Herzlich Willkommen !

Kuriositäten - Kabinett 3
»Das musikalisch-schachliche Operetten-Mysterium«

Mysteriöse Fälle der Schachgeschichte
von Stephan Maaß

Die Geschichte des Schachs wird nicht nur von Schachspielern, Turnieren und Partien getragen, sondern trifft auch immer wieder mit der Politik, der Literatur, der Kunst, dem Schauspiel und der Musik zusammen. Gerade bei der Zusammenkunft mit der Musik stieß ich jedoch unlängst auf ein Problem. Vielleicht können Sie mir ja weiterhelfen, denn ein Fall ist nur mäßig aufgeklärt. Es geht um das »Musikalisch-schachliche Operetten-Mysterium«.

Schach und Musik scheinen allgemein offenbar gut zusammen zu passen. Es gibt einige Musiker, die auch als mehr oder weniger gute Schachspieler bekannt wurden. Umgekehrt sind auch sehr starke Schachmeister als hervorragende Musiker berühmt geworden.
Der große Franzose François André Danican, genannt Philidor (1726-1795), der heute als inoffizieller Weltmeister seiner Zeit angesehen wird, war eigentlich von Beruf Komponist und begründete die französische komische Oper. Über das Klavierspiel des deutschen Großmeisters Siegbert Tarrasch (1862-1934) sagte der bekannte russische Komponist Sergej Prokofjew (1891-1953) einst lobend: "Präziser Rhythmus, klare Phrasierung und Ausdruckskraft zeugen von großer Musikalität dieses berühmten Schachspielers." Prokofjew selbst spielte seinerseits in Moskau 1937 ein vielbeachtetes Match gegen den Geigenvirtuosen David Oistrach (1908-1974), das letzterer mit 3:2 (+1 =4 -0) für sich entschied.
Der Sowjetrusse Mark Taimanow (geb. 1926) errang nicht nur den Titel eines Großmeisters im Schach, wobei er 1971 sogar Kandidat für die Weltmeisterschaft wurde, sondern er studierte auch Musik und ist ausgebildeter Konzertpianist. Ähnliches kann man auch über den Sowjetrussen und siebenten Weltmeister der Schachgeschichte Wassili Smyslow (geb. 1921) sagen. Man legte ihm zu Beginn seiner Schachlaufbahn nämlich nahe, daß Schachspiel aufzugeben und lieber eine Sängerkarriere am Moskauer Bolschoi-Theater zu beginnen. Smyslow singt mit einer sehr angenehmen Bariton-Stimmlage.
Die in der Schweiz geborenen Brüder Paul (1887-1937) und Hans Johner (1889-1975) waren beide von Beruf Musiker, spielten aber auch hervorragend Schach. Paul war sechsmal Landesmeister der Schweiz, wurde einige Male (geteilter) Erster in kleineren Turnieren (z.B. Kopenhagen 1916 oder Berlin 1917), feierte aber seinen wohl größten Erfolg bei dem doppelrundigen Viererturnier in Berlin 1924, wo er vor den Großmeistern Akiba Rubinstein (1882-1961), Richard Teichmann (1868-1925) und Jacques Mieses (1865-1954) gewann. Hans war Geiger im Tonhallenorchester Zürich und Lehrer am Konversatorium. Schachlich errang er immerhin den Titel eines Internationaler Meisters; er war zwölfmal Landesmeister, fünfmaliger Sieger des Coup Suisse (Schweizer Pokal), vertrat sein Land bei drei Schacholympiaden und schuf über 200, zum Teil preisgekrönte Schachprobleme.
Der Musiker Adolf Brodsky (1851-1929), der seine erste Vorstellung mit Tschaikowskys Violinkonzert gab, gerade als dieses den Ruf der Unspielbarkeit hatte, war ein erstklassiger Schachspieler. Später wurde er Leiter des Hallé Orchestras.
Von dem Pianisten Rudolf Heinrich Willmers (1821-1878) sagte man scherzhaft, er spiele Musik und komponiere Schachprobleme. Während seiner Aufführung von Schumanns "Karneval" stoppte Willmers einmal unvermittelt sein Klavierspiel, schrieb etwas auf seine Manschette und setzte dann das abgebrochene Stück fort. Später auf diesen Vorfall angesprochen gab er an, er sei seit einer Woche mit einem schwierigen Schachproblem beschäftigt und hätte plötzlich einen Geistesblitz gehabt. "Ich mußte den Gedanken aufschreiben, um meinen Kopf frei zu bekommen und mich wieder auf mein Spiel konzentrieren zu können."
Der ungarische Komponist und Schöpfer der Nationalhymne seines Heimatlandes Ferenc Erkel (1810-1893) spielte so gut Schach, daß er erfolgreich gegen den bekannten ungarischen Meister und Teilnehmer am Londoner Turnier von 1851 Joszef Szén (1805-1857) bestehen konnte. Erkel gründete in Pest (heute Budapest) auch den ersten Schachclub.
Andere berühmte Komponisten, die bekannt für ihre Schachleidenschaft waren, sind Ludwig van Beethoven (1770-1827), Arthur Bliss (1891-1975), Frédéric Chopin (1810-1849), Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908), Robert Schumann (1810-1856), Dimitri Schostakowitch (1906-1975), Alexander Skrjabin (1872-1915), Richard Strauss (1864-1949), Sergej Tanejew (1856-1915) u.a.
Diese kleine Einleitung erfolgte, weil ich bei den schachspielenden Komponisten einst auf ein Rätsel stieß, das ich später klären konnte, Ihnen aber nicht vorenthalten möchte. Also:
Bei Tröger (19??, S. 110 - 111) kann man über R. Strauss lesen:
"Der große Komponist Strauss (1864-1949) war nicht nur ein begeisterter und unermüdlicher Skatspieler (das ist belegt!), sondern soll auch gerne Schach gespielt haben (wer weiß, wo das belegt ist?)." In meinem kleinen Archiv fand ich, leider ohne jegliche Quellenangabe, folgende Stellung:

Diagramm
Kuriositätenkabinett
Strauss (Weiß) am Zuge

Als Führer der schwarzen Steine ist ein gewisser Herr Zuckerbäcker angegeben, das ist gewiß kein häufiger Name. Ich habe überlegt, was wohl die letzten Züge waren und kam auf Sg5 (gedeckt durch das Matt auf h7) und Dd7-g4. Die unbekannte Quelle fand eine hübsche Bezeichnung für den Sieg von Richard Strauss: "... er geigte seinem Gegner auf feine Weise heim!" Hier die "Töne": 1. Df7:+ Tf7: 2. Te8+ Tf8 3. Lh7+ Kh8 4. Tf8:#. Schön wär's, wenn's wahr wär."
Soweit Trögers Artikel, vielleicht kennen Sie ihn; oder Sie kennen die Diagrammposition und haben sich auch schon gefragt, wie es dazu kommen konnte. Nun, da kann geholfen werden. Waligora (1989, S. 248) hatte offenbar in bezug auf die Entstehungsgeschichte der Stellung eine ergiebigere Quelle, denn er gibt eine Kurzpartie an, ohne allerdings den Namen des Gegners zu nennen. Aus Trögers und Waligoras Angaben synthetisierte ich daher:
Strauss - Zuckerbäcker, wo, wann ?
Russisches Dreispringerspiel
1. e4 e5 2. Sf3 Sf6 3. Sc3 Lb4 4. Sd5!? Sd5: 5. ed5: d6 6. c3 Lc5 7. d4!? ed4: 8. Ld3 De7+?! 9. Kd2 dc3:+ 10. bc3: 0-0 11. Te1 Dd7 12. Sg5 h6 13. Dh5 Dg4, wonach die Stellung bei Tröger entstanden ist und die Partie mit 14. Df7:+ Tf7: 15. Te8+ Tf8 16. Lh7+ Kh8 17. Tf8:# zuende ging.
Soviel zu einem der gelösten schachlich-musikalischen Rätsel. Neben den ambivalenten Persönlichkeiten, in deren Brüsten zwei Herzen schlugen, gibt es auch musikalische Stücke, die sich mit dem Schachspiel als Thema auseinandersetzten. Bei Diel (1983, S. 48), Hooper & Whyld (1992, S. 266, 416f.) oder Linder & Linder (1996, S. 210) finden sich einige Angaben zu diesem Gebiet.
Eine Musikkomödie mit dem Titel »König, Türme und Narren« wurde von dem Italiener Antonio Lozzi (geb. ?) geschrieben. Diel (1983) irrt jedoch, wenn er behauptet, daß der Läufer im Italienischen 'Narr' heiße. Das italienische 'Alfiere' (für den Läufer im Schachspiel) heißt übersetzt nämlich eher soviel wie 'Bannerträger', während ein Narr im Italienischen ein 'pazzo', 'folle', 'matto' oder 'buffo' ist. Doch im Französischen heißt der Läufer 'Fou', was übersetzt in der Tat 'Verrückter' oder 'Narr' bedeutet. Und da Französisch früher noch viel verbreiteter war als heutzutage, ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, daß Lozzi sein Stück in französisch verfaßte. Aber ich schweife schon wieder ab. Neben Lozzis Werk gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Musikstücke zum Thema Schach, z.B. die Komposition von Hans Zender (geb. ?), ein symphonisches Stück mit dem Namen »Schachspiel für zwei Orchestergruppen«. Es wurde 1969 in Darmstadt uraufgeführt und erhielt angeblich gute Kritiken.
1903 kam eine Sammlung »Berliner Schachlieder« heraus, darunter auch die Hymne der Berliner Schachgesellschaft, aus der deutlich die Melodie des Seemannchores aus Wagners Oper »Der Fliegende Holländer« herauszuhören war. Ferner komponierte Bohuslav Martinu (1890-1959) das Stück »Schach dem König« (»Échecs au roi«). Von dem Dänen Peer Tilman (geb. ?) gibt es ein Klavierstück »Das Duell am Schachbrett. Parade und Matt«, und von dem schwedischen Komponisten und Schachmeister Michael Wiedenkeller (geb. ?) ein symphonisches Gedicht für Chor und Orchester, das »Die Schachballade« heißt. Der Brasilianer Arturo Napoleon (geb. ?), der nicht nur Komponist, sondern auch einer der stärksten Spieler seines Landes war, schuf die musikalische Sammlung »Caïssa Brasiliana«, in der er die besten Schachpartien seiner Landsleute vertonte.
Arthur Bliss schrieb 1937 die Musik zu dem Ballett »Checkmate« (Choreographie: de Valois) und sorgte damit für Furore. Aus Amerika kam in den 1980er Jahren ebenfalls ein Ballett, das »Tschaturanga - eine Schachfantasie« hieß. In einem weiteren Ballett, »Ana« (1990, Choreographie: Chopinet), wurde eine extra dafür entworfene Schachpartie mit 73 Zügen tänzerisch umgesetzt.
In »Sindbad der Seefahrer on Ice« zeigen die Schlittschuhfahrer die Aufführung einer der berühmtesten freien Partien des Amerikaners Paul Morphy (Morphy - Herzog v. Braunschweig & Graf Isouard, Paris 1958) als lebende Schachfiguren.
Sogar eine Oper, »Das Schachturnier« (»Le tournoi aux échecs«), von Eberwein (geb. ?) gibt es. Aber es ist lediglich bekannt, daß die Ouvertüre 1819 entstand, aber nicht, ob das Werk je vollendet oder aufgeführt wurde.
Sehr bekannt ist dagegen das englische Musical »Chess« von ?, welches den Wettkampf zweier Schachmeister um die Weltmeisterschaft zum Inhalt hat, wobei Episoden und Ereignisse aus den realen Wettkämpfen Fischer - Spasskij (Reykjavik 1972) bzw. Karpow - Kortschnoi (Baguio 1978) verarbeitet wurden.
In dem schon früher einmal erwähnten Schachrätsel von Diel (1996) (vgl. 1. Folge dieser Serie) lautet die Aufgabe 13 C:
"In der Romantik des vorigen Jahrhunderts entstand 1877 die einzige Schach-Operette. Wie hieß sie, wer schrieb das Libretto und von wem wurde sie vertont?"
Ich war nun der Meinung, daß damit eigentlich nur die Operette »Der Seekadett« gemeint sein konnte, denn ich wußte, daß es sich dabei nicht nur um eine Operette handelte, sondern auch, daß in diesem Stück eine berühmte Mattkombination mit lebenden Schachfiguren aufgeführt wird, die erstmals wohl in der Partie Légal - St. Brie, Paris 17?? vorkam, seither Légals Matt heißt, in Deutschland aber - gerade wegen ihres Vorkommens in dieser Operette - auch als Seekadettenmatt bezeichnet wird.
Bei Diel (1983, S. 48) fand ich die Angabe, die Operette stamme von einem Herrn Segal. Auch Schuster (1992, S. 92) gibt Segal als Schöpfer des Werks an und schreibt zusätzlich noch, daß die Operette 1887 auf einer Bühne aufgeführt worden sein soll. Da wurde ich stutzig, denn nicht nur, daß ich in meinen beiden Operettenführern weder unter dem Komponistennamen Segal noch unter dem Operettennamen »Der Seekadett« einen Eintrag gefunden hatte, nein, nun ergab auch noch der Vergleich der Jahreszahlen bei Diel (1996) und Schuster (1992) eine Differenz von schlappen zehn Jahren. Immerhin, so versuchte ich mich zu beruhigen, immerhin könnte es sich dabei um einen Schreib- oder Druckfehler in der einen oder der anderen Quelle handeln. Außerdem bedeutete ja nicht zwangsläufig, daß eine Aufführung im Jahre 1887 auch gleichzeitig die Jahreszahl der Entstehung des Stückes angeben müsse. Was den Namen Segal betrifft, so konnte ich mich dunkel erinnern, daß ich irgendwann einmal in irgend einem Buch (ich glaube es war bei Kurt RICHTER?!) gelesen hatte, daß das Légal-Matt auch Seekadettenmatt heiße, weil es in einer Operette »Der Seekadett von Segal« vorkomme. Vielleicht hatten Diel (1983) bzw. Schuster (1992) schlicht die Anführungszeichen falsch gesetzt?! Doch der Zweifel nagte bereits an mir. Also forschte ich weiter. Dabei stieß ich - wie sollte es auch anders sein - zunächst einmal auf ein weiteres Problem, und zwar die angeblich im »Seekadett« aufgeführte Partie.
Das Original Légal - St. Brie verlief wohl in etwa folgendermaßen: 1. e4 e5 2. Lc4 d6 3. Sf3 Sc6 4. Sc3 Lg4 5. Se5: (...) Ld1:?? 6. L:f7+ Ke7 7. Sd5#. (Linder & Linder, 1996, S. 182, Zugbewertung von mir) bzw. 1. e4 e5 2. Sf3 d6 3. Lc4 Sc6 4. Sc3 Lg4 5. Se5: (...) Ld1:?? 6. Lf7:+ Ke7 7. Sd5#. (Mazukewitsch, 1985, S. 14). Interessant ist, was Mazukewitsch weiterhin dazu schreibt: "Welche Zeichen soll man nun in die Klammern nach dem fünften weißen Zug setzen? Vom Standpunkt der Wahrheit aus: "??" Nach 5. ... S:e5 hätte Schwarz eine Figur mehr gehabt. Vom Standpunkt der Evolution der schachlichen Ideen aus: "!!" Damit wurde eine der berühmtesten Schachkombinationen geschaffen - das Legal-Matt. Der Kummer über die ärgerliche "Illegaität" des Legal-Matts war für die ästhetischen Gefühle der damaligen Zeitgenossen und ihrer Nachfolger so groß, daß in einigen späteren Veröffentlichungen die Erstlingspartie in folgender Notation angeführt wurde: 1. e4 e5 2. Sf3 d6 3. Lc4 Lg4 4. Sc3 g6?!? 5. S:e5 L:d1 6. L:f7+ Ke7 7. Sd5#. Aber das ist schon reine Falschspielerei." Sowohl LINDER & LINDER (1996) als auch Mazukewitsch geben Paris 1787 als Ort des Geschehens an. Lindörfer (1982, S. 261f.) bzw. Hooper & Whyld (1992, S. 221) betreiben im Prinzip die von Mazukewitsch erwähnte Falschspielerei, denn ersterer gibt unter Légal - St. Brie die Zugfolge 1. e4 e5 2. Sf3 d6 3. Lc4 Lg4 4. Sc3 h6? 5. Se5:! Ld1:? 6. Lf7:+ Ke7 7. Sd5# an, während die Briten diese Partiefolge präsentieren: 1. e4 e5 2. Lc4 d6 3. Sf3 Lg4 4. Sc3 g6? 5. Se5: Ld1: 6. Lf7:+ Ke7 7. Sd5#. Alle drei Autoren verlegen übrigens auch die Stammpartie ins Jahr 1750! Zu allem Überfluß schreibt Diel (1983), daß das Seekadettenmatt von der Operette abgeleitet sei und gibt die Version 1. e4 e5 2. Sf3 d6 3. Lc4 h6 4. Sc3 Lg4 5. Se5:! Ld1:? 6. Lf7:+ Ke7 7. Sd5# an. Dabei fragte ich mich unwillkürlich, ob die Partie in der Operette überhaupt einen direkten Bezug zur Légal-Partie hat? Schuster (1992) schließlich gibt zunächst die gleiche Zugfolge wie Mazukewitsch (1985) an, bezeichnet sie dann wegen der Möglichkeit 5. ... Se5:! -+ als inkorrekt und schreibt schließlich: "Das korrekte Seekadettenmatt muß daher so ablaufen: 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lc4 d6 4. Sc3 h6 5. d4 Lg4 6. de5: Se5: 7. Se5:! Ld1:? 8. Lf7:+ Ke7 9. Sd5#." Ist das also die Version aus der Operette?
Bei Hooper & Whyld (1992, S. 363) steht unter dem Stichwort Sea-Cadet mate, es sei eine Version des Légal-Matts und komme im 2. Akt der Operette »Der Seekadett« vor. Dann wird wieder einmal eine neue Zugfolge angegeben: 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. d4 (Hört, hört! - Diesmal also Schottisch.) 3. ... ed4: 4. c3 (Oho, sogar ein Göring-Gambit!) 4. ... dc3: 5. Sc3: d6 6. Lc4 Lg4 7. 0-0 Se5 8. Se5: Ld1: 9. Lf7:+ Ke7 10. Sd5#. Man erhält die Information: "The moves of this game ... are those of a friendly game won by FALKBEER at Vienna in 1847." [Übersetzung: Die Züge dieser Partie ... sind die einer von Falkbeer in Wien 1847 gewonnen freien Partie.] Ich frage mich also einerseits, welche Zugfolge wurde denn nun tatsächlich in welchem Jahr zwischen Légal und St. Brie gespielt, andererseits möchte ich wissen, ob die in der Operette aufgeführte Partie als verfälschte Légal-Partie (in welcher Version?) oder als authentische Falkbeer-Partie daherkommt?
Doch damit noch nicht genug. Zu meiner Verblüffung las ich bei Hooper & Whyld (1992) außerdem, die Operette sei von Genée und Zell und 1876 entstanden. Daraufhin zog ich sofort erneut meine Operettenführer zu Rate und fand bei Fath & Würz (1994, S. II/50 und 51), daß Richard Genée (1823-1895) vor allem als Librettist für andere Komponisten tätig war und oft mit F. Zell (Camillo Walzel) zusammen gearbeitet hätte. Genée "... erzielte später seine stärksten, dauerhaftesten Wirkungen mit Der Seekadett (1876) und Nanon (1877)." Leider geht daraus nicht eindeutig hervor, ob von Genée die Komposition und das Libretto stammen, oder ob das Libretto von F. Zell geliefert wurde.
Schneidereit (1975) gibt ebenfalls an, daß Genée und der Schriftsteller F. Zell (Camillo Walzel, 1829-1895) eine Librettistengemeinschaft bildeten. Auf S. 77 ist dann zu lesen: "1876 und 1877 erschienen nochmals zwei eigene Bühnenkompositionen, die Operetten »Der Seekadett« und »Nanon«, die beide sehr erfolgreich waren." Daraus kann zwar geschlossen werden, daß Genée der Komponist war, aber nicht, ob die Librettovorlage von ihm allein, von ihm und F. Zell oder von Zell allein stammte. Zusammenfassend habe ich also im Zusammenhang mit der Operette »Der Seekadett« etliche Fragen: 1. Wie sah die Originalpartie Légal - St. Brie wirklich aus? 2. Wann wurde sie gespielt? 3. Ist sie als abgewandelte Version im »Seekadett« zu sehen oder stand vielmehr die Falkbeer-Partie Pate? 4. Kennt jemand den Gegner Falbeers? 5. Wer schrieb das Libretto für »Der Seekadett« (Genée allein, Genée & Zell oder Zell allein)?
Ganz zum Schluß noch eine heimliche, mich zunehmend beschleichende Sorge: Bei Diel (1996) heißt es extra "Schach-Operette..." Sollte es möglich sein, daß damit gar nicht »Der Seekadett« gemeint ist? Immerhin kommt darin wohl irgendeine Schachpartie vor, aber muß es sich deshalb gleich um eine Schach-Operette handeln? Zudem ist Genées Komposition 1876 entstanden, und hatte Diel nicht nach 1877 gefragt? Ojeoje, Nachtigall, ick hör' dir trapsen...

Verwendete Literatur:

  1. Diel, A. (1983): Das Spiel der Könige«
    Bamberger Schachverlag Bamberg
  2. Diel, A. (1996): »Das Extra-knifflige Preisrätsel« Teil 1
    in: »Schach«, Ausgabe 1/97
    Sport und Gesundheit Verlag GmbH Redaktion Schach Berlin
  3. Fath, A. & Würz, R. (1994): »Reclams Opern- und Operettenführer«
    Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
  4. Hooper, D. & Whyld, K. (1992): »The Oxford Companion to Chess«
    Oxford University Press, Oxford - New York, 2. Auflage
  5. Linder, I. & Linder, W. (1996): »Schach - Das Lexikon«
    Sportverlag Berlin
  6. Lindörfer, K. (1982): »Großes Schach-Lexikon«
    Mosaik Verlag München
  7. Mazukewitsch, A. (1985): »Verflixte Fehler«
    Sportverlag Berlin
  8. Schneidereit, O. (1975): »Operette A-Z - Ein Streifzug durch die Welt der Operette und des Musicals«
    Henschelverlag Berlin, 9. Auflage
  9. Schuster, T. (1992): »Schachlexikon - Partien, Probleme, Schachgeschichte von A - Z«
    Ullstein Sachbuch, Verlag Ullstein GmbH Frankfurt a.M. - Berlin
  10. Tröger, P. (19??): »Aus meinen Tagebüchern«
    Thomas Beyer Verlags GmbH Hollfeld
  11. Waligora, F. (1989): »Hörzu Schachbuch«
    Ullstein Sachbuch, Verlag Ullstein GmbH Frankfurt a.M. - Berlin

Copyricht © 1999 Stephan Maaß

 

 Geschichten (n) http://users.startplus.de/scweda/  nach oben