche Reaktionen bei einem Wortgottesdienst in der Wiener Wotruba-Kirche: "Am liebsten würde ich sagen, geh’ ma alle weg", sagt Gerda Davy. Der Diakon der Pfarre, Hubert Keindl, berichtet von aufgerüttelten Gläubigen: "Viele überlegen, was man tun kann. In den 80ern sind die Menschen noch auf die Straße gegangen." Viele hätten aber schon resigniert. Und einige ziehen den Schlussstrich.

    Die Zahl der Kirchenaustritte hat sich in Wien in der vergangenen Woche verdoppelt, in Linz sind seit der Kür von Weihbischof Wagner fast drei Mal so viele Menschen aus der Kirche ausgetreten als in den Wochen zuvor. Der Betreiber der privaten Homepage kirchenaustritt.at verzeichnet seit einer Woche fünf Mal so viele Zugriffe.

    Seit Mitte der 80er-Jahre verliert die Kirche Roms in Österreich 30.000 bis 50.000 Mitglieder im Jahr. Nur noch 14 Prozent besuchen regelmäßig Gottesdienste. Mit 5,6 Millionen Mitgliedern ist die katholische Kirche aber immer noch die mit Abstand größte Religionsgemeinschaft im Land (rund 360.000 sind Muslime, 328.000 evangelisch).


    Kampf

    "Das ist auch ein Kampf in der Kirche, der da durchbricht", hat der angehende Weihbischof Wagner die Reaktionen auf seine Bestellung kommentiert. Und bekam prompt deftige Unterstützung vom Salzburger Weihbischof Andreas Laun: "Er hat Rückgrat. Weicheier können wir in einer so schwierigen Zeit nicht brauchen."

    Die Kluft, die sich in der Kirche auftut, scheint fast unüberbrückbar. Die einen wollen Frauenpriestertum, ein Ende des Zölibats und einen forcierten Dialog mit den Religionsgemeinschaften. Die anderen pochen auf den alleinigen Anspruch der katholischen Kirche auf die Wahrheit und wollen die Uhr zurückdrehen – hinter das Zweite Vatikanische Konzil von 1965 mit seinen zentralen Prinzipien Laienbeteiligung, Religionsfreiheit und Ökumene.

    Hans Peter Hurka, Vorsitzender der Plattform "Wir sind Kirche" (1995 als Reaktion auf die Ereignisse rund um Kardinal Groër gegründet), erhält zurzeit täglich 30 bis 40 eMails von erbosten Gläubigen, oft mit dem Hinweis, jetzt auszutreten: "Uns reicht es. Wir haben eine Notsituation", sagt er, "es gibt momentan keine Gespräche mit den Kirchenoberen. Der Dialog ist tot."

    Ungleichgewicht

    Ob sich in den 14 Jahren, seit der Gründung der Plattform, denn etwas geändert habe? "Es hat sich in der Amtskirche überhaupt nichts, im Bewusstsein der Gläubigen aber wahnsinnig viel verändert." Hurka sieht ein massives Ungleichgewicht in den Entscheidungen des Papstes: "Es steckt politisches Kalkül dahinter, rechte Strömungen in der Kirche sollen gestärkt werden." Es sei ein Kampf gegen Windmühlen. "Wir sind nicht angewiesen auf die Amtskirche, ein eigenständiges Leben in den Pfarren ist möglich."

    Auch die Laieninitiative der ÖVP-Politiker Erhard Busek, Andreas Khol und Herbert Kohlmaier, die die Abschaffung des Pflichtzölibats und die Weihe von Frauen zu Diakoninnen fordert, erhält seit dieser Woche ungeahnt großen Zuspruch.

    Mitglieder der Bundesregierung halten sich – im Gegensatz zur deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel – mit Kommentaren zur Causa Prima zurück. Auf KURIER-Anfrage wurde stets auf eine "innerkirchliche Angelegenheit" verwiesen. Nur die Grünen sprechen offen von einem Rückfall ins Mittelalter.

    Artikel vom 07.02.2009 19:45 | KURIER | Anna Ferner, Hannes Uhl und Niki Nussbaumer

    Nachrichten

    Thema: Kirche im Kreuzfeuer



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